Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrat bezüglich der einseitigen Anordnung des Arbeitgebers. Mitbestimmung bei Regelung der Anzeige von Arbeitsunfähigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

Die gegenüber allen Mitarbeitern erfolgte Anweisung des Arbeitgebers, eine Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit nicht mehr wie bislang gegenüber der Rezeption, sondern gegenüber dem Vorgesetzten anzuzeigen, konkretisiert nicht das Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer und ist daher mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.

 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 1, § 23 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Ulm (Beschluss vom 22.06.2006; Aktenzeichen 1 BV 2/06)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen denBeschluss des Arbeitsgerichts Ulm vom22. Juni 2006 – Az.: 1 BV 2/06 – wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten über das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bezüglich der Regelung der Modalitäten von Arbeitsunfähigkeitsanzeigen der Beschäftigten durch die Arbeitgeberin.

Die Arbeitgeberin betreibt bundesweit ca. 60 Pflegezentren darunter die „R. „, in welcher ca. 135 Personen beschäftigt sind. Antragsteller ist der dort gebildete und sieben Mitglieder umfassende Betriebsrat.

Gemäß jahrelanger Praxis erfüllen die Arbeitnehmer ihre Anzeigepflicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG, indem sie ihre Arbeitsunfähigkeit gegenüber der Rezeption der Arbeitgeberin mitteilen. Mit Dienstanweisung vom 09. Januar 2006 (ABl. 8) legte die Arbeitgeberin die Verfahrensweise bei Krankheitsanzeigen der Arbeitnehmer dahingehend fest, dass die Krankmeldung „umgehend telefonisch zunächst beim Vorgesetzten (Residenzleitung/Pflegedienstleitung/stellvertretende Pflegedienstleitung)” zu erfolgen habe und am letzten Krankheitstag telefonisch eine Gesundmeldung erfolgen müsse. Diese Dienstanweisung übergab die Pflegedienstleitung am 09. Januar 2006 dem Betriebsrat. Nachdem dieser die Sinnhaftigkeit der Regelung in Frage stellte, sagte der Pflegedienstleiter eine Überprüfung zu.

Mit Schreiben vom 01. Februar 2006 wandte sich der Residenzleiter dann unmittelbar an die Arbeitnehmer unter Rücknahme der Dienstanweisung vom 09. Januar 2006. Darin heißt es:

Information an alle Mitarbeiter

Aus gegebenem Anlass weise ich darauf hin, dass im Falle der Arbeitsunfähigkeit bei Krankheit die Verfahrensweise wie folgt ist:

  1. Alle Mitarbeiter haben die Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit unverzüglich beim Vorgesetzten (Residenzleiter / Pflegedienstleitung / stellv. Pflegedienstleitung) anzuzeigen.

    Die Büros der Residenzleitung / Pflegedienstleitung / stellv. Pflegedienstleitung sind von Montag bis Freitag ab 8.00 Uhr besetzt. Sollten die Büros nicht besetzt sein, so besteht die Möglichkeit sich über die Rezeption: … mit dem entsprechenden Vorgesetzten telefonisch verbinden lassen.

    Zugleich sollte die Krankmeldung auch an die entsprechende Abteilung/Wohnbereich erfolgen.

  2. Vor Ablauf der Arbeitsunfähigkeit hat sich der Mitarbeiter rechtzeitig selbst zu informieren, zu welchem Dienst er im Dienstplan eingetragen ist.

    Durch dieses Informationsschreiben ist die Dienstanweisung v. 9.1.06 aufgehoben!

Diese lnformation vom 01.Februar 2006 wurde durch den Residenzleiter nachträglich noch handschriftlich ergänzt.

Mit Schreiben vom 02. Februar 2006 lud die Vorsitzende des Betriebsrats die Mitglieder des Gremiums zur Betriebsratssitzung am 06. Februar 2006 um 10:00 Uhr unter Nennung einer 15-Punkte umfassenden Tagesordnung ein, darunter der Tagesordnungspunkt 7:

„Der Hausleiter hat zum wiederholten Male unter Missachtung unserer Mitbestimmungsrechte ein An- und Abmeldeverfahren im Zusammenhang mit Krank-/Gesundmeldung eingeführt. Dies stellt einen erneuten groben Verstoß gegen die Regeln des BetrVG dar. Der Betriebsrat wird ein entsprechendes arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren einleiten. Der RA … wird zum Verfahrensbevollmächtigten bestellt. Beratung und Beschlussfassung.”.

An der Sitzung am 06. Februar 2006 nahmen sieben Betriebsratsmitglieder teil. Diese fassten einstimmig den Beschluss, ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren einzuleiten und den genannten Rechtsanwalt zum Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats zu bestellen.

Die Arbeitgeberin hat in der mündlichen Anhörung am 22. Juni 2006 erklärt, die „lnformation an alle Mitarbeiter vom 01.02.2006” in der handschriftlich korrigierten Fassung werde zurückgenommen.

Der Betriebsrat hat beantragt,

  1. Es wird festgestellt, dass die Anordnung wer, in welcher Form, gegenüber welchen betrieblichen Stellen, eine aktuelle Arbeitsunfähigkeit anzuzeigen hat, der Mitbestimmung des Betriebsrates gem. § 87 I Nr. 1 BetrVG unterliegt.
  2. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, es zu unterlassen ohne Beteiligung des Antragstellers einseitige Anordnungen bezüglich der näheren Konkretisierung der arbeitsvertraglichen Anzeigepflicht im Falle einer aktuellen Arbeitsunfähigkeit eines Beschäftigten zu treffen.

Die Arbeitgeberin hat um...

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