Rz. 19

Mit welchem Prozentsatz eine unfallbedingte MdE zu bewerten ist, lässt sich in aller Regel nicht mathematisch exakt festlegen, sondern nur annähernd bestimmen, wobei üblicherweise Stufen gewählt werden, die durch die Zahl 10, allenfalls 5 oder 3 teilbar sind. Die Bewertung der MdE ist mithin ihrem Wesen nach eine Schätzung, der eine gewisse Schwankungsbreite eigentümlich ist. Eine MdE von 10 % ist die untere Grenze dessen, was medizinisch und wirtschaftlich messbar ist. Die Toleranzspanne der Schätzung liegt bei 5 %, sofern die Schätzungsgrundlagen richtig ermittelt und gewürdigt wurden und die Schätzung selbst nicht auf falschen oder unsachlichen Erwägungen beruht (vgl. BSG, Urteil v. 7.12.1976, 8 RU 14/76).

 

Rz. 20

War der Versicherte schon im Zeitpunkt des Versicherungsfalls dauernd völlig erwerbsunfähig, so dass er keine Erwerbsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens mehr hatte und keinen nennenswerten Verdienst mehr erzielen konnte, ist es schon begrifflich ausgeschlossen, dass sich der durch den Versicherungsfall hervorgerufene Gesundheitsschaden noch zusätzlich durch einen dadurch bedingten Verlust an Erwerbsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens auswirken kann, so dass es an einer MdE infolge des Versicherungsfalls fehlt. In allen anderen Fällen, in denen der Versicherte vor dem Versicherungsfall noch nicht völlig erwerbsunfähig war, richtet sich die Entschädigungspflicht des Unfallversicherungsträgers unter Berücksichtigung der individuellen Erwerbsfähigkeit des Versicherten nach dem Gesundheitsschaden, den der Versicherungsfall hervorgerufen hat (vgl. BSG, Urteil v. 17.3.1992, 2 RU 20/91). Eine unfallunabhängige "dauernde völlige Erwerbsunfähigkeit" steht daher dem Rentenanspruch grundsätzlich nur entgegen, wenn sie bereits bestanden hat, als der Unfallschaden (erstmals) eingetreten ist. Wäre dies anders, so müsste hier wegen der später eingetretenen völligen Erwerbsunfähigkeit sogar die bereits gewährte Rente entzogen werden können (vgl. BSG, Urteil v. 24.2.1977, 8 RU 58/76).

 

Rz. 21

Ist es durch den Versicherungsfall zu einer Schädigung an mehreren Körperteilen gekommen, werden die ermittelten MdE-Sätze der einzelnen Gesundheitsschädigungen nicht einfach rechnerisch addiert, sondern in abschließender Betrachtung dahingehend bewertet, inwieweit sie die Erwerbsfähigkeit des Versicherten in ihrer Gesamtheit mindern. Die Gesamtbewertung wird i. d. R. niedriger sein als die Gesamtsumme der Einzelschädigungen. Andernfalls würde man bei schweren Verletzungen an verschiedenen Körperteilen bei einfacher Summierung der Einzelschädigungen zu Werten von weit über 100 % gelangen. Kommt es zu einer Verbesserung der Unfallfolgen, ist ebenso die Besserung nicht nur rechnerisch abzuziehen, sondern wiederum der Gesamtzustand des Versicherten zu würdigen.

 

Rz. 22

Grundsätzlich ist die durch die Gesundheitsschädigung verursachte Funktionseinbuße als MdE zu bewerten. Liegen Schmerzzustände vor, gestaltet sich die Bewertung der MdE schwieriger. Die typischerweise mit einer Verletzung einhergehenden Schmerzen sind grundsätzlich bei den Unfallfolgezuständen, die in den MdE-Tabellen und Erfahrungswerten enthalten sind, mitberücksichtigt, so dass bei diesen Unfallfolgezuständen eine höhere MdE nur bei glaubhaften "normabweichenden" Schmerzen zur Diskussion stehen kann.

Schmerzen einer gewissen Intensität und Dauer können die Leistungsfähigkeit (Erwerbsfähigkeit) des Versicherten zusätzlich beeinträchtigen (mindern). Der Versicherte kann jedoch seinen eigenen Schmerz nie für einen anderen als Schmerz erfassbar machen und da es für Schmerzen bisher noch keine Meßmethoden gibt, kann Schmerz nur subjektiv empfunden und je nach dem Sprachschatz des Betroffenen verbal umschrieben werden. Folglich kann auch die durch Schmerzen bedingte und in einen Zahlenwert umgesetzte Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit nur anhand von Erfahrungsgrundsätzen geschätzt werden, die sich wiederum auf die ärztliche Erfahrung stützen, dass bestimmte durch Funktionsmessungen oder Röntgenbefunde nachweisbare Unfallfolgen der Intensität nach vergleichbare Schmerzzustände zu verursachen pflegen (vgl. zum Schmerz Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 228).

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