Rz. 16

Über die Fälle der Alternativlosigkeit hinaus kann ein Aufhebungsanspruch nunmehr auch dann ausgeschlossen sein, wenn es der Behörde grundsätzlich rechtlich möglich gewesen wäre, eine andere Entscheidung zu treffen. Solche Entscheidungsalternativen bestehen bei den der Behörde eingeräumten Beurteilungsspielräumen – insbesondere bei Entscheidungen aufgrund prognostischer Beurteilung – und bei Ermessensentscheidungen sowohl für Entschließungs-/Handlungs- als auch inhaltliches Entscheidungsermessen für oder gegen eine Leistungsgewährung und/oder deren Umfang. Grundsätzlich kann die Alternative für die Behörde auch darin bestehen, keinen VA zu erlassen. § 42 erfasst jedoch nur die Fälle, in denen ein VA erlassen wurde und zur Überprüfung ansteht. Weiterhin muss die Entscheidungsalternative zugunsten des Betroffenen bestehen. Ist nur eine Alternative zu Lasten des Betroffenen gegeben (z. B. Aufhebung eines VA mit Rückwirkung statt für die Zukunft, gänzliche Aufhebung des VA statt Einfrieren nach § 48 Abs. 3, Ablehnung statt teilweiser Bewilligung), ist eine Aufhebung nach § 42 auch bei relevanten Form- oder Verfahrensfehlern nicht möglich.

 

Rz. 17

Unbeachtlich ist ein Form- oder Verfahrensmangel in diesen Fällen dann, wenn offensichtlich ist, dass dieser Fehler die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Damit wird auf eine an sich einem Beweis nicht zugängliche negative Kausalität abgestellt und die Frage aufgeworfen, ob sich der Verfahrensfehler konkret auf die Sachentscheidung ausgewirkt hat. Zu prüfen ist daher, ob auch ohne den Fehler die gleiche Sachentscheidung getroffen worden wäre. Dies muss und kann sich nicht wie bei § 40 aus dem VA selbst ergeben, sondern kann nur nach objektiven Maßstäben aus der Rekonstruktion des behördeninternen Entscheidungsprozesses ermittelt werden. Wenn mit dem Merkmal der Offensichtlichkeit ein strenger Entscheidungsmaßstab verbunden sein soll, dann reicht es nicht aus, wenn die Behörde nur die Behauptung einer identischen Entscheidung auch ohne Mangel aufstellt, sondern es muss nachvollziehbar dargelegt werden, dass im konkreten Fall oder typischerweise die Entscheidung so wie getroffen ausfällt und der Fehler nicht entscheidungsrelevant sein oder werden konnte. Dieser Nachweis kann anhand der Verwaltungsakten oder sonstiger Unterlagen geführt werden. Bedeutung für die Feststellung der fehlenden Kausalität kommt dabei auch einer ständigen Behördenpraxis (Selbstbindung der Verwaltung) und den der Behördenentscheidung zugrunde gelegten Verwaltungsanweisungen oder ermessenslenkenden Richtlinien zu, wenn durch diese die materielle Entscheidung im Ergebnis vorgeprägt ist.

 

Rz. 18

Ein Form- oder Verfahrensfehler kann nur dann für die Sachentscheidung im Ergebnis relevant sein, wenn dadurch der Entscheidungsprozess wesentlich beeinflusst werden kann. Ist die behördliche Entscheidung gefallen und liegen lediglich Formfehler bei der Verlautbarung des VA vor, z. B. fehlende Unterschrift, Dienstsiegel, versehentlich dem VA nicht beigefügte schriftliche Begründung etc., kann dieser Fehler schon nicht mehr ursächlich für die Entscheidung sein.

 

Rz. 19

Als für die Kausalitätsfrage relevant kommen daher überhaupt nur solche Verfahrensfehler in Betracht, bei denen die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Sachentscheidung besteht. Das kann bei der Mitwirkung eines befangenen Amtsträgers nur dann der Fall sein, wenn dieser selbst die Entscheidung zu treffen hatte und getroffen hat, nicht jedoch, wenn er lediglich die Entscheidung umzusetzen und ggf. zu unterzeichnen hatte. Bei der nicht nachgeholten Mitwirkung Dritter an dem Verfahren durch Anhörung (außerhalb von § 24), Benehmen, Einverständnis oder Zustimmung kann die Kausalität dann verneint werden, wenn die Entscheidung in deren Sinn oder Interesse ist oder Einverständnis oder Zustimmung typischerweise erfolgt.

 

Rz. 20

Verfahrensmängel im Bereich der Sachverhaltsermittlung sind jedenfalls dann nicht kausal für den VA, wenn der zugrunde gelegte Sachverhalt schon für die Entscheidung ausreichend war. Zur Sachverhaltsermittlung gehört i. w. S. auch die Anhörung nach § 24. Die Regelung des Satzes 2 hindert jedoch in den Fällen der unterlassenen und nicht nachgeholten Anhörung selbst dann die Anwendung des Satzes 1, wenn durch die Anhörung keine entscheidungsrelevanten Gesichtspunkte mehr vorgetragen werden könnten (vgl. Rz. 26 ff.). Der für das Vertragsarztrecht zuständige 6. Senat des BSG nimmt für einige dort zu entscheidende Konstellationen an, dass eine unvollständige Sachverhaltsaufklärung einen Verfahrensfehler darstelle, der grundsätzlich zur Aufhebung des streitbefangenen Bescheides und zur Verpflichtung führe, die Angelegenheit neu zu entscheiden (BSG, Urteil v. 5.11.2008, B 6 KA 10/08 R: Sonderbedarfszulassung; BSG, Urteil v. 16.7.2008, B 6 KA 57/07 R: Wirtschaftlichkeitsprüfung; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss v. 17.5.2010, L 11 B 14/09 KA ER: Zweigpraxisgenehmigung zur Verbesserung der Versorgung; LSG Nordrhein-Westfalen...

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