0 Rechtsentwicklung

 

Rz. 1

Die Vorschrift ist mit dem SGB X v. 18.8.1980 (BGBl. I S. 1469) ab 1981 in Kraft getreten und mit zwischenzeitlichen Änderungen mit der Neufassung des SGB X v. 18.1.2001 (BGBl. I S. 130) bekanntgemacht worden. Mit Art. 3 Nr. 11 des Dritten Gesetzes zur Änderung verwaltungsverfahrensrechtlicher Vorschriften v. 21.8.2002 (BGBl. I S. 3322) wurde mit Wirkung ab 1.2.2003 (Art. 74 Abs. 2) in Abs. 2 Nr. 1 "oder elektronisch" eingefügt.

1 Allgemeines

 

Rz. 2

Die Regelung entspricht mit Abweichungen § 44 VwVfG und § 125 AO und beschreibt die – praktisch seltenen – Fälle, in denen ein Verwaltungsakt (VA) keine Rechtswirkungen entfaltet, weil er nichtig ist. Der Begriff der Nichtigkeit ist von dem Begriff der Rechtswidrigkeit streng zu unterscheiden. Während aus materiellen oder formellen Gründen rechtsfehlerhafte VA grundsätzlich wirksam sind und trotz ihrer Rechtswidrigkeit in Bestandskraft erwachsen können, schließt die Nichtigkeit jede Wirksamkeit aus (§ 39 Abs. 3). Der nichtige VA enthält aber immer noch eine in Regelungsabsicht erlassene Entscheidung, die den Anschein eines wirksamen VA hervorruft, so dass aus Gründen effektiven Rechtsschutzes die Feststellung der Nichtigkeit erzwungen werden kann. Ebenso kann der Betroffene den Rechtsschein des VA durch Widerspruch und Anfechtungsklage beseitigen, er muss also nicht zwangsläufig eine Feststellungsklage erheben (VG Ansbach, Urteil v. 6.12.2004, AN 4 K 03.01984). Damit wird dem von einem nichtigen VA betroffenen Bürger das Risiko abgenommen, eine unzutreffende Klageart ausgewählt zu haben, was schon deshalb geboten ist, weil es im Einzelfall schwierig sein kann, die Nichtigkeit von der bloßen Rechtswidrigkeit eines VA abzugrenzen. Im Tenor des zu erlassenden Urteiles müsste aber ggf. die Nichtigkeit des VA festgestellt werden, so dass im sozialgerichtlichen Verfahren auf einen Feststellungsantrag hinzuwirken wäre (vgl. auch Rz. 32 f.).

Abzugrenzen ist der nichtige VA gegen den Nicht-VA (Nichtakt, vgl. hierzu BFHE 125 S. 347). Ein Nicht-VA ist eine der Verwaltung nicht zurechenbare Handlung eines Unbefugten, während der nichtige VA von einer Behörde erlassen wird, mag diese auch unzuständig sein. Der Nicht-VA ist weder geeignet, einen Rechtsschein zu begründen, noch kann dessen Nichtigkeit durch die Behörde festgestellt werden. Die Wertung als Nicht-VA kommt nicht in Betracht, wenn die Verwaltung selbst den Schein rechtmäßiger Amtsausübung gesetzt hat.

 

Rz. 3

Abs. 1 enthält als Generalklausel die Voraussetzungen für einen nichtigen VA. In Abs. 2 werden eigenständige absolute Nichtigkeitsgründe genannt, bei deren Vorliegen die Voraussetzungen nach Abs. 1 nicht mehr geprüft werden müssen. Abs. 3 benennt Verfahrensfehler, die als solche nicht zwingend zur Nichtigkeit führen, jedoch zusammen mit anderen Fehlern noch die Nichtigkeit nach Abs. 1 begründen können. Abs. 4 regelt die Folgen von Teilnichtigkeit. Mit Abs. 5 wird für die Verwaltung die Möglichkeit geschaffen, die Nichtigkeit eines VA ausdrücklich festzustellen.

2 Rechtspraxis

2.1 Generalklausel (Abs. 1)

 

Rz. 4

Mit der Generalklausel des Abs. 1 über die Nichtigkeit bei einem besonders schweren offenkundigen Fehler wurde die bereits vor dem SGB X und anderen Verfahrensregelungen in der Rechtsprechung anerkannte und angewandte Evidenz-Theorie mit allen damit verbundenen Unklarheiten als Gesetzestext übernommen.

 

Rz. 5

Sowohl der unbestimmte Rechtsbegriff des besonders schweren Fehlers als auch der Begriff der Offensichtlichkeit (bis 13.8.1998 Offenkundigkeit), die kumulativ vorliegen müssen, sind wenig präzise. Auch deshalb, weil nichtige VA in der Praxis sehr selten vorkommen, gibt es kaum höchstrichterliche Entscheidungen zu der Problematik, so dass sich Fallgruppen nur schwer bilden lassen. Insbesondere für den Adressaten eines Bescheides kann es schwierig sein, die bisherigen gerichtlichen Entscheidungen nachzuvollziehen. In Zweifelsfällen ist es daher angezeigt, sich nicht auf die vermeintliche Nichtigkeit zu verlassen, sondern den Bescheid mit Widerspruch anzufechten und hilfsweise dessen Nichtigkeit geltend zu machen bzw. verwaltungsseitig den VA aufzuheben oder dessen Nichtigkeit förmlich feststellen zu lassen, um bei einer späteren gerichtlichen Beurteilung des VA als (nur) rechtswidrig keine Rechtsnachteile (Versäumung der Widerspruchsfrist, Bindung an Bestandskraft) zu erleiden.

2.1.1 Schwerwiegender Fehler

 

Rz. 6

Eine der Voraussetzungen der Nichtigkeit ist ein besonders schwerwiegender Fehler, so dass ein schwerwiegender Fehler allein nicht ausreicht. Dieser besonders schwerwiegende Fehler muss dem Bescheid von Beginn an (also schon zum Zeitpunkt der Bekanntgabe) anhaften. Das Gesetz verlangt hier nicht – wie in anderen Vorschriften – die Verletzung von Form-, Verfahrens- oder sonstigen Rechtsvorschriften als Rechtsfehler, sondern stellt lediglich auf Fehler ab. Daher können auch andere als Rechtsfehler die Nichtigkeit begründen.

 

Rz. 7

Schwerwiegend sind nur solche Fehler, bei denen eine Auslegung oder Umdeutung ausgeschlossen ist. Lässt sich ein Bescheid in einen wenn auch ggf. rechtswidri...

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