Rz. 17

Da der Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung voraussetzt, dass der Versicherte wegen seiner Krankheiten oder Behinderungen (vgl. hierzu Rz 33) nicht mehr in der Lage ist, auch nur 6 Stunden täglich zu arbeiten, stellt § 43 Abs. 3 konsequenterweise klar, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer mindestens noch 6 Stunden täglich (oder mehr) erwerbstätig sein kann. Dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage – im Gegensatz zu den Versicherten, die lediglich noch über ein unter 6-stündiges Restleistungsvermögen verfügen (vgl. Rz. 15 bis 16) – nicht zu berücksichtigen. Bei Versicherten, die zumindest noch 6 Stunden täglich erwerbstätig sein können, lässt sich der Rentenanspruch mithin nicht darauf stützen, dass sie arbeitslos sind und ihnen ein ihrem Restleistungsvermögen entsprechender Arbeitsplatz nicht vermittelt werden kann. Dieses Vermittlungsrisiko ist der Arbeitslosenversicherung zuzurechnen (vgl. BSG, SozR 3-2600 § 44 Nr. 8), denn auf die Lage des Arbeitsmarktes kommt es bei noch 6-stündig leistungsfähigen Versicherten nach § 43 Abs. 3 letzter HS nicht an. Bei Versicherten, die noch zumindest 6 Stunden täglich arbeiten können, darf im Regelfall (im Sinne einer widerlegbaren Vermutung) davon ausgegangen werden, dass sie noch über eine möglicherweise schlechte, jedoch noch realisierbare Vermittlungschance auf dem Arbeitsmarkt verfügen und damit in der Lage sind "erwerbstätig zu sein", d. h. durch irgendeine Arbeit Erwerbseinkommen zu erzielen (BSG, SozR 3-2600 § 43 Nr. 21; BSG, Urteil v. 9.5.2012, B 13 R 68/11 R). Dies gilt auch für Versicherte, die nur noch körperlich leichte und geistig einfache Arbeiten – ggf. unter weiteren gesundheitlichen Einschränkungen – verrichten können. Auch für diese Arbeitsfelder stehen Arbeitsplätze – seien sie offen oder besetzt – in ausreichendem Umfang zur Verfügung (BSG, Urteil v. 11.12.2019 B 13 R 7/18 R Rz. 27). Dieser Grundsatz gilt jedoch nur dann, wenn die Versicherten auch in der Lage sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts (mindestens 6 Stunden täglich) zu arbeiten. Durch diese gesetzliche Schranke soll sichergestellt werden, dass für die Feststellung des Leistungsvermögens solche Tätigkeiten, für die es für den zu beurteilenden Versicherten unter Berücksichtigung seiner individuellen gesundheitlichen Verhältnisse einen Arbeitsmarkt schlechthin nicht gibt, nicht in Betracht gezogen werden sollen (BT-Drs. 14/4230 zu Nr. 10, § 43 S. 25).

 

Rz. 17a

Maßgeblich ist für den Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nach § 43, auch bei einem Versicherten, der noch 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, ob er mit seinem individuellen gesundheitlichen und beruflichen Leistungsvermögen Tätigkeiten ausüben kann, mit denen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Erwerbseinkommen zu erzielen ist. Dies ist zu verneinen, wenn er nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann. Mit dieser, ursprünglich im Arbeitsförderungsrecht (§ 103 AFG, 119 SGB III, seit dem 1.4.2012 § 138 Abs. 5 SGB III) verwandten Formulierung, greift der Gesetzgeber die Rechtsprechung des BSG zur Erwerbsunfähigkeit nach dem bis zum 31.12.2000 geltenden Recht auf, wonach dem Betroffenen der Zugang zum Arbeitsmarkt trotz vollschichtigem Leistungsvermögen praktisch verschlossen war, wenn er krankheitsbedingt keine Erwerbstätigkeit unter "den in Betrieben üblichen Bedingungen" mehr ausüben konnte (BSGE 80 S. 24, 35). Das Gesetz enthält allerdings keine inhaltliche Konkretisierung der als "üblich" anzusehenden Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts, an der das Einsatzvermögen der Versicherten im Erwerbsleben zu orientieren wäre.

 

Rz. 17b

Auch Literatur und Rechtsprechung haben nur Ansätze von Umschreibungen des unbestimmten Rechtsbegriffs der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" entwickelt, die jedenfalls keinen differenzierten Katalog von Arbeitsbedingungen darstellen, anhand derer geprüft werden könnte, ob der Versicherte trotz seiner krankheitsbedingten Einschränkungen noch in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes zu arbeiten. Unter den "üblichen Bedingungen" wird hiernach zunächst im Sinne einer abstrakten Definition das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in Betrieben verstanden, d. h. unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt "die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt". Üblich seien Bedingungen, wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswerter Zahl (BSG, SozR 4100 § 103 Nr. 17; SozR 2200 § 1247 Nr. 43).

 

Rz. 17c

Zu den "üblichen Bedingungen" gehören danach sowohl rechtliche Bedingungen – wie Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften – als auch tatsächliche Bedingungen – wie z. B. die für die Ausübung einer Tätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an das Konzentrationsvermögen, die geistige Beweglichkeit, ...

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