Rz. 185

§ 50d Abs. 9 S. 4 EStG enthält eine Norm zur Auslegung von Klauseln, die den Tatbeständen des Abs. 9 entsprechen, aber in einem DBA enthalten sind. Das Verhältnis dieser Klauseln zu Abs. 9 ist bereits in S. 3 geregelt (Rz. 181ff.). Die Vorschrift wurde durch G. v. 20.12.2016[1] mit Wirkung ab Vz 2017 angefügt. Die Vorschrift ist erfasst alle Fälle, in denen Einkünfte nach der jeweiligen Regelung des DBA in Deutschland nicht der Freistellung unterliegen sollen. Bei diesen DBA-Klauseln kann es sich um Switch-over-Klauseln handeln, die einen Qualifikationskonflikt regeln sollen, um Subject-to-Tax-Klauseln oder um Quellenregeln. Eine Quellenregel bestimmt, allgemein ausgedrückt, dass Einkünfte nur dann aus dem anderen Staat stammen, wenn sie in diesem Staat effektiv besteuert werden. Daraus folgt, dass sie nicht aus diesem Staat stammen und daher nicht freizustellen sind, wenn eine solche Besteuerung nicht erfolgt ist. Die Einschränkung der Freistellung auf im anderen Staat tatsächlich besteuerte Einkünfte kann bereits in dem Methodenartikel enthalten sein[2] oder sich erst aus dem Protokoll ergeben. Das Protokoll ist integraler Teil des DBA; eine im Protokoll enthaltene Switch-over- oder Subject-to-tax-Klausel hat daher die gleiche Wirkung wie eine in dem DBA selbst enthaltene Klausel. Keine Anwendung findet § 50d Abs. 9 S. 4 EStG jedoch bei DBA, die bereits in ihrem Wortlaut den Übergang zur Anrechnungsmethode für "Einkunftsteile" vorsehen.[3] Die Bestimmung des DBA hat dann Vorrang vor der gleichbedeutenden Regelung des S. 4.

 

Rz. 186

Tatbestand des § 50d Abs. 9 S. 4 EStG ist lediglich, dass das DBA in seinem Text oder in dem Protokoll eine Bestimmung enthält, dass die Einkünfte aufgrund einer bestimmten Behandlung im Quellenstaat in Deutschland nicht freigestellt werden sollen, sondern stattdessen die Anrechnungsmethode anzuwenden ist. Die "bestimmte Behandlung" im Quellenstaat ist i. d. R. die Nichtbesteuerung der Einkünfte im Quellenstaat oder ihre Besteuerung im Quellenstaat nur mit einer betragsmäßig begrenzten Quellensteuer. Da § 50d Abs. 9 S. 4 EStG nur anwendbar ist, wenn eine "bestimmte Behandlung" im Quellenstaat vorliegt, ist S. 4 nicht auf Aktivitätsklauseln anwendbar. Die Anwendung der Anrechnungsmethode anstelle der Freistellung beruht in diesen Fällen nicht auf der "bestimmten Behandlung" dieser Einkünfte in dem Quellenstaat, sondern auf der Qualifikation der Einkünfte als "passiv".[4]

 

Rz. 187

Als Rechtsfolge bestimmt die Vorschrift, dass die in dem DBA enthaltene Regelung, nämlich Ersetzung der Freistellungs- durch die Anrechnungsmethode, nicht nur auf einheitliche Einkünfte, sondern auch auf Teile von Einkünften anzuwenden ist. Das bedeutet, dass immer dann, wenn der ausl. Staat einzelne Komponenten von Einkünften nicht oder nur mit einem der Höhe nach begrenzten Quellensteuersatz besteuert, für diese Teile von Einkünften im Inland keine Freistellung, sondern die Anrechnung erfolgt. Es ist also unabhängig von der Formulierung der Bestimmung im DBA nicht auf die Besteuerung oder Nichtbesteuerung der Einkunft als Ganzes abzustellen, sondern auf jeden einzelnen Einkunftsteil. Naturgemäß gilt das nur, wenn der Tatbestand der entsprechenden Klausel im DBA für den einzelnen Einkunftsteil erfüllt ist. In erster Linie ist daher zu prüfen, ob die DBA-Klausel für den infrage stehenden Fall den Ausschluss der Freistellungsmethode vorsieht. Folge ist dann, dass diese Rechtsfolge, begrenzt auf den fraglichen, nicht oder nur gering besteuerten Einkunftsteil, anzuwenden ist.

 

Rz. 188

Die Vorschrift enthält ein nicht ausdrücklich ausgesprochenes, daher verdecktes Treaty Override. Die entsprechenden Klauseln sind nach der Rspr. des BFH i. d. R. so auszulegen, dass sie sich auf die Besteuerung oder Nichtbesteuerung der Einkünfte insgesamt beziehen (Rz. 161). Von dieser, für Stpfl. und Finanzverwaltung bindenden Interpretation des Inhalts des DBA weicht § 50d Abs. 9 S. 4 EStG insoweit ab, als nunmehr auf den einzelnen Einkunftsteil abzustellen ist. Das Verständnis und damit der Inhalt der entsprechenden DBA-Klauseln wird dadurch verändert. Im Ergebnis verändert die Regelung den in der DBA-Klausel verwendeten Begriff "wenn" (oder entsprechendes Verständnis) unilateral in ein "soweit". Dies stellt ein verdecktes Treaty Override dar. Die Vorschrift ist aber auch ohne die Klarstellung, dass es sich um ein Treaty Override handelt, insoweit eindeutig, als sie bestimmt, wie das DBA anzuwenden ist. Das darin enthaltene Treaty Override ist daher lex specialis gegenüber dem DBA und daher wirksam, auch wenn in der Vorschrift nicht die für Treaty Override übliche Formulierung "ungeachtet der Vorschriften eines DBA" enthalten ist.

[1] BStBl I 2017, 5; Gebhardt, IStR 2016, 1009; Kahle/Beinert/Heinrichs, Ubg 2017, 247, 249.
[2] Wie etwa in Art. 22 Abs. 1 Buchst. a DBA-Niederlande.
[3] Z. B. Art. 22 Abs. 2 Buchst. e (i) DBA-Australien.
[4] Gebhardt, IStR 2016, 1009.

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