Rz. 111

Die bisher umstrittene Frage, ob § 50d Abs. 3 EStG eine abschließende Sonderregelung für den Missbrauch darstellt, oder ob daneben § 42 AO anzuwenden ist, entscheidet § 50d Abs. 3 S. 3 EStG im Sinne der zweiten Alternative. Die gegenteilige Rechtsprechung des BFH wird dadurch verdrängt.[1]

Ein Sachverhalt, der durch § 50d Abs. 3 erfasst wird, diesen Tatbestand aber nicht vollständig erfüllt, kann weiterhin Missbrauch darstellen und unter § 42 AO fallen. Nach § 42 Abs. 1 S. 2 AO ist diese Vorschrift subsidiär gegenüber Vorschriften zur Vermeidung von Missbrauch in Einzelsteuergesetzen. Danach greift in erster Linie die spezielle Missbrauchsvorschrift, wenn deren Tatbestand erfüllt ist. Im Rahmen des Tatbestands des § 50d Abs. 3 EStG wird daher § 42 AO verdrängt. Ist der Tatbestand des § § 50d Abs. 3 EStG erfüllt, braucht der Tatbestand des § 42 AO nicht zusätzlich erfüllt zu sein. Ist der Tatbestand der speziellen Missbrauchsvorschrift jedoch nicht erfüllt, greift § 42 AO ein. § 50d Abs. 3 S. 3 EStG enthält die gleiche Regelung wie § 42 Abs. 1 S. 3 AO und ist daher nur deklaratorisch.[2] § 50d Abs. 3 EStG kann daher nicht als abschließend in dem Sinne verstanden werden, dass alle Sachverhalte, die nicht unter den Tatbestand des Abs. 3 fallen, als typisierend nicht missbräuchlich eingestuft werden. Eine Gestaltung, die nicht unter § 50d Abs. 3 fällt, wohl aber missbräuchlich nach § 42 AO sein kann, besteht darin, dass die Person des Empfängers der Dividenden bzw. Vergütungen durch kurzfristige Maßnahmen geändert wird, um dadurch die Entlastungsberechtigung zu erhalten, z. B. bei der Dividendenausschüttung durch Abtretung des Stammrechts kurz vor der Dividendenausschüttung mit anschließender Rückübertragung nach Zufluss der Dividende ("Dividenden-Stripping").

 

Rz. 112

In den Rechtswirkungen unterscheiden sich § 42 AO und § 50d Abs. 3 EStG erheblich. Ist der Tatbestand des § 42 AO erfüllt, entsteht der Steueranspruch nach § 42 Abs. 1 S. 3 so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung entstehen würde. Bei Sachverhalten, die unter § 50d Abs. 3 EStG fallen, würde das bedeuten, dass der Entlastungsanspruch so entstehen würde, wie er bestünde, wenn die Körperschaft nicht eingeschaltet worden wäre. Es wäre also auf die Entlastungsberechtigung der hinter der Körperschaft stehenden Personen abzustellen, unabhängig davon, aus welchem Rechtsgrund diese Entlastungsberechtigung fließt. Nach § 50d Abs. 3 EStG entfällt die Entlastung aber vollständig, es sei denn, die hinter der Körperschaft stehende Person hätte eine Entlastungsberechtigung nach derselben Rechtsnorm und in derselben Höhe.

[1] BFH v. 31.5.2005, I R 74, 88/04, BStBl II 2006, 118, BFH/NV 2005, 1902, Hilversum II; BFH v. 29.1.2008, I R 26/06, BStBl II 2008, 978, BFH/NV 2008, 1044; BFH v. 29.10.1997, I R 35/96, BStBl II 1998, 235; Grotherr, IStR 2006, 361; Hergeth/Ettinger, IStR 2006, 307.
[2] BR-Drs. 50/21, 65.

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