Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Begriff ‚Arbeitnehmer’. Behinderte Person. Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub. Mit dem Unionsrecht unvereinbare nationale Regelung. Rolle des nationalen Gerichts

 

Normenkette

Richtlinie 2003/88/EG Art. 7, 31 Abs. 2

 

Beteiligte

Fenoll

Gérard Fenoll

Centre d'aide par le travail „La Jouvene”

Association de parents et d'amis de personnes handicapées mentales (APEI) d'Avignon

 

Tenor

Der Begriff „Arbeitnehmer” im Sinne von Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er eine Person, die in ein Zentrum für Hilfe durch Arbeit wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende aufgenommen worden ist, einschließen kann.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour de cassation (Frankreich) mit Entscheidung vom 29. Mai 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Juni 2013, in dem Verfahren

Gérard Fenoll

gegen

Centre d'aide par le travail „La Jouvene”,

Association de parents et d'amis de personnes handicapées mentales (APEI) d'Avignon

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter A. Borg Barthet und E. Levits (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Berger und des Richters F. Biltgen,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. März 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von Herrn Fenoll, vertreten durch G. Delvolvé und A. Delvolvé, avocats,
  • der Association de parents et d'amis de personnes handicapées mentales (APEI) d'Avignon, vertreten durch L. Cocquebert, avocat,
  • der französischen Regierung, vertreten durch N. Rouam, D. Colas und R. Coesme als Bevollmächtigte,
  • der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und C. Schillemans als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Van Hoof und M. van Beek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Juni 2014

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des Begriffs „Arbeitnehmer” im Sinne der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299, S. 9) sowie des Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Fenoll auf der einen Seite und dem Centre d'aide par le travail „La Jouvene” (Zentrum für Hilfe durch Arbeit „La Jouvene”, im Folgenden: CAT „La Jouvene”) sowie der Association de parents et d'amis de personnes handicapées mentales (APEI) d'Avignon auf der anderen Seite über dessen Antrag auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich”) der Richtlinie 2003/88 heißt es:

„(1) Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung.

(2) Gegenstand dieser Richtlinie sind

a) … der Mindestjahresurlaub …

(3) Diese Richtlinie gilt unbeschadet ihrer Artikel 14, 17, 18 und 19 für alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 89/391/EWG [des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. L 183, S. 1)].

…”

Rz. 4

Art. 7 („Jahresurlaub”) dieser Richtlinie lautet:

„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.

(2) Der bezahlte Mindestjahresurlaub darf außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.”

Rz. 5

Nach Art. 17 der Richtlinie 2003/88 können die Mitgliedstaaten von bestimmten Vorschriften dieser Richtlinie abweichen. Hinsichtlich ihres Art. 7 ist jedoch keine Abweichung zulässig.

Rz. 6

Art. 2 („Anwendungsbereich”) der Richtlinie 89/391 lautet:

„(1) Diese Richtlinie findet Anwendung auf alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche (gewerbliche, landwirtschaftliche, kaufmännische, verwaltungsmäßige sowie dienstleistungs- oder ausbildungsbezogene, kulturelle und Freizeittätigkeiten usw.).

(2) Diese Richtlinie findet keine Anwendung, soweit dem Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, z. B. bei den Streitkräften oder der Polizei, oder bestimmter spezif...

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