Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Verbot von Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung. Interne Regel eines privaten Unternehmens, mit der am Arbeitsplatz jede Bekundung religiöser, weltanschaulicher oder politischer Überzeugungen verboten wird. Verbot, das sich auf Worte, die Kleidung und jede andere Weise der Bekundung dieser Überzeugungen bezieht. Tragen eines Kleidungsstücks mit religiösem Bezug

 

Normenkette

Richtlinie 2000/78/EG

 

Beteiligte

S.C.R.L

L. F

S.C.R.L

 

Tenor

1. Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass die darin enthaltenen Begriffe „Religion oder … Weltanschauung” einen einzigen Diskriminierungsgrund darstellen, der sowohl religiöse als auch weltanschauliche oder spirituelle Überzeugungen umfasst.

2. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass eine Bestimmung in einer Arbeitsordnung eines Unternehmens, die es den Arbeitnehmern verbietet, ihre religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen, welche diese auch immer sein mögen, durch Worte, durch die Kleidung oder auf andere Weise zum Ausdruck zu bringen, gegenüber Arbeitnehmern, die ihre Religions- und Gewissensfreiheit durch das sichtbare Tragen eines Zeichens oder Bekleidungsstücks mit religiösem Bezug ausüben möchten, keine unmittelbare Diskriminierung „wegen der Religion oder der Weltanschauung” im Sinne dieser Richtlinie darstellt, wenn diese Bestimmung allgemein und unterschiedslos angewandt wird.

3. Art. 1 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass er dem entgegensteht, dass nationale Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie in das nationale Recht, die dahin ausgelegt werden, dass religiöse und weltanschauliche Überzeugungen zwei verschiedene Diskriminierungsgründe darstellen, als „Vorschriften …, die im Hinblick auf die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes günstiger als die in dieser Richtlinie vorgesehenen Vorschriften sind”, im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 berücksichtigt werden können.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal du travail francophone de Bruxelles (französischsprachiges Arbeitsgericht von Brüssel, Belgien) mit Entscheidung vom 17. Juli 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Juli 2020, in dem Verfahren

L. F.

gegen

S.C.R.L.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen (Berichterstatter), N. Wahl und J. Passer,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • von L. F., vertreten durch V. Van der Plancke, Avocate,
  • von S.C.R.L., vertreten durch A. Kamp, Avocate, und T. Perdieus, Advocaat,
  • der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet, L. Van den Broeck und M. Van Regemorter als Bevollmächtigte,
  • der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und M. Van Hoof als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 28. April 2022

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a und Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16).

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen L. F., der Klägerin des Ausgangsverfahrens, und S.C.R.L., der Beklagten des Ausgangsverfahrens, einer Genossenschaft mit beschränkter Haftung, deren Haupttätigkeit in der Vermietung und Verwaltung von Sozialwohnungen besteht, wegen der fehlenden Berücksichtigung der Initiativbewerbung der Klägerin des Ausgangsverfahrens um ein Praktikum aufgrund ihrer Weigerung, das von S.C.R.L. für ihre Beschäftigten aufgestellte Verbot einzuhalten, ihre religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugungen u. a. durch die Kleidung zum Ausdruck zu bringen.

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 2000/78

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 1, 4, 11 und 12 der Richtlinie 2000/78 heißt es:

„(1) Nach Artikel 6 … [EUV] beruht die Europäische Union auf den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit; diese Grundsätze sind allen Mitgliedstaaten gemeinsam. Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der [am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten] Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mi...

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