Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Schutz der Arbeitnehmer. Arbeitszeitgestaltung. Nachtarbeit. Tarifvertrag, der für regelmäßige Nachtarbeit einen geringeren Vergütungszuschlag vorsieht als für unregelmäßige Nachtarbeit. Gleichbehandlung

 

Normenkette

AEUV Art. 153; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 20, 51 Abs. 1; Richtlinie 2003/88/EG

 

Beteiligte

Coca-Cola European Partners Deutschland

Coca-Cola European Partners Deutschland GmbH

L.B

R.G

 

Tenor

Mit einer tarifvertraglichen Regelung, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Vergütungszuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, wird die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung nicht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union durchgeführt.

 

Tatbestand

In den verbundenen Rechtssachen

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesarbeitsgericht (Deutschland) mit Entscheidungen vom 9. Dezember 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 22. April 2021, in den Verfahren

Coca-Cola European Partners Deutschland GmbH

gegen

L.B. (C-257/21),

R.G. (C-258/21)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. Passer, des Richters F. Biltgen und der Richterin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin),

Generalanwalt: A. Rantos,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der Coca-Cola European Partners Deutschland GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt C. Böttger,
  • von L.B. und R.G., vertreten durch R. Buschmann und A. Kapeller, Prozessbevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch B.-R. Killmann und D. Recchia als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9) sowie von Art. 20 und Art. 51 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

Rz. 2

Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Coca-Cola European Partners Deutschland GmbH (im Folgenden: Coca-Cola) und L.B. (Rechtssache C-257/21) bzw. R.G. (Rechtssache C-258/21) (im Folgenden zusammen: Betroffene) über den tarifvertraglich geschuldeten Vergütungszuschlag für geleistete Nachtarbeitsstunden.

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

Rz. 3

Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens (Nr. 171) der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) über Nachtarbeit, 1990 (im Folgenden: IAO-Übereinkommen über Nachtarbeit) bestimmt:

„Es sind besondere, durch die Art der Nachtarbeit gebotene Maßnahmen, die mindestens die in den Artikeln 4 bis 10 erwähnten zu umfassen haben, für Nachtarbeiter zu treffen, um ihre Gesundheit zu schützen, ihnen die Erfüllung ihrer Familien- und Sozialpflichten zu erleichtern, ihnen Möglichkeiten für den beruflichen Aufstieg zu bieten und sie angemessen zu entschädigen. Solche Maßnahmen sind auch im Bereich der Sicherheit und des Mutterschutzes für alle Arbeitnehmer zu treffen, die Nachtarbeit verrichten.”

Rz. 4

Art. 8 dieses Übereinkommens sieht vor:

„Der Ausgleich für Nachtarbeiter in Form von Arbeitszeit, Entgelt oder ähnlichen Vergünstigungen hat der Natur der Nachtarbeit Rechnung zu tragen.”

Unionsrecht

Rz. 5

Die Richtlinie 2003/88 wurde auf der Grundlage von Art. 137 Abs. 2 EG (jetzt Art. 153 Abs. 2 AEUV) erlassen.

Rz. 6

Die Erwägungsgründe 1, 2 und 4 bis 6 dieser Richtlinie lauten:

„(1) Die Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung [(ABl. 1993, L 307, S. 18)], die Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung im Hinblick auf tägliche Ruhezeiten, Ruhepausen, wöchentliche Ruhezeiten, wöchentliche Höchstarbeitszeit, Jahresurlaub sowie Aspekte der Nacht- und der Schichtarbeit und des Arbeitsrhythmus enthält, ist in wesentlichen Punkten geändert worden. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und Klarheit empfiehlt es sich deshalb, die genannten Bestimmungen zu kodifizieren.

(2) Nach Artikel 137 [EG] unterstützt und ergänzt die [Europäische] Gemeinschaft die Tätigkeit der Mitgliedstaaten, um die Arbeitsumwelt zum Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu verbessern. Richtlinien, die auf der Grundlage dieses Artikels angenommen werden, sollten keine verwaltungsmäßigen, finanziellen oder rechtlichen Auflagen vorschreiben, die der Gründung und Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen entgegenstehen.

(4) Die Verbesserung von Sicherheit, Arbeitshygiene und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit stellen Zielsetzungen dar, die keinen rein wirtschaftlichen Überlegungen untergeordnet werden dürfen.

(5) Alle Arbeitne...

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