Beteiligte

… Kläger und Revisionskläger

Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege, Hamburg 6, Schäferkampsallee 24, Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I.

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten für die Anschaffung und Unterhaltung eines Autotelefons im Wege der Berufshilfe zu übernehmen.

Unfallunabhängig besteht bei dem im Jahre 1952 geborenen Kläger seit seiner Kindheit eine schwere neurologische Schädigung in Form einer Spastik der rechten Körperhälfte und beider unterer Extremitäten. Der linke Arm war weitgehend funktionstüchtig. Der Kläger hat nie laufen gelernt und war seit jeher auf den Rollstuhl angewiesen. Am 12. Dezember 1977 erlitt er als Beifahrer einen Verkehrsunfall und zog sich dabei ein HWS-Schleudertrauma sowie eine neurogene Schädigung des linken Armes zu. In Ausführungen eines gerichtlichen Vergleichs vom 19. Januar 1983 stellte die Beklagte hierfür eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v.H. fest. Trotz seiner schweren Behinderung durchlief der Kläger eine umfangreiche Berufsausbildung; er ist ausgebildeter Sozialpädagoge und Diplompsychologe. Seit dem 1. Juli 1981 ist er Geschäftsführer des I. U. S. e.V. (I. ) W. Ua ist der Verband für die Interessenvertretung und Betreuung von Schwerstbehinderten im Bereich der Länder Rheinland-Pfalz und Saarland zuständig. Seine Aufgaben nimmt er durch den Einsatz von Zivildienstleistenden (ZDL) wahr. I. ist insoweit auch Dienststelle des Bundesamtes für Zivildienst (BAZ). Der Kläger leitet den Einsatz der ZDL für den Verband.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger im Rahmen der Berufshilfe mehrere Leistungen (u.a. behindertengerechter Umbau des Einfamilienhauses, Sonderausstattung des 1984 erworbenen Pkw). Die Übernahme der Kosten für die Anschaffung und Unterhaltung eines Autotelefons lehnte sie jedoch ab, da die Ursache für die Beschaffung des Autotelefons in der Art des Arbeitsplatzes und nicht in der Behinderung liege (Bescheid vom 4. Dezember 1984). Dieselbe Auffassung hat das Sozialgericht vertreten (Urteil vom 15. April 1986). In seiner Berufungsbegründung hat der Kläger geltend gemacht, er müsse häufig unterwegs sein, andererseits aber als Dienstvorgesetzter für die in weitem Umkreis eingesetzten ZDL ständig erreichbar sein. Dies sei nur durch die Verwendung eines Autotelefons gewährleistet, weil es nur wenige behindertengerechte Telefonzellen gäbe. Ein gesunder Dienstvorgesetzter wäre durchaus in der Lage, auf entsprechende akustische Hinweise (Euro-Signal) über das nächstbeste Telefon mit seiner Dienststelle Kontakt aufzunehmen und die notwendigen Anordnungen zu treffen. Ohne Autotelefon sei sein Arbeitsplatz gefährdet. Zum Beweis hat er die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Dem Landessozialgericht (LSG) haben ein Prüfbericht des BAZ vom 3. August 1983 und eine Stellungnahme des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPW) vom 15. April 1985 vorgelegen. In Prüfbericht hat das BAZ abschließend ausgeführt, Vorbildung und Mobilität des Klägers gewährleisteten Aufsicht und Betreuung der ZDL. In seiner Stellungnahme hat der DPW die Ausstattung des Pkw mit einem Autotelefon befürwortet; nur auf diese Weise könne dem von Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit gerügten Mangel eingeschränkter, behinderungsbedingter Erreichbarkeit begegnet werden.

Das LSG hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 5. August 1987 zurückgewiesen. In seinen Gründen hat es ausgeführt, es sei nicht bewiesen, daß der Kläger als Dienstvorgesetzter der ZDL ständig erreichbar sein müsse. Angesichts des Prüfberichts des BAZ vom 3. August 1983 könne die Stellungnahme des DPW vom 15. April 1985 nicht überzeugen. Der dauernden Erreichbarkeit genügten die vom BAZ aufgeführten persönlichen Kontakte und die von der Dienststelle aus geführte fernmündliche Überwachung. Sollte diese Verbindung nicht ausreichen, so müßten auch unbehinderte Personen, die in der gleichen Funktion wie der Kläger tätig seien, mit einem Autotelefon ausgerüstet werden. Insofern läge die Notwendigkeit eines Autotelefons nicht in der Behinderung des Klägers, sondern in der Eigenart des Arbeitsplatzes.

Mit der - vom erkennenden Senat zugelassenen - Revision macht der Kläger geltend, das USG habe seine Pflicht zur Amtsermittlung, verletzt. Trotz entsprechender Beweisangebote habe das LSG den Sachverhalt nicht aufgeklärt; insbesondere habe es nicht geprüft, ob der Kläger wegen seiner Behinderung auf die Ausrüstung mit einem Autotelefon angewiesen sei. Nichtbehinderten genüge im Hinblick auf die Eigenart des Arbeitsplatzes ein Euro-Signal, während der Kläger wegen seiner Behinderung nicht in der Lage sei, im Bedarfsfalle sofort eine geeignete Telefonzelle aufzusuchen. Tatsächliche Ermittlungen fehlten auch insoweit, als der Arbeitsplatz des Klägers ohne die begehrte Ausstattung gefährdet sei. Schließlich hätte das LSG auch prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung einer besonderen Unterstützung wegen unbilliger Härte i.S. von § 567 Abs. 4 i.V.m. § 563 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vorlägen.

Der Kläger beantragt,die Urteile des Sozialgerichts Speyer vom 16. April 1986 sowie des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. August 1987 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Anschaffung und Unterhaltung eines Autotelefons zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,die Revision als unzulässig zu verwerfen,hilfsweise, sie zurückzuweisen.

Sie meint, die Revision sei unzulässig, weil der Kläger weder die Verletzung materiellen Rechts gerügt, noch die Tatsachen schlüssig und hinreichend bezeichnet habe, die einen Verfahrensmangel ergeben. Sollte die Revision jedoch für zulässig erachtet werden, so sei sie jedenfalls unbegründet. Das LSG sei nämlich unter Abwägung des Prüfberichtes der BAZ und der Stellungnahme des DPW zu dem Ergebnis gelangt, daß die Tätigkeit des Klägers keine ständige Erreichbarkeit erfordere, sondern der fernmündliche Kontakt vom Büro aus genüge. Eine weitere Sachaufklärung sei deshalb nicht notwendig gewesen. Auch die weitere Rüge, das LSG habe von Amts wegen die Voraussetzungen des § 563 RVO ermitteln müssen, gehe fehl; denn § 563 RVO komme nur zur Anwendung, wenn während der Dauer von Berufshilfemaßnahmen besondere Unterstützung notwendig würden. Hier habe das LSG aber bereits die begehrte Berufshilfemaßnahmen abgelehnt, so daß es auf die Voraussetzungen des § 563 RVO nicht habe einzugehen brauchen. Schließlich könne der Kläger allenfalls ein Bescheidungsurteil erstreiten, weil die Entscheidung über die begehrte Leistung im pflichtgemäßen Ermessen der Beklagten stehe.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist gemäß §§ 162, 164 Abs. 2 Satz 3, 169 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Aus der Revisionsbegründung geht eindeutig hervor, daß der Kläger die Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 103 SGG) rügt. Er hat auch hinreichend begründet, weshalb sich das LSG seiner Ansicht nach hätte gedrängt fühlen müssen, den Sachverhalt weiter aufzuklären.

Die Revision ist auch insoweit begründet, als das angefochtene Urteil wegen eines Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Der Senat kann nicht abschließend über den geltend gemachten Anspruch entscheiden, weil das LSG die für eine Sachentscheidung notwendigen tatsächlichen Feststellungen nicht getroffen hat.

Nach § 550 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 RVO soll die von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewährende Berufshilfe mit allen geeigneten Mitteln die durch den Arbeitsunfall verursachte Körperverletzung oder Gesundheitsstörung und Minderung der Erwerbsfähigkeit beseitigen, die Auswirkungen der Unfallfolgen erleichtern und den Verletzten möglichst auf Dauer beruflich eingliedern. § 567 RVO regelt den Umfang der Berufshilfe und enthält einen nicht erschöpfenden Katalog der in Betracht kommenden Einzelmaßnahmen, deren Gewährung in das pflichtgemäße Ermessen des Unfallversicherungsträgers gestellt ist. Dieser Leistungskatalog ist identisch mit dem in § 11 Abs. 2 des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (vgl. Lauterbach/Watermann, Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 4 und 5 zu § 567) und kommt als Rechtsgrundlage für die im vorliegenden Fall begehrte Leistung in Betracht, wobei es unerheblich ist, ob die Übernahme der Kosten für ein Autotelefon als technische Arbeitshilfe unter § 557 Abs. 1 Nr. 1 (Hilfe zur Erhaltung des Arbeitsplatzes), Nr. 2 (sonstige Hilfen der Arbeits- und Berufsförderung) oder unter § 569a Nr. 1 RVO (zusätzliche Leistungen) zu subsumieren ist.

Ausgehend von diesen Rechtsvorschriften hat das LSG den geltend gemachten Anspruch mit der Begründung verneint, die Ausstattung mit einem Autotelefon sei für die Erhaltung des Arbeitsplatzes nicht erforderlich. Es ist zu diesem Ergebnis gelangt, ohne hinreichend aufzuklären, ob der Kläger im Gegensatz zu einem Nichtbehinderten auf ein Autotelefon angewiesen ist. Zwar hat es ausgeführt, aus den von der Beklagten vorgelegten Schreiben des BAZ vom 3. August 1983 und des DPW vom 15. April 1935 ergebe sich, für die dauernde Erreichbarkeit des Klägers genügten die persönlichen Kontakte und die fernmündliche Überwachung von der Dienststelle aus. Es hat diese Beweiswürdigung abschließend jedoch wieder in Frage gestellt und ausdrücklich offengelassen, ob diese Verbindung mit dem Dienstvorgesetzten - dem Kläger - ausreicht, weil dann nicht die Behinderung des Klägers, sondern die Eigenart des Arbeitsplatzes das begehrte Hilfsmittel erforderlich mache. Mit diesem Hinweis hätte sich das LSG aber nicht begnügen dürfen. Nach dem Vortrag des Klägers hätte es sich vielmehr gedrängt fühlen müssen, den Sachverhalt in bezug auf die ständige telefonische Erreichbarkeit weiter aufzuklären. Insoweit hat der Kläger schlüssig dargelegt, gerade wegen seiner Behinderung auf ein Autotelefon angewiesen zu sein; während ein Nichtbehinderter in der Lage sei, nach Eintreffen des Euro-Signals vom nächstgelegenen Telefon zurückzurufen, stünden ihm als Schwerstbehinderten nur wenige behindertengerechte Telefonzellen zur Verfügung. Entscheidend sei nicht das Angerufenwerden, sondern die Möglichkeit, jederzeit antworten zu können.

Nach Zurückverweisung des Rechtsstreits wird das USG den Sachverhalt - etwa durch Einvernahme des Arbeitgebers - weiter aufzuklären haben. Dabei wird allerdings auch zu prüfen sein, ob der Kläger schon wegen der unfallunabhängigen Behinderungen auf die Benutzung eines Autotelefons angewiesen ist, oder ob die Unfallfolgen zumindest als wesentliche Teilursache für die behauptete Einschränkung der ständigen Erreichbarkeit anzusehen sind. Im übrigen hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, daß § 563 RVO auch über die in § 567 Abs. 4 RVO enthaltene Verweisung nicht als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch in Betracht kommt, weil die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift die Gewährung von Berufshilfemaßnahmen voraussetzt.

Das LSG wird auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517959

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