Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 10.07.1991)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 10. Juli 1991 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten um das Ende der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Studenten (KVdS).

Die am 7. Januar 1958 geborene Klägerin bestand im Juni 1978 das Abitur. Von November 1978 bis November 1981 durchlief sie eine Ausbildung zur Beschäftigungs- und Arbeitstherapeutin und war bis 1986 in diesem Beruf tätig. Seit Oktober 1986 studierte sie Rechtswissenschaft und war in der KVdS versicherungspflichtig.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 30. Juni 1989 das Ende der Versicherungspflicht zum 30. September 1989 fest, weil die Klägerin über 30 Jahre alt sei und Gründe für eine Verlängerung der Versicherungspflicht über den 30. September 1989 nicht vorlägen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 1989).

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage mit Urteil vom 23. März 1990 stattgegeben, das Landessozialgericht (LSG) sie auf die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 10. Juli 1991 abgewiesen und im wesentlichen ausgeführt: Die gesetzliche Regelung, nach der die Versicherungspflicht über das 30. Lebensjahr hinaus weiterbestehe, sei eng auszulegen und nicht auf die Abwehr eines Mißbrauchs der KVdS beschränkt. Bei der Klägerin liege kein Tatbestand vor, der die Fortdauer der Versicherungspflicht über den 30. September 1989 hinaus rechtfertige. Dazu reiche nicht aus, daß sie nach dem Abitur durch eine Ausbildung und eine Erwerbstätigkeit ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt habe verbessern wollen. Absolventen des Zweiten Bildungsweges, bei denen das Gesetz die Überschreitung des 30. Lebensjahres zulasse, stehe die Klägerin nicht gleich.

Gegen das Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie eine Verletzung des § 5 Abs 1 Nr 9 des Sozialgesetzbuchs – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) rügt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG vom 10. Juli 1991 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 23. März 1990 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Der Senat hat im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung die Auskunft des Verbandes der privaten Krankenversicherung eV vom 18. August 1992 eingeholt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist. Die Klägerin ist aus der Versicherungspflicht als Studentin ausgeschieden.

Die Versicherungspflicht der Klägerin als Studentin begann im Wintersemester 1987/88 nach den damals noch geltenden Vorschriften des Zweiten Buchs der Reichsversicherungsordnung (RVO). Dieses war durch das Gesetz über die Krankenversicherung der Studenten (KVSG) vom 24. Juni 1975 (BGBl I 1536) um die KVdS erweitert worden. Nach § 165 Abs 1 Nr 5 RVO wurden eingeschriebene Studenten der staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen – unabhängig vom Alter – für den Fall der Krankheit versichert (Ausnahmen: Vorrangige Tatbestände der Versicherungspflicht nach § 165 Abs 6 Satz 2 RVO; „Befreiung” kraft Gesetzes nach § 175 RVO, Befreiung auf Antrag nach § 173d RVO). Aufgrund dieser Regelung waren im Jahre 1988 rund 500.000 Studenten versicherungspflichtig (BABl 11/1989 S 110, einschließlich Praktikanten und Auszubildenden ohne Entgelt).

Die Versicherungspflicht hat bei der Klägerin jedoch nach dem zum 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Gesundheits-Reformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (BGBl I 2477) geendet. Seither sind Studenten nach § 5 Abs 1 Nr 9 Halbs 1 SGB V grundsätzlich nur noch bis zum Abschluß des 14. Fachsemesters, längstens bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres versicherungspflichtig. Die Klägerin hatte bei Inkrafttreten des neuen Rechts das 30. Lebensjahr vollendet. Gleichwohl blieb sie nach der Übergangsregelung in Art 56 Abs 6 GRG noch bis zum Ende des Wintersemesters 1988/89 versicherungspflichtig. Darüber hinaus hat die Beklagte, weil die Klägerin erst im Alter von 20 Jahren das Abitur abgelegt hatte, das Ende der Versicherungspflicht zum Ende des Sommersemesters 1989 (30. September 1989) festgestellt. Ob dieses Rechtens war, ist nicht im Streit und daher nicht zu entscheiden. Über den 30. September 1989 hinaus jedenfalls hat die Versicherungspflicht der Klägerin nicht mehr bestanden. Eine Ausnahmeregelung, die Halbs 2 des § 5 Abs 1 Nr 9 SGB V enthält, greift bei ihr nicht ein. Diese Ausnahmeregelung steht im Zusammenhang mit der Begrenzung der KVdS und deren Entwicklung.

Der Gesetzgeber hat die Versicherungspflicht von Studenten auch im SGB V für einen Zeitraum beibehalten, in dem ein Studium regelmäßig durchgeführt werden kann und typischerweise entweder erfolgreich abgeschlossen oder endgültig aufgegeben wird, nämlich innerhalb von 14 Fachsemestern oder bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres. In diesem Altersabschnitt nehmen die Studenten Leistungen der Krankenversicherung in unterdurchschnittlichem Maße in Anspruch, weil ihr Gesundheitszustand altersbedingt im allgemeinen gut ist und beitragsfrei versicherte Familienangehörige (§ 10 SGB V, früher § 205 RVO) seltener und erst im Laufe der Zeit hinzukommen. Die Studenten bleiben, sofern sie nicht familienversichert oder von der Versicherungspflicht befreit sind (§ 5 Abs 7 Satz 1 iVm § 10 SGB V; § 8 Abs 1 Nr 5 SGB V), weiterhin in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig, obwohl diese auch heute noch im Kern eine Versicherung der abhängig Beschäftigten ist. Versicherungspflichtige Studenten entrichteten und entrichten niedrige, bundeseinheitlich geregelte Beiträge. Deren Berechnung liegt der Förderungsbetrag nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) bei auswärtiger Unterbringung zugrunde (früher § 180 Abs 3b RVO, heute § 236 Abs 1 Satz 1 SGB V), der mehrfach angehoben wurde und von monatlich 500 DM bei Inkrafttreten des KVSG (1975) auf monatlich 725 DM bei Inkrafttreten des SGB V (1989) angestiegen war. Der Beitragssatz betrug anfangs nur 5 vH (§ 381a RVO idF des KVSG), wurde jedoch nach Streichung des ursprünglich neben dem Beitrag gezahlten Bundeszuschusses (§ 381a Abs 2, 3 RVO idF des KVSG) auf sieben Zehntel des durchschnittlichen allgemeinen Beitragssatzes erhöht (§ 381a RVO idF des Art 9 Nr 1 des 2. HStruktG vom 22. Dezember 1981, BGBl I 1523, später § 245 Abs 1 SGB V). Das hatte bei Inkrafttreten des SGB V (1989) einen „Studenten-Beitragssatz” von 9,0 vH ergeben. Der monatliche Beitrag war nach diesen Vorschriften zwar von 25 DM im Wintersemester 1975/76 auf 65,25 DM im Wintersemester 1988/89 angestiegen; seither hat er sich nur wenig geändert.

Er war jedoch für eine Vollversicherung günstig, zumal wenn beitragsfrei versicherte Familienangehörige eines Studenten vorhanden waren.

Der Gesetzgeber hat es bei der Verabschiedung des GRG im Jahre 1988 für erforderlich gehalten, die beitragsgünstige KVdS zu begrenzen. Sie hat in der Vergangenheit Personen angezogen, für die sie nicht gedacht war. In der Rechtsprechung ist etwa der Beginn der Versicherungspflicht bei einem Kläger behandelt worden, der als Staatsangehöriger der Vereinigten Staaten von Amerika erstmals im Alter von 68 Jahren Student und Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung geworden war (BSG SozR 2200 § 306 Nr 16), ferner die KVdS eines selbständigen Rechtsanwalts, der sich im Alter von 36 Jahren neben seiner Berufstätigkeit für ein weiteres Studium hatte einschreiben lassen (BSG SozR 3-2200 § 165 Nr 2). Der Ausschluß solcher Personen durch die gesetzliche Neuregelung ist im Zusammenhang mit anderen Maßnahmen zu sehen, mit denen die gesetzliche Krankenversicherung wieder mehr auf ihren Kern zurückgeführt worden ist. Hierzu gehören etwa die Abschaffung der Versicherungspflicht für einige kleine Gruppen von Selbständigen (früher § 166 RVO), die Verdrängung der Versicherungspflicht durch eine hauptberufliche selbständige Erwerbstätigkeit (§ 5 Abs 5 SGB V) oder durch Tatbestände von Versicherungsfreiheit (§ 6 Abs 3 SGB V), die Abschaffung einer Reihe von Beitrittsrechten (früher § 176 RVO), die Verschärfung der Zugangsvoraussetzungen für die freiwillige Weiterversicherung (§ 9 Abs 1 Nr 1 SGB V gegenüber § 313 Abs 1 RVO) sowie die Verdoppelung der Mindestbeiträge für freiwillig Versicherte (§ 240 Abs 4 SGB V gegenüber § 180 Abs 4 Satz 1 RVO; dazu die Urteile des Senats vom 7. November 1991, demnächst in BSGE Bd 70 = SozR 3-2500 § 240 Nr 6 und in SozR 3 aaO Nr 7).

Von der in § 5 Abs 1 Nr 9 Halbs 1 SGB V enthaltenen Begrenzung auf die Fachstudienzeit von 14 Semestern oder die Vollendung des 30. Lebensjahres enthält Halbs 2 Ausnahmen. Danach sind Studenten nach Abschluß des 14. Fachsemesters oder nach Vollendung des 30. Lebensjahres nur noch versicherungspflichtig, wenn die Art der Ausbildung oder familiäre sowie persönliche Gründe, insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungswegs, die Überschreitung rechtfertigen. Im Entwurf des GRG sind die unverändert Gesetz gewordene Begrenzung der Versicherungspflicht und die Ausnahmen davon wörtlich wie folgt begründet worden (BR-Drucks 200/88 = BT-Drucks 11/2237, jeweils S 159 zu § 5): „Die Versicherungspflicht der Studenten (Absatz 1 Nr. 9) wird, um Mißbräuche zu vermeiden, auf eine Höchstdauer der Fachstudienzeit und auf ein Höchstalter begrenzt. Damit soll auch der Tendenz, das Hochschulstudium zu verlängern, entgegengewirkt werden. Die Ausnahmeregelung im 2. Halbsatz ist eng auszulegen. Persönliche oder familiäre Gründe sind z. B. Erkrankung, Behinderung, Schwangerschaft, Nichtzulassung zur gewählten Ausbildung im Auswahlverfahren, Eingehen einer insgesamt mindestens achtjährigen Dienstverpflichtung als Soldat oder Polizeivollzugsbeamter im Bundesgrenzschutz auf Zeit bei einem Dienstbeginn vor Vollendung des 22. Lebensjahres, Betreuung von behinderten oder aus anderen Gründen auf Hilfe angewiesenen Kindern.”

Hiernach hat der Gedanke der Mißbrauchsabwehr zwar den Anstoß für die Begrenzung der KVdS gegeben. Sie ist aber nicht auf die Abwehr einer mißbräuchlichen Begründung der Versicherung beschränkt, sondern durch die Einführung allgemeiner Schranken nach der Höchstdauer der Fachstudienzeit und des Alters vorgenommen worden. Demnach scheiden wegen Überschreitens der Grenzen grundsätzlich auch solche Studenten aus, denen ein Mißbrauch der KVdS nicht entgegengehalten werden kann. Entsprechend ist mit einem solchen Ende der Versicherungspflicht in der KVdS ein Vorwurf von Mißbrauch nicht verbunden.

Im Hinblick auf das Bestreben des Gesetzgebers, die KVdS – von der hier nicht in Betracht kommenden Begrenzung durch die Höchstzahl von 14 Fachsemestern abgesehen – grundsätzlich auf die Zeit bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres zu beschränken, und der für die Ausnahmeregelung gegebenen Begründung sind die „familiären sowie persönlichen Gründe”, die die Überschreitung der Altersgrenze rechtfertigen, einschränkend aufzufassen. Andernfalls würde, weil Gründe dieser Art im weiteren Sinne für jedes Hinausschieben oder Unterbrechen des Studiums angeführt werden können, die Einführung der Altersgrenze nicht hinreichend beachtet. Allerdings werden trotz des sprachlich nicht eindeutigen Gesetzeswortlauts (familiäre „sowie” persönliche Gründe) nach der erwähnten Begründung des Gesetzentwurfs familiäre „oder” persönliche Gründe genügen. Diese müssen jedoch, wenn der Ausnahmecharakter des § 5 Abs 1 Nr 9 Halbs 2 SGB V gewahrt bleiben soll, im allgemeinen von solcher Art und solchem Gewicht sein, daß sie nicht nur aus der Sicht des Einzelnen, sondern auch bei objektiver Betrachtungsweise die Aufnahme des Studiums oder seinen Abschluß verhindern oder als unzumutbar erscheinen lassen (im folgenden: Hinderungsgründe). Hinweise hierzu enthält die Gesetzesbegründung. Das Studium aufzuschieben, weil dies als zweckmäßig oder sinnvoll erscheint, reicht demgegenüber nicht aus.

Welche Tatsachen im einzelnen als Hinderungsgründe das Überschreiten der Altersgrenze rechtfertigen, braucht im vorliegenden Verfahren nicht näher geklärt zu werden. Jedenfalls gehört die nach dem Abitur aufgenommene Berufsausbildung mit anschließender Berufstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (in einer Gesamtdauer von hier fast acht Jahren) nicht dazu, auch dann nicht, wenn der Eintritt ins Berufsleben Erfahrungen in der Arbeitswelt vermittelt, die in einem Studium nützlich sein und später die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt verbessern können. Ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn die Aufnahme der Berufstätigkeit durch besonders schwierige familiäre oder persönliche Verhältnisse erzwungen worden ist, kann offen bleiben, weil hierfür bei der Klägerin nichts erkennbar ist. In einem anderen Verfahren behandelt der Senat mit Urteil vom 30. September 1992 (12 RK 50/91, zur Veröffentlichung bestimmt) den Hinderungsgrund der Nichtzulassung zum Studium und Fragen der Ursächlichkeit für das Überschreiten der Altersgrenze. Bei Studenten, die die Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungswegs erworben haben, wird mit weiterem Urteil vom 30. September 1992 (12 RK 3/91, zur Veröffentlichung bestimmt) nur die in einer solchen Ausbildungsstätte verbrachte Zeit als Hinderungszeit angesehen, in der Regel jedoch nicht die Zeit der Berufstätigkeit vor dem Beschreiten des Zweiten Bildungswegs.

Bei dieser Anwendung des § 5 Abs 1 Nr 9 Halbs 2 SGB V auf Absolventen des Zweiten Bildungsweges liegt eine verfassungswidrige Benachteiligung von Studenten wie der Klägerin nicht vor. Eine ungleiche Behandlung mehrerer Gruppen von Normadressaten ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar, wenn zwischen ihnen Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können; ungleiche Behandlung und rechtfertigender Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen (BVerfGE 82, 126, 146 mwN). Dieses trifft hier zu. Studenten wie die Klägerin haben als Minderjährige die Gelegenheit zum Besuch einer weiterführenden Schule erhalten und mit dem Abitur im Alter von etwa 19 bis 20 Jahren die Zugangsvoraussetzungen für ein Hochschulstudium geschaffen. Für dieses hatten sie dann bis zur Altersgrenze von 30 Jahren etwa zehn Jahre Zeit. In diesen Zeitraum fällt bei Absolventen des Zweiten Bildungswegs die Zeit des Besuchs einer Ausbildungsstätte, die für ein Studium nicht zur Verfügung steht, was das Überschreiten der Altersgrenze bis zu einem Zeitraum rechtfertigt, der der Dauer des Zweiten Bildungswegs entspricht. Eine längere, vor dem Besuch der Ausbildungsstätte liegende Berufstätigkeit ist als solche demgegenüber bei Absolventen des Zweiten Bildungswegs ebensowenig ein Hinderungsgrund wie bei Studenten, die das Abitur sogleich nach dem Schulbesuch abgelegt haben und anschließend bis zur Aufnahme des Studiums zunächst berufstätig gewesen sind.

Die Beendigung der KVdS für bisher versicherungspflichtige Studenten verstößt nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art 20 Abs 3 GG. Sie ist nicht rückwirkend, sondern allgemein erst nach dem 31. März 1989 wirksam, bei der Klägerin sogar erst für die Zeit nach dem 30. September 1989 festgestellt worden. Auch verletzt die Neuregelung nicht den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes, der eine Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des Einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit verlangt (vgl BVerfGE 69, 272, 309 ff = SozR 2200 § 165 Nr 81). Das Vertrauen auf den Fortbestand der KVdS nach Vollendung des 30. Lebensjahres war nicht besonders schützenswert, eine Begrenzung der KVdS vielmehr angezeigt. Allerdings verursachte die Beendigung der KVdS mit ihrem günstigen Beitrag (im Wintersemester 1988/89 monatlich 65,25 DM) einen erheblichen Mehraufwand, wenn sich der Student in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig weiterversicherte. Dann stieg nämlich, auch wenn nur der Mindestbeitrag nach den beitragspflichtigen Einnahmen des § 240 Abs 4 SGB V erhoben wurde, der Monatsbeitrag für eine Versicherung ohne Anspruch auf Krankengeld auf durchschnittlich etwa 125 bis 130 DM an, wobei der Anstieg je nach Beitragssatz der Kasse niedriger oder höher ausfallen konnte (bei der Beklagten von 1989 bis 1991 monatlich zwischen 128 DM und 134 DM). Der Mehraufwand für den Rest des Studiums war also erheblich. Auf der anderen Seite ist für geförderte (versicherungspflichtige und freiwillig versicherte) Studenten der Beitragszuschuß zur Krankenversicherung nach § 13 Abs 2a BAföG im Jahre 1990 von monatlich 45 DM auf monatlich 65 DM angehoben worden. Auch soweit Studenten keine Ausbildungsförderung erhielten, etwa weil sie mit dem Stipendium eines Begabtenförderungswerkes studierten (vgl § 2 Abs 6 Nr 2 BAfÖG) oder weil sie ihr Studium aus anderen Quellen finanzierten, wird der Beitragsmehraufwand in der Regel ebenfalls übernommen worden oder tragbar gewesen sein. Nach der vom Senat eingeholten Auskunft haben ferner Unternehmen der privaten Krankenversicherung eine Versicherung zu monatlich 95 DM (pro Person) angeboten. Unter besonderen Voraussetzungen können Beiträge auch nach § 76 Abs 2 des Sozialgesetzbuchs – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) behandelt, dh gestundet, niedergeschlagen oder erlassen werden. Daß die Neuregelung dennoch die Fortsetzung des Studiums ernsthaft gefährdet hat, kann ohne nähere Darlegung im Einzelfall nicht angenommen werden. Die Klägerin des vorliegenden Verfahrens ist im übrigen immerhin sechs Semester ihres Jurastudiums in der KVdS versichert gewesen. Der Senat konnte sich hiernach von einer Verfassungswidrigkeit der Regelung nicht überzeugen. Allerdings hätte eine großzügigere Übergangsregelung für Studenten wie die Klägerin dem Rechtsstaatsprinzip mehr entsprochen.

Hiernach war die Revision der Klägerin zurückzuweisen und über die außergerichtlichen Kosten nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes zu entscheiden.

 

Fundstellen

BSGE, 150

NJW 1993, 957

JuS 1993, 973

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