Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 23.05.1985; Aktenzeichen L 7 U 296/85)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 23. Mai 1985 wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger hat aus Anlaß des tödlichen Unfalls des M. K. (K.) am 14. Juni 1983 als zuerst angegangener Unfallversicherungsträger Kosten der stationären Behandlung und eines Durchgangsarztberichtes sowie das Sterbegeld in Höhe von insgesamt 1.787,13 DM getragen. Er begehrt die Erstattung dieser Kosten von der Beklagten, hilfsweise von der Beigeladenen.

K. war Schreinerlehrling in einem Mitgliedsbetrieb der Beklagten. Für den Unfalltag hatte er Urlaub genommen. Er suchte an diesem Tag seinen Ausbildungsbetrieb auf, um dort restliche Zeichnungen für die Anfertigung des Gesellenstücks von seinem Meister abzeichnen zu lassen. Diese Zeichnungen hatte er dem Prüfungsausschuß für die Gesellenprüfung im Schreiner-Handwerk in Stuttgart auf dessen Anordnung am 14. Juni 1983 bis 12 Uhr vorzulegen. Auf dem Wege zum Prüfungsausschuß bei der Schreiner-Innung verunglückte er mit seinem Motorrad tödlich.

Beklagte und Beigeladene lehnten die Erstattung der aufgewendeten Kosten ab. Sie seien nicht die für die Entschädigung des Unfalls zuständigen Versicherungsträger. Das Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger die aus Anlaß des Unfalls des K. am 14. Juni 1983 entstandenen Aufwendungen zu erstatten (Urteil vom 26. November 1984). Die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg zurückgewiesen (Urteil vom 23. Mai 1985). Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Die Beklagte sei der zuständige Versicherungsträger, weil die Fahrt des K. zum Prüfungsausschuß der Schreiner-Innung in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Auszubildender gestanden habe. Nach § 14 des BerufsbildungsgesetzesBBiG – vom 14. August 1969 (BGBl I 1112) ende das Berufungsausbildungsverhältnis grundsätzlich erst mit dem Bestehen der Abschlußprüfung. Zudem sei nach dem zwischen dem Mitgliedsbetrieb der Beklagten und K. abgeschlossenen Ausbildungsvertrag vom 16. Juli 1981 der Ausbildungsbetrieb nicht nur entsprechend § 7 BBiG verpflichtet gewesen, K. für die Teilnahme an der Gesellenprüfung freizustellen, sondern er sei darüberhinaus auch verpflichtet gewesen, K. rechtzeitig zu der angesetzten Abschlußprüfung anzumelden (§ 3 Ziffer 3.11.). Andererseits habe K. gegenüber seinem Ausbildungsbetrieb die Verpflichtung gehabt, an der Prüfung teilzunehmen (§ 4 Ziffer 4.2.). Dadurch werde der rechtlich wesentliche Zusammenhang zwischen der Gesellenprüfung und der sonstigen unter Versicherungsschutz stehenden Ausbildungstätigkeit des K. besonders deutlich gemacht. Daraus folge, daß die Fahrt des K. zum Prüfungsausschuß zum Zwecke der Vorlage weiterer Unterlagen über sein Gesellenstück (= Teil der Gesellenprüfung) in einem rechtlich wesentlichen inneren Zusammenhang mit seiner betrieblichen Tätigkeit gestanden habe.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und im wesentlichen wie folgt begründet: Ein innerer ursächlicher Zusammenhang zwischen der Beschäftigung des K. nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) und der Gesellenprüfung bestehe nicht. Die Ausbildung in einem Handwerksunternehmen sei nach § 37 Abs. 2 und 3 der Handwerksordnung (HwO) nicht Voraussetzung für die Zulassung zur Prüfung. Die Prüfung werde auch nicht vom Ausbildungsbetrieb, sondern von den bei der Handwerkskammer oder den Innungen errichteten Gesellenprüfungsausschüssen abgenommen. Das Aufsuchen der Innung durch K. am Unfalltag sei deshalb nicht der Beschäftigung im Betrieb, sondern der Innung zuzurechnen, weil es auf Veranlassung der Prüfungskommission der Innung erfolgt sei. K. sei zur Unfallzeit nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst c RVO als Lernender während der beruflichen Ausbildung versichert gewesen. Dafür sei die Beigeladene der zuständige Versicherungsträger. Die Auffassung des LSG, daß die Fahrt des K. in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit der Tätigkeit in ihrem Mitgliedsbetrieb gestanden habe, weil das Berufsausbildungsverhältnis erst mit dem Bestehen der Abschlußprüfung ende, sei nicht schlüssig. Durch das Bestehen der Prüfung werde zwar das Berufsausbildungsverhältnis beendet, jedoch werde damit die Prüfung keinesfalls zum Teil der Berufsausbildung nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Dem LSG könne auch nicht darin gefolgt werden, daß der ursächliche Zusammenhang der Fahrt mit der nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherten betrieblichen Tätigkeit sich daraus ergebe, daß das Ausbildungsunternehmen verpflichtet sei, K. für die Teilnahme an der Prüfung freizustellen und zur Abschlußprüfung anzumelden, sowie aus der Verpflichtung des K., an der Prüfung teilzunehmen. Aus dem Ausbildungsvertrag ergebe sich nämlich auch, daß der Ausbildungsbetrieb K. zum Besuch der Berufsschule anzuhalten und freizustellen habe, sowie K. verpflichtet sei, am Berufsschulunterricht teilzunehmen. Dennoch stehe nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) außer. Zweifel, daß der Besuch der Berufsschule nicht der nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherten Tätigkeit zuzurechnen, sondern nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst c RVO versichert ist. Das gleiche müsse für die Teilnahme an der Gesellenprüfung gelten.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 23. Mai 1985 sowie das Urteil des SG Stuttgart vom 26. November 1984 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen die Beklagte richtet, hilfsweise das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf ihr Vorbringen und auf die Ausführungen in den Urteilen beider Instanzen.

Die Beigeladene beantragt,

die Revision der Beklagten insoweit zurückzuweisen, als sie sich gegen die Beigeladene richtet.

Sie meint, daß Ausbildungs- und Prüfungszeit nur als Einheit gesehen werden könnten. Daher gehörten die wenigen, noch dazu auf mehrere Tage verteilten Stunden der Vorbereitung auf die Gesellenprüfung, dh die Einreichung von Unterlagen und die Gesellenprüfung, selbst noch zur Lehrlingszeit.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

Der Kläger hat aus Anlaß des Unfalls des K. am 14. Juni 1983 als zuerst angegangener Leistungsträger gemäß § 1735 RVO iVm § 43 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) vorläufige Leistungen gewährt. Die Beklagte ist dem Kläger zur Erstattung der Leistungen nach § 102 Sozialgesetzbuch – 10. Buch – (SGB X) verpflichtet, da sie nach § 646 RVO der endgültig verpflichtete Unfallversicherungsträger ist.

K. hat am 14. Juni 1983 einen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten.

Nach § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. K. befand sich zur Zeit des Unfalls in der Ausbildung zum Beruf des Schreiners. Die Ausbildung fand in einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten statt; sie war daher eine betriebliche Ausbildung iS des § 1 Abs. 5 BBiG. Darunter ist ein Ausbildungsverhältnis zu verstehen, das den Auszubildenden in einen Betrieb eingliedert und ihn mit dem Ausbildenden in einer dem Arbeitsverhältnis nahestehenden Rechtsbeziehung verbindet (vgl. Weber, BBiG, § 1 Anm. 6). Das betriebliche Ausbildungsverhältnis ist dadurch gekennzeichnet, daß der Auszubildende zum Zwecke seiner Ausbildung abhängige Arbeit leistet (BSGE 9, 30, 35). Nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO sind aufgrund eines Lehrverhältnisses Beschäftigte gegen Arbeitsunfall versichert. Zwar ist in § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst c RVO gleichfalls ein Unfallversicherungsschutz für Lernende während der beruflichen Ausbildung in Betrieben vorgesehen. Diese Vorschrift hat jedoch nur subsidiäre Bedeutung, nämlich für den Fall, daß die Lernenden nicht bereits zu den nach Nrn 1 bis 3 und 5 bis 8 des § 539 Abs. 1 RVO versicherten Personen gehören (BSG Urteil vom 29. August 1974 – 2 RU 189/72 – USK 74128). K. war bereits aufgrund seines Beschäftigungsverhältnisses in einem Mitgliedsbetrieb der Beklagten gegen Arbeitsunfall versichert; eine Versicherung nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst c RVO ist in einem solchen Falle ausgeschlossen (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.–10. Auflg., 474n; Lauterbach/Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Auflg § 539 Anm. 86 Buchst f).

Bei der beruflichen Ausbildung bilden die vorgeschriebenen Prüfungen den natürlichen Abschluß der Ausbildung und sind deren Bestandteil. Daher sind nicht nur die nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst c RVO versicherten Lernenden auch bei Tätigkeiten in Zusammenhang mit der ihre berufliche Ausbildung abschließenden Prüfung gegen Arbeitsunfall versichert (BSGE 43, 60, 63; BSG SozR Nr. 10 zu § 539 RVO = SGb 1969, 459 mit Anm. von Schroeter; vgl. auch Rundschr.d. Hauptvbd.d.gew.BGen VB 111/51, Brackmann aaO S 474s II), sondern gleichfalls diejenigen, deren Versicherungsschutz wegen ihrer betrieblichen Ausbildung auf § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO beruht. Unerheblich ist dabei, welche Stelle die Prüfung abnimmt.

Dem Versicherungsschutz des K. nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO stand daher nicht entgegen, daß die Gesellenprüfung nicht von dem ausbildenden Unternehmen, sondern von einem Prüfungsausschuß für die Gesellenprüfung des Schreiner-Handwerks bei der Schreiner-Innung abgenommen wurde. Wie der Unfallversicherungsschutz bei Personen zu beurteilen ist, die, ohne eine betriebliche Ausbildung durchlaufen zu haben, gemäß § 37 Abs. 2 und 3 HwO zur Gesellenprüfung zugelassen worden sind (aufgrund längerer beruflicher Tätigkeit oder Ausbildung in einer beruflichen Schule oder einer sonstigen Einrichtung), braucht hier nicht entschieden zu werden.

Um den inneren Zusammenhang der von K. abzulegenden Gesellenprüfung und den dieser Prüfung dienenden Tätigkeiten – hier der Vorlage von Zeichnungen für das Gesellenstück bei dem Prüfungsausschuß – mit dem Ausbildungsverhältnis zu begründen, bedarf es nach Auffassung des Senats nicht einmal der Bezugnahme auf den Berufsausbildungsvertrag des K. mit seinem Ausbildungsunternehmen vom 16. Juli 1981, da sich dieser Zusammenhang allein schon aus der Verordnung über die Berufsausbildung zum Tischler vom 15. Juli 1977 (BGBl I 1261) ergibt. Sie enthält nicht nur die dem Auszubildenden vom Ausbildenden zu vermittelnden Fähigkeiten und Kenntnisse, sondern in § 8 auch die Prüfungsanforderungen in der Gesellenprüfung. In Abs. 2 Nr. 1 dieser Vorschrift ist ua bestimmt, daß der Prüfling mit der Anfertigung des Gesellenstücks erst beginnen darf, wenn die von ihm dafür anzufertigenden Zeichnungen vom Prüfungsausschuß genehmigt sind. Die in dem Berufsausbildungsvertrag enthaltene Verpflichtung des Ausbildungsunternehmens, den Auszubildenden für die Teilnahme an Prüfungen freizustellen und ihn rechtzeitig zu der angesetzten Abschlußprüfung anzumelden, sowie die Verpflichtung des Auszubildenden, an Prüfungen teilzunehmen, sind allenfalls zusätzliche Argumente für den inneren Zusammenhang. Der Einwand der Beklagten, daß nach dem Ausbildungsvertrag gleichartige Verpflichtungen für die Teilnahme am Berufsschulunterricht bestünden, der Besuch der Pflichtberufsschule aber nach der Rechtsprechung des BSG dennoch nicht der nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versicherten Tätigkeit zuzurechnen, sondern nach § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst c RVO versichert sei, übersieht offensichtlich die beiden Entscheidungen des BSG vom 31. Juli 1962 (BSGE 17, 217 und 221). Dort hat das BSG dargelegt, daß durch den Besuch der Berufsschule die Berufsschulpflicht erfüllt wird, daher dieser Schulbesuch nicht Ausfluß der beruflichen Tätigkeit des Beschäftigten und aus diesem Grund von einem gleichzeitig bestehenden Arbeitsverhältnis getrennt zu behandeln ist (s. auch Lauterbach/Watermann, aaO).

Da K. zur Zeit des Unfalls aufgrund seiner Beschäftigung als Auszubildender in einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO versichert war, ist die Beklagte der für die Entschädigung des Arbeitsunfalls vom 14. Juni 1983 gemäß § 646 RVO zuständige Unfallversicherungsträger. Sie hat dem Kläger nach § 102 SGB X die aus Anlaß dieses Unfalls erbrachten Leistungen zu erstatten.

Eine Kostenentscheidung entfällt gemäß § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI921526

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