Leitsatz (amtlich)

1. RVO § 902 gilt auch nach Inkrafttreten des SGG fort.

2. Dient eine unfallbringende Tätigkeit mehreren Unternehmen und kommt hiernach ein Versicherungsschutz durch verschiedene Versicherungsträger in Betracht, so ist in der Regel der Versicherungsträger des Unternehmens entschädigungspflichtig, in dem der Verletzte ständig tätig war (Stammunternehmen). Ein solcher Regelfall liegt insbesondere dann vor, wenn die Tätigkeit sowohl dem Stammunternehmen als auch dem anderen Unternehmen in nicht unerheblichem Maße gedient hat.

3. Für die Anwendung des RVO § 537 Nr 10 in Verbindung mit RVO § 537 Nr 1 kommt es darauf an, daß es sich um eine ernstliche, dem in Frage stehenden Unternehmen dienende Tätigkeit handelt, daß sie dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und daß durch diese Tätigkeit ein innerer ursächlicher Zusammenhang mit dem Unternehmen hergestellt wird. Das Vorliegen eines persönlichen oder wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses ist nicht erforderlich, dagegen ist für die Anwendung des RVO § 537 Nr 10 kein Raum, wenn ein Unternehmer im Rahmen seines eigenen Unternehmens für ein anderes Unternehmen tätig wird.

 

Normenkette

RVO § 902 Fassung: 1924-12-15, § 537 Nr. 1 Fassung: 1942-03-09, Nr. 10 Fassung: 1942-03-09

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Celle vom 15. April 1955 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger lieferte dem Beigeladenen Baumaterial für dessen Neubau. Am 23. August 1950 ließ er Kies anfahren. Der Lastzug konnte nicht im normalen Vorwärtszug unmittelbar an die Baustelle gelangen. Um den Kies nicht an der Straße abladen zu müssen, versuchten deshalb die Fahrer, den Anhänger mit dem Motorwagen auf den Hof an die vom Beigeladenen gewünschte Stelle zu schieben. Dabei hielt der Beigeladene selbst einen Holzbalken zwischen die beiden Fahrzeuge. Der Balken glitt jedoch ab und der Beigeladene wurde durch Quetschungen verletzt.

Der Beigeladene verlangt deswegen Schadensersatz vom Kläger und den Fahrern. In dem vor dem Landgericht Verden (Aller) anhängigen Zivilprozeß macht der Kläger (dortige Beklagte) u. a. geltend, es handle sich um einen Arbeitsunfall und er sei gemäß § 898 Reichsversicherungsordnung (RVO) zum Schadensersatz nicht verpflichtet. Der Beklagten hat er den Unfall am 17. August 1951 angezeigt. Diese hat durch Bescheid vom 16. Januar 1952 den Entschädigungsanspruch abgelehnt, weil der Beigeladene nicht im Sinne des § 537 Nr. 10 RVO wie ein Arbeitnehmer des Klägers tätig gewesen sei, als ihm der Unfall zustieß.

Die Berufung gegen diesen Bescheid hat das Oberversicherungsamt (OVA.) Hannover am 12. Februar 1953 zurückgewiesen. Die weitere Berufung an das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg ist mit Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gemäß § 215 Abs. 8 SGG auf das Landessozialgericht (LSG.) Celle übergegangen. Dieses hat durch Beschluß vom 4. April 1955 den Verletzten beigeladen, von der Beiladung der landwirtschaftlichen oder der Bau-Berufsgenossenschaft dagegen abgesehen. Durch Urteil vom 15. April 1955 hat das LSG. die Berufung gegen das Urteil des OVA. zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Hilfe des Beigeladenen bei dem Rückstoßmanöver sei nicht nach § 537 Nr. 10 RVO unfallversichert. Dazu sei nämlich erforderlich, daß die Tätigkeit in einem inneren ursächlichen Zusammenhang mit dem Betriebe des Klägers stehe, d. h. die Absicht des Tätigen vorliege, den Interessen des Unternehmens zu dienen. Dem Beigeladenen sei aber gar nicht bewußt geworden, daß er durch sein Eingreifen auch die Interessen des Klägers fördere; er habe allein seine eigenen Interessen wahrnehmen wollen.

Gegen das am 14. Mai 1955 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. Juni 1955 Revision eingelegt und sie - nach Verlängerung der Begründungsfrist - am 13. August 1955 begründet.

Er beantragt,

unter Änderung des angefochtenen Urteils die Beklagte zu verurteilen, den Unfall des Beigeladenen als Arbeitsunfall zu entschädigen.

Er beanstandet das Verfahren des LSG. in mehrfacher Hinsicht und rügt sachlich die Verletzung des § 537 Nr. 10 RVO. Da der Beigeladene seine Hilfe entsprechend den Weisungen der Kraftfahrer geleistet habe, sei er vorübergehend in das Unternehmen des Klägers eingetreten und insoweit bei der Beklagten versichert.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält das Verfahren des LSG. für einwandfrei und die Abweisung der Klage für gerechtfertigt.

Der Beigeladene hat keine Anträge gestellt.

II

Die Revision ist statthaft, da das LSG. sie zugelassen hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist rechtzeitig und formgerecht eingelegt und begründet worden. Der Kläger ist auch, obwohl er keine eigenen Ansprüche verfolgt, berechtigt, den Anspruch im Verfahren geltend zu machen. Gemäß § 902 Satz 1 RVO kann der Kläger den Entschädigungsanspruch des verletzten Beigeladenen im eigenen Namen einklagen. Die gesetzlichen Voraussetzungen dafür liegen vor: Der Kläger ist Unternehmer und wird vom Verletzten auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Den Bedenken gegen die Fortgeltung der RVO-Bestimmungen über die Prozeßstandschaft, die Würbach in SGb. 1955 S. 330 im Hinblick auf § 1511 RVO erhebt, kann der Senat jedenfalls für § 902 RVO nicht beitreten (vgl. allgemein Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. I S. 234 h und die dort angef. Rechtsprechung; LSG. Baden-Württemberg in Breith. 1957 S. 701; ferner Baierl in SGb. 1957 S. 38). Nach § 224 Abs. 3 SGG sind am 1. Januar 1954 nur die früheren Vorschriften außer Kraft getreten, die denselben Gegenstand wie das SGG, d. h. das Rechtsmittelverfahren in Sozialversicherungssachen regelten (vgl. § 213 Abs. 1 SGG). Die früheren Vorschriften über das Verwaltungsverfahren der Versicherungsträger (§§ 1545 ff. RVO) sind dagegen durch das SGG nicht aufgehoben worden. § 902 RVO galt aber nicht nur im Rechtsmittelverfahren, wie es in den §§ 1675 ff. RVO geregelt war, sondern auch im Verwaltungsverfahren und ist jedenfalls insoweit durch das Inkrafttreten des SGG nicht berührt worden. Von der Berufsgenossenschaft kann der Unternehmer unter den Voraussetzungen des § 902 RVO deshalb nach wie vor einen Bescheid über die Entschädigung verlangen. Diese Befugnis auch prozessual geltend zu machen, kann ihm im Hinblick auf § 54 Abs. 1 SGG nicht verwehrt werden. Seine Rechtsstellung im Verwaltungsverfahren wirkt sich vielmehr im Gerichtsverfahren zwangsläufig als Prozeßstandschaft aus.

Die Revision ist begründet.

Die Rüge der Revision, das LSG sei nicht ordnungsmäßig besetzt gewesen, weil kein Senatspräsident den Vorsitz geführt habe, genügt nicht den Anforderungen des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG und ist deshalb unbeachtlich. Der von der Revision als einzige Tatsache zur Begründung der Rüge angeführte Umstand, daß in der Verhandlung am 15. April 1955 ein Landessozialgerichtsrat den Vorsitz geführt hat, läßt für sich allein keine Schlüsse darauf zu, daß § 34 Abs. 1 SGG verletzt worden sei; er bietet dem Senat auch keinen Anlaß, von Amts wegen nachzuprüfen, ob der erkennende Senat des LSG. ordnungsmäßig besetzt war.

Die Revision greift dagegen mit Recht die tatsächliche Feststellung an, der Beigeladene habe nur seine eigenen Interessen wahrnehmen wollen, es sei ihm nicht bewußt geworden, daß er auch dem Unternehmen des Klägers nütze. Diese Überzeugung läßt sich nicht ohne Verletzung des § 128 SGG aus den von dem Fahrer und dem Beigeladenen gemachten Aussagen gewinnen, die der Vorderrichter den Akten des Landgerichts entnommen und zur Begründung seiner Feststellung verwertet hat. Die Äußerung des Beigeladenen, er habe geholfen, um nicht ungefällig zu sein, legt vielmehr den gegenteiligen Schluß nahe, daß er der Meinung war, es sei Sache des Klägers, den Kies auf den Hof zu bringen. Auch die vom Beifahrer Blümel bekundete Drohung des Beigeladenen, er werde den Kies wieder zurückgehen lassen, wenn er nicht auf dem Hof neben der Mischmaschine abgeladen werde, spricht für das Gegenteil, zumal da der Kies einige Tage vorher mit einem anderen Lastzug dorthin gebracht worden war.

Auch rechtlich kann der Auslegung des § 537 Nr. 10 RVO durch das LSG. nicht gefolgt werden. Im vorliegenden Fall kommt nur die Anwendung der Nr. 10 in Verbindung mit der Nr. 1 des § 537 RVO in Betracht, so daß die Beziehungen der Nr. 10 zu den Nummern 2 bis 9 des § 537 RVO ungeprüft bleiben können. Insoweit entspricht die Nr. 10 weitgehend den Rechtsgrundsätzen, die schon vor dem Inkrafttreten des 6. Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 9. März 1942 (RGBl. I S. 107) von der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts (RVA.) für die Fälle entwickelt worden waren, in denen ohne Bestehen eines dauernden Beschäftigungsverhältnisses durch eine einem versicherten Betriebe dienende Tätigkeit vorübergehend Hilfe geleistet wurde (vgl. RVO-Mitgl.Komm., Bd. III, 2. Aufl., S. 70, Anm. 5 l zu § 544). Bei der Auslegung der Nr. 10 des § 537 RVO ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber durch sie den Umfang des schon bisher durch die Rechtsprechung begründeten Versicherungsschutzes nicht einschränken, sondern vielmehr diese Rechtsübung in eine Norm fassen und dabei der sehr erheblichen Erweiterung des Versicherungsschutzes durch das 6. Änderungsgesetz anpassen wollte (vgl. auch Jantz, AN. 1942 S. 209).

Nach § 537 Nr. 10 RVO in Verbindung mit der Nr. 1 dieses Paragraphen ist gegen Arbeitsunfall versichert, wer zwar nicht auf Grund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses beschäftigt ist (und somit nicht bereits nach Nr. 1 des § 537 RVO unter Versicherungsschutz steht), aber "wie" ein solcher Beschäftigter, sei es auch nur vorübergehend, tätig wird. Daraus ergibt sich, daß die versicherungsrechtliche Beziehung zu demselben Unternehmen nicht gleichzeitig unter Nr. 1 und Nr. 10 des § 537 RVO fallen kann, d. h. daß insoweit eine Anwendbarkeit der Nr. 1 jede Anwendung der Nr. 10 ausschließt (vgl. Brackmann a. a. O., S. 473, Schiedsstelle in BG. 1951 S. 231). Da der Beigeladene in keinem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 537 Nr. 1 RVO zum Kläger gestanden, seine Hilfe mithin nicht auf Grund eines solchen Verhältnisses geleistet hat, hängt die Entscheidung davon ab, welche Voraussetzungen anstelle eines solchen Verhältnisses vorliegen müssen, um den Versicherungsschutz nach § 537 Nr. 10 RVO zu begründen.

Wie in den Fällen, in denen die Beschäftigung nicht auf Grund eines rechtswirksamen Vertrages mit dem Unternehmer ausgeübt wird, ein Versicherungsschutz nach § 537 Nr. 1 RVO trotzdem gegeben ist, wenn - abgesehen von dem für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift notwendigen persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis vom Unternehmer - die Tätigkeit dem Unternehmen förderlich ist und dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, 2. Aufl., S. 39, Anm. 10 zu § 537), so ist auch für die Anwendung des § 537 Nr. 10 RVO erforderlich, daß es sich um eine ernstliche, dem in Betracht kommenden Unternehmen dienende Tätigkeit handelt und daß sie dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht. Nur dann ist es nach den allgemeinen Grundgedanken der sozialen Unfallversicherung gerechtfertigt, den Versicherungsträger, dem das Unternehmen angehört, mit dem Risiko dieser Tätigkeit zu belasten. Wenn also z. B. eine Tätigkeit als unsinnig angesehen werden müßte oder den Interessen des Unternehmens offensichtlich zuwiderliefe, würde hiernach ein Versicherungsschutz jedenfalls aus § 537 Nr. 10 RVO nicht hergeleitet werden können (vgl. Brackmann a. a. O., S. 474 c). Allerdings braucht nicht notwendig ein objektiver Nutzen für das Unternehmen tatsächlich eingetreten zu sein. Eine solche Voraussetzung würde den Versicherungsschutz praktisch immer dann gegenstandslos machen, wenn, wie das häufig der Fall ist, einer Tätigkeit der Erfolg deshalb versagt bleibt, weil ein Unfall eintritt.

Der Ansicht, daß der Versicherungsschutz wesentlich von den Beweggründen, die der Tätigkeit zugrunde liegen, abhängig zu machen und daß er zu verneinen sei, wenn es sich nur um Freundschafts- oder Gefälligkeitsdienste handele (vgl. RVA. in EuM. 50 S. 227; Bayer. LVAmt in Breith. 1951 S. 1121, Amtsbl. des Staatsmin. für Arbeit und soziale Fürsorge 1952 S. B 24), vermag der Senat nicht beizutreten. Abgesehen davon, daß der innere Beweggrund des Handelns praktisch nur selten einwandfrei festgestellt werden kann, ist nicht einzusehen, warum etwa Tätigkeiten aus rein ideellen Motiven unversichert bleiben sollten (vgl. Hess. LSG. in Breith. 1955 S. 475; LSG. Hamburg in Breith. 1956 S. 239; LSG. Baden-Württemberg in NJW. 1957 S. 1575; Teutsch, Das Beschäftigungsverhältnis als Grundlage des ges. UV-Schutzes und des Haftungssonderrechts der Unternehmer, 1953, S. 35 ff.; Sperling in BG. 1957 S. 113). Nach dem Wortlaut des § 537 Nr. 10 RVO kommt es auch nicht auf die Beweggründe, sondern auf die Art der Tätigkeit an. Oft bleibt auch keine Zeit zu Überlegungen, wem der Nutzen einer Tätigkeit zugute kommen soll. Es genügt, daß der vorgestellte Erfolg einer Tätigkeit, wenn er eingetreten wäre, den Unternehmungszweck irgendwie gefördert hätte.

Ob das der Fall ist, hängt von den tatsächlichen Umständen, aber auch von dem Willen des Unternehmers ab. Denn dieser bestimmt den Zweck und damit Art und Umfang des Unternehmens. Maßgeblich sind nicht seine inneren Wünsche und Vorstellungen, wie sie später durch Befragen ermittelt werden könnten, sondern sein Wille, wie er zur Zeit der unfallbringenden Tätigkeit erkennbar ist. Ausdrückliche Anordnungen, Bitten oder Verbote werden selten vorliegen; vielfach läßt sich der Wille aber den Umständen, insbesondere den Vorkehrungen und Einrichtungen des Unternehmens entnehmen. Wenn eine konkrete Willensbetätigung nicht vorliegt, genügt für die Anwendung des § 537 Nr. 10 RVO auch der mutmaßliche Wille, wie er z. B. aus der Interessenlage und dem allgemeinen Unternehmenszweck zu erschließen ist. Im Ausgangstatbestand des § 537 Nr. 1 RVO ist dies selbstverständlich; denn ein moderner Unternehmer kann sich nicht um alle Einzelheiten seines Betriebes selbst kümmern, sondern ist auf die Eigeninitiative seiner Mitarbeiter angewiesen. Der Sinn der sozialen Unfallversicherung verlangt, daß solche Handlungen auch dann Versicherungsschutz genießen, wenn sie nicht von ständigen Mitarbeitern ausgehen, sondern im Falle des § 537 Nr. 10 RVO außerhalb eines regulären Beschäftigungsverhältnisses geleistet werden. Aus diesem Grunde braucht auch nur der Zweck der Tätigkeit dem Willen des Unternehmers zu entsprechen.

Unter Nr. 1 des § 537 RVO fallen Personen, die in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Unternehmer stehen, gleichgültig, ob ein rechtswirksamer Vertrag mit dem Unternehmer besteht (vgl. Lauterbach a. a. O., S. 39, Anm. 10 zu § 537). Die Auffassung, für die Anwendung der Nr. 10 des § 537 RVO müsse ebenfalls ein Abhängigkeitsverhältnis in beiderlei Beziehung vorliegen (vgl. Bayer. LVAmt und Bayer. LSG. im Amtsbl. des Bayer. Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge 1950 S. 17, 1951 S. 63, 1955 S. B 78), würde eine Unterscheidung zwischen den Nummern 1 und 10 praktisch unmöglich machen. Für die Anwendung des § 537 Nr. 10 RVO kann es daher nur darauf ankommen, ob wenigstens eines dieser beiden Abhängigkeitsverhältnisse erforderlich ist. Dies ist zu verneinen.

Ein persönliches Abhängigkeitsverhältnis, wie es sich aus einem Arbeitsverhältnis (§ 537 Nr. 1 RVO) ergibt und kraft dessen der Unternehmer die Art und Weise der Ausführung leitet, braucht nicht vorzuliegen (LSG. Hamburg in Breith. 1956 S. 239; Brackmann a. a. O., S. 473; Sperling a. a. O. - A. M. BGH in BG. 1956 S. 133, in AP zu §§ 898, 899 RVO, Bl. 197, und in NJW. 1957 S. 1319; Bayer. LVAmt in Breith. 1952 S. 550; LSG. Stuttgart in NJW. 1957 S. 1575; Lauterbach a. a. O., Anm. 43 zu § 537; Teutsch a. a. O., S. 25 ff.). Praktisch wird zwar der Tätige dem Unternehmer regelmäßig am besten dienen, wenn er sich den Weisungen des Unternehmers unterstellt. Zuweilen kann jedoch der Unternehmer gar keine Weisungen erteilen, z. B. wenn er oder sein Vertreter abwesend oder nicht sachkundig ist. Zuweilen ist eine Unterordnung auch unnötig, z. B. weil von vornherein kein Zweifel besteht, wie und was zu tun ist. Von solchen zufälligen Umständen des Einzelfalls kann aber der Versicherungsschutz nicht abhängen. Ebenso ist eine wirtschaftliche Abhängigkeit gegenüber dem Unternehmer nicht erforderlich. Sie ist kennzeichnend für die Bindung durch ein dauerndes Arbeitsverhältnis, und sie könnte u. U. bei Dauerverhältnissen (z. B. "ehrenamtlichen" Tätigkeiten) gegeben sein, die unter § 537 Nr. 10 RVO fallen (vgl. hierzu Hess. LSG. in SGb. 1957 S. 58). Gerade bei den typischen Anwendungsfällen des § 537 Nr. 10 RVO, den nur einmaligen, kurzdauernden Tätigkeiten, würde dagegen die Forderung einer wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Unternehmer diese Vorschrift praktisch bedeutungslos machen (vgl. Teutsch a. a. O., S. 17; Brackmann a. a. O., S. 473; Schulze zur Wiesch in BG. 1951 S. 17; Sperling a. a. O.). Die wirtschaftliche Abhängigkeit ist auch nicht mehr im Sinne der Anforderung von Bedeutung, die früher das RVA., vom Begriff des "Arbeiters" (§ 544 Nr. 1 RVO a. F.) ausgehend, gestellt hatte, daß nämlich der vorübergehend Tätigwerdende seiner wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensstellung nach als "Arbeiter" gelten könne. Diese Auffassung, die schon mit der ausdehnenden Entwicklung des Versicherungsschutzes unvereinbar ist, hatte das RVA. selbst bereits längere Zeit vor dem Inkrafttreten des 6. Änderungsgesetzes aufgegeben (vgl. z. B. EuM. 43 S. 335 (337)).

Nicht jede Tätigkeit, die dem Unternehmen dient und dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht, ist nach § 537 Nr. 10 RVO versichert. Es muß eine Tätigkeit sein, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die zu dem Unternehmer in persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit stehen. Die Tätigkeit muß unter solchen Umständen geleistet werden, daß sie einer Tätigkeit auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses (§ 537 Nr. 1 RVO) ähnlich ist. Dazu ist es erforderlich, daß durch sie ein innerer ursächlicher Zusammenhang mit dem unterstützten Unternehmen hergestellt wird (vgl. auch Podzun in ZfS. 1955 S. 273 (275)). Hierfür kommt es wesentlich auf den Einzelfall an. Von Bedeutung kann es im vorliegenden Falle sein, daß das Abladen und das damit zusammenhängende Rangieren sonst im allgemeinen von Arbeitnehmern durchgeführt werden (vgl. Bayer. LSG. in Breith. 1955 S. 698; LSG. Hamburg in Breith. 1956 S. 239; Sperling a. a. O.). Die wirtschaftlich-soziale Stellung des Beigeladenen als Unternehmer steht, wie bereits dargelegt, dem Zusammenhang mit dem Unternehmen des Klägers nicht unbedingt entgegen (RVA. in EuM. 50 S. 226; LSG. Baden-Württemberg in Breith. 1956 S. 792), ist allerdings bei der Abwägung der Umstände zu berücksichtigen (Bayer. LSG. in Amtsbl. des Bayer. Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge 1955 S. B 77). Auch ein Unternehmer kann wie ein Arbeitnehmer tätig sein. Das ist jedoch ausgeschlossen, wenn er im Rahmen seines eigenen Unternehmens tätig wird, d. h. für sein eigenes Unternehmen Tätigkeiten verrichtet, die zum Aufgabenkreis seines Unternehmens gehören; denn in einem solchen Falle handelt er auch dann ausschließlich als Unternehmer seines eigenen Unternehmens, wenn seine Tätigkeit zugleich den Zwecken eines anderen Unternehmens dient (vgl. die Beispiele in den Entscheidungen des LSG. Essen, Breith. 1956 S. 347, des Bayer. LSG., Amtsbl. des Bayer. Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge 1955 S. B 78 und in EuM. 18 S. 89).

Die abschließende Wertung dieser Umstände und damit die Entscheidung über die Voraussetzungen des § 537 Nr. 10 RVO bleibt dem Tatrichter vorbehalten, da die tatsächlichen Feststellungen dazu noch ergänzt werden müssen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Bejaht das LSG. die Anwendbarkeit des § 537 Nr. 10 RVO im vorliegenden Fall, so bedarf es weiterer Prüfung, ob die beklagte Berufsgenossenschaft zur Entschädigung des Beigeladenen zuständig ist. Dies ist nur dann ohne weiteres anzunehmen, wenn der Beigeladene allein nach § 537 Nr. 10 RVO versichert war. Da keine näheren Feststellungen über das Bauvorhaben des Beigeladenen und über Art und Umfang seines Unternehmens getroffen worden sind, kann nicht ausgeschlossen werden, daß seine Tätigkeit mehreren Unternehmen diente und daher zugleich auch auf Grund anderer Vorschriften unter Versicherungsschutz stand. Auf das Bauvorhaben könnte z. B. § 537 Nr. 13 RVO anwendbar sein. Der Beigeladene könnte als Unternehmer nicht gewerbsmäßiger Bauarbeiten nach § 783 Abs. 2 RVO versichert gewesen sein oder die Bauarbeiten im Sinne des § 916 Abs. 2 RVO im Rahmen seines landwirtschaftlichen Betriebs durchgeführt haben. Kommt hiernach ein Versicherungsschutz durch verschiedene Versicherungsträger in Betracht, so sind die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze anzuwenden, nach denen dem Verletzten gegenüber nur ein Versicherungsträger zur Entschädigung verpflichtet ist (RVA. in AN. 1925 S. 188 (190); RGZ. 111 S. 159; RG. in EuM. 40 S. 185; a. M. RGZ. 74 S. 222; vgl. auch BGH. in BG. 1955 S. 263). Diese Rechtsprechung beruht auf dem zwingenden Charakter der Zuständigkeitsregelung und auf der öffentlich rechtlichen Besonderheit, daß die Zuständigkeit zur Entschädigung die Zuständigkeit zum Feststellungsverfahren einschließt. Überdies richtet sich nach der Zuständigkeit auch die Anwendbarkeit des Satzungsrechts und damit u. U. die Höhe des Entschädigungsanspruchs, und das Feststellungsverfahren kann schon aus praktischen Gründen grundsätzlich nur von einem der Versicherungsträger durchgeführt werden. In der Regel ist der Versicherungsträger des Unternehmens zuständig, in dem der Verletzte ständig tätig war (Stammunternehmen; denn dieser Versicherungsträger ist nach dem Grundgedanken des § 634 RVO in erster Linie zur Zahlung verpflichtet (RVA. in AN. 1903 S. 347; RVA. in AN. 1904 S. 195; Schiedsstelle in EuM. 37 S. 444). Die finanzielle Verteilung der Entschädigungslast auf andere Versicherungsträger (§§ 1739 f. RVO) berührt nur das Verhältnis der Versicherungsträger untereinander; auf die Zuständigkeit gegenüber dem Verletzten hat sie keinen Einfluß. Die Grundlagen, von denen das RVA. ausging, sind durch die spätere Rechtsentwicklung nicht überholt (Brackmann a. a. O., S. 474 a; Gunkel in ZfS. 1951 S. 122 (125)). Es ist deshalb daran festzuhalten, daß in der Regel allein der Versicherungsträger des Stammunternehmens zuständig ist. Ein solcher Regelfall liegt insbesondere vor, wenn die Tätigkeit sowohl dem Stammunternehmen als auch dem anderen Unternehmen in nicht unerheblichem Maße gedient hat (RVA. in EuM. 23 S. 185; Schiedsstelle in EuM. 41 S. 206; Schiedsstelle in BG. 1951 S. 231, abw. Schiedsstelle in BG. 1950 S. 57). Dies ist ggf. vom LSG. noch festzustellen.

Zur Aufklärung und Entscheidung der Zuständigkeitsfrage durch das LSG. erscheint die Beiladung der in Betracht kommenden Versicherungsträger zweckmäßig (§ 75 Abs. 1 SGG). Der Vorderrichter wird auch zu prüfen haben, ob es geboten ist, die im Verfahren vor dem Landgericht vernommenen Zeugen vor dem Senat zu hören. Die Revision hat zwar beanstandet, daß das LSG. nicht selbst die Zeugen vernommen, sondern den Inhalt ihrer Aussagen im Wege des Urkundenbeweises aus den Akten des Landgerichts festgestellt hat. Es sind aber von keiner Seite Bedenken gegen die Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser vor einem Gericht abgegebenen Zeugenaussagen geltend gemacht worden. Ihre erneute Vernehmung ist unter diesen Umständen jedenfalls aus den von der Revision angeführten Gründen nicht erforderlich.

Die Entscheidung über die Erstattung der außergerichtlichen Kosten bleibt dem abschließenden Urteil des LSG. vorbehalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2324757

NJW 1958, 158

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