Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 09.11.1960)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. November 1960 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

I

Der Ehemann und Vater der Kläger, der Friseur Paul St., erlag am 8. April 1958 den Folgen eines Motorradunfalls. Er war seit vielen Jahren in dem Friseurunternehmen seines Vaters in Achern als Gehilfe beschäftigt. Am 2. April 1958 nachmittags nahm er im Auftrag seines Vaters an der Beerdigung des Kaufmanns Karl Sch. in Bühl teil. Dieser hatte früher in Achern gewohnt und war langjähriger Kunde des Friseurgeschäftes von St. Er blieb es auch, nachdem er seit etwa 2. Jahren in Bühl ansässig geworden war. Paul Straßburger verunglückte auf der Rückfahrt von der Beerdigung nach Achern tödlich.

Die Beklagte lehnte die Ansprüche der Kläger auf Hinterbliebenenentschädigung mit der Begründung ab, die Teilnahme an der Beerdigung eines Geschäftskunden entspreche rein persönlichen Motiven und stehe daher mit der versicherten Tätigkeit nicht in innerem Zusammenhang.

Hiergegen haben die Kläger rechtzeitig Klage erhoben und geltend gemacht, ihr Ehemann und Vater habe an der Trauerfeier für den verstorbenen Kunden Sch. im geschäftlichen Auftrag seines Vaters teilgenommen. Das Sozialgericht (SG) Karlsruhe hat über die Beweggründe für die Teilnahme Paul St. an dieser Beerdigung Beweis erhoben. Durch Urteil vom 10. September 1959 hat das SG die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, den Klägern die gesetzlichen Leistungen zu gewähren, und zur Begründung ausgeführt: Der Vater des Verunglückten habe an der Beisetzung seines Kunden aus geschäftlichen Rücksichten vertreten sein wollen und daher seinen Sohn in Ausfluß dessen Zugehörigkeit zu dem Friseurunternehmen mit der Teilnahme an der Beerdigung beauftragt. Der Umstand, daß er nicht einen familienfremden Angestellten beauftragt habe, zwinge nicht zu der Annahme, daß es sich bei der Teilnahme an der Beerdigung um einen in der Familiengemeinschaft begründeten Gelegenheitsdienst gehandelt habe.

Auf die rechtzeitige Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 9. November 1960 die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Für einen Unternehmer sei die Teilnahme an der Beerdigung eines Geschäftskunden grundsätzlich eine unternehmensfremde Tätigkeit. Im vorliegenden Falle bestehe kein Anhalt für die Annahme, daß die Teilnahme Paul St. an der Beisetzung des Kaufmanns Sch. bestimmten betrieblichen Erfordernissen entsprochen habe. Straßburger sei zwar im Auftrag seines Vaters, bei dem er beschäftigt war, zu der Beerdigung gefahren. Er sei dabei aber nicht als dessen Arbeitnehmer, sondern als Mitglied der Familie aufgetreten. Das erkläre sich schon aus der jahrelangen Bekanntschaft seines Vaters und des verstorbenen Kunden, die zu persönlichen Beziehungen zwischen beiden geführt habe. Daraus sei für seinen Vater als den Geschäftsinhaber die gesellschaftliche und sittliche Verpflichtung erwachsen, seine menschliche Anteilnahme anläßlich der Beerdigung dieses Kunden zu bezeugen. Da der Vater selbst an der Teilnahme verhindert gewesen sei, seien für seine Vertretung seine ebenfalls im Geschäft tätige Ehefrau und sein Sohn in Betracht gezogen worden. Schließlich habe er den Sohn beauftragt. Da dieser sich natürlicher Anschauung entsprechend der Pflicht nicht als Beschäftigter seines Vaters, sondern als Angehöriger der Familie unterzogen habe, sei der Versicherungsschutz für ihn aus Anlaß der Teilnahme an der Beerdigung weder aus § 537 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) noch aus § 544 RVO herzuleiten.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das Urteil, das am 6. Dezember 1960 zugestellt worden ist, haben die Kläger am 9. Dezember 1960 Revision eingelegt und sie gleichzeitig begründet. Sie haben ausgeführt; Paul St. sei von seinem Vater als dessen Arbeitnehmer innerhalb der Arbeitszeit zu der Beerdigung des Kunden geschickt worden. Auf Grund dieses Auftrages, auf den es allein ankomme, habe er eine Tätigkeit ausgeübt, die er dem, Vater als seinem Arbeitgeber abgenommen habe. Eine solche Verrichtung sei stets versichert. Welcher Art. die Zwecke gewesen seien, die der Arbeitgeber dabei verfolgt habe, sei unerheblich. Auf jeden Fall habe für den Verunglückten die Teilnahme an der Beerdigung nichts Familiäres bedeutet, da er zu dem Verstorbenen keine persönlichen Beziehungen gehabt habe.

Die Kläger beantragen,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen und gesetzliche Leistungen zu gewähren,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie pflichtet der Begründung des angefochtenen Urteils bei.

 

Entscheidungsgründe

II

Die durch Zulassung statthafte Revision ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, somit zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.

Die Entscheidung über den Anspruch der Kläger auf Hinterbliebenenentschädigung hängt davon ab, ob die Teilnahme Paul St. an der Beerdigung eines Kunden des Friseurgeschäfts seines Vaters eine versicherte Tätigkeit in diesem Unternehmen war. Dies hat der erkennende Senat in Übereinstimmung mit dem LSG verneint.

Nach den das Revisionsgericht gemäß § 165 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindenden tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil ist Paul St. zu der Beerdigung im Auftrag seines Vaters gefahren, der durch seinen Sohn bei der Bestattung seines langjährigen Kunden vertreten sein wollte. Das LSG ist bei der Beurteilung der Frage des Versicherungsschutzes des Verunglückten anläßlich dieser Fahrt zutreffend davon ausgegangen, daß die Teilnahme an einer Beerdigung ihrem Wesen nach grundsätzlich dem unversicherten persönlichen. Lebensbereich des Versicherten zuzurechnen ist. Der Entschluß, an einer Beerdigung teilzunehmen, wird im allgemeinen, soweit für ihn nicht wegen einer besonders nahen persönlichen Beziehung zu dem Verstorbenen oder dessen Angehörigen als Motiv der Teilnahme nur die rein menschliche Anteilnahme an dem Schicksal der Betroffenen in Betracht kommt, durch die Rücksicht auf gesellschaftliche, in Sitte und religiöser Bindung wurzelnde Anschauungen bestimmt. Aus Pietät gegenüber den Angehörigen des Verstorbenen und zu dessen ehrendem Gedenken wird in der Regel auch ein Unternehmer handeln, der an der Beisetzung eines ihm durch geschäftliche Beziehungen vertraut gewordenen Kunden teilnimmt oder sich im Verhinderungsfalle durch eine geeignete Person vertreten läßt. Dies gilt besonders auch für ländliche und kleinstädtische Lebensverhältnisse. Um die Annahme zu rechtfertigen, daß die Teilnahme an einer Beerdigung in rechtlich wesentlichem Umfange auch Zwecken des versicherten Unternehmens diente, bedarf es deshalb besonderer Umstände, die einen derartigen inneren Zusammenhang begründen.

Geschäftliche Rücksichten, etwa der Bedacht auf die Pflege des geschäftlichen Ansehens, reichen hierfür grundsätzlich nicht aus (vgl. BSG 1, 258 ff). Sicherlich haben im vorliegenden Fall solche Rücksichten, wie offenbar auch die Revision dartun will, den Entschluß des Vaters des Verunglückten, bei der Beerdigung seines Kunden Sch. wenigstens vertreten zu sein, mit veranlaßt. Sie genügen aber nach der Auffassung des erkennenden Senats für die Begründung des angeführten erforderlichen inneren Zusammenhangs mit dem Unternehmen nicht. Das gilt vor allem auch von dem Umstand, daß die persönlichen Beziehungen zwischen dem Vater des Verunglückten und dem Verstorbenen Sch. auf einer langjährigen Geschäftsbekanntschaft beruhten. Derartige Umstände, die sich in der Rücksichtnahme auf bisherige Geschäftsbeziehungen sowie etwa in der Erwartung erschöpfen, daß sich die Teilnahme an der Beerdigung für die Erhaltung geschäftlicher Beziehungen zu den Angehörigen des Verstorbenen förderlich erweise, treten nach der Ansicht des erkennenden Senats neben den zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Beweggründen für die Teilnahme an der Beisetzungsfeier nicht so stark in den Vordergrund, daß sich aus ihnen allein ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang mit dem versicherten Unternehmen ergibt. Diese Auffassung steht mit den Grundsätzen im Einklang, die der erkennende Senat in seiner oben angeführten Entscheidung (BSG 1, 258 ff) zur Frage des Versicherungsschutzes eines Unternehmers bei an sich unternehmensfremden, aber von geschäftlichen Beweggründen beeinflußten Tätigkeiten entwickelt hat. Hiervon bei der Beurteilung des vorliegenden Falles abzuweichen, bietet auch das Vorbringen der Revision keinen Anlaß. Im Sinne ihrer Darlegungen zu entscheiden, d. h. unter Verzicht auf einen engen inneren Zusammenhang bloße geschäftliche Rücksichten der angeführten Art. für die Zurechnung der Teilnahme an einer Beerdigung zu dem versicherten Unternehmen genügen zu lassen, würde dazu führen, den Versicherungsschutz entgegen dem Grundgedanken der gesetzlichen Unfallversicherung auf einen weiten Teil der privaten Lebenssphäre auszudehnen.

Hiernach wäre die Teilnahme des Vaters des Verunglückten an der Beerdigung Sch. nicht einer versicherten Unternehmertätigkeit zuzurechnen. Aus den gleichen Gründen hat der Sohn an dieser Beerdigung nicht im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 557 Nr. 1 RVO als Friseurgehilfe teilgenommen. Seine Fahrt zu der Beerdigung des Geschäftskunden war keine Tätigkeit, die unmittelbar zu den beruflichen Verrichtungen eines Friseurgehilfen gehören. Wenn er von seinem Vater zu der Teilnahme an der Beisetzung auf Grund des Beschäftigungsverhältnisses beauftragt worden wäre, könnte für ihn allerdings Versicherungsschutz nach § 544 RVO begründet sein, da er dann von seinem Vater als dem Unternehmer kraft des bestehenden Arbeitsverhältnisses zu einem anderen Dienst im Sinne dieser Vorschrift herangezogen worden wäre (vgl. RVO-Mitgl.-Komm. Bd III 2. Aufl. S. 88 Anm. 7 zu dem dieser Vorschrift entsprechenden früheren § 546 RVO). Diese Voraussetzung ist hier aber nicht gegeben.

Der insoweit vom Berufungsgericht festgestellte, von der Revision in tatsächlicher Hinsicht auch nicht bezweifelte Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, daß der Verstorbene Sch. ein langjähriger, dem Geschäftsinhaber persönlich vertrauter Kunde war. Hieraus hat das Berufungsgericht mit Recht die Schlußfolgerung gezogen, daß nur ein naher Angehöriger der Familie der aus der persönlichen Beziehung zu dem ehemaligen Kunden erwachsenen Verpflichtung zur Teilnahme an der Beerdigung gerecht werden konnte. Dies bedeutet, daß der mit der Vertretung des Vaters bei der Beisetzung beauftragte Sohn nicht als Arbeitnehmer eine Weisung seines Arbeitgebers befolgte, als er diesen Auftrag ausführte, sondern als Sohn ein Anliegen seines Vaters besorgte. Diese Betrachtungsweise entspricht nach der Auffassung des erkennenden Senats auch der natürlichen Anschauung. Dem steht nach der Ansicht des erkennenden Senats auch nicht entgegen, daß der Sohn, wie es die Zeitverhältnisse im Friseurbetrieb geboten, unmittelbar von der Arbeit weggeschickt worden ist. Das LSG hat daher bei der rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts der abweichenden Zeugenbekundung des Vaters des Verunglückten, der seinem Sohn den Auftrag zur Teilnahme an der Beerdigung Sch. in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber erteilt haben will, weil dafür geschäftliche Rücksichten maßgebend gewesen seien, zu Recht keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen. Daran ändert auch nichts, daß sich der Sohn dem Auftrag zur Teilnahme an der Beerdigung nach Lage der Umstände schwerlich entziehen konnte; das hatte naturgemäß seinen ausschlaggebenden Grund in dem nahen Verwandtschaftsverhältnis zu dem Auftraggeber und nicht in dem Arbeitsverhältnis. § 544 RVO bezweckt lediglich den Schutz des Arbeitnehmers, der sich Weisungen seines Arbeitgebers nicht entziehen kann (vgl. BSG 1, 262).

Die Revision verkennt, daß möglicherweise die Rechtslage anders zu beurteilen ist, wenn der gleiche Auftrag einem familienfremden Angehörigen des Friseurgeschäfts erteilt worden wäre. Trifft eine Verpflichtung der hier streitigen Art. aber einen Beschäftigten, der – wie hier – zugleich in naher verwandtschaftlicher Beziehung zu dem Unternehmer steht, so ist entgegen der Auffassung der Revision bei Dienstleistungen, die ihrem Wesen nach unternehmensfremd sind, sorgfältig abzuwägen, in welcher der beiden möglichen Eigenschaften der Betreffende zu einer solchen Dienstleistung herangezogen wird.

Hiernach war die Revision als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Unterschriften

Brackmann, Demiani, Hunger

 

Fundstellen

Haufe-Index 929566

BSGE, 193

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