Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufswechsel wegen Allergie

 

Beteiligte

… Klägerin und Revisionsbeklagte

Bundesanstalt für Arbeit,Nürnberg, Regensburger Straße 104, Beklagte und Revisionsbeklagte

Landesausführungsbehörde für Unfallversicherung Rheinland-Pfalz,Andernach, Ludwig-Hillesheim-Straße 3, Revisionsklägerin

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob die Klägerin, die ihren bisherigen Beruf wegen einer hier zutage getretenen Hautallergie nicht mehr ausüben kann, Anspruch darauf hat, für einen Beruf umgeschult zu werden, in dem sie wegen der Allergie nicht alle in Betracht kommenden Arbeiten ausführen kann.

Die Klägerin hatte während ihrer Ausbildung zur Hauswirtschafterin erhebliche Hautprobleme bei Berührung mit Wasser und Haushaltschemikalien. Schon vor Abschluß ihrer Prüfung im Juni 1988 beantragte sie beim Arbeitsamt, eine dreijährige Umschulung zur staatlich geprüften Erzieherin zu fördern. Nach Besprechungen mit Bediensteten des Arbeitsamtes, in denen ihr von dieser Umschulung abgeraten wurde, begann sie an einer Fachschule für Sozialwesen mit dem Unterricht im August 1988. Die Beklagte lehnte den Förderungsantrag mit der Begründung ab, die Klägerin sei den physischen Belastungen des angestrebten Berufs voraussichtlich nicht gewachsen (Bescheid vom 31. Oktober 1988, Widerspruchsbescheid vom 1. März 1989).

Das Sozialgericht (SG) Koblenz hat nach mehreren Gutachten, in denen die Allergie als beruflich bedingte schwere Hautkrankheit angesehen wurde, den zuständigen Unfallversicherungsträger, die Landesausführungsbehörde für Unfallversicherung, beigeladen. Es hat die Beigeladene verurteilt, die Umschulung für zwei Jahre zu fördern (Urteil vom 28. Juni 1990). Im übrigen, nämlich hinsichtlich des Antrags auf dreijährige Förderung und des Antrags auf Verurteilung der beklagten Bundesanstalt, hat es die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen zurückgewiesen (Urteil vom 8. März 1991). Es bestehe keine beachtliche Gefahr, daß die Klägerin in dem angestrebten Beruf mit Stoffen in Berührung komme, die die Hautkrankheit wieder auslösen könnten. Aus der Auskunft des Leiters der Fachschule für Sozialwesen - Bildungsgang Erziehung - ergebe sich, daß die Klägerin gute Aussichten besitze, eine Anstellung in einem Heim der Jugendhilfe zu finden. In solchen Heimen seien die Erziehungskräfte von Reinigungsarbeiten im allgemeinen durch genügend Hauswirtschaftskräfte weitgehend entlastet. Die Klägerin sei voraussichtlich nicht genötigt, in Kindergärten, Kinderhorten oder Kindertagesstätten tätig zu sein, wo vielleicht auch von den Erziehungskräften Reinigungsarbeiten verlangt würden.

Gegen dieses Urteil hat die Beigeladene die vom LSG zugelassene Revision eingelegt.

Sie beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz und des Sozialgerichts Koblenz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beigeladenen zurückzuweisen.

Die Beklagte stellt keinen Antrag, unterstützt aber den Vortrag der Beigeladenen.

Die Beteiligten sind mit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

II

Die Revision der beigeladenen Landesausführungsbehörde für Unfallversicherung ist begründet. Weder sie noch die beklagte Bundesanstalt ist verpflichtet, die von der Klägerin gewählte Umschulung zu fördern.

Die Umschulung der Klägerin zur Erzieherin ist kein geeignetes Mittel der Berufshilfe iS des § 556 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO), der als Anspruchsgrundlage gegen die Beigeladene in Betracht kommt. Die tatsächlichen Feststellungen des LSG schließen das aus. Das LSG ist aufgrund dieser Feststellungen nur deshalb zu dem gegenteiligen Ergebnis gekommen, weil es den Begriff der Geeignetheit in der genannten Vorschrift anders versteht als der Senat. Das LSG ist der Auffassung, im Falle einer berufsbedingten schweren Hautkrankheit, die eine Umschulung notwendig macht, sei die Umschulung zu jedem Beruf geeignet, wenn keine Gefahr bestehe, daß der Versicherte in diesem Beruf genötigt sei, mit den für ihn unverträglichen Stoffen (Allergenen) umzugehen. Dazu genüge es, wenn der Versicherte in einem Teilbereich des neuen Berufsfeldes voraussichtlich Arbeitsstellen finden werde, in denen der Umgang mit diesen Stoffen nicht verlangt werde. Es sei nicht erforderlich, daß sich die Umschulung auf einen Beruf richte, in dem typischerweise oder mehrheitlich Arbeitsstellen angeboten werden, die für den Versicherten ungefährlich seien.

Diese Auffassung wird dem Zweck des Gesetzes nicht gerecht, nur geeignete Maßnahmen der Berufshilfe zu fördern. Welche Hilfen geeignet sind, richtet sich für alle Träger beruflicher Rehabilitation nach § 11 Rehabilitationsangleichungsgesetz (RehaAnglG), worin das Rehabilitationsziel festgelegt ist. Die Behinderten sollen mit den erforderlichen Mitteln auf Dauer beruflich eingegliedert werden, indem ihre Erwerbsfähigkeit gebessert oder (wieder)hergestellt wird. Damit ist die volle Erwerbsfähigkeit gemeint, soweit dies irgend erreichbar ist, damit im größtmöglichen Umfang die Eingliederung auf Dauer gesichert wird (vgl BSG SozR 4100 § 56 Nr 8; grundlegend SozR 2200 § 1237a Nr 6). Die Umschulung (§ 567 Abs 1 Satz 1 Nr 3 RVO) soll den Versicherten nicht nur befähigen, eine konkrete gesundheitsverträgliche Beschäftigung in dem geförderten Beruf zu finden. Mit der Umschulung wird vielmehr das Ziel verfolgt, den Versicherten instand zu setzen, die bei der Umschulung erlernten Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem ganzen Berufsfeld uneingeschränkt zu verwerten, das durch die Umschulung eröffnet wird. Denn nur dann ist der Versicherte auf dem Arbeitsmarkt in ausreichendem Maße wettbewerbsfähig. Einer Reduktion dieses umfassenden Ziels auf einen Teilbereich beruflicher Beschäftigungsmöglichkeiten braucht der Rehabilitationsträger nur zuzustimmen, wenn die Einschränkung für die übrigen in Betracht kommenden Umschulungsberufe in etwa gleich schwerwiegend ist.

Daß die möglichst uneingeschränkte berufliche Eingliederung Sinn der beruflichen Rehabilitation ist, wird auch durch die hier anzuwendende Vorschrift der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) vom 20. Juni 1968 (BGBl I S 721) idF der Verordnung vom 22. März 1988 (BGBl I S 400) bestätigt. Nach Nr 5101 der Anlage 1 der BKVO sind einschlägige Berufskrankheiten nur "schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Im Recht der beruflichen Rehabilitation bedeutet diese Vorschrift, daß eine Verpflichtung des Unfallversicherungsträgers zur Umschulung grundsätzlich nur dann besteht, wenn sich die Umschulung auf einen Beruf richtet, in dem der Umgang mit den bekannten Allergenen ausgeschlossen erscheint. Das zeigt nicht nur die ursprüngliche Fassung der Verordnung, wonach eine Berufskrankheit nur vorlag, wenn ihretwegen die berufliche Beschäftigung (oder jede Erwerbsarbeit) aufgegeben werden mußte (vgl Nr 46 der Anlage 1 zur 7. BKVO in der bis zum 31. Dezember 1976 geltenden Fassung), sondern auch die Änderung dieser Vorschrift durch die Verordnung vom 8. Dezember 1976 (BGBl I 3329). Danach wird nicht mehr wie bisher der Zwang zur "Aufgabe" einer bestimmten "beruflichen Beschäftigung" vorausgesetzt, sondern ausdrücklich die - durch Krankheit erzwungene - "Unterlassung aller (die Krankheit verursachenden) Tätigkeiten", und zwar auch solcher, die dem Arbeitsplatz nicht das bestimmende Gepräge gegeben haben (BSG SozR 2200 § 551 Nr 21; vgl zur Bedeutung der durch die VO vom 8. Dezember 1976 eingetretenen Änderung Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd II, Stand Juni 1982 S 492g ff). Damit ist auch klargestellt, daß Leistungen der Berufshilfe in diesen Fällen grundsätzlich nur dann zu gewähren sind, wenn der Versicherte die Ausbildung für ein Berufsspektrum anstrebt, in dem die gefährdenden Tätigkeiten möglichst vollständig und auf Dauer zu vermeiden sind. Denn sonst würde in einem Teil der Berufe, für die der Versicherte die erforderlichen Fachkenntnisse durch die Umschulung erhält, die Berufskrankheit sogleich wieder ausgelöst.

Gewiß kann das Ziel der uneingeschränkten Wettbewerbsfähigkeit in dem angestrebten Beruf nicht immer erreicht werden. Es mag Fälle geben, in denen kein Berufsfeld vorhanden ist, auf dem alle Beschäftigungen von dem Versicherten risikolos aufgenommen werden könnten. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Auch ohne ausdrückliche Feststellung kann davon ausgegangen werden, daß es viele Berufe gibt, in denen die Klägerin nicht von Berufs wegen mit Wasser und Haushaltschemikalien in Berührung kommt. Zu denken ist etwa an den weiten Bereich der Büroberufe.

Die Klägerin hat somit nur einen Anspruch auf eine Umschulung, die ihre einschränkungslose Wiedereingliederung in das Berufsleben ermöglicht. Das ist nach den Feststellungen des LSG bei der Umschulung zur Erzieherin nicht der Fall. Die Klägerin müßte bei ihren Bewerbungen solche beruflichen Stellungen ausschließen, in denen nach der jeweiligen Arbeitsgestaltung - etwa in einem Kinderheim oder Kindergarten - auch eine Erzieherin hin und wieder mit Reinigungsmitteln arbeiten muß. Das ist besonders dann der Fall, wenn wegen des geringen Umfangs einer solchen Einrichtung oder wegen der Arbeitsmarktlage Reinigungs- und Hauswirtschaftspersonal nicht oder nicht in gewünschtem Umfang zur Verfügung steht und die Erzieherinnen selbst mit Hand anlegen müssen.

Entgegen der Meinung des LSG ist die Einschränkung der Klägerin in der Auswahl der in Betracht kommenden Arbeitsstellen nicht deshalb hinzunehmen, weil diese Arbeiten nicht über das hinausgehen, was in einem privaten Haushalt anfällt. Denn für das Wiederaufleben der Krankheit durch Tätigkeit im eigenen Haushalt hat die Versichertengemeinschaft nicht einzutreten (zu einer Ausnahme vgl § 777 Nr 2 RVO). Umgekehrt muß die Unfallversicherung auch dann Leistungen gewähren, wenn Hautschäden durch einen Umgang mit Reinigungsmitteln entstehen, der zwar nicht über den Umfang hinausgeht, wie er im eigenen Haushalt des Versicherten üblich ist, jedoch beruflich verursacht ist.

Die verfahrensrechtlich zulässige Verurteilung der beklagten Bundesanstalt anstelle des beigeladenen Unfallversicherungsträgers ist aus sachlich-rechtlichen Gründen ausgeschlossen. Ist eine Umschulung, wie hier, nicht iS des § 556 Abs 1 RVO geeignet, so ist sie auch nicht iS des § 56 des Arbeitsförderungsgesetzes erforderlich; denn nach beiden Vorschriften muß die Umschulung die dauerhafte Eingliederung bezwecken (vgl § 11 Abs 1 RehaAnglG), die erst bei einer vollen Eignung für das gesamte Berufsbild des angestrebten Berufs gewährleistet erscheint.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517881

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