Leitsatz (amtlich)

Ist die Witwenrente der Witwe eines Versicherten wegen Wiederheirat weggefallen und erhält die Witwe eine Witwenrentenabfindung, so entsteht der Anspruch einer früheren Ehefrau des Versicherten auf Hinterbliebenenrente nach RVO § 1265 S 2 erst nach Ablauf von 5 Jahren seit der Wiederheirat der Witwe und nur dann, wenn inzwischen der Anspruch auf Witwenrente nicht wieder aufgelebt ist. Lebt später der Anspruch auf Witwenrente wieder auf, so kann die Hinterbliebenenrente nicht weitergewährt werden.

 

Normenkette

RVO § 1265 S. 2 Fassung: 1965-06-09, § 1291 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23, Abs. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1302 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 30. November 1967 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres von ihr geschiedenen Ehemannes W R. Sie meint, eine "Witwenrente sei nicht zu gewähren", nachdem die Witwe des Versicherten eine Witwenrentenabfindung erhalten habe (§ 1265 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -).

Die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten wurde 1942 aus Alleinverschulden des Versicherten rechtskräftig geschieden. Der Versicherte heiratete 1943 wieder. Er starb am 11. November 1960. Die Witwe erhielt Witwenrente. Sie schloß am 26. September 1962 eine neue Ehe. Darauf gewährte ihr die Beklagte eine Witwenrentenabfindung (Bescheid vom 12. Oktober 1962).

Die Klägerin hatte bereits 1964 Hinterbliebenenrente nach § 1265 RVO beantragt und dabei vorgebracht, sie habe zuletzt 1957 durch Pfändung Unterhalt von dem Versicherten erlangt; spätere Pfändungen seien fruchtlos geblieben; der Versicherte habe den Offenbarungseid geleistet; ihr Einkommen habe im letzten Jahr vor dem Tode des Versicherten aus einer Rente von monatlich 121,30 DM bzw. 127,50 DM bestanden. Die Beklagte hatte diesen Antrag abgelehnt, da die Voraussetzungen des § 1265 RVO nicht erfüllt seien (Bescheid vom 12. Juni 1964). Die Klägerin hat diesen Bescheid nicht angefochten.

Im Dezember 1965 beantragte die Klägerin erneut Hinterbliebenenrente nach § 1265 RVO. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 5. April 1966 wiederum ab; auch nach dem inzwischen in Kraft getretenen Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) bestehe kein Anspruch weil beim Tode des Versicherten eine Witwe vorhanden gewesen sei.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 2. Februar 1967), das Landessozialgericht (LSG) Berlin die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 30. November 1967). Das LSG hat die erste Voraussetzung des § 1265 Satz 2 RVO für gegeben erachtet; eine Verpflichtung des Versicherten, der Klägerin zur Zeit seines Todes Unterhalt zu leisten, habe wegen seiner Vermögens- und Einkommensverhältnisse nicht bestanden, da er nur eine Rente von monatlich 191,30 DM einschließlich zweier Kinderzuschüsse bezogen habe, mithin nicht unterhaltsfähig gewesen sei. Es hat zur zweiten Voraussetzung des § 1265 Satz 2 RVO, daß eine Witwenrente nicht zu gewähren ist, offengelassen, ob insoweit auf den Zeitpunkt des Todes des Versicherten als des Versicherungsfalles abzustellen sei. Wenn die Zeit des Todes des Versicherten nicht ausschlaggebend sei, sei der geschiedenen Frau Rente nur zuzubilligen, wenn sich der Anspruch der Witwe dadurch nicht verschlechtern könne. Eine Witwenrente sei nur dann nicht zu gewähren, wenn die Verpflichtung zu ihrer Zahlung endgültig entfalle. Der fünffache Jahresbetrag der Abfindung, der sich begriffsmäßig aus den zu gewährenden Rentenleistungen für fünf Jahre zusammensetze, stelle den Ersatz für die laufende Rentenleistung dar, den die Witwe für den Fall der Wiederverheiratung frei wählen könne. Er sei der sonst bis zum Tode der Witwe zu gewährenden Witwenrente gleichzusetzen. Nach der Abfindung erlöschen nur die Einzelleistungen der Rente für fünf Jahre; denn der Anspruch auf Witwenrente lebe unter den Voraussetzungen des § 1291 Abs. 2 RVO wieder auf. Der Wegfall der Witwenrente bei Wiederheirat sei deshalb nicht endgültig.

Die Klägerin hat Revision eingelegt und beantragt die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 5. April 1966 aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung von Hinterbliebenenrente ab 1. Juli 1965 zu verurteilen.

Die Klägerin ist der Auffassung, es komme zwar darauf an, ob der Anspruch der Witwe auf Witwenrente durch Gewährung von Hinterbliebenenrente gemäß § 1265 RVO beeinträchtigt werde. Dies sei hier aber nicht der Fall. Der Anspruch auf Witwenrente sei durch Wiederverheiratung erloschen; er ruhe nicht nur. Die Abfindung stelle keinen Ersatz für die zu gewährenden Rentenleistungen dar. Sie löse die Rente nicht ab, denn diese sei bereits mit der Wiederverheiratung weggefallen. Die Abfindung beruhe auf sozialen und sozialpolitischen Erwägungen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist begründet.

Der durch das RVÄndG dem § 1265 RVO angefügte Satz 2 ist hier für die Zeit seit dem 1. Juli 1965 heranzuziehen; denn er gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem 1. Juli 1965, aber nach dem 31. Dezember 1956 eingetreten sind (Art. 1 § 1 Nr. 27, Art. 5 § 4 Abs. 2 Buchst. a, § 6 Satz 3 § 10 Abs. 1 Buchst. e RVÄndG). Der Versicherungsfall - Tod des Versicherten - ist 1960 eingetreten.

§ 1265 Satz 2 RVO bestimmt: "Ist eine Witwenrente nicht zu gewähren findet Satz 1 auch dann Anwendung, wenn eine Unterhaltsverpflichtung wegen der Vermögens- oder Erwerbsverhältnisse des Versicherten nicht bestanden hat".

Zur Auslegung der Worte "Ist eine Witwenrente nicht zu gewähren", hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 28. Mai 1968 (SozR Nr. 43 zu § 1265 RVO) entschieden. daß für das Vorliegen dieser Voraussetzung nicht der Zeitpunkt des Todes des Versicherten maßgebend ist, sondern die Zeit, für die die Rente nach § 1265 RVO begehrt wird. Der Senat sieht keine hinreichenden Gründe, hiervon abzuweichen.

Im vorliegenden Falle wird für die Zeit seit dem 1. Juli 1965, für welche die Klägerin Hinterbliebenenrente begehrt. - unter der Voraussetzung, daß die Witwenrente nicht etwa gemäß § 1291 Abs. 2 RVO wiederaufgelebt ist - eine Witwenrente in der Tat nicht gewährt.

Es geht auch nicht an, zu meinen, wenn auch eine Witwenrente nicht gewährt werde, so sei doch die Witwenrentenabfindung, welche die Witwe erhalten habe, an die Stelle der Witwenrente getreten und deshalb, als ihr Surrogat, einer laufenden für alle Zukunft gewährten Witwenrente gleichzuachten. Diese Meinung kann deshalb nicht gebilligt werden, weil die Witwenrentenabfindung eine Kapitalabfindung, wie sie etwa in den §§ 603 ff RVO vorgesehen ist und als Surrogat der Rente anzusehen sein mag, nicht darstellt und schon deswegen nicht darstellen kann, weil die Witwenrente gemäß § 1291 Abs. 1 RVO durch die Wiederheirat der Witwe wegfällt, so daß eine zu kapitalisierende Rente nicht besteht. Mit der in § 1302 RVO vorgesehenen Witwenrentenabfindung verfolgt der Gesetzgeber vielmehr ganz andere sozialethische und sozialpolitische Zwecke als die Ersetzung der Witwenrente durch eine Kapitalabfindung als ihr Surrogat; durch sie soll bekanntlich eine neue Eheschließung der Witwen erleichtert und damit den sogenannten Rentenkonkubinaten entgegengewirkt werden.

Ebensowenig kann das Vorliegen der Voraussetzung, daß eine Witwenrente nicht gewährt wird, wegen der bloßen Möglichkeit verneint werden, daß die Witwenrente unter bestimmten Voraussetzungen wiederauflebt, solange dies nicht geschehen ist.

Andererseits würde es aber nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, der früheren Ehefrau des Versicherten schon von dem Zeitpunkt an. in dem der Witwe wegen Wiederheirat eine Witwenrente nicht gewährt wird, beim Vorliegen der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen Hinterbliebenenrente zuzubilligen. Die Auslegung des § 1265 Satz 2 RVO im Sinne des Gesetzgebers erfordert die Berücksichtigung des Sinnes und Zweckes, den diese Vorschrift im Gesamtzusammenhang des Gesetzes, insbesondere auch in Zusammenhang mit § 1268 Abs. 4 RVO, erkennbar hat.

§ 1265 Satz 2 RVO soll die Rechtsstellung der früheren Ehefrau insofern verbessern, als ihr Anspruch auf Hinterbliebenenrente nicht mehr daran scheitern soll, daß eine Unterhaltsverpflichtung des Versicherten wegen seiner Unterhaltsunfähigkeit nicht bestanden hat. Damit diese Erleichterung der Entstehung eines Hinterbliebenenrentenanspruchs der früheren Ehefrau nicht auf dem Wege über § 1268 Abs. 4 RVO - wonach die Witwe und die frühere Ehefrau die Witwenrente untereinander teilen müssen - zu einer Verschlechterung der Rechtslage der Witwe führt, greift sie nur dann Platz, wenn eine Witwenrente nicht zu gewähren ist. Unberührt gelassen hat das RVÄndG aber die Vorschrift des § 1268 Abs. 4 RVO. Nach alledem hat sich der Gesetzgeber des RVÄndG von der dreifachen Absicht leiten lassen die Rechtsstellung der früheren Ehefrau des Versicherten zu verbessern, diese Verbesserung aber nicht auf Kosten der Witwe des Versicherten gehen zu lassen und schließlich an dem Grundsatz festzuhalten, daß der Versicherungsträger und damit die Versichertengemeinschaft nach dem Tode eines Versicherten, der wiederholt verheiratet war, insgesamt nur durch eine einzige Witwenrente an hinterbliebene ehemalige Ehegatten belastet werden soll. Die Versichertengemeinschaft wird durch die Einfügung des Satzes 2 in § 1265 RVO nur insoweit mehr belastet, als unter Umständen Hinterbliebenenrente für eine längere Zeit als nach bisherigem Recht gewährt werden muß.

Von diesen drei Leitgedanken, die bei der Einfügung des Satzes 2 des § 1265 RVO maßgebend gewesen sind, würde der letzte nicht beachtet werden, wenn der Versicherungsträger bei Wiederheirat der Witwe sowohl das Fünffache des Jahresbetrages der bisher von ihr bezogenen Witwenrente als Abfindung gemäß § 1302 Abs. 1 RVO gewähren müßte als auch von der Wiederheirat der Witwe und dem damit gemäß § 1291 Abs. 1 RVO verbundenen Wegfall der Witwenrente an der früheren Ehefrau die ungekürzte Hinterbliebenenrente. Dies würde praktisch auf eine Doppelleistung von Rente sowohl an die Witwe als auch an die frühere Ehefrau für fünf Jahre hinauslaufen. Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, der früheren Ehefrau des Versicherten vor Ablauf des Zeitraums von fünf Jahren seit der Wiederheirat der Witwe Hinterbliebenenrente zu gewähren (vgl. auch die Verteilung einer gewährten Witwenrentenabfindung auf fünf Jahre (60 Monate) nach der Wiederheirat beim Wiederaufleben der Witwenrente gemäß § 1291 Abs. 2 Satz 2 RVO).

Auch nach Ablauf von fünf Jahren seit der Wiederheirat der Witwe entsteht ein Anspruch der früheren Ehefrau auf Hinterbliebenenrente naturgemäß nur dann, wenn dann nicht schon wieder eine gemäß § 1291 Abs. 2 RVO wiederaufgelebte Witwenrente zu gewähren ist. Ist später eine wiederaufgelebte Witwenrente zu gewähren, so kann die Hinterbliebenenrente nicht weitergewährt werden. Der Einwand, das Gesetz sehe keinen Wegfallgrund für die Hinterbliebenenrente der früheren Ehefrau vor, wenn die Witwenrente wiederauflebe, überzeugt nicht. Mit dem Wegfall der Anspruchsvoraussetzung "Ist eine Witwenrente nicht zu gewähren" ist dem Anspruch die Grundlage entzogen.

Zwar ist es möglich, daß der Versicherungsträger eine Zeitlang sowohl die Hinterbliebenenrente an die geschiedene Frau leistet, als auch rückwirkend die wiederaufgelebte Witwenrente gewähren muß (§ 1291 Abs. 2 Satz 1 RVO). Dies steht indes der getroffenen Auslegung nicht zwingend entgegen. Eine Doppelleistung wird durch die Antragsfrist von 12 Monaten für die wiederaufgelebte Witwenrente in Grenzen gehalten (SozR Nr. 4 zu § 1291 RVO) und auch in anderen Fällen nimmt das Gesetz eine zeitweilige Doppelleistung aus Gründen des Vertrauensschutzes in Kauf (§§ 1268 Abs 4 Satz 2, 1278 Abs. 4 RVO).

Der fingierte "Abfindungszeitraum" hat hier Ende September 1967 geendet. Von Oktober 1967 an könnte ein Anspruch der Klägerin entstanden sein, vorausgesetzt, daß der Witwenrentenanspruch nicht wiederaufgelebt ist. Dies ist nicht festgestellt, denn es war für das LSG nach dessen Rechtsauffassung nicht wesentlich.

Somit ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht in dem das Verfahren abschließenden Urteil.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2284692

BSGE, 296

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