Leitsatz (amtlich)

Zur "Berufsmäßigkeit" einer unständigen Beschäftigung von Aushilfskellnerinnen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Zugelassene Prozeßbevollmächtigte nach SGG § 166 Abs 2:

1. Der Verband Gaststätten- und Hotelgewerbe Westfalen ist eine "Vereinigung von Arbeitgebern" iS des SGG § 166 Abs 2. Seine Vertreter sind daher als Prozeßbevollmächtigte beim BSG zugelassen.

2. Ein Arbeitgeberverband, dem nach seiner Satzung die Beratung und Betreuung der Mitglieder in allen das entsprechende Gewerbe angehenden wirtschaftlichen, rechtlichen, sozialen und fachlichen Fragen sowie die Vertretung gegenüber Behörden obliegt, ist eine prozeßbevollmächtigte Arbeitgebervereinigung iS des § 166 Abs 2 SGG.

3. Das Indiz der zeitlichen Inanspruchnahme einer Beschäftigung ist für die Beurteilung der Berufsmäßigkeit (Zwanzig-Stunden-Theorie) nur von untergeordneter Bedeutung, wenn die Beschäftigung nicht im Rahmen eines Dauerarbeitsverhältnisses ausgeübt wird. Bei Personen, die nicht in einem Dauerarbeitsverhältnis stehen, ist bei Prüfung der Berufsmäßigkeit auf das allgemeine Berufsbild, insbesondere darauf abzustellen, in welcher Weise die Personen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen; hierbei kann auch von Bedeutung sein, ob sich Arbeitnehmer beim Arbeitsamt als Arbeitsuchende für eine Vollbeschäftigung oder nur für eine von vornherein zeitlich stark eingeschränkte Teilbeschäftigung gemeldet haben.

 

Normenkette

RVO § 168 Abs. 2 Fassung: 1965-06-09, § 1228 Abs. 2 Fassung: 1965-06-09, § 441 Fassung: 1945-03-17; SGG § 166 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 4. Februar 1971 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beschäftigung der Beigeladenen zu 2. und 3. - I N und L P - als Aushilfskellnerinnen bei dem Kläger der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung und der Rentenversicherung der Arbeiter unterlegen hat oder ob diese Beschäftigung nach §§ 168 Abs. 2, 1228 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) versicherungsfrei war.

Der Kläger war bis zum 31. März 1969 Inhaber der Gaststätte "K a M" in D. Er beschäftigte ua. die Beigeladenen zu 2. und 3. als Aushilfskellnerinnen insbesondere bei Veranstaltungen im Saale, weil das Stammpersonal nicht ausreichte. Die Beigeladenen zu 2. und 3., die auch schon vorher in anderen Gaststätten als Aushilfskellnerinnen tätig gewesen waren, wurden dem Kläger vom Arbeitsamt vermittelt. Nach Beendigung ihrer ersten Aushilfstätigkeit beim Kläger erklärten sie sich grundsätzlich bereit, auch künftig für ihn tätig zu werden. Sie wurden dann jeweils durch Telegramm oder Postkarte bestellt und erhielten am Ende eines jeden Aushilfstages ihren Lohn. Manchmal wurde ihnen auch am Ende einer Veranstaltung schon der nächste Aushilfstermin bekannt gegeben.

Auf diese Weise arbeitete die Beigeladene zu 2. im Jahre 1967 an 66 Tagen, im Jahre 1968 an 44 Tagen, die Beigeladene zu 3. im Jahre 1967 an 53 Tagen und im Jahre 1968 an 75 Tagen. Die Beigeladene zu 2. verdiente für die Zeit von März bis Dezember 1967 insgesamt 6.288,42 DM, im Jahre 1968 - in den Monaten Juli, Oktober und November war sie nicht beschäftigt - insgesamt 3.185,92 DM und im Jahre 1969 noch 122,10 DM. Die Beigeladene zu 3. verdiente in der Zeit von März bis Dezember 1967 insgesamt 3.896,41 DM, im Jahre 1968 insgesamt 4.683,86 DM und im Januar 1969 583,85 DM. Beide Frauen waren verheiratet. Außer ihrer Beschäftigung als Aushilfskellnerinnen übten sie keine Erwerbstätigkeit aus. Die Beigeladene zu 2. nahm jedoch nach ihrer Scheidung eine anderweitige Beschäftigung ab 7. Mai 1968 in Lünen gegen einen Nettolohn von 500,- DM monatlich auf.

Aufgrund einer Betriebsprüfung von Februar 1969 forderte die Beklagte mit Bescheid vom 19. Februar 1969 vom Kläger für die Zeit vom 1. März 1967 bis zum 31. Januar 1969 für die Beigeladenen zu 2. und 3. insgesamt 4.306,42 DM an Beiträgen zur Krankenversicherung und Rentenversicherung der Arbeiter nach. Nachdem die Beklagte nachträglich von der Beschäftigung der Beigeladenen zu 2. in L erfuhr, ermäßigte sie ihre Beitragsforderung durch Bescheid vom 27. Juni 1970 um 420,46 DM auf 3.885,96 DM, da sie die ab 1. Mai 1968 zu entrichtenden Beiträge für diese Versicherte nicht mehr geltend machte.

Das Sozialgericht (SG) hat auf die Klage hin die angefochtenen Bescheide aufgehoben, weil nach den §§ 168 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Buchst. a, 1228 Abs. 1 Nr. 5 und Abs. 2 Buchst. a RVO Versicherungsfreiheit bestanden habe; die Beigeladenen seien nicht berufsmäßig als Arbeitnehmer tätig gewesen, es habe sich auch nur um eine gelegentliche Tätigkeit gehandelt.

Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten hin die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Tätigkeit sei versicherungspflichtig gewesen. Zwar hätten die Beigeladenen nicht berufsmäßig eine die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung ausgeübt, sie seien auch weniger als 75 Tage im Jahr tätig gewesen. Es habe sich jedoch nicht um eine gelegentliche Beschäftigung gehandelt, weil sie von vornherein auf Wiederholung angelegt gewesen sei. Die beiden Frauen hätten sich vom Arbeitsamt in die Beschäftigung vermitteln lassen und hätten auch mit dem Geschäftsführer des Klägers schon nach ihrem ersten Arbeitstag vereinbart, daß sie auch in Zukunft in seinem Betrieb aushelfen würden. Auch der wirtschaftliche Hintergrund trage dazu bei, daß man eine auf Wiederholung gerichtete Beschäftigung annehmen müsse, weil die beiden Frauen durch den zusätzlichen Verdienst ihre Wohnungseinrichtung hätten verbessern wollen. Es handele sich also nicht um eine gelegentliche Beschäftigung nach den §§ 168 Abs. 2 Buchst. a, 1228 Abs. 2 Buchst. a RVO, sondern um eine nach §§ 168 Abs. 2 Buchst. b, 1228 Abs. 2 Buchst. b RVO. Die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit des Buchstaben b) seien aber nicht erfüllt, da das Entgelt die hier genannte Grenze überschritten habe. Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Er rügt unrichtige Anwendung der §§ 168 Abs. 2, 1228 Abs. 2 RVO und trägt vor: Der Gesetzgeber habe nicht nur solche Beschäftigungen versicherungsfrei lassen wollen, die einmal im Jahr bis zur Höchstgrenze hintereinander oder ununterbrochen stattfänden, sondern auch solche, bei denen die Arbeitsleistung an einzelnen Tagen in der Woche im Monat oder im Jahr erbracht würde. Dabei spiele es keine Rolle, ob es sich bei diesen einzelnen Arbeitstagen um solche handele, die in bestimmten Zeitabständen immer wiederkehrten oder in unregelmäßigen Abständen voneinander lägen, sofern nur die Grenze von 75 Tagen im Jahr nicht überschritten werde. Bei den Beigeladenen zu 2. und 3. handele es sich um typische Aushilfskräfte in der Gastronomie bei erhöhtem Arbeitsanfall. Entscheidend sei auch, daß jeweils zwischen dem Kläger und den Beigeladenen von Fall zu Fall Tagesarbeitsverträge abgeschlossen würden. Der Kläger habe weder von den Beigeladenen die Arbeitsleistung fordern können, noch hätten die Beigeladenen einen Anspruch auf Beschäftigung für die nächste Saalveranstaltung gehabt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 4. Februar 1971 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Dortmund vom 20. Juli 1970 zurückzuweisen.

Die Beklagte und die beigeladene Landesversicherungsanstalt W beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladenen Frau N und Frau P sind in der Revisionsinstanz nicht vertreten.

II

Die Revision ist durch Assessor H im Verband Gaststätten- und Hotelgewerbe W ordnungsgemäß eingelegt und begründet worden. Nach § 166 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sind als Prozeßbevollmächtigte ua. die Mitglieder und Angestellten von Vereinigungen von Arbeitgebern zugelassen. Der genannte Verband verfolgt nach § 3 der Satzung als Zweck die Wahrung und Förderung der Interessen seiner Mitglieder, wobei ihm insbesondere die Beratung und Betreuung der Mitglieder in allen das Gewerbe angehenden wirtschaftlichen, rechtlichen, sozialen und fachlichen Fragen obliegt, desgleichen die Vertretung gegenüber Behörden. Mitglieder können nach § 5 der Satzung alle natürlichen und juristischen Personen werden, die sich in Westfalen als Eigentümer, Pächter oder Mitunternehmer in gastgewerblichen Betrieben betätigen und im Besitz einer Erlaubnis sind, desgleichen auch die Inhaber von Betrieben, die nach gesetzlichen Bestimmungen erlaubnisfrei sind oder ein Fremdenheim führen. Bei dieser Regelung bestehen keine Bedenken, den Verband als eine Arbeitgebervereinigung im Sinne des § 166 Abs. 2 SGG anzusehen. Der Senat schließt sich insoweit dem Urteil des 2. Senats vom 27. Februar 1970 - 2 RU 151/68 - an, in dem dieser Senat für den entsprechenden Bezirksverband Rheinland-Hessen-Nassau die Arbeitgebereigenschaft bejaht hat.

Nach §§ 168 Abs. 1 Nr. 2, 1228 Abs. 1 Nr. 5 RVO ist versicherungsfrei, wer berufsmäßig eine die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung oder Tätigkeit nicht ausübt, eine solche aber als Nebenbeschäftigung oder Nebentätigkeit übernimmt. Demnach kann eine Beschäftigung nur dann - versicherungsfreie - "Nebenbeschäftigung" im Sinne der genannten Vorschriften sein, wenn feststeht, daß der Arbeitnehmer nicht "berufsmäßig" eine die Versicherungspflicht begründende Beschäftigung ausübt. Ist dies der Fall, so ist die Beschäftigung versicherungspflichtig, auch wenn die Beschäftigungsdauer unter der in § 168 Abs. 2 Buchst. a), § 1228 Abs. 2 Buchst a) RVO genannten Zeitgrenze oder der Entgelt unter der in § 168 Abs. 2 Buchst. b), § 1228 Abs. 2 Buchst. b) RVO genannten Bezugsgrenze bleibt (vgl. BSG 14, 38, 39). Das vom LSG verwertete Indiz für seine Annahme, die beigeladenen Aushilfskellnerinnen hätten ihre Beschäftigung nicht "berufsmäßig" ausgeübt - nämlich, daß ihre Beschäftigung sie im Durchschnitt nicht mehr als 20 Stunden in der Woche in Anspruch genommen hat -, ist in der Regel nur unter dem Gesichtspunkt brauchbar, daß dem Dienstleistenden bei einer solchen zeitlichen Inanspruchnahme für eine andere berufliche Beschäftigung keine ausreichende Zeit mehr verbleibt (BSG 14, 29, 33). Ist jedoch eine Berufsausübung ihrer Natur nach darauf angelegt, daß sie sich nicht im Rahmen eines Dauerarbeitsverhältnisses abspielt, so ist das Indiz der zeitlichen Inanspruchnahme durch die Beschäftigung für die Beurteilung der Berufsmäßigkeit ihrer Ausübung nur von untergeordneter Bedeutung.

Das gilt insbesondere für eine "unständige Beschäftigung", die auf weniger als eine Woche entweder nach der Natur der Sache beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch den Arbeitsvertrag beschränkt ist (§ 441 RVO). Diese Begriffsbestimmung wird oft auch bei der versicherungsfreien Nebenbeschäftigung zutreffen; entscheidend für die Abgrenzung ist, ob die unständige Beschäftigung "berufsmäßig" oder nur gelegentlich ausgeübt wird oder nicht (vgl. Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Aufl., Teil II, § 441, Anm. 2). Unständige Beschäftigung im Rahmen der Berufsausübung ist nur dann gegeben, wenn die Unständigkeit - "ohne festes Arbeitsverhältnis bald hier, bald dort" (so die Allgem. Begr. S. 93; zitiert bei Peters aaO) - das spezifische Merkmal des betreffenden Berufs ist.

Als einen typischen Beruf unständig Beschäftigter hat der Senat in seiner Entscheidung vom 13.2.1962 - 3 RK 2/58 - (SozR Nr. 1 zu § 441 RVO; hier: Bl. Aa 3) neben denen des Hafenarbeiters und des Transportarbeiters, der Aufwartefrauen und der Näherinnen in Privathaushalten auch den des Aushilfskellners angesehen. Daß die beigeladenen Aushilfskellnerinnen ihre kurzfristigen Beschäftigungsverhältnisse, wie es scheint, regelmäßig bei demselben Arbeitgeber ausgeübt haben, steht dabei der Annahme einer unständigen Beschäftigung nicht entgegen. Auch im Rahmen eines unständig ausgeübten Berufs können - allein wie im vorliegenden Fall aus dem Grunde, daß sich bei demselben Arbeitgeber immer wieder lohnende Arbeitsmöglichkeiten bieten (vgl. die schon zitierte für Musiker getroffene Entscheidung Nr. 1 zu § 441 RVO) - sich die Beschäftigungen bei demselben Arbeitgeber wiederholen.

Zur abschließenden Beurteilung, ob die beigeladenen Aushilfskellnerinnen ihre Beschäftigungen "berufsmäßig" ausgeübt haben, reichen die Feststellungen des LSG nicht aus. Deshalb mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden. Wesentlich für die Beurteilung der "Berufsmäßigkeit" der von den beigeladenen Aushilfskellnerinnen ausgeübten Beschäftigungen wird insbesondere sein, wie sich ihr allgemeines Berufsbild darstellt, insbesondere ob sie schon vor ihrer Verheiratung Lohnarbeit in Gestalt der Aushilfskellnerinnen-Tätigkeit ausgeübt hatten, ferner und vor allem, in welcher Weise sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung standen, insbesondere, ob sie sich beim Arbeitsamt für eine Vollbeschäftigung oder nur für eine von vornherein zeitlich stark eingeschränkte Teilbeschäftigung gemeldet haben. Auch könnte von Bedeutung sein, ob die Beigeladenen außer bei dem Kläger noch bei anderen Arbeitgebern beschäftigt waren.

Sollte das LSG nach dieser Prüfung zum Ergebnis kommen, daß die beigeladenen Aushilfskellnerinnen ihre Beschäftigungen nicht berufsmäßig ausgeübt haben, so wird zur Entscheidung der Frage, ob Nebenbeschäftigung im Sinne der §§ 168 Abs. 2, 1228 Abs. 2 RVO vorliegt, insbesondere das Tatbestandsmerkmal der "regelmäßigen Wiederkehr" der Beschäftigung einer näheren Prüfung bedürfen. Daß sowohl beim Kläger wie bei den beigeladenen Aushilfskellnerinnen eine grundsätzliche Bereitschaft bestand, im Bedarfsfalle kurzfristige Beschäftigungsverhältnisse einzugehen, reicht jedenfalls für die Annahme einer regelmäßigen Wiederkehr der Beschäftigungen nicht aus, wenn die Beschäftigungen, wie es anscheinend hier der Fall war, unvorhersehbar in wechselnder Häufigkeit und zu verschiedenen Wochentagen erfolgten.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669322

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