Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. Februar 1995 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten nur noch darüber, ob die Beklagte die Kosten des Aufenthalts der Beigeladenen in einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie für die Zeit ab 12. April 1991 zu tragen hat.

Die 1949 geborene Beigeladene ist Mitglied der beklagten Krankenkasse und leidet an einer chronisch-progressiven Chorea Huntington. Aufgrund einer rapiden Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes wurde sie seit 1985 mehrfach stationär behandelt. Die Kosten für die Behandlung trug zeitweise die Beklagte. Am 11. April 1991 wurde die Beigeladene zur Behandlung erneut in das H. – aufgenommen. Den Antrag auf Kostenübernahme lehnte die Beklagte am 13. Mai 1991 ab. Die Klägerin bat mit Schreiben vom 12. September 1991 erneut um Übernahme der Behandlungskosten. Die Beklagte kam jedoch zu dem Ergebnis, daß sich zwischenzeitlich keine Änderung ergeben habe. Der ärztlichen Behandlung komme lediglich begleitender Charakter zu.

Vom 3. bis zum 23. Oktober 1991 befand sich die Beigeladene zur Behandlung einer Aspirationspneumonie bei Chorea Huntington im Evangelischen Krankenhaus A.. Die Beklagte übernahm die Kosten dieses Krankenhausaufenthalts, lehnte aber eine Kostenübernahme für den anschließenden Aufenthalt im H. ab. Unter dem 9. März 1992 wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, daß sie die Kosten der Behandlung der Beigeladenen aus Sozialhilfemitteln übernommen habe. Sie halte die Zuständigkeit der Beklagten nach wie vor für gegeben, weil von einem Behandlungsfall auszugehen sei. Gleichzeitig meldete sie einen Erstattungsanspruch gemäß § 104 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) an und bat um Anerkennung. Die Beklagte lehnte die begehrte Erstattung gegenüber der Klägerin ab.

Das Sozialgericht (SG) hat die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. als medizinische Sachverständige vernommen und die Beklagte verurteilt, die durch den Aufenthalt der Beigeladenen im H. – ab 12. April 1991 entstandenen Kosten zu tragen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen, soweit mit ihr die Erstattung der Kosten für den stationären Aufenthalt der Beigeladenen in der Zeit ab 1. Juli 1990 begehrt wurde. Das Landessozialgericht (LSG) hat den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Medizinialdirektor Dr. T. als Sachverständigen vernommen und sodann die erstinstanzliche Entscheidung geändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen. Die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nach § 104 SGB X seien nicht erfüllt, weil die Beigeladene auch in der Zeit ab 12. April 1991 keinen Anspruch auf Krankenhausbehandlung gegen die beklagte Krankenkasse gehabt habe. Eine Besserung oder gar Heilung des bei der Beigeladenen bestehenden Krankheitszustandes sei weder durch ärztliche Behandlung noch mit pflegerischen Mitteln zu erreichen. Es könne nur darum gehen, Beschwerden zu lindern und eine Leidensverschlimmerung zu verhüten. Zur Erreichung dieser Ziele müsse die Beigeladene zwar auch ärztlich behandelt werden. So sei es erforderlich, eine Magensonde zu legen, die Medikation einzustellen und Akutzustände zu behandeln, wie sie etwa in der Vergangenheit insbesondere aufgrund der Obstipationsprobleme aufgetreten seien. Hierzu bedürfe es jedoch nicht der besonderen Mittel des Krankenhauses, zu denen neben einem geschulten Pflegepersonal die apparative Mindestausstattung sowie eine intensive Behandlung durch rufbereite Ärzte gehörten. Das Krankheitsbild der Beigeladenen erfordere zwar einen qualitativ und quantitativ hohen pflegerischen Aufwand, um teilweise lebensbedrohliche Komplikationen zu verhindern. Gleichwohl seien aber die Voraussetzungen der Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit nicht erfüllt. Der Umstand, daß die Beigeladene in erheblichem Umfang der Pflege durch geschultes Personal bedürfe, begründe noch nicht einen Anspruch auf Krankenhausbehandlung. Dies gelte selbst dann, wenn sich für die Beigeladene kein geeigneter Pflegeplatz finden lasse.

Mit der – vom LSG zugelassenen – Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 39 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) und macht u.a. geltend: Das Behandlungsziel könne im vorliegenden Fall nicht durch ambulante Pflege oder häusliche Krankenpflege erreicht werden. Nur mit den besonderen Mitteln des H. – ließen sich die Beschwerden der Beigeladenen lindern und eine Leidensverschlimmerung verhüten. In diesem Krankenhaus befänden sich die für die Erkrankung der Beigeladenen geschulten Ärzte und das geschulte Pflegepersonal sowie die für die Behandlung erforderlichen medizinischen Geräte. Entgegen der Auffassung des LSG sei im vorliegenden Falle die ständige Präsenz eines Arztes erforderlich, da neben den beschriebenen Komplikationen i.V.m. der percutanen Magensonde und den Obstipationsproblemen häufig wechselnde Erregungszustände und Schmerzattacken aufträten, die ein unmittelbares ärztliches Eingreifen und das Verabreichen hochpotenter Schmerzmittel erforderten, die nur ein Arzt verabreichen könne. Es könne der Beigeladenen nicht zugemutet werden, bei plötzlich auftretenden Schmerzattacken zu warten, bis ein Arzt benachrichtigt und herbeigeholt worden sei. Die der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende Rechtsauffassung, pflegerische Gründe allein machten eine Krankenhausaufnahme nicht notwendig, sei fehlerhaft. Auch aus pflegerischen Gründen könne im Einzelfalle ein Krankenhausaufenthalt notwendig werden, z.B. wenn die Pflegeleistung eine Qualität und Spezialität erfordere, die überhaupt nur im Krankenhaus aufgrund des dort konzentrierten Sachverstandes vorgehalten werden könne.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. Februar 1995 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die durch die Unterbringung der Beigeladenen seit dem 12. April 1991 entstandenen Kosten zu erstatten, soweit die Beklagte diese Kosten bisher nicht übernommen hat.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladene hat keine Stellungnahme abgegeben.

II

Die Revision hat keinen Erfolg. Die beklagte Krankenkasse ist nicht verpflichtet, der Klägerin für die hier noch fraglichen Zeiten ab 12. April 1991 die Kosten des Aufenthalts der Beigeladenen in einem Krankenhaus zu erstatten.

Zwar hat die Klägerin als grundsätzlich nachrangig verpflichteter Leistungsträger (§ 2 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes [BSHG]) ab 12. April 1991 die Kosten für den Aufenthalt der Beigeladenen in einem Krankenhaus verauslagt und damit i.S. von § 104 Abs. 1 SGB X Sozialleistungen erbracht. Die Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) scheitert jedoch daran, daß die Beigeladene für die noch fraglichen Zeiten keinen Anspruch auf Krankenhausbehandlung hatte und deshalb die nach § 104 Abs. 1 SGB X erforderlichen Voraussetzungen für eine Erstattungspflicht der Beklagten der Klägerin gegenüber fehlen.

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Beigeladene ist bei der Beklagten versichert. Bei ihr besteht nach den Feststellungen des LSG, an die der Senat gemäß § 163 SGG gebunden ist, auch eine behandlungsbedürftige Krankheit, nämlich eine chronisch-progressive Chorea Huntington. Diese Krankheit mußte jedoch nicht in einem Krankenhaus behandelt werden.

Ein Anspruch auf Krankenhausbehandlung (vgl. dazu § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB V) setzt gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der hier anwendbaren Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes (GRG), die bis zum 31. Dezember 1992 gegolten hat, und nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V in der ab 1. Januar 1993 geltenden Fassung (vgl. Gesetz vom 21. Dezember 1992 [BGBl. I S. 2266]) u.a. voraus, daß die Aufnahme in ein Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.

Mit dem Anspruch auf Krankenhausbehandlung hat sich die Rechtsprechung in der Vergangenheit in zahlreichen Entscheidungen befassen müssen. Dabei ging es zwar vor allem um die Anwendung des § 184 Abs. 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der ab 1. Januar 1974 gültig gewesenen Fassung des § 1 Nr. 1 des Leistungsverbesserungsgesetzes (KLVG) vom 19. Dezember 1973 (BGBl. I S. 1925). Inhaltlich entspricht die im vorliegenden Falle anwendbare Vorschrift des § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V a.F. bzw. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V n.F. dem Recht, das bis zum 31. Dezember 1988 gegolten hat. § 39 SGB V a.F. bzw. n.F. verdeutlicht gegenüber der Fassung des § 184 Abs. 1 RVO lediglich den Vorrang der preisgünstigeren ambulanten Behandlung durch den zusätzlichen Hinweis auf die häusliche Krankenpflege (BT-Drucks 11/2237 S. 177 zu § 38 Abs. 1 des Entwurfs). Daß sich der Anspruch auf Behandlung in einem Krankenhaus – soweit es um die medizinischen Voraussetzungen geht – geändert hätte, wird auch in der Kommentarliteratur nicht angenommen, sondern ohne Einschränkung auf die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 184 RVO verwiesen (vgl. dazu Schneider in Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts, Bd 1, Krankenversicherungsrecht, § 22 RdNrn 374 ff; Höfler in Kasseler Komm, § 39 SGB V RdNrn 15 ff; Zipperer in Maaßen/Schermer/Wiegand/Zipperer, SGB V, Gesetzliche Krankenversicherung, Komm, § 39 RdNrn 3 ff; Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, SGB V, Komm, § 39 SGB V RdNrn 6ff.). Deshalb haben die Grundsätze, die die Rechtsprechung zur Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit nach § 184 Abs. 1 RVO entwickelt hat, auch bei der Anwendung des § 39 Abs. 1 SGB V a.F. und n.F. zu gelten (vgl. zum Ganzen BSG in USK 92130, S. 628f.).

Das bedeutet: Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit ist zu bejahen, wenn – bei nicht mehr besserungsfähigem Leiden – die Krankenhausbehandlung allein dazu erforderlich ist, die Beschwerden zu lindern (BSGE 26, 288, 289) oder eine Verschlimmerung des Gesundheitszustandes zu verhüten (BSG SozR 2200 § 184 Nr. 11). Die Pflicht der Krankenkassen, die Kosten einer Krankenhausbehandlung zu tragen, beschränkt sich jedoch auf die Fälle, in denen die notwendige medizinische Versorgung nur mit den besonderen Mitteln eines Krankenhauses durchgeführt werden kann (BSGE 49, 216, 217 = SozR 2200 § 184 Nr. 15; BSGE 59, 116, 117 = SozR 2200 § 184 Nr. 27; BSGE SozR 2200 § 184 Nr. 11). Soweit die ambulante ärztliche Versorgung ausreicht, ist – wie sich jetzt auch aus dem Wortlaut des Gesetzes (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V a.F. bzw. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V nF) ergibt – der Anspruch auf Krankenhausbehandlung zu verneinen (BSGE 49, 216, 217 = SozR 2200 § 184 Nr. 15; BSGE 59, 116, 117 = SozR 2200 § 184 Nr. 27).

Das bei der Beigeladenen bestehende Leiden läßt sich nach den Feststellungen des LSG nicht mehr bessern oder heilen. Es ist medizinisch lediglich möglich, die Beschwerden zu lindern oder eine Verschlimmerung zu verhüten. Zur Erreichung dieser Behandlungsziele bedarf es indessen – wie das LSG zu Recht entschieden hat – nicht der Behandlung im Krankenhaus.

Der Senat verkennt dabei nicht, daß wegen der schweren Erkrankung der Beigeladenen Komplikationen eintreten können. Deshalb muß eine Magensonde gelegt, die Medikation eingestellt und medizinisch auf Akutzustände reagiert werden, z.B. auf die in der Vergangenheit aufgetretenen Obstipationsprobleme. Aber auch insoweit bedarf es nach den Feststellungen des LSG, die die Revision nicht mit zulässigen und begründeten Rügen angegriffen hat, nicht der besonderen Mittel des Krankenhauses, zu denen der jederzeit rufbereite Arzt gehört (BSGE 47, 83, 85 = SozR 2200 § 216 Nr. 2). Die Möglichkeit des Auftretens von Komplikationen rechtfertigt hier nicht den ständigen Aufenthalt in einem Krankenhaus. Auch bei anderen schweren Erkrankungen, z.B. bei einem Herzleiden, besteht die Möglichkeit, daß plötzlich eine lebensbedrohende Situation eintritt. Diese Gefahr kann nicht dazu führen, der Krankenkasse die hohen Kosten einer ständigen Krankenhausbehandlung aufzubürden, wenn bei sorgfältiger, ärztlich regelmäßig kontrollierter Pflege mit gravierenden Komplikationen nur ausnahmsweise, d.h. in größeren Zeitabständen, zu rechnen ist (BSG in USK 92130, S. 628). Die Notwendigkeit, gelegentlich einen Notfallarzt in Anspruch nehmen zu müssen, oder die Tatsache, daß gelegentlich eine kurzfristige Krankenhauseinweisung – wie im vorliegenden Falle – notwendig wird, reicht ebenfalls nicht aus, auf Dauer Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit annehmen zu können (BSGE 59, 116, 118 = SozR 2200 § 184 Nr. 27).

Selbst wenn man davon ausgeht, daß bei der Beigeladenen häufig wechselnde Erregungszustände und Schmerzattacken auftreten, die ein unmittelbares ärztliches Eingreifen oder das Verabreichen hochpotenter Schmerzmittel erfordern, besteht nach § 39 SGB V kein Anspruch auf Krankenhausbehandlung. Auch in diesen Fällen könnte ein Notarzt oder der behandelnde Arzt gerufen werden. Dem Versicherten ist durchaus zuzumuten, bis zum Eintreffen des Arztes zu warten.

Soweit die Revision schließlich geltend macht, auch aus pflegerischen Gründen sei der Krankenhausaufenthalt der Beigeladenen notwendig, weil die Pflegeleistung eine Qualität und Spezialität erfordere, die nur im Krankenhaus aufgrund des dort konzentrierten Sachverstandes vorgehalten werden könne, teilt der Senat nicht die Auffassung der Klägerin. Das BSG hat bereits in mehreren Entscheidungen hervorgehoben, daß die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit sich nur nach medizinischen Gesichtspunkten richte, nicht aber nach dem Fehlen des im Einzelfall notwendigen Pflegeplatzes (BSGE 47, 83, 86 = SozR 2200 § 216 Nr. 2; BSGE 49, 216, 217f. = SozR 2200 § 184 Nr. 15; BSG in USK 92130, S. 628). Bei einer Patientin wie der Beigeladenen ist es Sache des Pflegepersonals, auf mögliche Veränderungen im Befinden zu achten und – wenn irgen DMöglich – rechtzeitig einen Notfallarzt herbeizurufen. Auch in einem Krankenhaus sind hilflose Personen auf die besondere Aufmerksamkeit des Pflegepersonals angewiesen. Sie ist das Entscheidende, nicht aber, ob sich der Patient in einem Haus mit rufbereitem Arzt befindet oder ob ein Notfallarzt herbeigerufen werden muß (BSG in USK 92130, S. 628).

Nach den – insoweit ebenfalls nicht angegriffenen – Feststellungen des LSG, die sich auf die Vernehmung des Sachverständigen Dr. Taistra stützen, ist davon auszugehen, daß geschultes Pflegepersonal und – je nach Bedarf – eine ambulante Krankenversorgung ausreichen, um die bei der Beigeladenen bestehenden Pflegeaufgaben und Behandlungsprobleme zu lösen. Somit bestand – jedenfalls in den fraglichen Zeiten – kein Krankenhausbehandlungsanspruch, so daß die Revision der Klägerin zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

SozSi 1997, 117

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