Leitsatz (redaktionell)

Der illegale Entleiher hat die rückständigen Beiträge zur Unfallversicherung auch insoweit als Arbeitgeber zu zahlen, als der illegale Verleiher Arbeitsentgelt bezahlt hat.

 

Normenkette

RVO § 723 Abs. 1, § 729 Abs. 4, § 658 Abs. 2 Nr. 1; AÜG Art. 1 § 9 Nr. 1, § 10 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Stuttgart (Urteil vom 22.01.1985; Aktenzeichen S 2 U 3603/83)

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob der Unternehmer, der von einem unerlaubt gewerbsmäßig handelnden Arbeitnehmer-Verleiher Arbeitnehmer entliehen hat, auch insoweit als Arbeitgeber Beiträge zahlen muß, wie der Verleiher die Arbeitnehmer entlohnt hat.

Die "Hoch- und Tiefbau GmbH F." (F.) in A., die mit englischen Arbeitnehmern in anderen Unternehmen Aufträge ausführte, stand im Jahre 1980 auch mit dem klagenden Bauunternehmer Sch. in B., W., in Geschäftsbeziehungen. Laut Rechnung zahlte der Kläger an F. 123.578,-- DM für "Mauerwerk, Decken- und Wandverschalung". Die B. Bau-Berufsgenossenschaft (BG), bei der F. Mitglied werden wollte, stellte später fest, daß F. in Wirklichkeit kein Bauunternehmen, sondern eine unerlaubte Arbeitnehmervermittlung betreibe. Sie lehnte die Eintragung in ihr Unternehmerverzeichnis ab.

Die beklagte W. Bau-BG stellte daraufhin fest, daß F. auch in dem Bauunternehmen des Klägers, der ihr Mitglied ist, 1980 keine Bauarbeiten habe durchführen lassen, sondern eine Reihe von Arbeitern dem Kläger zur Verfügung gestellt habe. Die Beklagte stellte ferner fest, daß F. die dem Kläger zur Verfügung gestellten Arbeiter zwar bezahlt, aber keine Beiträge an sie oder eine andere BG entrichtet habe.

Die beklagte BG ermittelte als Lohnsumme die Hälfte der erwähnten 123.578,-- DM, berechnete daraus die rückständigen Beiträge und verlangte sie von dem Kläger durch Bescheid vom 16. Juni 1983. Die BG begründete die Beitragspflicht des Klägers damit, daß er nach Art 1 § 10 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) als Arbeitgeber gelte. Daß der Verleiher den Lohn gezahlt habe, sei für die Beitragsverpflichtung unerheblich, denn das Arbeitsverhältnis zwischen dem Verleiher und den Leiharbeitnehmern sei nach Art 1 § 9 Nr 1 AÜG unwirksam. - Der Kläger hatte mit seinem Widerspruch keinen Erfolg (Bescheid vom 21. September 1983).

Das Sozialgericht (SG) hat hingegen den angefochtenen Beitragsbescheid aufgehoben: Das Bundessozialgericht (BSG) habe entschieden (BSGE 56, 287), daß zwischen dem unzulässig handelnden Verleiher und den Leiharbeitnehmern ein sogenanntes faktisches Arbeitsverhältnis bestehe. Der Verleiher schulde die Beiträge als Arbeitgeber jedenfalls dann allein, wenn er - wie hier - Lohn gezahlt habe. Der Kläger hafte zwar für die Beitragsforderungen nach § 729 Abs 4 Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 393 Abs 3 RVO als Bürge. Die Beklagte nehme den Kläger aber nicht als Bürgen, sondern als Arbeitgeber in Anspruch.

Die Beklagte macht mit der Sprungrevision geltend, das BSG habe nur zu dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag Ausführungen gemacht, der von der Krankenkasse eingezogen werde, nicht jedoch zu den Beiträgen zur Unfallversicherung, die den zuständigen BGen zustehen. Im übrigen widersprächen die Ausführungen des BSG dem Gesetz und gingen über eine zulässige richterliche Rechtsfortbildung hinaus.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Sprungrevision der Beklagten zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision ist in dem Sinne begründet, daß der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurückzuverweisen ist.

Nach § 723 Abs 1 RVO werden die Mittel für die Ausgaben der Berufsgenossenschaft durch Beiträge "der Unternehmer, die ... Versicherte beschäftigen" aufgebracht. Nach dem Sachverhalt, den das SG unterstellt und von dem auch der Senat zunächst auszugehen hat, ist der Kläger der Unternehmer, der die entliehenen Arbeitnehmer aufgrund von Arbeitsverhältnissen (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) beschäftigt hat.

Das SG hat nämlich das Ermittlungsergebnis der Beklagten unterstellt, wonach der Kläger mit F. nur zum Schein einen Werkvertrag geschlossen habe. Der Kläger habe stattdessen von F. Arbeitnehmer entliehen. F. habe gewerbsmäßig ohne Erlaubnis Arbeitnehmerüberlassung betrieben. Das heißt: Der Kläger hat nicht unter Regie der F. mit deren Arbeitnehmern in seinem Betrieb ein Werk herstellen lassen (§ 648 RVO), sondern unter Mitwirkung von F. Arbeitnehmer in seinen Betrieb geholt. Er hat diese Arbeitnehmer ebenso eingesetzt wie seine eigenen Arbeitnehmer, die sogenannten Stammarbeiter. Der Kläger ist der Unternehmer, auf dessen Rechnung (§ 658 Abs 2 Nr 1 RVO) auch die Bauwerke errichtet wurden, an denen die entliehenen Arbeitnehmer gearbeitet haben. F. gehörte allenfalls mit ihren Stammarbeitnehmern - Bürokräften -, nicht mit den von ihr bei dem Kläger eingesetzten Arbeitern zu einer anderen BG als der Kläger. Die BG des Klägers, die Beklagte, wäre auch für die Entschädigung von Arbeitsunfällen der bei dem Kläger eingesetzten Arbeiter zuständig gewesen. Die Lohnzahlung ist zwar nicht direkt an die Leiharbeitnehmer, sondern über F. als Verleiherin gegangen. Das deutet hier aber nicht darauf hin, daß die Arbeitnehmer doch nicht bei dem Kläger beschäftigt waren, denn mit dieser Zahlungsweise sollte nur verschleiert werden, daß die Arbeitnehmer in den Betrieb des Klägers eingegliedert waren.

Ob die von F. bei dem Kläger eingesetzten Arbeitnehmer dann nicht als Beschäftigte des Klägers zu behandeln wären, wenn es sich um eine erlaubte Arbeitnehmerüberlassung gehandelt hätte, ist hier unerheblich. Die Arbeitnehmerüberlassung war unerlaubt. Erlaubt ist eine gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung, die nach den bisherigen Ermittlungen hier vorliegt, nur dann, wenn eine Erlaubnis erteilt worden ist. Die gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung ist mit Erlaubnisvorbehalt verboten (Art 1 § 1 Abs 1 AÜG, vgl Becker/Wulfgramm, Kommentar zum AÜG, 3. Aufl, Art 1 § 1 RdNr 19). Damit kann hier auch nicht § 729 Abs 4 RVO angewendet werden, woraus der Kläger schließt, daß nicht er, sondern nur F. als Arbeitgeber im sozialversicherungsrechtlichen Sinne zu behandeln sei. § 729 Abs 4 RVO verweist auf § 393 RVO. Diese Vorschrift sagt, daß der Entleiher für die Zahlungsverpflichtung des Arbeitgebers nur wie ein selbstschuldnerischer Bürge haftet. Daraus mag folgen, daß es Fälle gibt, in denen der Verleiher Arbeitgeber ist und der Entleiher, obwohl die Leiharbeitnehmer in seinen Betrieb eingegliedert sind, nicht als Arbeitgeber, sondern nur wie ein selbstschuldnerischer Bürge haftet. Das kann aber allenfalls für die Fälle gelten, in denen die Verleihgeschäfte rechtmäßig betrieben worden sind. Da dafür hier aber die Erlaubnis fehlt, liegt ein solcher Fall nicht vor.

Die Meinung, auch bei unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung könne nach § 729 Abs 4 RVO verfahren werden, weil immerhin die Beteiligten sich so verhalten hätten, als sei die Arbeitnehmerüberlassung rechtmäßig, trifft schon deshalb nicht zu, weil die Beteiligten - jedenfalls nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis - zum Schein Werkverträge geschlossen und sich damit auch wie rechtswidrig Handelnde verhalten haben. Aber selbst wenn sie sich wie bei einer rechtmäßigen Arbeitnehmerüberlassung verhalten hätten, ist die Anwendung des § 729 Abs 4 RVO durch Art 1 §§ 9 und 10 AÜG ausgeschlossen. Art 1 § 9 Nr 1 AÜG erklärt sowohl den Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher wie auch die Arbeitsverträge zwischen dem Verleiher und den Leiharbeitnehmern für unwirksam, wenn die Erlaubnis fehlt. Art 1 § 10 Abs 1 sagt, daß insoweit, wie der Arbeitsvertrag nach § 9 Nr 1 AÜG unwirksam ist, der Entleiher als Arbeitgeber gilt. Damit wird für das Arbeitsrecht mit der dort herrschenden "Vertragstheorie" (vgl Becker/Wulfgramm, Kommentar zum AÜG 3. Aufl, Einleitung, RdNr 12) ein Arbeitsverhältnis entgegen den wirklichen Abmachungen der Beteiligten fingiert. Für das Sozialversicherungsrecht greift damit § 7 Abs 1 des Sozialgesetzbuches 4 (SGB 4) ein, wonach die "Beschäftigung" - auch iS des § 723 Abs 1 RVO - die nicht selbständige Arbeit "insbesondere in einem Arbeitsverhältnis" ist. Es besteht kein Grund, das für die Beitragspflicht wesentliche "Beschäftigungsverhältnis" ausnahmsweise zu einer anderen Person zu knüpfen als das gesetzlich zugeordnete "Arbeitsverhältnis". Das wäre nur dann vertretbar, wenn die tatsächlichen Verhältnisse, die für das Beschäftigungsverhältnis maßgebend sind (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, S 306h II), zeigten, daß sich die Beteiligten anders verhalten haben, als das für das Arbeitsrecht geregelt ist. Hier entsprechen aber die tatsächlichen Verhältnisse, von denen das SG ausgeht, genau der Regelung, wie sie Art 1 § 10 Abs 1 AÜG getroffen hat. Die Arbeitnehmer waren tatsächlich in das Unternehmen desjenigen eingegliedert, den Art 1 § 10 Abs 1 AÜG durch eine Fiktion zum Arbeitgeber im arbeitsrechtlichen Sinne macht. Im sozialversicherungsrechtlichen Sinne war er Arbeitgeber, besser: "Beschäftigungsgeber" ohnehin. Art 1 § 10 Abs 1 AÜG ist für das Sozialversicherungsrecht keine Fiktion, sondern nur eine Bestätigung. Was wegen der im Sozialversicherungsrecht herrschenden "Eingliederungstheorie" im Falle unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung klar gewesen wäre, mußte für das Arbeitsrecht wegen der dort herrschenden "Vertragstheorie" durch eine Fiktion geregelt werden.

Es besteht kein beachtlicher Grund, entgegen der tatsächlichen Beschäftigung und der gesetzlichen Bestätigung des Beschäftigungsverhältnisses den Entleiher von seiner Arbeitgeberhaftung freizustellen, wenn der Verleiher an die Leiharbeitnehmer Lohn gezahlt hat. Durch die Lohnzahlung über den Verleiher wird jedenfalls die Arbeitgebereigenschaft des Entleihers nicht beseitigt. Der 10. Senat des BSG hat bisher in Fällen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung nur insoweit an die Lohnzahlung durch den Verleiher Rechtswirkungen geknüpft, wie es sich um Konkursausfallgeld und die darauf entfallenden Beiträge gehandelt hat (BSGE 53, 205; 56, 211; 56, 287).

Das gilt auch für die zuletzt genannte Entscheidung, die zu der Vermutung Anlaß gegeben hat, daß in allen Fällen, in denen der Verleiher Lohn gezahlt hat, der Entleiher aus seiner Arbeitgeberhaftung auch in bezug auf die rückständigen Beiträge befreit sei. In diesem Urteil ist aber nur entschieden worden, daß in Fällen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung bei Insolvenz des illegalen Verleihers rückständige Beiträge aus der Konkursausfallgeldversicherung insoweit zu entrichten sind, als der illegale Verleiher die Leiharbeitnehmer entlohnt hat.

In den Gründen dieses Urteils finden sich allerdings Ausführungen, die darauf hindeuten, daß immer dann, wenn der illegale Verleiher die Arbeitnehmer entlohnt hat, der Entleiher nicht als Arbeitgeber verpflichtet sein könne. Diese Ausführungen sind aber keine tragende Begründung für die zur Entscheidung gestellte Rechtsfrage, die nur das Verhältnis der Krankenkasse als Einzugsstelle zur Bundesanstalt für Arbeit betraf. Abgesehen davon befaßt sich diese Entscheidung, wie die Beklagte zutreffend hervorgehoben hat, nur mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag, nicht mit dem Beitrag zur Unfallversicherung. Dieser Unterschied ist schon deshalb wesentlich, weil der Arbeitgeber den Unfallversicherungsbeitrag allein in voller Höhe schuldet, während jedenfalls die Hälfte des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ein Lohnbestandteil ist, den der Arbeitnehmer selbst schuldet und den - in dem damals entschiedenen Fall - der lohnzahlende Verleiher einbehalten hatte. - Schließlich ist durch Art 1 § 10 Abs 3 AÜG idF vom 15. Mai 1986 (BGBl I 721) nunmehr geregelt, daß der Verleiher "neben dem Entleiher" als Arbeitgeber haftet, wenn der Verleiher Lohn zahlt. Damit ist auch zur alten, hier noch maßgebenden Rechtslage klargestellt, daß der Entleiher durch die Lohnzahlung des Verleihers nicht aus der Arbeitgeberhaftung entlassen werden konnte (vgl Sandmann/Marschall, AÜG, Stand Mai 1986, Art 1 § 10 Anm 26a).

Die Sache war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG schon deshalb zurückzuverweisen, weil zu klären ist, ob die Höhe des Lohnes, nach dem sich die Beiträge richten, zutreffend ermittelt worden ist. Da wohl nur eine Schätzung in Betracht kommt, ist als Anhalt auf Art 7 Nr 17 Buchst b des Steuerbereinigungsgesetzes vom 19. Dezember 1985 (BGBl I 2436) hinzuweisen, wo das Gesetz selbst eine klare Regelung für die Fälle der Ungewißheit trifft. - Zunächst hat aber das SG nunmehr die Feststellungen zur unerlaubten Arbeitnehmerüberlassung in eigener Verantwortung zu treffen. Die bisherigen Feststellungen hat es von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig nur unterstellt, weil es die Beitragsforderung gegen den Entleiher auch im Falle unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung allein wegen der Lohnzahlung durch den Verleiher für unbegründet hielt -. Schließlich hat das SG auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

 

Fundstellen

BSGE 61, 209-213 (LT1)

BSGE, 209

BB 1987, 1183-1184 (LT1)

RegNr, 16796

Das Beitragsrecht Meuer RVO § 658, 18-03-87, 9b RU 16/85 (LT1)

NZA 1987, 500-502 (T)

USK, 8729 (LT1)

Breith 1988, 19-22 (LT1)

EzAÜG § 9 AÜG, Nr 2 (L1)

EzAÜG Sozialversicherungsrecht, Nr 21 (LT1)

EzAÜG, Nr 213 (LT1)

EzS, 50/140 (LT1)

HV-INFO 1987, 913-917 (LT1)

Sicher Arbeiten 1987, 139 (T)

SozR 7815 Art 1 § 10, Nr 3 (LT1)

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