Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 15.06.1989; Aktenzeichen L 9 Al 173/86)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Juni 1989 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat der Beklagten auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die klagende Bundesanstalt für Arbeit (BA) begehrt von der beklagten Arbeitgeberin Schadensersatz nach § 145 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) wegen unvollständiger Angaben in mehreren Arbeitsbescheinigungen.

In den Jahren 1981 und 1982 vereinbarte die Beklagte im Zusammenhang mit der Stillegung eines Betriebes bzw von Betriebsteilen und der Aufstellung eines Sozialplanes mit verschiedenen Arbeitnehmern die einvernehmliche Beendigung der jeweiligen Arbeitsverhältnisse bei Zahlung einer Abfindung. Die ausgeschiedenen Arbeitnehmer meldeten sich arbeitslos und legten von der Beklagten ausgefüllte Arbeitsbescheinigungen vor, in denen jeweils insbesondere das Alter des Arbeitnehmers, die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses, die Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Aufhebungsvertrag) sowie die Zahlung und die Höhe der Abfindung bestätigt waren.

Der Schadensersatzanspruch betrifft – soweit er in Revisionsverfahren noch streitig ist – ausschließlich Arbeitnehmer, die bei Abschluß des Aufhebungsvertrages nach dem Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der bayerischen Metallindustrie bzw nach dem Manteltarifvertrag für die Angestellten der bayerischen Metallindustrie nur aus wichtigem Grund und bei Betriebsstillegungen bzw Teilbetriebsstillegungen im Zusammenhang mit einem Sozialplan gekündigt werden durften, und von diesen nur diejenigen, bei denen die Arbeitsbescheinigung auf dem von der BA vorgesehenen Vordruck in der Fassung „1.82” erstellt und zum Abschnitt Nr 6 ausgefüllt wurde.

Der Abschnitt Nr 6 enthält eine zweigeteilte Aussage, die jeweils durch Ankreuzen oder durch Zahlenangaben zu vervollständigen ist. Unter Buchst a kann durch Ankreuzen angegeben werden, daß das Arbeitsverhältnis nach Gesetz, Tarifvertrag oder Vertrag unter Einhaltung der durch Zahlenangabe zu vervollständigenden Kündigungsfrist kündbar war, und unter Buchst b, daß die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber (tarif)-vertraglich „ausgeschlossen” bzw „nur bei Zahlung einer Abfindung, Entschädigung oder ähnlichen Leistung zulässig” war.

Die Beklagte kreuzte in der Arbeitsbescheinigung nur die Aussage 6a an und vervollständigte diese, so daß sich zB die Aussage ergibt: Die maßgebliche (gesetzliche, tarifvertragliche oder vertragliche) Kündigungsfrist beträgt „4” Wochen zum Wochenschluß. Die Aussage unter Abschnitt 6b des Formulars zur Zulässigkeit der ordentlichen Kündigung war überhaupt nicht angekreuzt, weder in dem der Aussage vorangestellten Kästchen, noch in einem der beiden den Alternativen (ausgeschlossen bzw nur bei Abfindung zulässig) vorangestellten Kästchen.

Die BA verstand dies dahin, daß die ordentliche Kündigung weder ausgeschlossen noch nur bei Zahlung einer Abfindung zulässig war, sondern unter Einhaltung der im Abschnitt 6 unter Buchst a angegebenen Frist. Sie nahm deshalb an, die angegebene Abfindung könne nicht zum Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) führen, und bewilligte daher Alg uneingeschränkt.

Bei späteren Überprüfungen stellte die klagende BA fest, daß die Arbeitnehmer nur im Zusammenhang mit einem Sozialplan und damit nur bei Zahlung der im Sozialplan festgelegten Abfindung gekündigt werden durften. Bei diesem Sachverhalt hat der Anspruch auf Alg nach Auffassung der BA gemäß § 117 Abs 2 AFG in der seit dem 1. Januar 1982 geltenden Fassung geruht. Die sich hieraus ergebende Überzahlung wurde von der klagenden BA zuletzt mit 233.656,70 DM beziffert.

Die Klage der BA auf Schadensersatz in der angegebenen Höhe blieb vor dem Sozialgericht (SG) und vor dem Landessozialgericht (LSG) erfolglos (Urteile vom 30. Januar 1986 und vom 15. Juni 1989).

Mit der – vom Senat zugelassenen – Revision rügt die Klägerin Verletzung der §§ 145 und 133 AFG.

Die klagende BA beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 233.656,70 DM zu zahlen.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Berufung der Klägerin war zulässig. Insbesondere greift der Berufungsausschließungsgrund des § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht ein. Der streitige Anspruch auf Schadensersatz betrifft keine einmalige Leistung iS dieser Vorschrift (BSG Urteil vom 28. Juni 1991 – 11 RAr 117/90). Die klagende BA ist berechtigt, den Schadensersatzanspruch im Wege der Klage geltend zu machen, da ihre Befugnis zur Geltendmachung durch Verwaltungsakt in der Rechtsprechung umstritten ist (hierzu BSG Urteil vom 28. Juni 1991 – 11 RAr 117/90).

Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus § 145 Nr 1 AFG steht der Klägerin nicht zu. Die beklagte Arbeitgeberin hat gegen ihre Verpflichtung aus § 133 AFG, in der Arbeitsbescheinigung auf dem von der BA hierfür vorgesehenen Vordruck alle „Tatsachen” zu bescheinigen, die für die Entscheidung über den Anspruch auf Alg erheblich sein können, nicht verstoßen.

Das Bescheinigungsformular (hier in der Aufl 1.82) enthält verschiedene Aussagen zum Arbeitsverhältnis, die der Arbeitgeber, soweit sie auf das fragliche Arbeitsverhältnis zutreffen, anzukreuzen und gegebenenfalls durch Eintragungen zu vervollständigen hat. Die Auswahl der in der Arbeitsbescheinigung zu treffenden Aussagen entspricht damit dem Ausfüllen eines entsprechenden Fragebogens. Das LSG hat eine Verpflichtung der beklagten Arbeitgeberin verneint, die Aussage anzukreuzen, die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber sei (tarifvertraglich) nur bei Zahlung einer Abfindung, Entschädigung oder ähnlichen Leistung zulässig gewesen. Die Auswahl dieser Aussage verlange, weil die ordentliche Kündigung nach dem Tarifvertrag nur bei Betriebsstillegungen bzw Teilbetriebsstillegungen iVm einem Sozialplan zulässig gewesen sei, in unzulässiger Weise rechtliche Wertungen zum Teilbetrieb oder einer Betriebsabteilung. Das schließe einen Schadensersatzanspruch aus.

Da der Senat mit dem LSG eine Verletzung der Verpflichtung zur Angabe von Tatsachen verneint, kann auch für das Revisionsverfahren offenbleiben, ob der BA überhaupt ein Schaden entstanden ist. Auf die hierzu bestehenden Zweifel ist nur insoweit einzugehen, als sich hieraus Auswirkungen auf den zulässigen Inhalt der Arbeitsbescheinigung ergeben.

Die BA war nach ihrer Auffassung infolge der Kündigungsbeschränkung berechtigt, die gewährte Abfindung nach § 117 Abs 2 und 3 unter Berücksichtigung einer Kündigungsfrist von einem Jahr Algmindernd zu berücksichtigen. Hierzu bestimmt § 117 AFG: Ist die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber ausgeschlossen, so gilt bei zeitlich unbegrenztem Ausschluß eine Kündigungsfrist von 18 Monaten (Abs 1 Satz 3). Kann dem Arbeitnehmer nur bei Zahlung einer Abfindung, Entschädigung oder ähnlichen Leistung ordentlich gekündigt werden, so gilt eine Kündigungsfrist von einem Jahr (Satz 4). Der Anspruch auf Alg ruht nicht über den Tag hinaus, an dem der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist hätte kündigen können (Abs 3 Satz 2 Nr 3).

Hierzu hat der erkennende Senat die Auffassung vertreten, § 117 Abs 2 und 3 AFG verstoße gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) iVm dem Sozialstaatsprinzip, soweit er das Ruhen des Arbeitslosengeldes auch für die Fälle vorsieht, in denen das Arbeitsverhältnis eines nicht mehr ordentlich kündbaren Arbeitnehmers nur unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist außerordentlich gekündigt werden könne; er hat gemäß Art 100 GG diese Frage dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zur Entscheidung vorgelegt (Beschlüsse vom 13. März 1990 11 RAr 107/89 BB 1990, 1981 = NZA 1990, 917; 11 RAr 129/88).

Die Vorlagebeschlüsse betreffen den Tatbestand „ordentliche Kündigung ausgeschlossen”. Der Senat hat die Vorlage damit begründet, § 117 AFG schreibe die Anrechnung der Abfindung an „kündigungsgeschützte Arbeitnehmer” auch dann vor, wenn diese die Abfindung in gleicher Höhe wie nicht kündigungsgeschützte Arbeitnehmer erhalten. Die Berücksichtigung der Abfindung nur bei den an sich Unkündbaren führe zu deren Benachteiligung im Verhältnis mit den ordentlich Kündbaren, deren Abfindung diesen unangerechnet verbleibe. Es liegt nahe, dies auf den hier vorliegenden Tatbestand „Kündigung nur bei Zahlung einer Abfindung” zu übertragen und § 117 AFG insoweit als verfassungswidrig anzusehen, als den noch kündbaren Arbeitnehmern die Abfindung ungeschmälert verbleibt, während bei den kündigungsgeschützten Arbeitnehmern eine Minderung des Alg-Anspruchs eintritt. In diesem Zusammenhang hat der Senat die Entwicklung des Rechtsinstituts der außerordentlichen Kündigung (Kündigung aus wichtigem Grund) mit einer Auslauffrist in Länge der ordentlichen Kündigungsfrist durch die Rechtsprechung dargestellt.

Hiervon wird für die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Ausfüllung der Arbeitsbescheinigung bedeutsam, daß ähnlich wie § 117 AFG auch der Vordruck der BA nur die beiden gesetzlichen Kündigungsformen berücksichtigt, nicht aber die Kündigung aus wichtigem Grund unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist.

Nach § 133 Abs 1 Satz 1 AFG hat der Arbeitgeber nur die Tatsachen zu bescheinigen, die für die Entscheidung über den Anspruch auf Alg erheblich sein können. Weitere Tatsachen dürfen nicht erfragt werden. Gehört der streitige Komplex „Kündigung nur bei Zahlung einer Abfindung” nicht zum Kreis der möglicherweise entscheidungserheblichen Tatsachen, so war die Beklagte zu einer Angabe nicht verpflichtet, und zwar unabhängig von der Frage, ob diese Angabe eine Tatsache betraf oder eine rechtliche Wertung erforderte.

Hierzu meint das LSG zu Unrecht, die Beklagte habe es der klagenden BA auch ohne die Angabe „Kündigung nur bei Zahlung einer Abfindung” ermöglicht, im Zusammenhang mit den Angaben der Arbeitnehmer schnell und richtig über deren Anträge auf Leistungen wegen Arbeitslosigkeit zu entscheiden. Die Beklagte habe insbesondere das Alter der Arbeitnehmer, die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit und die Art der Beendigung des Arbeitsverhältnisses angegeben, ferner auch die Leistung einer Abfindung und deren Höhe.

Mit dieser Begründung kann die Verpflichtung der Beklagten zur Ankreuzung der streitigen Aussage nur verneint werden, wenn der Bereich der tarifvertraglichen Regelung insgesamt zur Rechtsanwendung gehört, die der BA obliegt, und nicht zu der Angabe von Tatsachen. Denn nach § 117 AFG ist die Berücksichtigung der Abfindung – wenn überhaupt – nur zulässig, wenn das Recht zur ordentlichen Kündigung ohne Zahlung einer Abfindung ausgeschlossen ist. Für eine sachgerechte Entscheidung genügt daher nicht die Kenntnis von der Zahlung einer Abfindung, vom Alter der Arbeitnehmer und der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit. Zusätzlich ist auch die Kenntnis erforderlich, daß die beiden fraglichen Tarifverträge für Arbeiter und Angestellte anwendbar sind, und die Kenntnis vom Inhalt der in diesen Tarifverträgen zur Kündigung getroffenen Regelung. Die Anwendbarkeit des Tarifvertrages ergibt sich entweder aus beiderseitiger Tarifbindung oder aus einer Verweisung im Arbeitsvertrag auf den Tarifvertrag. Hierbei handelt es sich um weitere Tatsachen, die zur Entscheidung über das Alg notwendig waren.

Darüber hinaus ist auch der Inhalt der hier einschlägigen Tarifnormen zum Kündigungsrecht, obgleich der normative Teil von Tarifverträgen iS des Revisionsrechts nicht zur Tatsachenfeststellung, sondern zur Rechtsanwendung gehört, in Ansehung des § 133 AFG dem Bereich der Tatsachen zuzuordnen. Der Inhalt der einschlägigen Tarifverträge ist dem Arbeitgeber eher bekannt als der BA. Überdies gehört der Wortlaut von Kündigungsbeschränkungen im Arbeitsvertrag ohnehin zu den anzugebenden Tatsachen, desgleichen der Wortlaut einer vertraglichen Modifizierung des tarifvertraglichen Kündigungsschutzes. Das rechtfertigt es, nach Sinn und Zweck des § 133 AFG den Wortlaut der für die Kündigung maßgebenden Regelungen insgesamt der Auskunftspflicht des Arbeitgebers zuzuordnen. Die Schadensersatzpflicht kann daher nicht schon mit der Begründung verneint werden, die Beklagte habe ohnehin alle erforderlichen Tatsachen mitgeteilt.

Die im Vordruck der Arbeitsbescheinigung im Abschnitt 6 vorformulierten Aussagen zu vertraglichen oder tarifvertraglichen Einschränkungen des Rechts zur ordentlichen Kündigung benutzen die Rechtsbegriffe der ordentlichen und außerordenlichen Kündigung (Kündigung aus wichtigem Grund) sowie der Zahlung einer Abfindung. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, gemäß § 133 Abs 1 Satz 1 zweiter Halbsatz AFG den von der BA vorgesehenen Vordruck zu benutzen, ändert nichts daran, daß nach dem ersten Halbsatz der Vorschrift in der Arbeitsbescheinigung nur „Tatsachen” anzugeben sind. In der Arbeitsbescheinigung darf die BA vom Arbeitgeber grundsätzlich keine Angaben verlangen, die eine eigene rechtliche Wertung voraussetzen (BSG Urteil vom 28. Juni 1991 – 11 RAr 117/90). Erfordert das Ausfüllen der Arbeitsbescheinigung eine rechtliche Wertung, so ist ein Schadensersatzanspruch auch dann ausgeschlossen, wenn die Rechtsanwendung unrichtig ist und dies auf Fahrlässigkeit beruht (BSGE 64, 233, 239 = SozR 4100 § 145 Nr 4; BSG Urteil vom 28. Juni 1991 – 11 RAr 117/90).

In den angeführten Urteilen wurde die hier zu entscheidende Frage, ob und in welchen Grenzen einfache Rechtsbegriffe der Alltagssprache den Tatsachen gleichstehen, angesprochen, ohne daß dort näher hierauf einzugehen war. Bei den angeführten Rechtsbegriffen zum Kündigungsrecht handelt es sich um einfache Rechtsbegriffe der Alltagssprache. Derartige Rechtsbegriffe dürfen nach gesicherter Rechtsprechung vom Tatsachengericht zur Tatsachenfeststellung verwandt werden, wenn ihre Anwendung im Einzelfall unstreitig und auch objektiv unzweifelhaft ist. Die Einschränkungen zeigen, daß auch die Anwendung einfacher Rechtsbegriffe im Einzelfall schwierige rechtliche Wertungen erfordern kann. Sie verlieren hierdurch nicht ihren Charakter als einfache Rechtsbegriffe der Alltagssprache.

Die für das Prozeßrecht gefundene Lösung, daß derartige Rechtsbegriffe der Alltagssprache den Tatsachen nur mit den genannten Einschränkungen gleichstehen, kann auf die Arbeitsbescheinigung nicht ohne weiteres übertragen werden. Denn bei der Abfassung eines Urteils steht bereits fest, auf welchen Tatbestand der Rechtsbegriff anzuwenden ist, so daß die Frage beantwortet werden kann, ob die Anwendung unstreitig und unzweifelhaft ist. Bei der Abfassung des Vordrucks der Arbeitsbescheinigung ist noch nicht zu ersehen, auf welche Tatbestände die Bescheinigung anzuwenden ist. Soweit typische Fallgestaltungen Schwierigkeiten erwarten lassen, ist nach dem Vorliegen eines solchen typischen Sachverhalts zu fragen, und nicht eine Anleitung zur Subsumtion dieses Tatbestandes unter den Rechtsbegriff zu geben, worauf der Senat schon in anderem Zusammenhang hingewiesen hat (BSG Urteil vom 28. Juni 1991 – 11 RAr 117/90). Andererseits ist bei jedem einfachen Rechtsbegriff der Alltagssprache vorhersehbar, daß die Arbeitsbescheinigung auch auf Sachverhalte anzuwenden ist, bei denen dieser Begriff zu Schwierigkeiten führt.

Es würde zu weit gehen, wegen dieser vorhersehbar in Ausnahmefällen auftretenden Schwierigkeiten auch für den Regelfall auf einfache Rechtsbegriffe der Alltagssprache zu verzichten. Ein Verzicht wäre zwar denkbar. So könnte dem Arbeitgeber zum Abschnitt 6 der Arbeitsbescheinigung in jedem Fall aufgegeben werden, den Inhalt der vertraglichen und tarifvertraglichen Regelungen über Einschränkungen des Kündigungsrechts im Wortlaut wiederzugeben. Das würde indes den Arbeitgeber im Regelfall weitaus stärker belasten als ein Ankreuzen einfacher Rechtsbegriffe. Der beabsichtigte Schutz des Arbeitgebers vor der Belastung mit einer unzumutbaren rechtlichen Wertung in Ausnahmefällen würde bezogen auf den Regelfall zur Plage. Deswegen ist nach Auffassung des Senats nichts dagegen einzuwenden, daß im Vordruck der Arbeitsbescheinigung zum Abschnitt 6 die genannten einfachen Rechtsbegriffe der Alltagssprache gebraucht werden.

Soweit im Einzelfall die Anwendung eines Rechtsbegriffs der Alltagssprache zu Schwierigkeiten führt, ist der Arbeitgeber berechtigt, auf seine Zweifel hinzuweisen etwa durch den schlichten Zusatz „zweifelhaft”, wobei er möglichst auch die Tatsachen, die zu Zweifeln Anlaß geben, angeben sollte. Die gesetzliche Verpflichtung, das Formular zu benutzen, verpflichtet den Arbeitgeber nicht, in diesen Ausnahmefällen auf eigene Zusätze zu verzichten und den Sachverhalt unter die Rechtsbegriffe abschließend zu subsumieren. Den Arbeitgeber auch dann von einer Haftung freizustellen, wenn er seine Zweifel nicht deutlich macht, ist nicht gerechtfertigt. Der Arbeitgeber ist indes nur dann verpflichtet, Zweifel hinsichtlich der Verwendung einfacher Rechtsbegriffe kenntlich zu machen, wenn die vorformulierten Aussagen der Arbeitsbescheinigung bezogen auf die konkrete Fallgestaltung die Fragestellung erkennen lassen. Das ist hier nicht der Fall. Das LSG hat deshalb im Ergebnis zu Recht eine Pflichtverletzung des Arbeitgebers verneint, obgleich dieser seine Zweifel, ob (auch) die Aussage zur Kündigung nur bei Zahlung einer Abfindung anzukreuzen war, in der Arbeitsbescheinigung nicht verlautbart hat.

Die Schwierigkeiten beruhen insbesondere darauf, daß die Arbeitsbescheinigung den bei Betriebsstillegungen oft betroffenen Tatbestand einer Kündigung aus wichtigem Grund unter Einhaltung der Kündigungsfrist als Auslauffrist nicht anspricht. Bei der Auslegung der Arbeitsbescheinigung dahin, wie bei diesem Tatbestand zu verfahren ist, durfte der Arbeitgeber davon ausgehen, daß der Umstand entscheidungserheblich und daher anzugeben ist, daß beim Aufhebungsvertrag die gesetzliche Kündigungsfrist eingehalten und eine Abfindung gezahlt wurde, zumal keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß wegen der Unkündbarkeit eine höhere Abfindung gewährt wurde. Die Dauer der Kündigungsfrist konnte er aber nach der Ausgestaltung des Vordrucks nur angeben, wenn er die Aussage Abschnitt 6 Buchst a auswählte. Eine kurze Angabe der Zweifelsgründe war unter diesen Umständen nicht möglich. Hierzu hätte auf das Verhältnis der Aussagen zur ordentlichen Kündigung, zur nur außerordentlichen Kündbarkeit und zur Kündbarkeit nur bei Zahlung einer Abfindung eingegangen werden müssen (Zweifel, ob das Ankreuzen der Aussage Abschnitt 6 Buchst a das Ankreuzen einer der beiden Alternativen zum Buchst b ausschloß). Ferner bleibt unklar, ob nur die ordentliche Kündbarkeit bei Zahlung einer Abfindung anzugeben ist, oder auch die außerordentliche Kündbarkeit mit Kündigungsfrist und Zahlung einer Abfindung. Hinzu kommt, daß die Frage, ob der Arbeitnehmer vertraglich oder tarifvertraglich nur bei Zahlung einer Abfindung kündbar war, nicht erkennen läßt, ob es genügt, daß der Tarifvertrag auf einen Sozialplan verweist, und dieser einen Abfindungsanspruch einräumt. Unter diesen Umständen war es dem beklagten Arbeitgeber nicht erkennbar, nach welchen Tatsachen er mit den einfachen Rechtsbegriffen der Alltagssprache gefragt wurde.

Der Umstand, daß die Arbeitsbescheinigung weitgehend dem Wortlaut des § 117 AFG folgt, und daß auch dieser den Tatbestand einer Kündigung aus wichtigem Grund mit der ordentlichen Kündigungsfrist als Auslauffrist nicht erwähnt, macht zwar das Verhalten der BA verständlich, vermag eine weitergehende Belastung des Arbeitgebers aber nicht zu rechtfertigen. Es ist vielmehr gerade die Aufgabe der Behörde, bei unklarer Gesetzeslage den Beteiligten zu helfen, insbesondere durch verständliche Vordrucke. Die Behörde hat gleichsam die Kompliziertheit der Gesetzeslage zu vertreten.

Auf die vom LSG herausgestellten Rechtsbegriffe der Betriebsstillegung und Teilbetriebsstillegung kann es in diesem Zusammenhang nicht entscheidend ankommen. Die Frage, ob eine Betriebsstillegung oder eine Teilbetriebsstillegung vorliegt, ist nur für die Frage bedeutsam, ob überhaupt bei Zahlung einer Abfindung gekündigt werden durfte. Die Schlußfolgerung, daß im Zeitpunkt der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses eine Kündigung ohne Sozialplan unzulässig gewesen wäre, ist nach dem Tarifrecht auch ohne Anwendung der Rechtsbegriffe Betriebsstillegung bzw Teilbetriebsstillegung möglich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie umfaßt auch das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde.

 

Fundstellen

Haufe-Index 913611

BSGE, 268

NZA 1993, 46

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