Beteiligte

Kläger und Revisionsbeklagter

Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I

Der im Jahre 1955 geborene Kläger legte im Juni 1975 das Abitur ab und leistete vom 1. Juli 1975 bis 30. September 1976 Wehrdienst bei der Bundeswehr. Während der Wehrdienstzeit verstarb im August 1976 sein Vater (Versicherter). Am 1. Oktober 1976 begann der Kläger ein Universitätsstudium. Wegen der damit begonnenen Berufsausbildung erfüllt er die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Waisenrente. Streitig ist, ob ihm die bereits im August 1976 beantragte Waisenrente ab 1. Oktober 1976 oder erst ab 1. November 1976 zu gewähren ist.

Die Beklagte gewährte ihm mit Bescheid vom 20. Oktober 1976 die Waisenrente ab 1. November 1976. Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Augsburg die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20. Oktober 1976 verurteilt, dem Kläger die Waisenrente ab 1. Oktober 1976 zu gewähren und gegen sein Urteil sowohl die Berufung, als auch die Revision zugelassen. Das SG ist der Ansicht, die Berufsausbildung des Klägers sei - trotz des Studiumbeginns am 1. Oktober 1976 - bereits vor dem 1. Oktober 1976 aufgenommen worden; mindestens aber müsse er so gestellt werden, als habe er sich im Zeitpunkt des Todes seines Vaters bereits in einer Berufsausbildung befunden. Würde die Wehrdienstzeit hinweggedacht, dann würde der Unterhaltsverlust von einem Monat nicht entstehen. Letztlich könne aber der Kläger durch die Ableistung des Wehrdienstes nicht schlechter gestellt werden als eine Waise, die eine mehrmonatige Zeitspanne, die zwischen Schulentlassung und dem absehbaren Beginn der Ausbildung für einen angestrebten Beruf liege, in sinnvoller Weise überbrücken wolle, hieran jedoch durch eine Krankheit gehindert werde (Hinweis auf BSG in SozR Nr. 42 zu § 1267 Reichsversicherungsordnung -RVO-)Der Kläger sei während des Wehrdienstes durch den freien Unterhalt und den Wehrsold gesichert gewesen. Falle diese Sicherung aber mit der Beendigung des Wehrdienstes weg, so müsse die Sicherung der Waise durch den unmittelbaren Anschluß der Waisenrente gewährleistet werden, weil sonst der Charakter der Unterhaltsersatzfunktion der Waisenrente nicht gewahrt werde. Die angenommene Rechtsfolge ergebe sich auch aus der Überlegung, daß der Gesetzgeber grundsätzlich jede Schlechterstellung von Wehrdienstleistenden vermeiden wolle. Das müsse jedenfalls gelten, wenn - wie beim Kläger - die kontinuierliche Ausbildung durch den Wehrdienst lediglich unterbrochen worden sei (Urteil vom 24. März 1977).

Die Beklagte hat gegen das Urteil des SG Revision eingelegt und der Revisionsschrift eine beglaubigte Abschrift der Sitzungsniederschrift vom 24. März 1977 beigefügt, aus der sich ergibt, daß der Kläger seine Zustimmung zur Sprungrevision zu Protokoll erklärt hat. Die Beklagte rügt eine Verletzung der Vorschriften der §§ 1267 Satz 2, 1290 Abs. 1 RVO. Nach der Vorschrift des § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO über den Beginn der Rente stehe diese dem Kläger erst ab 1. November 1976 zu. Die Ausnahmeregelungen des § 1290 Abs. 1 Satz 3 und des § 1290 Abs. 3 RVO träfen nicht zu. Der Beginn einer Waisenrente richte sich auch dann - unabhängig von einem Rentenantrag nach § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO, wenn die Voraussetzungen des 1267 RVO erstmalig nach Vollendung des 18. Lebensjahres erfüllt würden. Da der Kläger sein Studium erst am 1. Oktober 1976 aufgenommen habe, habe er die Voraussetzungen des § 1267 Satz 2 RVO, dem Beginn der Berufsausbildung, erstmalig am 1. Oktober 1976 erfüllt.

Die Beklagte beantragt,das Urteil des SG Augsburg vom 24. März 1977 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist in dem Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht vertreten.

II

Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Die Beklagte hat die Rente zu Recht erst ab 1. November 1976 gewährt.

Streitig ist unter den Beteiligten nicht, daß für den damals kurz vor Vollendung des 21. Lebensjahres stehenden Klägers durch die Aufnahme eines Universitätsstudiums am 1. Oktober 1976 die Voraussetzungen des § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO für die Gewährung einer Waisenrente erfüllt waren. Nach § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO ist die Rente, vorbehaltlich von Sonderregelungen, die hier nicht in Betracht kommen, vom Ablauf des Monats an zu gewähren, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind. Der 1. Senat des BSG hat bereits in einem Urteil vom 3. April 1973 - 1 RA 235/72 - (SozR Nr. 17 zu § 1290 RVO ) entschieden, daß sich auch bei einer Waise, die erst nach Vollendung ihres 18. Lebensjahres und nach Ablauf des Sterbemonats des Versicherten ihre Berufsausbildung aufgenommen hat, der Beginn der deshalb erstmalig zu gewährenden Waisenrente nach § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO richtet. Die Waisenrente kann demnach erst nach Ablauf des Monats gezahlt werden, in dem die Berufsausbildung begonnen hat. Auch in dem vom 1. Senat entschiedenen Falle befand sich der Kläger zur Zeit des Todes seines Vaters bei der Bundeswehr. Der erkennende Senat schließt sich im Ergebnis dieser Rechtsprechung des 1. Senats an.

Durch das Finanzänderungsgesetz 1967 (BGBl. I S. 1259) ist § 1290 Abs. 1 Satz 1 mit Wirkung vom 1. Januar 1968 geändert worden. Während vorher Renten vom Beginn des Monats an zu gewähren waren, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt waren, sind sie ab 1. Januar 1968 erst vom Ablauf dieses Monats an zu zahlen. Wie der 1. Senat des BSG in dem genannten Urteil ausgeführt hat, sollte die neue Regelung mit dazu beitragen, die finanziellen Verluste der Rentenversicherung auszugleichen, die damals dadurch entstanden, daß entgegen der Regierungsvorlage die Beteiligung der Rentner an ihrer Krankenversicherung von vier auf zwei v.H. herabgesetzt worden war. Die Verschiebung des Rentenbeginns konnte bei Renten wegen Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit und beim Altersruhegeld hingenommen werden, weil bei diesen Renten sich die Versicherten im allgemeinen auf die Verschiebung des Rentenbeginns um einen Monat einstellen. Bei der Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit ist in der Regel im Monat des Eintritts des Versicherungsfalls der Unterhalt noch aus den gleichen Quellen sichergestellt, aus denen er vorher bestritten wurde und auf den um einen Monat verschobenen Beginn des Altersruhegeldes können die Versicherten den Eintritt in den Ruhestand abstellen.

Problematischer ist die am 1. Januar 1968 in Kraft getretene Neuregelung jedoch für Hinterbliebenenrenten. Diese werden gewährt, weil mit dem Tode des unterhaltsverpflichteten Versicherten dessen Unterhaltsleistungen an die Ehefrau und die Kinder mit Eintritt des Todes und nicht erst mit Ablauf des Todesmonats entfallen. Der Gesetzgeber hat die Problematik gesehen, die sich in diesen Fällen ergeben würde, wenn die Hinterbliebenenrenten erst mit Ablauf des Todesmonats einsetzen würden. Er hat ihr Rechnung dadurch getragen, daß er in § 1290 Abs. 1 Satz 3 RVO bestimmt hat, daß Hinterbliebenenrenten vom Zeitpunkt des Todes des Versicherten an zu gewähren sind, wenn für den Versicherten im Sterbemonat keine Rente zu zahlen war. Diese zusätzliche Einschränkung ergibt sich daraus, daß letzterenfalls im Hinblick auf die Rentenzahlung für den Sterbemonat (§ 1294 RVO ) die Nahtlosigkeit zwischen Versichertenrente und Hinterbliebenenrente bei Witwen und Waisen unter 18 Jahren gewahrt ist.

Von der in § 1290 Abs. 1 Satz 3 RVO getroffenen Regelung werden aber Waisen nicht erfaßt, bei denen einige Zeit nach dem Tode des Versicherten wegen Aufnahme einer Schul- oder Berufsausbildung ein Waisenrentenanspruch gemäß § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO entsteht, die Waisen aber im Zeitpunkt des Todes des Versicherten noch keinen derartigen Anspruch hatten, weil sie zu diesem Zeitpunkt das 18. Lebensjahr bereits vollendet, indes die Schul- oder Berufsausbildung aus irgendwelchen Gründen noch nicht begonnen hatten. Eine analoge Anwendung des § 1290 Abs. 1 Satz 3 RVO ist in derartigen Fällen bereits im BSG-Urteil vom 3. April 1973 a.a.O. verneint worden, weil sie von dem Zweck dieser Vorschrift - Sicherstellung des nahtlosen Anschlusses einer Hinterbliebenenrente beim Wegfall der Unterhaltsleistung des Versicherten - nicht erfaßt werden. Wenn diese Waisen ihre Berufsausbildung beginnen, kann - im Hinblick auf die dann geltende Regelung des § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO - für einen Zeitraum bis zu einem Monat trotz der bereits begonnenen Schul- oder Berufsausbildung die an sich als Ersatz für den entfallenen Unterhalt des Versicherten zu zahlende Waisenrente wegfallen und damit in diesem Zeitraum ihre Unterhaltsersatzfunktion nicht erfüllen. Dies gilt nicht nur für Waisen, die im Zeitpunkt des Todes des Versicherten Wehrdienst leisten, sondern für alle über 18 Jahre alte Waisen, die aus anderen Gründen ihre Schul- oder Berufsausbildung im Zeitpunkt des Todes des Versicherten noch nicht aufgenommen haben. Es wäre vielleicht wünschenswert gewesen, wenn der Gesetzgeber auch für diese Fälle die Waisenrenten vom Zeitpunkt der Aufnahme der Schul- oder Berufsausbildung zugebilligt hätte. Das ist aber nicht geschehen.

Die Gewährung der Waisenrenten erst vom Ablauf des Monats an, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt waren, wird verständlicherweise härter empfunden, wenn die Schul- oder Berufsausbildung wegen Ableistung der Wehrpflicht im Zeitpunkt des Todes des Versicherten noch nicht begonnen hatte, zumal die Rechtsprechung andere Überbrückungstatbestände großzügig als zur Schul- oder Berufsausbildung gehörend angesehen hat (vgl. BSG in SozR Nr. 38 und 42 zu § 1267 RVO) und der Gesetzgeber sonst die durch den Wehrdienst entstehenden versicherungsrechtlichen Nachteile grundsätzlich auszugleichen versucht. So wird für die Gewährung von Waisenrenten in § 1267 Abs. 1 Satz 3 RVO bestimmt, daß im Falle der Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht die Waisenrente auch für einen der Zeit dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt wird. Hinsichtlich des Rentenbeginns in Fällen der vorliegenden Art hat der Gesetzgeber aber keine Ausnahme von der in § 1290 Abs. 1 Satz 1 RVO getroffenen Regelung geschaffen, wenn der aufgezeigte mögliche Verlust einer Hinterbliebenenrente für einen Monat durch die Ableistung des Wehr- oder Ersatzdienstes eintreten kann. Möglicherweise ist er in einer pauschalierenden Betrachtungsweise davon ausgegangen, daß grundsätzlich alle männlichen Versicherten einer bestimmten Altersgruppe Wehr- oder Ersatzdienst leisten müssen und daher der beim Kläger eingetretene Nachteil im Rentenbeginn unter den dort vorliegenden Umständen grundsätzlich alle männlichen Versicherten treffen kann. Die dabei möglicherweise gegebenen Vorteile für Waisen, die - abweichend vom gesetzlichen Regelfall - weder zum Wehr- noch zum Ersatzdienst einberufen werden, durfte der Gesetzgeber aber jedenfalls unter Berücksichtigung der eng begrenzten wirtschaftlichen Auswirkung im Einzelfall vernachlässigen, weil bei der im Sozialversicherungsrecht gebotenen Ordnung von Massenerscheinungen typisierende Regelungen unerläßlich sind (vgl. hierzu BSG in SozR 2200 § 1255 Nr. 6 mit weiteren Nachweisen).

Bei dieser Sach- und Rechtslage ist für eine von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit auszufüllende Gesetzeslücke kein Raum, zumal ein ähnlicher Nachteil nicht nur bei der Erstgewährung, sondern auch bei jeder Erhöhung oder Wiedergewährung einer Waisenrente auftreten kann , weil die nach § 1290 Abs. 3 Satz 1 RVO mögliche Erhöhung oder Wiedergewährung vom Beginn des Antragsmonats an nur dann erfolgt, wenn bereits zu Beginn, d.h. am ersten Tag des Antragsmonats die sonstigen Voraussetzungen hierfür gegeben waren (vgl. BSG in SozR 2200 § 1290 Nr. 2 und 4).

Das Urteil des SG war nach alledem aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.5 RJ 56/77

Bundessozialgericht

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518668

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