Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Umstritten ist zwischen den Beteiligten, ob das der Klägerin von der Beklagten mit Bescheid vom 26. August 1987 gewährte Altersruhegeld um Kindererziehungszeiten zu erhöhen ist.

Die Klägerin ist im Oktober 1922 geboren. Für ihre am 11. April 1954 geborene Tochter, die Beigeladene, sind Kindererziehungszeiten vom 1. Mai 1954 bis einschließlich 30. April 1955 anerkannt. Zusätzlich beansprucht die Klägerin Erziehungszeiten für ihr am 19. September 1980 geborenes Enkelkind Ronald, den Sohn der Beigeladenen. Diese war zur Zeit der Geburt ihres Kindes Studentin. Die Klägerin zog damals in die Wohnung der Tochter, damit diese wegen des Kindes ihr Studium nicht abbrechen mußte und weil die Klägerin nach eigenen Angaben ihr Enkelkind nicht ganz seiner Mutter entziehen wollte. Sie habe das Kind bis zum Abschluß des Studiums ihrer Tochter im März 1982 gepflegt und erzogen.

Die Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 29. September 1987 ab, Erziehungszeiten für das Kind Ronald zugunsten der Klägerin anzurechnen. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 1988).

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte verpflichtet, die von der Klägerin begehrte Kindererziehungszeit anzuerkennen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteile vom 20. Dezember 1988 und 21. April 1989). Das LSG hat ausgeführt, das Kind Ronald sei während des ersten Jahres nach der Geburt nicht Pflegekind der Klägerin gewesen. Diese habe es nicht in ihren Haushalt aufgenommen. Mieterin der Wohnung, in der die Klägerin mit ihrer Tochter und deren Kind gelebt habe, sei die Tochter gewesen. Auch bei wirtschaftlicher Betrachtung sei es nicht "praktisch" die eigene Wohnung der Klägerin gewesen; denn nicht sie, sondern ihr Ehemann habe die Mietzahlungen geleistet und dafür gebürgt. Eine zweite eheliche Wohnung der Klägerin könne ebenfalls nicht angenommen werden, weil diese zur Tochter gezogen sei, der Ehemann sich selbst versorgt und die Eheleute praktisch getrennt gelebt hätten. Zwischen der Klägerin und ihrem Enkelkind habe unter den obwaltenden Umständen kein Familienband auf Dauer geknüpft werden können, wie es zwischen Mutter und Kind regelmäßig bestehe und hier auch tatsächlich bestanden habe.

Die Klägerin hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt eine Verletzung der §§ 1251a, 1227a Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sowie des § 56 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 3 Nr. 3 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil (SGB I).

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.

Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Die beanspruchte Kindererziehungszeit für ihr Enkelkind steht der Klägerin nicht zu.

Die Anrechnung von Kindererziehungszeiten richtet sich hier nach § 1251a RVO, der in Abs. 3 Satz 1 die Vorschrift des § 1227a Abs. 3 RVO für entsprechend anwendbar erklärt. Nach dessen Satz 1 sind Mütter i.S. der Bestimmung u.a. zwar Pflegemütter, nicht aber Großmütter. § 1227a Abs. 3 RVO verweist wegen des Begriffs "Pflegemutter" seinerseits auf § 56 Abs. 3 Nr. 3 SGB I. Nach dieser Nr. 3 gelten als Eltern auch Pflegeeltern, das sind Personen, die den Berechtigten als Pflegekind aufgenommen haben. Bemerkenswert ist hier, daß der Gesetzgeber im Rahmen der Kindererziehungszeiten nicht insoweit auf § 56 SGB I verwiesen hat, als darin Regelungen betreffend Großeltern und Enkel enthalten sind. Die Klägerin kann also als Großmutter die Kindererziehungszeiten nicht erhalten, sie können ihr nur angerechnet werden, wenn sie auch Pflegemutter war. Das aber hat das LSG im Ergebnis zutreffend verneint.

§ 56 SGB I betrifft die sog Sonderrechtsnachfolge und regelt, in welcher Reihenfolge fällige Ansprüche auf Geldleistungen beim Tod des Berechtigten u.a. Kindern und Eltern zustehen (Abs 1). In Abs. 2 wird dann bestimmt, welche Kinder außer den leiblichen noch als Kinder und in Abs. 3 welche Personen als Eltern gelten sollen. Da in Abs. 3 Nr. 3 SGB I bei den Pflegeeltern vom Pflegekind die Rede ist, muß insoweit auf die Definition in Abs. 2 Nr. 2 der genannten Vorschrift zurückgegriffen werden. Danach sind Pflegekinder Personen, die mit dem Berechtigten durch ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft wie Kinder mit Eltern verbunden sind. In diesem Sinne hat die Klägerin ihr Enkelkind nicht als Pflegekind aufgenommen.

Entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung scheitert ein Anspruch der Klägerin auf Anrechnung der streitigen Kindererziehungszeiten nicht schon daran, daß es an einer Aufnahme des Kindes Ronald in den Haushalt der Klägerin fehlt. Die zur Begründung des Pflegekindverhältnisses notwendige häusliche Gemeinschaft wird im Recht der Sozialversicherung - allerdings nicht immer mit einheitlicher Wortwahl - mehrfach gefordert. Schon in § 56 SGB I finden sich von einander abweichende Formulierungen. So ist in Abs. 1 die Rede von Personen, die mit dem Berechtigten "in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben". Nach Abs. 2 der Vorschrift müssen in Nr. 1 Stiefkinder und Enkel sowie in Nr. 3 Geschwister des Berechtigten "in den Haushalt des Berechtigten" bzw. "in seinen Haushalt" aufgenommen worden sein und in Nr. 2 Pflegekinder mit dem Berechtigten durch ein "Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft" verbunden sein.

Die unterschiedlichen Formulierungen in § 56 Abs. 1 und 2 SGB I lassen nur den Schluß zu, daß es sich auch um unterschiedliche gesetzliche Voraussetzungen handelt. Bei Stiefkindern, Enkeln und Geschwistern müssen diese in den Haushalt des Leistungsberechtigten, der Haushaltsvorstand ist, aufgenommen worden sein. Hingegen spielt es bei Pflegekindern für das Zusammenleben in einem gemeinsamen Haushalt keine Rolle, wer Haushaltsvorstand ist (wie hier auch Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 444c; Hauck/Haines, SGB …§ 56 Rz 11). Die Unterschiede in den gesetzlichen Voraussetzungen sind sinnvoll und zweckmäßig. Bei Großeltern, Stiefeltern und Geschwistern ist es angebracht, die Aufnahme in den eigenen Haushalt zu fordern, um schon dadurch ein Betreuungs- und Erziehungsverhältnis sichtbar zu machen. Anders verhält es sich bei Pflegekindern. Zieht beispielsweise eine Frau mit ihrem Pflegekind zu ihren Eltern, dann enden die Aufnahme als Pflegekind und das Pflegekindschaftsverhältnis nicht dadurch, daß diese Frau nun keinen eigenen Haushalt mehr hat. Andererseits wird aber auch kein Pflegekindschaftsverhältnis zu den Eltern der Frau begründet.

So hat auch hier die Klägerin im Haushalt ihrer Tochter mit dem Enkel Ronald in häuslicher Gemeinschaft i.S. des § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB I gelebt. Sie hat es auch versorgt und ihm Fürsorge angedeihen lassen. Das reicht aber nicht aus, ein Pflegekindverhältnis im Rechtssinne anzunehmen, das die Klägerin berechtigt, anstelle der Mutter Kindererziehungszeiten zu beanspruchen. Die Beziehung der Mutter zum Kind und umgekehrt, das Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis zwischen Mutter und Kind, bestand während des gesamten streitigen Zeitraumes und dominierte im Vergleich zur Betreuung des Kindes durch die Klägerin. So hat der 4. Senat des BSG schon im Urteil vom 3. März 1960 (BSGE 12, 35, 37f.) ein "familienartiges Band" zwischen Pflegeeltern und Pflegekind nur dann angenommen, wenn die Beziehungen des Kindes zur Mutter gelöst sind. Mutter und Großmutter könnten nicht nebeneinander ein zweifaches Familienband mit dem Kind gleichzeitig unterhalten (so BSGE 19, 106, 107). Auch der erkennende Senat hat im Urteil vom 10. Februar 1983 - 5b RJ 56/81 - ein Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienhafter Art zum Großvater verneint, wenn das Kind zusammen mit seiner Mutter bei den Großeltern lebt und das Kind von der Familiengemeinschaft mit der Mutter nicht getrennt worden ist. Diese Grundsätze gelten auch im Falle der Klägerin. Sie, die Großmutter, kann nur dann als Pflegemutter angesehen werden, wenn die Beziehungen des Kindes zur Mutter gelöst sind. Das aber war hier nicht der Fall.

Natürlich existiert zwischen Großmutter und Enkel ein familiäres Band. Das reicht aber nicht aus; denn es muß das typische Band sein, das Kinder mit Eltern verbindet. Ein solches kann nicht im notwendigen Umfange entstehen, wenn die Beziehung zwischen Kind und Mutter erhalten geblieben ist. Um das zu ermöglichen ist die Klägerin gerade seinerzeit zu ihrer Tochter gezogen. Es genügt nicht, daß die Klägerin während eines Teils des Tages die Stelle der Muter eingenommen hat. Das ist auch aus dem Sinn und Zweck der Kindererziehungszeiten zu verdeutlichen. Diese stehen primär der Mutter zu und können von einer Pflegemutter nur in Anspruch genommen werden, wenn die Mutter das Kind nicht erzieht.

Allerdings enthält § 1227a RVO in Abs. 3 Satz 2, auf den § 1251a Abs. 3 Satz 1 RVO verweist, eine Regelung für den Fall, daß mehrere Personen ein Kind erziehen. Dann ist - soweit sich aus § 1227a Abs. 2 RVO nichts anderes ergibt - der Elternteil versichert, der das Kind überwiegend erzieht. Das soll nach dem zeitlichen Umfang bestimmt werden (so die Begründung zum Entwurf des Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes -HEZG-, wodurch § 1227a in die RVO eingefügt worden ist, BT-Drucks 10/2677 S. 33). Im Falle der Klägerin kann aber nicht davon ausgegangen werden, daß sie im Rechtssinn als Pflegemutter neben der leiblichen Mutter das Kind (überwiegend) erzogen hat, weil die existente und dominante Beziehung zwischen Kind und Mutter das Entstehen eines Pflegschaftsverhältnisses hindert. Die Stellung der Klägerin als Großmutter und das daraus resultierende erzieherische Wirken führen nicht zur Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten, weil Großmütter als solche nicht zum begünstigten Personenkreis des § 1251a RVO gehören.

Die somit nicht begründete Revision der Klägerin mußte zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

BSGE, 211

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