Entscheidungsstichwort (Thema)

Versicherungspflicht. Selbständige. Hilfskräfte

 

Leitsatz (amtlich)

Die Versicherungspflicht selbständiger Lehrer und Erzieher nach § 2 Abs 1 Nr 3 AVG entfällt nicht deshalb, weil die in geringfügigem Umfang beschäftigte Hilfskraft nicht nur mechanische Arbeiten verrichtet (Fortführung von BSG vom 9.12.1982 - 12 RK 21/82 = SozR 2400 § 2 Nr 22).

 

Orientierungssatz

Die Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 3 AVG entfällt nicht durch die Beschäftigung einer Hilfskraft, wenn diese Beschäftigung sich in den Grenzen von § 8 Abs 1 Nr 1 SGB 4 (geringfügige Beschäftigung) hält.

 

Normenkette

AVG § 2 Abs 1 Nr 3; SGB 4 § 8 Abs 1 Nr 1

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 30.01.1985; Aktenzeichen L 13 An 80/83)

SG München (Entscheidung vom 09.11.1982; Aktenzeichen S 17 An 286/81)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger, der selbständiger Fahrlehrer ist, der Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) unterliegt, obwohl seine Ehefrau in seinem Betrieb teilzeitbeschäftigt ist.

Der Kläger ist seit dem 19. September 1972 als selbständiger Fahrlehrer tätig. Seit dem 1. Januar 1975 arbeitet seine Ehefrau im Fahrschulbetrieb als Bürogehilfin und Buchhalterin mit. Ihre Arbeitszeit wurde auf 12 Stunden in der Woche gegen ein monatliches Bruttogehalt von DM 320,-- festgelegt. Die Beklagte sieht den Kläger als versicherungspflichtigen Selbständigen iS von § 2 Abs 1 Nr 3 AVG an. Sie stellte dies mit Bescheid vom 26. November 1980 fest und forderte von ihm Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12. März 1981).

Die Klage hatte Erfolg (Urteil des Sozialgerichts München -SG- vom 9. November 1982). Das Urteil des SG wurde jedoch im Berufungsverfahren wieder aufgehoben (Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts -LSG- vom 30. Januar 1985). Das LSG war der Auffassung, daß der Kläger versicherungspflichtig sei. Seine Ehefrau sei lediglich geringfügig in dem Fahrschulbetrieb tätig und zähle deshalb nicht als Angestellte iS von § 2 Abs 1 Nr 3 AVG. Ihre Beschäftigung liege regelmäßig unter 15 Stunden in der Woche, und ihr Arbeitsentgelt betrage regelmäßig weniger als DM 390,-- im Monat. Darauf, inwieweit sie Überstunden geleistet habe, komme es nicht an.

Mit der Revision macht der Kläger geltend, für die Frage, ob ein Angestellter im Rahmen von § 2 Abs 1 Nr 3 AVG berücksichtigt werden könne, komme es nicht auf § 8 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB 4) an, sondern darauf, in welchem Umfang die Tätigkeit dieses Angestellten das Betriebsergebnis beeinflusse. § 8 SGB 4 könne zwar als Richtschnur gelten; je nach Lage des Einzelfalls seien aber auch andere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, daß die Tätigkeit der Ehefrau des Klägers für den Fahrschulbetrieb wesentliche Bedeutung habe. Das LSG habe es unterlassen, dies aufzuklären. Zu Unrecht habe das LSG auch die von ihr geleisteten Überstunden unberücksichtigt gelassen. Für die Frage, welche Bedeutung eine Tätigkeit für den Betrieb habe, könne es nicht auf den Arbeitsvertrag ankommen, sondern allein auf den tatsächlichen Umfang des Arbeitseinsatzes. Schließlich habe das LSG unbeachtet gelassen, daß die Ehefrau des Klägers nicht nur laufendes Arbeitsentgelt, sondern auch Weihnachtszuwendungen erhalte, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bei der Bestimmung des Arbeitsentgelts im Rahmen von § 8 SGB 4 zu berücksichtigen seien (BSG 28. Februar 1984 - 12 RK 21/83 -).

Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie beruft sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil sowie auf das Urteil des BSG vom 9. Dezember 1982 - 12 RK 21/82 - (SozR 2400 § 2 Nr 22).

Beide Beteiligte haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) entschieden wird.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.

Das LSG hat seiner Entscheidung zu Recht die Auffassung zugrunde gelegt, daß die Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 3 AVG nicht durch die Beschäftigung einer Hilfskraft entfällt, wenn diese Beschäftigung sich in den Grenzen von § 8 Abs 1 Nr 1 SGB 4 (geringfügige Beschäftigung) hält. Der erkennende Senat hat dies bereits in seinem Urteil vom 9. Dezember 1982 (BSGE 54, 219 = SozR 2400 § 2 Nr 22) im Fall einer Krankengymnastin, die eine Bürohilfe beschäftigte, dargelegt. Allerdings bezog sich dieses Urteil auf eine Angestellte, die nur einfache Bürotätigkeiten verrichtete. Demgegenüber ist möglicherweise die Ehefrau des Klägers mit verantwortungsvolleren Aufgaben betraut. Insoweit sind aber Differenzierungen nicht erforderlich und auch nicht angebracht, solange nicht eine Tätigkeit ausgeübt wird, die derjenigen des Arbeitgebers nach Art und Qualifikationsanforderungen im wesentlichen gleichsteht. Die Schutzbedürftigkeit der in § 2 AVG genannten Gruppen von Selbständigen ergibt sich daraus, daß diese Selbständigen allein auf ihre Arbeitskraft angewiesen sind, solange sie keine Angestellten gleicher Qualifikation beschäftigen; sie sind dann regelmäßig nicht in der Lage, so erhebliche Verdienste zu erzielen, daß sie sich außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung angemessen absichern können. Hieran ändert sich nichts wesentliches, wenn sie in geringfügigem Umfang Hilfskräfte beschäftigen, und zwar selbst dann nicht, wenn die Tätigkeiten dieser Hilfskräfte im Einzelfall Verantwortungsbewußtsein, Zuverlässigkeit oder auch Spezialkenntnisse erfordern und deshalb für den Betrieb von besonderer Bedeutung sind. Abgesehen davon würde eine weitere Differenzierung nach der Bedeutung der Tätigkeit von Hilfskräften auch auf große praktische Schwierigkeiten und Abgrenzungsprobleme stoßen. Für die Anwendung des § 2 Abs 1 Nr 3 AVG genügt deshalb die Feststellung, daß nur eine Hilfskraft beschäftigt wird und daß diese lediglich im Rahmen der Geringfügigkeitsgrenzen des § 8 Abs 1 Nr 1 SGB 4 tätig ist.

Ob dies hier der Fall ist, läßt sich indes noch nicht abschließend entscheiden, weil weitere Feststellungen zum Umfang der Tätigkeit der Ehefrau des Klägers und des ihr gezahlten Entgelts erforderlich sind.

Entgegen der Auffassung des LSG sind bei der Prüfung der Frage, ob die Arbeitsentgeltgrenzen (damals 390,-- DM monatlich) überschritten sind, auch Sonderzahlungen wie das Weihnachtsgeld zu berücksichtigen (SozR 2100 § 8 Nr 4). Außerdem kommt es auf den tatsächlichen Umfang der Beschäftigung an und nicht allein auf die schriftlich oder mündlich getroffenen Vereinbarungen. Die Versicherungspflicht und ebenso die Vorschriften über den Wegfall der Versicherungspflicht hängen nach der ständigen Rechtsprechung des BSG von der tatsächlichen Gestaltung des Beschäftigungsverhältnisses ab; die darüber getroffenen Vereinbarungen sind nur von Bedeutung, soweit sie nicht offensichtlich den tatsächlichen Verhältnissen widersprechen (vgl Merten, GK-SGB 4, § 7 RdNr 15 mwN). Es besteht kein sachlicher Grund, hiervon lediglich deshalb abzugehen, weil § 8 Abs 1 Nr 1 SGB 4 im Rahmen von § 2 Abs 1 Nr 3 AVG nicht unmittelbar, sondern lediglich als Maßstab für die Abgrenzung der die Versicherungspflicht nicht beeinträchtigenden Hilfstätigkeiten herangezogen wird.

Wegen der noch erforderlichen Feststellungen muß die Sache an das LSG zurückverwiesen werden, da der erkennende Senat die Feststellungen nicht selbst treffen kann (§ 163 SGG).

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1663344

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