Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorwurf unberechtigter Verordnungsweise von Arzneimitteln

 

Beteiligte

10. Mai 1990 …, Kläger und Revisionskläger

Kassenärztliche Vereinigung Nordwürttemberg,vertreten durch den Vorstand,Stuttgart 80, Albstadtweg 11, Beklagte und Revisionsbeklagte

Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V

 

Tatbestand

G r ü n d e :

I

Der Kläger ist als Facharzt für Hautkrankheiten zur kassen- und vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV), deren Mitglied er ist, hat ihm mit dem Vorwurf unberechtigter Verordnungsweise im Quartal IV/1986 Regresse in einer Gesamthöhe von rund 1.600 DM auferlegt (Bescheide vom 25. Juni 1987, Bescheid vom 3. August 1987). Sie hat sich dabei auf die Vorschrift der Nummer 21c der Arzneimittelrichtlinien (AMR) berufen. Die Widersprüche des Arztes hat die Beklagte - außer der Verordnung von "Ölbad Cordes F" in Höhe von 9,69 DM zurückgewiesen (Bescheid vom 25. September 1987). Die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Der Kläger hat Sprungrevision eingelegt.

Er beantragt,unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. April 1989 die Bescheide der Beklagten vom 25. Juni 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. August 1987 auch insoweit aufzuheben, als der Widerspruch zurückgewiesen wurde.

Die Beklagte und der Beigeladene (VdAK) beantragen,die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision, über die der Senat in der Besetzung nach § 12 Abs 3 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - Angelegenheiten des Kassenarztrechts - zu entscheiden hatte (vgl Urteil des Senats vom 10. Mai 1990 - 6 RKa 27/89 -) ist nur teilweise begründet.

1. Nach Nr 21c AMR dürfen Mittel, die auch zur Reinigung und Pflege der Haut und des Haares dienen, nicht verordnet werden. Dieser Bestimmung kommt keine eigene normative Bedeutung zu. Der Text hat nicht die Bedeutung, den Rechtsbegriff der Zweckmäßigkeit eines Mittels bzw den der Wirtschaftlichkeit eines Mittels zu konkretisieren, vielmehr beschreibt er in einem allgemeineren Sinne die Grenzen des Arzneimittelbegriffs. Weder die frühere Vorschrift des § 368p Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) noch die seit dem 1. Januar 1989 geltende Bestimmung des § 92 des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) ergeben für die Bundesausschüsse eine Ermächtigung, über die Konkretisierung der Zweckmäßigkeit (= Wirksamkeit), der Wirtschaftlichkeit und des Ausreichens des Behandlungsmittels hinausgehend die Grenzen des Arzneimittelbegriffs in einem allgemeinen Sinne festzulegen. Das hat der Senat bereits in seinem (zur Veröffentlichung vorgesehenen) Urteil vom 24. Januar 1990 - Az: 3 RK 18/88 - (unter Hinweis auf Baader, JZ 1990 Heft 9 S 409), zum Ausdruck gebracht. Die Arzneimittelbestimmung in dem genannten allgemeinen Sinne ist daher dem System des Gesetzesrechts zu entnehmen. Beschreibungen der genannten Art in den AMR mögen zweckmäßig sein, um dem Kassenarzt einen zusammenhängenden Überblick zu geben; eine eigene Normativität - im Sinne einer normkonkretisierenden Vorschrift - kommt ihnen aber nicht zu.

Nach § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst a und b RVO bzw nach § 27 SGB V umfaßt die Krankenbehandlung außer der ärztlichen Behandlung auch die Versorgung mit Arznei- und Heilmitteln. Der Versicherte hat dabei einen Anspruch auf alle Mittel, die notwendig sind, die Krankheit zu heilen oder wesentlich zu lindern (vgl § 182 Abs 2 RVO, § 27 SGB V). Damit hat der Gesetzgeber aber entsprechend dem Sinn der gesetzlichen Krankenversicherung, das Krankheitsrisiko des Versicherten, nicht aber ein darüber hinausgehendes Risiko abzufangen, auch zugleich, wenn auch nicht wörtlich, zum Ausdruck gebracht, daß Mittel, auch wenn sie geeignet sind, die Krankheit zu heilen oder zu lindern, dann nicht als Arzneimittel gelten, wenn sie ohnehin zum allgemeinen Lebensbedarf gehören.

2. Haar- und Kopfwaschmittel gehören (im Geltungsbereich des Gesetzes) zum allgemeinen Lebensbedarf (vgl Urteil des Senats vom 21. Juni 1989 - Az: 6 RKa 11/88 - KVRS A-6100/51). Der Versicherte hätte daher auf die vom Kläger verordneten Mittel - ausnahmsweise - nur dann einen Anspruch, wenn ihr zugleich auf Heilung gerichteter Einsatz den Versicherten übermäßig und unzumutbar belastet, aber auch dann nur insoweit, als die gewöhnlichen Kosten des Lebensbedarfs überschritten werden. Das hat der Senat bereits im Zusammenhang mit der Frage der Verordnungsfähigkeit von Krankenkost zum Ausdruck gebracht (BSGE 63, 99). Der Umstand, daß die vom Kläger verordneten Kopfwaschmittel auch zur Heilung geeignet sind und zu diesem Zwecke auch verordnet wurden, kann sie daher nicht zu gesetzlichen Arzneimitteln machen. Es wurde aber auch nicht dargelegt, daß diejenigen Bestandteile der streitigen Haarwaschmittel, die - über die Reinigungs- und Pflegewirkung hinaus - eine therapeutische Wirkung herbeizuführen imstande sind, zugleich bewirken würden, daß das Mittel gerade wegen dieser Bestandteile vom Verbraucher nicht benutzt wird (vgl dazu Urteil des Senats vom 21. Juni 1989 - 6 RKa 11/88 - aa0). Da der Versicherte keinen gesetzlichen Anspruch darauf hat, durfte sie der Kläger auch nicht verordnen (vgl § 368e Satz 2 RVO).

3. Soweit der Kläger Cremes verordnete, hat das SG seine Ansicht von der Nichtverordnungsfähigkeit des von der Beklagten beanstandeten Präparates "Stokolan" damit begründet, daß das Mittel nicht als Arzneimittel zugelassen sei, wie es Nr 21c AMR vorschreibe. Dort heißt es unter dem voranstehenden Satz, daß nicht verordnet werden dürfen: Mittel, die auch zur ... Pflege ... der Haut dienen ... Ausgenommen sind als Arzneimittel zugelassene zusatzfreie Basiscremes und Basissalben, soweit und solange sie Teil der arzneilichen Therapie (Intervalltherapie) einer Hautkrankheit sind.

Soweit in dem vorgenannten Satz 2 die Verordnungsfähigkeit von Basiscremes und Basissalben als Ausnahmen von der (gesetzlichen) Nichtverordnungsfähigkeit von Mitteln des täglichen Bedarfsbeschrieben werden, sagt die Richtlinie hier zwar nicht - oder jedenfalls nicht in erster Linie - etwas aus über die therapeutische Wirksamkeit des Mittels oder über seine Wirtschaftlichkeit, sondern darüber, daß bei bestimmten Erkrankungen der Versicherte nicht mit der Eigenbeschaffung des Mittels belastet werden kann, obwohl das Mittel auch der allgemeinen Hautpflegedient. Im Gegensatz zur allgemeinen Beschreibung der Nichtverordnungsfähigkeit von Hautreinigungs- und -pflegemitteln, wie sie oben als ohne eigene normative Bedeutung charakterisiert wurde, wird hier aber eine Normkonkretisierung vorgenommen und der Umstand, daß sie weder die Zweckmäßigkeit noch die Wirtschaftlichkeit betrifft, begegnet keinen ermächtigungsrechtlichen Bedenken. Zwar fehlt es insoweit an einer ausdrücklichen Ermächtigung zum Erlaß von Richtlinien. Die Formulierung des § 368p Abs 1 RVO und des § 92 Abs 1 SGB V ("... insbesondere ...") zeigt aber, daß es sich um einen offenen Katalog möglicher Richtlinien nicht nur zur Sicherung einer zweckmäßigen und wirtschaftlichen, sondern auch einer ausreichenden Versorgung handelt, worunter solche (konkreten) Ausnahmen von gesetzlich nicht verschreibungsfähigen Mitteln durchaus zu rechnen sind (vgl Baader, aaO). Anders ist es aber insoweit, als die genannte Ausnahmekonkretisierung zur Voraussetzung hat, daß die Basiscremes und Basissalben "als Arzneimittel zugelassen" sein müssen. Denn zu einer generellen Eigenbestimmung durch die Bundesausschüsse darüber, daß ein Arzneimittel im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung nur ein solches sein könne, das den Voraussetzungen des Arzneimittelgesetzes (AMG) entspricht, gibt es keine gesetzliche Ermächtigung. Das Gesetz aber knüpft bei dem krankenversicherungsrechtlichen Begriff des Arzneimittels nicht an das AMG an, auch nicht an dessen Zulassungsverfahren (aA Schlenker SGb 1988, S 474). Allein durch beiderseitige gleichartige Zwecke wird die Verordnungsfähigkeit des krankenversicherungsrechtlichen Arzneimittels normativ nicht etwa der formellen Zulassung des AMG unterworfen. Darüber, ob dies de lege ferenda zweckmäßig wäre, ist hier nicht zu entscheiden. Daß es sich aber bei dem streitbefangenen Präparat um "zusatzstofffreie Basiscremes und Basissalben" handelt und daß dessen Verordnung "Teil der arzneilichen Intervalltherapie" einer Hauterkrankung war, wird von der Beklagten nicht in Abrede gestellt. Insoweit war der angefochtene Bescheid aufzuheben.

4. Soweit die Verordnung von zwei Sonnenschutzmitteln (Ilrido ultra Creme; Ilrido Lippenschutz) streitig ist, enthält die Nr 21c AMR keine Ausnahme von der gesetzlichen Nichtverordnungsfähigkeit von - hier vorliegenden - Gegenständen des täglichen Bedarfs. Auf die obigen Ausführungen Ziffer 2, die grundsätzlich auch hier gelten, wird verwiesen.

Die Revision des Klägers ist daher nur hinsichtlich des unter Ziffer 3 behandelten Umfanges begründet; im übrigen war sie zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.BUNDESSOZIALGERICHT

 

Fundstellen

Haufe-Index 517933

BSGE, 36

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