Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage. Bestimmung des Beschwerdegegenstandswerts im Berufungsverfahren. Arbeitslosengeld. Verkürzung der Sperrzeit. besondere Härte. Rechtsirrtum

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage gegen einen Sperrzeitbescheid.

2. Zur Bestimmung des Beschwerdegegenstandswerts im Berufungsverfahren, bei isolierter Anfechtung eines Sperrzeitbescheides.

3. Ein Irrtum des Arbeitslosen über die Rechtsfolgen einer Lösung des Beschäftigungsverhältnisses kann nur dann zur Verminderung der Regeldauer einer Sperrzeit führen, wenn er durch die konkrete Auskunft einer hiermit vertrauten Stelle – in der Regel einer Dienststelle der Bundesanstalt für Arbeit – hervorgerufen oder gestützt wurde (Anschluß an BSG vom 13.3.1997 – 11 RAr 25/96 = SozR 3-4100 § 119 Nr 11).

Stand: 24. Oktober 2002

 

Normenkette

AFG § 119 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Fassung: 1988-12-20, Abs. 2 S. 1 Fassung: 1988-12-20; SGG § 54 Abs. 1, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 F: 1993-01-11

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 16.08.1995; Aktenzeichen L 3 Ar 1253/94)

SG Freiburg i. Br. (Urteil vom 21.04.1994; Aktenzeichen S 8 Ar 1788/93)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 16. August 1995 und das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 21. April 1994 abgeändert sowie die Klage insgesamt abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Das Verfahren betrifft die Rechtmäßigkeit eines Bescheids über den Eintritt einer Sperrzeit, soweit sie mehr als 6 Wochen umfaßt (hier die Zeit vom 12. November bis 23. Dezember 1992).

Der 1958 geborene Kläger war bei der Firma K F D von November 1979 bis 30. September 1992 beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis endete aufgrund eines Aufhebungsvertrags (vom 18. August 1992) unter Zahlung einer Abfindung in Höhe von 35.235,00 DM.

Der Kläger meldete sich zum 1. Oktober 1992 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Die Beklagte teilte ihm daraufhin mit, daß sein Anspruch auf Alg gemäß § 117 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) wegen der gezahlten Abfindung und der vorzeitigen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses (Kündigungsfrist für den Arbeitgeber: vier Monate zum Quartalsende) vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1992 ruhe (bestandskräftiger Bescheid vom 14. Oktober 1992); außerdem sei für die Zeit vom 1. Oktober bis 23. Dezember 1992 (12 Wochen) eine Sperrzeit eingetreten, in der der Alg-Anspruch ruhe und die die Anspruchsdauer um 72 Tage mindere (Bescheid vom 14. Oktober 1992; Widerspruchsbescheid vom 3. September 1993).

Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid der Beklagten vom 14. Oktober 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. September 1993 (betreffend die Sperrzeit) aufgehoben (Urteil vom 21. April 1994). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) - unter Zurückweisung der Berufung im übrigen - das Urteil des SG dahin abgeändert, daß lediglich eine 6wöchige Sperrzeit vom 1. Oktober bis 11. November 1992 eingetreten sei (Urteil vom 16. August 1995). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, gemäß § 119 AFG habe der Kläger seine Arbeitslosigkeit grob fahrlässig herbeigeführt. Dabei habe er nicht nur das Ende des Beschäftigungsverhältnisses vom 31. Dezember 1992 auf den 30. September 1992 vorverlegt; denn es habe keine Gewißheit darüber bestanden, daß dem Kläger zum Ende des Jahres 1992 gekündigt worden wäre. Dem Kläger habe auch kein wichtiger Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses zur Seite gestanden. Sein Verhalten sei jedoch vor dem Hintergrund verständlich und vertretbar, daß sogar das SG einen wichtigen Grund für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses angenommen habe. Soweit der Kläger zu der subjektiv richtigen, aber objektiv falschen Entscheidung gelangt sei, das Beschäftigungsverhältnis ohne Nachteile für den Alg-Anspruch zum 30. September 1992 beenden zu können, bedeute der Eintritt der 12wöchigen Sperrzeit eine besondere Härte; die Sperrzeit sei deshalb auf 6 Wochen zu reduzieren.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 119 Abs 2 Satz 1 AFG iVm § 119a Nr 1 AFG. Eine besondere Härte iS dieser Vorschrift liege nicht vor. Zwar schließe der Wortlaut die Berücksichtigung eines Irrtums nicht aus; grundsätzlich bevorzuge aber jeder Arbeitnehmer ein freiwilliges Ausscheiden gegen Abfindung gegenüber der betriebsbedingten Kündigung und halte sich hierzu für berechtigt. Für die Annahme einer besonderen Härte müßten deshalb weitere, hier nicht erkennbare Umstände hinzukommen.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG und des SG abzuändern sowie die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er behauptet, daß ihm zum 31. Dezember 1992 betriebsbedingt gekündigt worden wäre; ab 1. Januar 1993 hätte er deshalb ohnehin Anspruch auf Alg gehabt. Da sein Alg-Anspruch im übrigen wegen der Abfindung bis 31. Dezember 1992 geruht habe, sei der Versichertengemeinschaft allenfalls ein hypothetischer Schaden entstanden, der eine mehr als 6wöchige Sperrzeit nicht rechtfertige.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Das Urteil des LSG beruht auf einem Verstoß gegen § 119 Abs 2 Satz 1 AFG (idF, die § 119 durch das Gesetz zur Änderung des AFG und zur Förderung eines gleitenden Übergangs älterer Arbeitnehmer in den Ruhestand vom 20. Dezember 1988 - BGBl I 2343 - erhalten hat) iVm § 119a AFG (idF des Gesetzes zur Verlängerung beschäftigungsfördernder Vorschriften vom 22. Dezember 1989 - BGBl I 2406).

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 14. Oktober 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. September 1993 über den Eintritt einer Sperrzeit, allerdings nur insoweit, als er die 6 Wochen überschreitende Zeit vom 12. November bis 23. Dezember 1992 betrifft. Inhaltlich hat die Beklagte mit diesem Bescheid nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ua über die Minderung der Anspruchsdauer (hier um insgesamt 72 Tage, von denen noch 36 Tage streitig sind) befunden (vgl nur BSG, Urteil vom 13. März 1997 - 11 RAr 17/96 -, unveröffentlicht). Ob der Senat auch über den Alg-Bewilligungsbescheid zu befinden hätte, falls und soweit dieser die Verfügung über die Dauer des Alg-Anspruchs wiederholt, kann im Hinblick darauf offenbleiben, daß die Entscheidung der Beklagten im Ergebnis ohnedies nicht zu beanstanden ist. Nichts anderes gilt für die Frage, ob der sog Sperrzeitbescheid im Verfügungssatz den Eintritt einer Sperrzeit feststellt (vgl hierzu nur: Gagel, AFG, Stand Januar 1996, § 119 Rz 344).

In der Revisionsinstanz fortwirkende Verfahrensverstöße, die das Revisionsgericht bei zulässiger Revision von Amts wegen zu berücksichtigen hat und die einer Sachentscheidung entgegenstünden, liegen nicht vor. Insbesondere war die Berufung gegen das Urteil des SG gemäß § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG (in der seit 1. März 1993 geltenden Fassung) statthaft. Die Aufhebung des Bescheids vom 14. Oktober 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. September 1993 durch das erstinstanzliche Gericht hätte nämlich zur Folge gehabt, daß die Beklagte ab 8. Oktober 1994 für weitere 72 Tage Alg in Höhe von insgesamt mehr als 1.000,00 DM hätte zahlen müssen. Die Klage betraf somit im Ergebnis einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG).

Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Kläger zulässigerweise eine isolierte Anfechtungsklage erhoben hat, worauf noch später einzugehen sein wird, und das SG nur hierüber entschieden hat. Ergibt sich nämlich aus der Aufhebung des sog Sperrzeitbescheids auch ohne Verurteilung zur Leistung, daß statt der bewilligten Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab 8. Oktober 1994 für weitere 72 Tage Alg zu zahlen wäre (vgl insoweit auch BSG, Urteil vom 13. März 1997 - 11 RAr 17/96 -, unveröffentlicht), kann es für die Berufungsfähigkeit keinen Unterschied machen, ob das SG bereits zur Leistung von Alg verurteilt oder ausschließlich den Bescheid aufgehoben hat, mit dem die Minderung der Alg-Anspruchsdauer verfügt worden ist. Dabei verringert sich der Beschwerdewert (mehr als 1.000,00 DM) nicht dadurch, daß die Beklagte anstelle des wöchentlichen Alg (in Höhe von 552,00 DM) bereits Alhi (in Höhe von wöchentlich 471,00 DM) gezahlt hat. Denn bei einer Klage, die eine Geldleistung betrifft, ist der Wert des Beschwerdegegenstandes im Berufungsverfahren ausschließlich nach dem Geldbetrag zu berechnen, der dem Kläger nach Aufhebung des angefochtenen Bescheids zusteht, während sonstige rechtliche oder wirtschaftliche - "werterhöhende" oder "wertmindernde" - Folgewirkungen der erstinstanzlichen Entscheidung außer Ansatz bleiben (vgl für den Fall "werterhöhender" Folgewirkungen: BSG, Beschluß vom 6. Februar 1997 - 14/10 BKg 14/96 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, mwN). Mit anderen Worten: Es hat außer Betracht zu bleiben, daß die Beklagte ggf bei Bewilligung von Alg die bereits erfolgte Bewilligung von Alhi für den deckungsgleichen Zeitraum hätte aufheben bzw zurücknehmen und mit einem Erstattungsanspruch hätte aufrechnen können.

Der Kläger hat auch zulässigerweise eine isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) erhoben (vgl hierzu die Rechtsprechung des Senats: BSG SozR 4100 § 119 Nr 32; BSG, Urteil vom 12. April 1984 - 7 RAr 28/83 -, DBlR Nr 2959 zu § 119 AFG; Urteil vom 15. Juni 1988 - 7 RAr 3/87 -, unveröffentlicht; Urteil vom 25. April 1990 - 7 RAr 84/88 -, unveröffentlicht; vgl auch Urteil vom 25. April 1990 - 7 RAr 16/89 -, DBlR Nr 3649 zu § 119 AFG), und zwar ohne daß es darauf ankommt, ob mit dem angefochtenen Bescheid allein oder iVm dem Bescheid über das Ruhen des Alg-Anspruchs gemäß § 117 AFG bzw dem Alg-Bewilligungsbescheid, den "Ruhensbescheid" gemäß § 117 AFG allein oder erst durch alle Bescheide zusammen die Zahlung von Alg für den Zeitraum des Ruhens nach § 119 AFG abgelehnt worden ist. Dem Kläger geht es in der Sache jedenfalls nicht um Alg für die Zeit bis 31. Dezember 1992, sondern er will und wollte sich nur gegen die möglichen Folgen des angefochtenen Bescheides wehren, ua gegen die Minderung der Anspruchsdauer wegen der eingetretenen Sperrzeit. In solchen Fällen hat der Senat eine isolierte Anfechtungsklage für zulässig angesehen (BSG aaO). Dies gilt insbesondere dann, wenn zum Zeitpunkt der Klageerhebung - hier am 5. Oktober 1994 - nur auf Alg für die Zeit nach dem Ende der von der Beklagten angenommenen Anspruchsdauer, also auf künftige Leistung geklagt werden könnte. Ob eine solche Klage - vorliegend gerichtet auf Zahlung von Alg ab 8. Oktober 1994 - schon vor dem 8. Oktober überhaupt zulässig gewesen wäre, kann dahinstehen, weil der Kläger ausschließlich eine Anfechtungsklage erhoben und SG sowie LSG - selbst unter Berücksichtigung des § 123 SGG - zu Recht nur hierüber entschieden haben. Bei der Zulässigkeit der isolierten Anfechtungsklage verbleibt es auch dann, wenn dem Kläger eine Erweiterung seines Klagebegehrens iS eines zusätzlichen Leistungsantrags (§ 99 Abs 3 SGG) ab 8. Oktober 1994 möglich gewesen wäre (vgl zur Zulässigkeit eines solchen Antrags ohne nähere Begründung: BSG, Urteil vom 13. März 1997 - 11 RAr 17/96 -, unveröffentlicht); das Rechtsschutzinteresse für die isolierte Anfechtungsklage ist damit nicht entfallen.

Zu Recht hat die Beklagte jedoch angenommen, daß eine Sperrzeit von 12 Wochen eingetreten ist, die die Dauer des Alg-Anspruchs um 72 Tage gemindert hat.

Diese Rechtsfolge ergibt sich aus § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1, Satz 2 und 3 AFG iVm § 119a AFG und § 110 AFG (hier idF des Gesetzes zur Einführung eines Sozialversicherungsausweises und zur Änderung anderer Sozialgesetze vom 6. Oktober 1989 - BGBl I 1822).

Nach § 119 Abs 1 Satz 1 Nr 1 iVm § 119a Nr 1 AFG tritt eine Sperrzeit von 12 Wochen ein, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch die Arbeitslosigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Die Sperrzeit beginnt mit dem Tag nach dem Ereignis, das die Sperrzeit begründet (§ 119 Abs 1 Satz 2 AFG). Während der Sperrzeit ruht der Anspruch auf Alg (§ 119 Abs 1 Satz 3 AFG). Eine Verkürzung der Sperrzeit ergibt sich ua aus § 119 Abs 2 Satz 1 AFG iVm § 119a Nr 1 AFG. Danach umfaßt die Sperrzeit 6 Wochen, wenn eine solche von 12 Wochen für den Arbeitslosen nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde. Gemäß § 110 Nr 2 AFG mindert sich die Dauer des Alg-Anspruchs um die Tage einer Sperrzeit nach § 119 AFG.

Der Kläger hat vorliegend sein Beschäftigungsverhältnis dadurch gelöst, daß er einen zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses führenden Vertrag (Aufhebungsvertrag) geschlossen hat (vgl: BSGE 66, 94, 96 = SozR 4100 § 119 Nr 36; BSGE 77, 48, 50 = SozR 3-4100 § 119 Nr 9). Insoweit ist ausreichend, daß der Kläger durch seine Zustimmung zum Aufhebungsvertrag eine wesentliche Ursache zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gesetzt hat. Unerheblich ist, ob die Initiative von ihm oder vom Arbeitgeber ausgegangen ist (vgl: BSG SozR 4100 § 119 Nr 28; BSG, Urteil vom 13. März 1997 - 11 RAr 17/96 -, unveröffentlicht). Nicht entscheidungserheblich ist vorliegend die weitere Frage, ob die Zustimmung des Klägers kausal für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gewesen wäre, wenn ihm ohnedies zum selben Termin gekündigt worden wäre (bejahend BSG, Urteil vom 17. April 1984 - 7 RAr 28/83 -, DBlR Nr 2959 zu § 119 AFG). Zum einen ist es nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) nicht sicher, daß dem Kläger überhaupt gekündigt worden wäre; darüber hinaus hat der Kläger ohnedies nur behauptet, daß eine Kündigung zum 31. Dezember, nicht jedoch zum 30. September 1992 erfolgt wäre. Er hätte somit den Endzeitpunkt des Beschäftigungsverhältnisses in jedem Falle um drei Monate vorverlegt.

Durch die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses hat der Kläger seine Arbeitslosigkeit vorsätzlich herbeigeführt; er hatte, wie dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG zu entnehmen ist, keine konkreten Aussichten auf einen Anschlußarbeitsplatz und wußte dies auch. Zutreffend hat das LSG außerdem entschieden, daß für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses kein wichtiger Grund vorlag. Ein solcher könnte nur dann angenommen werden, wenn dem Kläger unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten nicht hätte zugemutet werden können (vgl den Bericht der Abgeordneten Porten und Jaschke zum AFG-Entwurf, zu BT-Drucks V/4110 S 20 f). Grundgedanke der Sperrzeitregelung ist es nämlich, daß sich die Versichertengemeinschaft gegen Risikofälle wehren muß, deren Eintritt der Versicherte selbst zu vertreten hat oder an deren Behebung er unbegründet nicht mithilft (vgl nur: BSG, Urteil vom 13. März 1997 - 11 RAr 25/96 -, zur Veröffentlichung vorgesehen; Urteil vom 13. März 1997 - 11 RAr 17/96 -, unveröffentlicht).

Ein solcher Grund liegt nicht allein in der Zahlung einer Abfindung (BSGE 66, 94, 98 mwN = SozR 4100 § 119 Nr 36; BSG SozR 4100 § 119 Nrn 14 und 28); erforderlich sind vielmehr überlagernde Sachzwänge in der betrieblichen Situation des Arbeitnehmers (BSG aaO). Ob für den 34jährigen Kläger insoweit die Urteile des BSG zur Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses älterer Arbeitnehmer im Rahmen eines erheblichen betrieblichen Personalabbaus einschlägig sind (vgl hierzu: BSGE 66, 94 ff = SozR 4100 § 119 Nr 36; BSG SozR 4100 § 119 Nrn 14 und 28; BSG, Urteil vom 13. März 1997 - 11 RAr 17/96 -, unveröffentlicht), bedarf keiner näheren Untersuchung; denn der wichtige Grund iS des § 119 AFG muß nicht nur die Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses als solche, sondern auch den Zeitpunkt der Auflösung decken (BSGE 52, 276, 277 = SozR 4100 § 119 Nr 17; BSGE 66, 94, 97 = SozR 4100 § 119 Nr 36). Der Arbeitnehmer muß also einen wichtigen Grund haben, das Beschäftigungsverhältnis gerade zum gewählten Zeitpunkt zu lösen. Selbst wenn dem Kläger uU im Rahmen eines erheblichen Personalabbaus - wie er behauptet zum 31. Dezember 1992 - gekündigt worden wäre, wäre ihm eine Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses jedenfalls bis Ende 1992 zumutbar gewesen.

Ein wichtiger Grund für die Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses kann auch nicht darin gesehen werden, daß der Kläger irrigerweise das Vorliegen eines wichtigen Grundes angenommen hat; es ist vielmehr erforderlich, daß ein wichtiger Grund objektiv gegeben war (BSGE 66, 94, 101 f = SozR 4100 § 119 Nr 36; BSG, Urteil vom 13. März 1997 - 11 RAr 25/96 -, zur Veröffentlichung vorgesehen; Urteil vom 13. März 1997 - 11 RAr 17/96 -, unveröffentlicht). Schließlich entfällt die Sperrzeit nicht deshalb, weil der Solidargemeinschaft - nach Ansicht des Klägers - allenfalls ein hypothetischer Schaden entstanden ist. Abgesehen davon, daß diese Aussage schon zweifelhaft ist, weil der Versichertengemeinschaft durch die vorzeitige Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses Beiträge aus Arbeitsentgelt entgehen, während eine wegen Verlust des Arbeitsplatzes gezahlte Abfindung grundsätzlich nicht beitragspflichtig ist (vgl aber ihre teilweise Berücksichtigung bei freiwilliger Krankenversicherung: BSG SozR 2200 § 180 Nr 36; SozR 3-2400 § 14 Nr 2; Gagel/Vogt, Beendigung von Arbeitsverhältnissen, 5. Aufl 1996, Rz 135 mwN), kommt es bei der vom Gesetzgeber gewollten Typisierung hierauf nicht an.

Der Senat hat bereits früher darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber des AFG im Gegensatz zu den Regelungen im Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) von einer Bindung der Sperrzeit an Entstehung und Fortbestand des Leistungsanspruchs bewußt abgesehen, also bewußt auf die Prüfung einer konkreten Schädigung verzichtet hat, um eine weitgehende Vereinfachung der Bearbeitung der Leistungsfälle zu erreichen und damit eine termingerechte Auszahlung nach Eintritt der Arbeitslosigkeit zu sichern; die Sperrzeit sollte nunmehr einheitlich mit dem Tag nach dem die Sperrzeit begründenden Ereignis beginnen und ohne Rücksicht darauf kalendermäßig ablaufen, ob, wann und wie lange der Arbeitslose Leistungen wegen der Arbeitslosigkeit erhält oder erhalten würde (BSGE 54, 41, 44 = SozR 4100 § 119 Nr 20). Hierbei sollte es - anders als nach den Regelungen des AVAVG - für Beginn und Ablauf der Sperrzeit unerheblich sein, ob ein Leistungsanspruch überhaupt entsteht (BSG, aaO, unter Hinweis auf die Gesetzesmotive) oder ob er - etwa wegen Ruhens des Anspruchs aus anderen Gründen (hier wegen einer Abfindung gemäß § 117 AFG) - nicht geltend gemacht werden kann.

Die Regelsperrzeit von 12 Wochen ist schließlich nicht auf 6 Wochen oder weniger zu reduzieren. Insbesondere ergibt sich nichts anderes aus der Rechtsprechung des Senats zur Verkürzung der Regelsperrzeit von 12 auf 6 Wochen, wenn das Beschäftigungsverhältnis ohnedies innerhalb von 12 Wochen nach dem die Sperrzeit begründenden Ereignis geendet hätte (vgl BSGE 77, 61 ff = SozR 3-4100 § 119a Nr 3). Denn weder steht fest, daß dem Kläger zum 31. Dezember 1992 gekündigt worden wäre, noch wäre bei Kündigung zum Jahresende die 12-Wochen-Frist eingehalten, die vorliegend bereits am 23. Dezember 1992 abgelaufen war. Eine Verkürzung der Sperrzeit auf 2 Wochen (§ 119 Abs 2 Satz 2 Nr 1 AFG) ist ebensowenig möglich wie eine solche auf 3 Wochen (vgl BSGE 76, 12 ff = SozR 3-4100 § 119a Nr 2).

Aber auch nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden sonstigen Tatsachen bedeutet eine 12wöchige Sperrzeit für den Kläger keine besondere Härte iS des § 119 Abs 2 Satz 1 AFG. Maßgebliche Tatsachen sind nur solche, die mit dem Eintritt der Sperrzeit in einem ursächlichen Zusammenhang stehen (BSG SozR 4100 § 119 Nr 32; BSG, Urteil vom 13. März 1997 - 11 RAr 25/96 -, zur Veröffentlichung vorgesehen; Urteil vom 13. März 1997 - 11 RAr 17/96 -, unveröffentlicht); wirtschaftliche Folgen der Sperrzeit, die nicht Grundlage des für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Verhaltens des Arbeitslosen waren, bleiben demgegenüber außer Betracht (BSG, Urteile vom 13. März 1997, aaO).

Eine besondere Härte iS der Vorschrift kann nicht mit Rücksicht darauf angenommen werden, daß sich der Kläger nach den Feststellungen des LSG über die Folgen seines Verhaltens geirrt hat; dabei bedarf es keiner Prüfung, ob dieser Irrtum überhaupt ursächlich für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses geworden ist. In den Fällen eines Rechtsirrtums über das Vorliegen einer Sperrzeitvoraussetzung erweist sich nämlich eine Regelsperrzeit nur dann als unverhältnismäßig (vgl zu dieser Voraussetzung: BSGE 76, 12, 15 = SozR 3-4100 § 119a Nr 2; BSGE 77, 61, 64 = SozR 3-4100 § 119a Nr 3; BSG SozR 4100 § 119 Nr 32), wenn der Irrtum unverschuldet, dh für den Arbeitslosen unvermeidbar, war (BSGE 48, 109, 114 = SozR 4100 § 119 Nr 8; BSG, Urteil vom 13. März 1997 - 11 RAr 25/96 -, zur Veröffentlichung vorgesehen; Urteil vom 13. März 1997 - 11 RAr 17/96 -, unveröffentlicht). Diese Wertung wird bei einer einvernehmlichen Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses durch die Überlegung gestützt, daß ansonsten der sorgfältige Arbeitnehmer, der sich vor der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses mit den sich hieraus ergebenden sozialrechtlichen Folgen vertraut macht, benachteiligt würde (BSG, Urteil vom 13. März 1997 - 11 RAr 17/96 -, unveröffentlicht). Ein Irrtum über die Rechtsfolgen einer Lösung des Beschäftigungsverhältnisses (Rechtsirrtum) kann also nur dann im Einzelfall wegen einer besonderen Härte zur Verminderung der Regeldauer einer Sperrzeit führen, wenn er durch die konkrete Auskunft einer hiermit vertrauten Stelle - in der Regel einer Dienststelle der Beklagten - hervorgerufen oder gestützt wurde (BSG, Urteil vom 13. März 1997 - 11 RAr 17/96 -, unveröffentlicht; vgl auch BSG, Urteil vom 13. März 1997 - 11 RAr 25/96 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Sollte sich der Kläger vorliegend auch darüber geirrt haben, daß ihm zum 31. Dezember 1992 gekündigt worden wäre (Tatbestandsirrtum), begründet dies kein anderes Ergebnis; denn er unterlag dann zusätzlich dem Rechtsirrtum, schon zum 30. September 1992 das Beschäftigungsverhältnis ohne weitere Konsequenzen für den Alg-Anspruch lösen zu können. Bei dieser Sachlage hätte er konkrete Auskünfte über die Auswirkungen seines Verhaltens auf den Leistungsanspruch einholen müssen, die ihm zeitlich auch ohne weiteres möglich gewesen wären. Daß dies geschehen ist, ist weder vom LSG festgestellt, noch ergeben sich hierfür irgendwelche Anhaltspunkte.

Zu Recht hat deshalb die Beklagte den Eintritt einer am 1. Oktober 1992 beginnenden (§ 119 Abs 1 Satz 2 AFG) 12wöchigen Sperrzeit angenommen, die die Dauer des Alg-Anspruchs um 72 Tage gemindert hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1174497

AuA 1998, 326

SozR 3-1500 § 144, Nr.12

SozSi 1998, 240

SozSi 1998, 314

SozSi 1998, 315

info-also 1998, 99

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