Entscheidungsstichwort (Thema)

zur Abgrenzung Forstwirtschaft und Gartenbau

 

Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagte und Revisionsbeklagte

1. 2. 3

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin gewährt den Hinterbliebenen (Beigeladene zu 1 bis 3) des Landwirts Ludwig S… (Sch.), der am 10. Juli 1972 tödlich verunglückt ist, im Wege der vorläufigen Fürsorge nach § 1735 Reichsversicherungsordnung (RVO) Sterbegeld, Überbrückungshilfe sowie Witwen- und Waisenrente (Bescheid vom 21. November 1972). Sch. und zwei andere Personen hatten den Auftrag, ein Waldgrundstück einzuzäunen. Beim Transport des Materials (Holzpfähle, Drahtgeflecht) stürzte Sch. auf einer Gefällstrecke mit seiner Zugmaschine um und erlitt dabei tödliche Verletzungen. Das einzuzäunende etwa 7.150 qm große abgeholzte Waldgrundstück hatte die Mitinhaberin der Gärtnerei Otto D… in R…, Margarete D… am 3. März 1972 erworben und dort im Frühjahr 1972 junge Bäume verschiedener Sorten gepflanzt (z.B. Latschen, Grautannen, Kiefern, Wachholder, Thujen). Da die Klägerin der Auffassung war, daß das Grundstück der Gärtnerei D… zur Gewinnung von Bindegrün dienen sollte, forderte sie die Beklagte zur Anerkennung der Entschädigungspflicht auf. Diese lehnte ab.

Daraufhin erhob die Klägerin bei dem Sozialgericht (SG) Landshut Klage mit dem Antrag festzustellen, daß die Beklagte der für die Entschädigung des Unfalls zuständige Versicherungsträger sei. Das SG hat nach Vernehmung der Frau D… und des Oberförsters a. D. B…als Zeugen die Klage abgewiesen (Urteil vom 5. Juni 1974). Die Berufung der Klägerin hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) nach Vernehmung der Frau D…, des Oberförsters a. D. B… und des Mitarbeiters des tödlich verunglückten Sch., Landwirt E…, als Zeugen sowie des Oberforstrats S… als Sachverständigen zurückgewiesen (Urteil vom 15. Dezember 1976). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt: Der tödlich verunglückte Sch. sei bei der zum Unfall führenden Tätigkeit für die Zeugin D… aufgrund eines Arbeitsverhältnisses i.S. des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO tätig gewesen. Zur Entschädigung des Arbeitsunfalls sei die Klägerin und nicht die Beklagte der zuständige Versicherungsträger. Das von der Zeugin D… erworbene Grundstück sei ein Waldgrundstück gewesen. Daran ändere nichts, daß es abgeholzt gewesen sei, denn nach Art. 1 des zur Zeit des Unfalls geltenden Bayer. Forstgesetzes - FoG - vom 9. Juli 1965 (GVBl. S. 113) sei Wald jede größere mit Waldbäumen bestockte oder erkennbar zur Wiederaufforstung bestimmte Fläche. Auf die Bestimmung einer Fläche zur Holzgewinnung komme es zur Qualifizierung eines forstwirtschaftlichen Grundstückes nicht an. Die Zeugin D…sei, als sie mit der Bewirtschaftung des erworbenen Grundstückes begonnen habe, zur landwirtschaftlichen/forstwirtschaftlichen Unternehmerin geworden. Bei den von ihr gepflanzten Kiefern-, Grautannen-, Eichen-, Ahorn-, Lärchen-, Weymouthskiefern-, Douglastannen-, Thuja- und Chamaecyparisbäumen habe es sich nach dem Gutachten des Sachverständigen S… um Waldbäume gehandelt. Die Wiederaufforstung gehöre zur sachgemäßen Bewirtschaftung des Waldgrundstückes. Ohne Bedeutung sei, daß die Zeugin D… angegeben habe, an eine Holznutzung nicht zu denken. Abgesehen davon, daß sich diese Frage im Zustand der Wiederaufforstung des Grundstückes noch nicht stelle, stehe die Bewirtschaftung unter Forstaufsicht. Da das Grundstück der Zeugin D… zur Unfallzeit als forstwirtschaftliches Grundstück zu werten sei und die Einzäunung des Grundstückes eine forstwirtschaftliche Maßnahme darstelle, sei die Klägerin der für die Entschädigung des in diesem landwirtschaftlichen/forstwirtschaftlichen Unternehmen bei Wiederaufforstungsarbeiten verunglückten Sch. zuständige Versicherungsträger. Die Zuständigkeit der Beklagten sei deshalb nicht gegeben, auch wenn beabsichtigt gewesen sei, aus dem Waldgrundstück für den bei der Beklagten versicherten Gartenbaubetrieb O… Bindegrün (zum Binden von Kränzen) zu gewinnen. Dahingestellt könne bleiben, ob das Waldgrundstück der Zeugin D…in den Jahren nach dem Unfall wegen Bepflanzung von etwa einem Drittel der gesamten Fläche mit Nichtwaldbäumen und der Nutzung durch Gewinnung von Bindegrün seinen landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Charakter verloren habe.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Klägerin hat dieses Rechtsmittel eingelegt und wie folgt begründet: Sch. habe zur Unfallzeit keine mit einem forstwirtschaftlichen Unternehmen zusammenhängende Tätigkeit verrichtet. Forstwirtschaftliche Unternehmen seien Unternehmen, die planmäßig auf den Anbau und Einschlag von Holz gerichtete Tätigkeiten betreiben. Dazu gehörten alle Tätigkeiten, die dem forstwirtschaftlichen Unternehmen dienen. Nach dem Gutachten des vom LSG gehörten Forstsachverständigen seien nur im oberen Bereich des etwa 6.000 qm großen umzäunten Teils des Grundstückes der Zeugin D… eine Minderzahl von standortüblichen Waldbäumen vorhanden. Bei den anderen Pflanzen, wie Scheinzypressen, Wachholder, Edeltannen, Silbertannen, Mahonien, Stechpalmen, Götterbäumen, Weißdorn, Rotdorn sowie Obstbäumen handele es sich um Bäume und Sträucher, die üblicherweise in Unternehmen des Gartenbaues gepflanzt und in diesen Betrieben verarbeitet werden. Die Zeugin D… habe dazu angegeben, daß die Bepflanzung des Grundstücks mit nicht standortgemäßen Waldbäumen der Gewinnung von Bindegrün für die Kranz- und Blumenbinderei und für andere floristische Arbeiten diene. Es könne daher davon ausgegangen werden, daß die Bewirtschaftung des Grundstückes auf die Deckung des für das gewerbliche Unternehmen erforderlichen Bedarfs ausgerichtet sei. Im Hinblick auf die Art der Bewirtschaftung handele es sich bei dem Grundstück der Zeugin D… um einen Bestandteil des gewerblichen Betriebes und nicht um ein forstwirtschaftliches Unternehmen. Ob das Grundstück nach landesrechtlichen Vorschriften Waldcharakter habe und die Zeugin D… ihrer Aufforstungspflicht nachkomme, sei nicht erheblich. Entscheidend sei, ob der Grundstückseigentümer eine planmäßige, auf die Holzgewinnung gerichtete Tätigkeit oder eine planmäßige Aufzucht hochwertiger pflanzlicher Bodenerzeugnisse und eine gewerbliche Nutzung dieser Erzeugnisse im Rahmen des gärtnerischen Unternehmens beabsichtige. Da die Zeugin D… keine Holzgewinnung beabsichtige, sei die Zuständigkeit der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft nicht gegeben. Zuständiger Unfallversicherungsträger sei die Beklagte.

Die Klägerin beantragt,

1.

die Urteile des Bayer. LSG vom 15. Dezember 1976 und des SG Landshut vom 5. Juni 1974 aufzuheben,

2.

festzustellen, daß die Beklagte der zur Entschädigung des Unfalls des Sch. vom 10. Juli 1972 zuständige Versicherungsträger ist.

Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor, daß das Grundstück der Zeugin D… nicht Bestandteil des gärtnerischen Unternehmens der Geschwister O… und M… D… oder des als Nebenbetrieb bestehenden Ladengeschäftes sei. Die Beweisaufnahme in den Vorinstanzen habe eindeutig ergeben, daß Unternehmer des Gartenbaubetriebes die Geschwister D… und Unternehmer des Ladengeschäftes O… D… seien. Das unfallbelastete Grundstück stehe dagegen im ausschließlichen Eigentum der Zeugin Margarete D…. Für die Annahme eines Gesamtunternehmens (§ 647 RVO) werde jedoch vorausgesetzt, daß die in Betracht kommenden Unternehmen derselben Leitung unterstehen, einander benachbart sind und zwischen ihnen mit einer gewissen Regelmäßigkeit ein Austausch von Arbeitskräften stattfindet. Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben. Die Tatsache, daß Erzeugnisse des Waldgrundstückes der Zeugin D… in der Gärtnerei der Geschwister D… verwendet werden, lasse nicht den Schluß zu, daß die Zeugin D… ein gärtnerisches Unternehmen betreibe.

Die Beigeladenen sind im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

II.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.

Die Klägerin ist für die Entschädigung des Arbeitsunfalls des Landwirts Sch. vom 10. Juli 1972 der zuständige Versicherungsträger.

Zutreffend und von den Beteiligten nicht angegriffen ist das LSG zu dem Ergebnis gekommen, daß Sch. bei der zum Unfall führenden Verrichtung für die Zeugin D… aufgrund eines Arbeitsverhältnisses i.S. des § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO tätig geworden ist; Sch. hat daher einen Arbeitsunfall (§ 548 RVO) erlitten.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich die Zuständigkeit der Beklagten für die Entschädigung des Arbeitsunfalls nicht schon daraus, daß das Grundstück der Zeugin D…, das von Sch. eingezäunt werden sollte, ein Bestandteil des Gartenbaubetriebes der Geschwister D… sei, mit dem diese Mitglied der Beklagten sind. Um ein Gesamtunternehmen mit dem Gartenbaubetrieb der Geschwister D… als Hauptunternehmen und dem Betrieb des Waldgrundstückes der Zeugin M… D… als Hilfs- oder Nebenunternehmen (§§ 791 i.V.m. 647 Abs. 1 RVO) annehmen zu können, wäre erforderlich, daß das Waldgrundstück mit dem Gartenbaubetrieb in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht eine Einheit bildet, unter gemeinsamer Leitung steht und ein Austausch von Arbeitskräften zwischen beiden Unternehmen stattfindet (vgl. BSGE 39, 112, 118). Daran fehlt es hier. Die Zeugin D… ist - was im Urteil des LSG allerdings nur undeutlich zum Ausdruck kommt - Alleineigentümerin des Waldgrundstückes. Sie hat auch nicht die gemeinsame Leitung hinsichtlich der Bewirtschaftung des Waldgrundstückes und des Gartenbaubetriebes D…, deren Mitinhaberin sie lediglich ist. Für einen Austausch von Arbeitskräften zwischen dem Gartenbaubetrieb und dem Waldgrundstück fehlt ebenfalls jeder Anhalt. Allein die Tatsache, daß das Waldgrundstück infolge des von ihm für den Gartenbaubetrieb entnommenen Bindegrüns diesem dient, macht das Waldgrundstück nicht zum Bestandteil des Gartenbaubetriebes (vgl. BSG a.a.O.). Das Waldgrundstück ist aber auch kein landwirtschaftliches Nebenunternehmen (§ 779 Abs. 1 RVO). Abgesehen davon, daß es an der Personengleichheit der Unternehmer mangelt, besteht auch keine wirtschaftliche Abhängigkeit des Waldgrundstückes von dem Gartenbaubetrieb der Geschwister D… (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 9. Aufl. S. 497).

Nach den vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, an die das Revisionsgericht mangels zulässiger und begründeter Rügen gebunden ist (§ 163 SGG), war das von der Zeugin D… bewirtschaftete Grundstück zur Zeit des Unfalls ein forstwirtschaftliches Unternehmen. Ein solches Unternehmen setzt grundsätzlich voraus, daß der Inhaber des Unternehmens über Grund und Boden verfügt, der zum Zwecke der Gewinnung von Forsterzeugnissen bearbeitet wird (AN 1937, 301). Unternehmen der Forstwirtschaft betreiben den Anbau und den Abschlag des Holzes, wobei allerdings nicht erforderlich ist, daß jedes Jahr Holz angebaut und geschlagen wird (vgl. Brackmann a.a.O. S. 494 f.). Das gilt insbesondere bei der Bewirtschaftung eines kahlgeschlagenen Waldgrundstückes. In einem solchen Fall besteht die forstwirtschaftliche Tätigkeit in der Vorbereitung des Bodens für die Bepflanzung, der Bepflanzung, den Pflegearbeiten und der Kontrolle des Wachstums. Die Frage der Holzgewinnung stellt sich in einem solchen Stadium nicht. Die Zeugin D… hatte als Eigentümerin des Waldgrundstückes dieses in der Zeit vor dem Unfall im wesentlichen mit (standortüblichen) Waldbäumen bepflanzt. Der damalige Zustand wurde nach den Feststellungen des LSG, die sich auf das Gutachten des Sachverständigen S… stützen, von Waldbäumen geprägt. Da die Zeugin D… das abgeholzte Grundstück erst im März 1972 erworben hatte und der Unfall sich bereits im Juli desselben Jahres ereignete, war das Pflanzen der Bäume eine der Bewirtschaftung des Grundstückes dienende Tätigkeit. Unerheblich ist, daß zur Zeit der Besichtigung des Grundstückes durch den Sachverständigen Ende November 1976, also etwa 4 1/2 Jahre nach dem Unfall, der Zustand des Grundstückes inzwischen ein anderer geworden war und die Klägerin deshalb zu der Auffassung gelangte, daß es sich dort in der Mehrzahl um Bäume und Sträucher handelt, wie sie üblicherweise in Betrieben des Gartenbaues gepflanzt und verarbeitet werden. Möglicherweise hat sich die Bewirtschaftung des Grundstückes seit 1972 in einer Weise geändert, die jetzt die katastermäßige Zuständigkeit der Klägerin nicht mehr rechtfertigen würde. Für die Frage, wer der für die Entschädigung der Hinterbliebenen des Sch. zuständige Versicherungsträger ist, kommt es jedoch grundsätzlich auf die Verhältnisse zur Zeit des Unfalls des Sch. im Juli 1972 an. Damals jedenfalls hat es sich um ein forstwirtschaftliches Unternehmen gehandelt.

Ein Unternehmen des Gartenbaues hat dagegen nicht vorgelegen. Zwar kann die Aufzucht von (Wald-) Bäumen auch gärtnerisch betrieben werden (Baumschule). Jedoch unterscheidet sich das Unternehmen des Gartenbaues von dem forstwirtschaftlichen Unternehmen u.a. durch die Intensität der Bewirtschaftungsweise (vgl. Brackmann a.a.O.; S. 495; Noell/Breitbach, Landwirtschaftliche Unfallversicherung, § 776 Anm. 4 c; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., § 776 Anm. 7; Herrmann ZfS 1963, 85). Im vorliegenden Fall fehlt jeder Anhalt dafür, daß das Waldgrundstück bei gesteigerter intensiver Bodenbearbeitung mit höherem Arbeitsaufwand als in land- und forstwirtschaftlichen Unternehmen üblich bewirtschaftet wurde.

Für die Entschädigung des Unfalls des Sch. kommt daher nur eine landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft in Betracht, und zwar die Klägerin, die für den örtlichen Bezirk, in dem das forstwirtschaftliche Unternehmen der Zeugin D… gelegen ist, zuständig ist. Die Revision der Klägerin mußte deshalb zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1980, 27

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