Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 13.11.1996; Aktenzeichen L 3 U 40/93)

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 13. November 1996 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Klägerin – als Rechtsnachfolgerin ihres während des Streitverfahrens am 03. Oktober 1996 verstorbenen Ehemanns (Versicherter) – Anspruch auf Entschädigung der Atemwegserkrankung des Versicherten wie eine Berufskrankheit (BK) nach § 551 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) hat (Bescheid vom 27. Juni 1990; der Klage stattgebende Urteile des Sozialgerichts vom 17. November 1992 und des Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 13. November 1996). Das LSG ist zu dem Ergebnis gelangt, alle relevanten Tatbestandsmerkmale des § 551 Abs 2 RVO seien vorliegend erfüllt, um die Atemwegserkrankung des Versicherten wie eine BK anerkennen zu können. Die mittlererweile zur BK-Reife verdichteten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs beruflicher Belastungen und der Entstehung von Lungenfibrosen bei Schweißern im allgemeinen wie auch konkret im Fall des Versicherten seien entscheidungserheblich geworden.

Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde war zurückzuweisen. Der geltend gemachte Zulassungsgrund, das LSG weiche von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) iS des § 160 Abs 2 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ab, kann nicht zur Zulassung der Revision führen. Die geltend gemachten Abweichungen liegen teils nicht vor, teils sind sie nicht schlüssig vorgetragen.

Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn erklärt wird, mit welchem genau bestimmten, entscheidungserheblichen Rechtssatz das angegriffene Urteil von welcher genau bestimmten, die Entscheidung tragenden rechtlichen Aussage hier des BSG abweicht (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 21, 29 und 54).

Unter Nr 4 der Begründung hat die Beschwerde nicht vermocht, einen vom LSG aufgestellten entscheidungserheblichen abstrakten Rechtssatz des angegriffenen Urteils aufzuzeigen, der in der oa Weise von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht. Vielmehr greift die Beschwerde die Rechtsanwendung und das Ergebnis des angegriffenen Urteils in der Sache an, in dem sie meint, aus der Tatsache, „daß das LSG die darüber hinausgehenden Anforderungen der oben dargelegten höchstrichterlichen Entscheidungen weder zusätzlich abstrakt als Voraussetzung benennt noch im konkreten Fall subsumiert, kann nur der Schluß gezogen werden, daß im Fall eines „statistischen Beweisnotstandes” der generelle Ursachenzusammenhang stets alleine auch über „Fallbeobachtungen einer Vielzahl gleichartiger Gesundheitsstörungen” geführt werden kann und lediglich ein einzelner Gutachter diesen Standpunkt vertritt.” Dies reicht für die Bezeichnung eines konkreten, von den angezogenen Entscheidungen des BSG abweichenden Rechtssatzes nicht aus.

Die ferner von der Beschwerdeführerin unter Nr 5 gerügte Abweichung von der Entscheidung des BSG vom 30. Januar 1986 – 2 RU 80/84 – (BSGE 59, 295) liegt nicht vor.

Das LSG hat zunächst unter Hinweis auf diese Entscheidung des BSG die – für die nach § 551 Abs 2 RVO zu fordernde gruppenspezifische Risikoerhöhung – im allgemeinen erforderliche langfristige zeitliche Überwachung des Krankenguts zum Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsstörungen nicht in Abrede gestellt. Es hat jedoch unter Bezugnahme auf die Gutachten von Prof. Dr. R. … vom 13. Juli 1989, Prof. Dr. L. … vom 12. Dezember 1989 und Prof. Dr. W. … vom 31. Januar 1995 festgestellt, daß im Fall der Lungenfibrose von Schweißern infolge der Seltenheit dieses Leidens statistisch abgesicherte Erkenntnisse im vorgenannten Sinne nicht erhoben worden seien. Es hat ferner unter Bezugnahme auf das Gutachten von Prof. Dr. W. … dargelegt, daß statistisch abgesicherte Erkenntnisse in diesem Sinne nicht zu erheben seien, da das Krankheitsbild nur schwer zu diagnostizieren sei und eine für eine derartige statistische Absicherung erforderliche Verbreitung nicht aufweise. Es ist den weiteren Ausführungen von Prof. Dr. W. … gefolgt, nach denen neben eigenen Fallbeobachtungen eine Vielzahl gleichartiger Gesundheitsstörungen, Fallsammlungen und internationale Literatur es rechtfertigten, Schweißrauch als generell geeignet zur Herbeiführung einer Lungenfibrose anzusehen. Diese jahrzehntelangen Erfahrungen zusammen mit dem Fortschreiten der pathologischen-anatomischen Methodenentwicklung der letzten Jahre habe den Nachweis erbracht, daß Lungenfibrosen nach langjähriger Einwirkung von Schweißrauchen unter ungünstigen Expositionsbedingungen mit dieser Schadstoffbelastung in einem kausalen Zusammenhang stünden. Damit hat das LSG keinen von der angezogenen Entscheidung abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt. Es ist vielmehr im Rahmen seiner freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG zu dem Ergebnis gelangt, daß unter den im Urteil näher bezeichneten besonderen Umständen Schweißer zu einem „besonders gefährdeten Berufskollektiv” zählten, in erhöhtem Maße als die übrige Bevölkerung an Lungenfibrose zu erkranken. Auf Fehler der Beweiswürdigung iS des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG kann die Nichtzulassungsbeschwerde hingegen nicht gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG). Dieser verfahrensrechtliche Hinweis bedeutet jedoch nicht, daß damit Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Beweiswürdigung angedeutet werden.

Im übrigen hat der Senat in seiner Entscheidung vom 14. November 1996 – 2 RU 9/96 – (HVBG INFO 1997, 552) ausgeführt, eine für eine Entschädigung auch nach § 551 Abs 2 RVO erforderliche gruppenspezifische Risikoerhöhung kann im Fall des Kehlkopfkrebses aufgrund von Asbesteinwirkungen nicht mit der im allgemeinen notwendigen langfristigen zeitlichen Überwachung derartiger Krankheitsbilder zum Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen belegt werden. Entsprechend den dieser Entscheidung zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen des LSG können infolge der Seltenheit dieses Tumorleidens medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse durch statistisch abgesicherte Zahlen nicht erbracht werden. In einem solchen Ausnahmefall kann nach der oa Entscheidung die „generelle Geeignetheit” der Einwirkung von Asbest für die Entstehung von Kehlkopfkrebs als gesichert angesehen werden, und zwar ua aus verschiedenen Einzelfallstudien, Erkenntnissen und Anerkennungen in der ehemaligen DDR sowie aus bisher nach § 551 Abs 2 RVO ausgesprochenen Anerkennungen entsprechender Erkrankungen in der Bundesrepublik Deutschland. Einen vergleichbaren Ausnahmefall hat das LSG offensichtlich auch im vorliegenden Fall gesehen, ohne in einem konkreten abstrakten Rechtssatz von der bisherigen, von der Beklagten umfassend angeführten ständigen Rechtsprechung des BSG abzuweichen.

Die Beschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 169 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173460

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