Leitsatz (amtlich)

Sind einem geschiedenen Ehegatten seine leiblichen Kinder nicht nach § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG 1975 zugeordnet, so kann er die Eintragung dieser Kinder auf seiner Lohnsteuerkarte nicht mit der Begründung erreichen, daß er wieder geheiratet hat und die Kinder dadurch rechtlich zu Stiefkindern seiner (zweiten) Ehefrau geworden sind.

 

Normenkette

EStG 1975 § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 4, Sätze 2-3

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war zu Beginn des Jahres 1975 (Streitjahr) in zweiter Ehe verheiratet. Aus seiner ersten, geschiedenen Ehe hatte er zwei leibliche Kinder, die im Haushalt ihrer Mutter lebten. Der Kläger verlangte, diese Kinder bei der auf seiner Lohnsteuerkarte 1975 einzutragenden Zahl der Kinder zu berücksichtigen, weil sie Stiefkinder seiner jetzigen Ehefrau seien. Diesen Antrag lehnte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) mit dem Hinweis ab, daß die Kinder nicht zum Haushalt des Klägers gehört hätten.

Das Finanzgericht (FG) gab mit der in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1975 S. 525 (EFG 1975, 525) veröffentlichten Vorentscheidung der Sprungklage statt. Es kam zu dem Ergebnis, nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1975 seien Stiefkinder die Kinder eines Ehegatten, die nicht Kinder des anderen Ehegatten seien, gleichgültig, in wessen Haushalt sie lebten.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 39 Abs. 3 Satz 1 und § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 EStG im wesentlichen mit folgender Begründung: Die wortgetreue Auslegung und Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 EStG führe zu einem sinnwidrigen Ergebnis. Es sei unverständlich, weshalb ein Stiefkind einkommensteuerrechtlich doppelt berücksichtigt werden solle, obwohl es nur im Haushalt des geschiedenen Elternteils lebe. Leibliche Eltern aus geschiedenen Ehen könnten einkommensteuerrechtlich nicht danach verschieden behandelt werden, ob der Elternteil, in dessen Haushalt die Kinder lebten, wieder geheiratet habe oder nicht.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Dem Verfahren ist der Bundesminister der Finanzen (BdF) beigetreten. Er hat u. a. ausgeführt, der der Vorentscheidung zugrunde liegenden Rechtsauffassung könne nicht gefolgt werden. Sie widerspreche dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung, eine steuerliche Mehrfachberücksichtigung leiblicher Kinder möglichst zu vermeiden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage.

1. Es bedarf keiner Entscheidung, ob das Stiefkind eines Ehegatten auf der Lohnsteuerkarte des anderen Ehegatten überhaupt eingetragen werden kann. Denn die beiden leiblichen Kinder des Klägers aus seiner ersten Ehe konnten bei der auf seiner Lohnsteuerkarte einzutragenden Zahl der Kinder schon aus anderen Erwägungen nicht berücksichtigt werden.

a) Die Kinder waren im Streitfall nach § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG ihrer leiblichen Mutter zugeordnet. Diese Zuordnung schließt es aus, hier die Kinder als leibliche Kinder beim Kläger einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen. Aus den mit dem Steueränderungsgesetz 1979 (StÄndG 1979) mit Rückwirkung für das Streitjahr eingeführten Änderungen des Einkommensteuergesetzes zugunsten derjenigen Elternteile, denen ihre leiblichen Kinder nicht zugeordnet sind (§ 53 Abs. 1 EStG i. d. F. des Art. 1 Nr. 22 des Gesetzes vom 30. November 1978, BGBl I 1978, 1849, BStBl I 1978, 479), ergeben sich insoweit keine abweichenden Folgerungen. Mit diesem Gesetz sind eine Reihe von Vergünstigungen für diejenigen Steuerpflichtigen eingeführt worden, denen ein leibliches Kind zwar nicht zugeordnet ist, die aber ihrer Unterhaltspflicht nachkommen. Die einkommensteuerrechtlichen Kindschaftsbegriffe und Zuordnungsvorschriften, auf die es im Streitfall ankommt, sind jedoch unverändert geblieben. Die nunmehr eingeführten Steuervergünstigungen knüpfen zudem nicht unmittelbar an das Kindschaftsverhältnis, sondern an die Erfüllung der Unterhaltspflichten an.

b) Dieser aus der Zuordnung der Kinder des Klägers bei seiner geschiedenen (ersten) Ehefrau abgeleiteten Rechtsauffassung steht nicht die Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 EStG entgegen.

Zwar gehören danach zu den einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigenden Kindern u. a. "Stiefkinder". Hierunter sind die Kinder eines Ehegatten zu verstehen, die nicht Kinder des anderen Ehegatten sind (vgl. Herrmann/Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 32 EStG Anm. 26; Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, 11. Aufl., § 32 Anm. IV 4). Der erkennende Senat vermag sich indessen nicht der wortgetreuen Auslegung dieser Vorschrift anzuschließen, wie sie das FG seiner Rechtsfindung zugrunde gelegt hat. Denn sie würde - wie nicht zuletzt der Fall des Klägers zeigt - zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen. Die Entscheidung hinge alsdann letztlich davon ab, ob der geschiedene Elternteil (hier: der Kläger), in dessen Haushalt die aus der Ehe stammenden Kinder nicht aufgenommen worden sind, erneut heiratet oder nicht. Im zweiten Falle könnten diese Kinder - wohl auch nach der Auffassung des FG - nicht auf der Lohnsteuerkarte des betreffenden Steuerpflichtigen eingetragen werden (vgl. § 32 Abs. 4 Sätze 2 und 3 EStG), weil insoweit die Voraussetzungen für ein Stiefkindschaftsverhältnis nicht vorliegen. Deshalb stehen dem Steuerpflichtigen in diesem Falle - abgesehen von den durch das Steueränderungsgesetz 1979 eingeführten und an die tatsächliche Unterhaltsleistung anknüpfenden Steuervorteilen - auf Grund des Kindschaftsverhältnisses keinerlei steuerliche Vergünstigungen zu. Es wäre sinnwidrig, sollte sich hieran allein dadurch etwas ändern, daß der Elternteil, zu dessen Haushalt die Kinder nicht gehören, erneut heiratet, also zu einer dritten Person ein Rechtsverhältnis begründet, an dem die Kinder nicht beteiligt sind. Die einkommensteuerrechtliche Entlastung, die der Kläger hier für sich erstrebt, erscheint im übrigen um so weniger berechtigt, als sich durch seine (erneute) Eheschließung an der steuerlichen Leistungsfähigkeit von ihm und des Stiefelternteils (der zweiten Ehefrau) nichts nachteilig verändert hat. Eine derartige Änderung könnte aber eine Voraussetzung für die einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung der Kinder sein. Diese Folge kann auf Grund des Stiefkindschaftsverhältnisses der (zweiten) Ehefrau des Klägers zu dessen leiblichen Kindern - wie dargelegt - jedoch nach dem gegebenen Sachverhalt (Unterbringung der Kinder bei der leiblichen Mutter) nicht eintreten.

2. Die Vorentscheidung beruht auf einer abweichenden Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 EStG und wird deshalb aufgehoben. Die Sache ist spruchreif, so daß der Senat in der Sache selbst entscheiden kann. Die Klage ist unbegründet und daher abzuweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 73119

BStBl II 1979, 437

BFHE 1979, 395

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