Entscheidungsstichwort (Thema)

Fahrten von zwei Wohnungen aus zur Arbeitsstätte

 

Leitsatz (NV)

1. Aufwendungen für Fahrten von der weiter entfernt liegenden Zweitwohnung als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG, wenn dort der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist (Anschluß an BFH-Urteil vom 13. Dezember 1985 - VI R 7/89, BFHE 145, 386 BStBl II 1986, 221).

2. Indizien für die Annahme des Mittelpunkts der Lebensinteressen bei einem ledigen Arbeitnehmer.

 

Normenkette

EStG 1977 § 9 Abs. 1 Nr. 4

 

Verfahrensgang

FG Bremen

 

Tatbestand

Der unverheiratete Kläger ist seit dem 1. Februar 1978 als Arbeitnehmer bei der Firma A in B tätig. Er unterhielt im Streitjahr 1979 in C eine Dreizimmerwohnung. In B bewohnte er ein möbliertes Zimmer. In seiner Einkommensteuererklärung für 1979 machte er u.a. Aufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung als Werbungskosten geltend. Dies wurde vom FA abgelehnt. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

Das FG gab der Klage, mit der der Kläger nur noch die Berücksichtigung von Fahrtkosten für 26 Fahrten von C nach B (Entfernung 360 km) als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG begehrte, in vollem Umfange statt. Es führte u.a. aus:

Habe ein lediger Arbeitnehmer mehrere Wohnungen und sei die vom Beschäftigungsort weiter entfernt liegende Wohnung der örtliche Mittelpunkt der Lebensinteressen, so könne der Arbeitnehmer auch Aufwendungen für Fahrten zwischen dieser Wohnung und der Arbeitsstätte als Werbungskosten abziehen.

Der Kläger habe im Streitjahr 1979 seinen Lebensmittelpunkt in C gehabt. Er sei, wie er glaubhaft vorgetragen habe, an jedem Wochenende nach C gefahren, auch wenn er steuerlich nur Aufwendungen für 26 Fahrten als Werbungskosten geltend gemacht habe. In C befinde sich sein Freundeskreis und er habe dort mehreren Vereinen angehört und die Veranstaltungen der Vereine besucht. Er habe in C Bauland erworben, um ein Haus zu errichten. Im übrigen habe in C seine damalige Verlobte gewohnt. Seine dortige Wohnung befinde sich in einem Haus, das früher seinen Eltern gehört habe.

Nach dem Urteil des BFH vom 10. November 1978 VI R 112/75 (BFHE 126, 518, BStBl II 1979, 222) seien Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte allerdings nicht als Werbungskosten abziehbar, wenn sie nach der allgemeinen Verkehrsauffassung unangemessen seien. Dieser Auffassung sei der Senat bereits in seinem Urteil vom 20. August 1982 I 89/81 K (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1983, 62) entgegengetreten.

Aber selbst dann, wenn man dem BFH folge, wäre der Klage stattzugeben, da die Aufwendungen nicht unangemessen gewesen seien. Es sei zu fragen, ob die überwiegende Zahl derjenigen Arbeitnehmer, deren Wohnort weit vom Arbeitgeber entfernt sei, diese Strecke einmal monatlich zurücklege, so, wie der Kläger es getan zu haben behauptete. Diese Frage sei zu bejahen. Man könne nicht, wie dies der BFH in seinem Urteil in BFHE 126, 518, BStBl II 1979, 222 gefordert habe, verlangen, daß der Arbeitnehmer diese Entfernung auch an einem Tag zurücklegen kann.

Gegen dieses Urteil legte das FA Revision ein. Es rügt die Verletzung des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG. Es bringt u.a. vor:

Im Streitfall seien die Aufwendungen des Klägers für Fahrten zwischen B und C nach den Grundsätzen der BFH-Rechtsprechung als unangemessen anzusehen. Die Entfernung zwischen beiden Orten betrage rund 360 km. Der Kläger lege diese Entfernung mit seinem PKW zurück. Es sei undenkbar, daß er diese Fahrten arbeitstäglich durchführen und daneben noch am selben Tag seiner Arbeit nachgehen könne.

Der Kläger hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im Ergebnis unbegründet.

a) Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. insbesondere Urteil vom 20. Dezember 1982 VI R 64/81, BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306, und die dort erwähnten Urteile) können in Fällen, in denen ein Arbeitnehmer von zwei verschiedenen Wohnungen aus sich jeweils zur Arbeitsstätte begibt, Aufwendungen für Fahrten von jeder Wohnung aus, unabhängig davon, wie häufig sie wöchentlich durchgeführt werden, als Werbungskosten i. S. des § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG anerkannt werden. Fahrtaufwendungen von der weiter vom Beschäftigungsort entfernt liegenden Wohnung sind allerdings nur dann als Werbungskosten anzuerkennen, wenn die Wohnung den örtlichen Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers darstellt.

Die Vorentscheidung entspricht diesen Rechtsgrundsätzen. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Kläger zwei Wohnungen gehabt hat, und zwar einmal ein möbliertes Zimmer am Arbeitsort in B und zum anderen eine Dreizimmerwohnung in C. Das FG hat den Sachverhalt dahin gewürdigt, daß der Kläger im Streitjahr 1979 den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in der Dreizimmerwohnung in C gehabt hat. Der Senat ist an die vom FG getroffenen Feststellungen gebunden, da das FA hiergegen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen vorgebracht hat (§ 118 Abs. 2 FGO). Das FG konnte ohne Rechtsverstoß insbesondere den Umständen entscheidende Bedeutung beimessen, daß der Kläger in C seinen Freundeskreis hatte, dort mehreren Vereinen angehörte und daß in C auch seine damalige Verlobte wohnte. Die enge persönliche Bindung des Klägers an diesen Ort ergab sich auch daraus, daß er in dem früheren Hause seiner Eltern wohnte und dort Bauland erworben hat, um sich ein Haus zu bauen.

b) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats (Urteil in BFHE 137, 463, BStBl II 1983, 306) konnten darüber hinaus Kosten für Fahrten von der weiter entfernt liegenden Wohnung, die Lebensmittelpunkt ist, zur Arbeitsstätte nur berücksichtigt werden, wenn die Wohnung nur so weit von der Arbeitsstätte entfernt liegt, daß ein Arbeitnehmer es bei dem von ihm regelmäßig benutzten Beförderungsmittel arbeitstäglich auf die Dauer auf sich nehmen würde, am selben Tag zur Arbeitsstätte hin und zurück zu fahren, um seiner Arbeit am Beschäftigungsort nachzugehen.

Der Senat hat diese Rechtsprechung durch Urteil vom 13. Dezember 1985 VI R 7/83 aufgegeben. Er wies dort darauf hin, daß der Abzug solcher Fahrtaufwendungen als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG auch nicht davon abhängt, ob diese Ausgaben als angemessen anzusehen sind. Auf die Entscheidung, die in BFHE 145, 386, BStBl II 1986, 221 veröffentlicht ist, wird im einzelnen Bezug genommen.

Da es auf die Entfernung der den Lebensmittelpunkt bildenden Wohnung zum Arbeitsort und auf die Angemessenheit der Fahrtaufwendungen mithin nicht ankommt, hat das FG die vom Kläger geltend gemachten Kosten für Fahrten von C nach B und zurück im Ergebnis zu Recht nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG als Werbungskosten anerkannt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 414332

BFH/NV 1986, 398

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