4.1 Der Königsweg

Die zweifellos beste und einzige einigermaßen Erfolg versprechende Strategie ist, keine Verstöße gegen das AGG und das SGB IX zu begehen und dies gem. § 22 AGG auch beweisen zu können.[1] Dies schützt nicht nur vor professionellen Scheinbewerbern, sondern auch vor Entschädigungsansprüchen tatsächlich diskriminierter Bewerber, womit, neben der Entschädigungsverpflichtung, auch ein Reputationsverlust für das Unternehmen verbunden sein kann.

Ein Arbeitgeber muss sich also in jeder Phase des Bewerbungsverfahrens der Gefahr bewusst sein, dass er auch – selbst wenn er nicht diskriminieren will – falsch verstanden werden kann. Daher sind selbst harmlos gemeinte, flapsige Bemerkungen in E-Mails (Beispiel 3) ebenso ein Tabu wie Verfahrensfehler im Hinblick auf die gesetzlichen Verpflichtungen nach § 164 SGB IX. Dazu gehört auch, dass gem. § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung "unmittelbar nach Eingang" der Bewerbung unterrichtet wird und nicht erst, wenn alle Bewerbungen gesammelt und sortiert wurden (Fall 5).[2]

Es ist dabei wichtig, die einzelnen Schritte des Einstellungsverfahrens zu dokumentieren. Dabei sollte die notwendige Information der Agentur für Arbeit oder der Schwerbehindertenvertretung nicht nur telefonisch durchgeführt werden – und wenn doch, sollten mindestens Vermerke über die entsprechenden Gespräche und den Gesprächspartner gefertigt werden, um den gesamten – diskriminierungsfreien – Ablauf des Bewerbungsverfahrens später auch rekapitulieren, im Prozess vortragen und notfalls beweisen zu können.

Gerade im Hinblick auf die besonderen Verpflichtungen nach § 164 SGB IX müssen Arbeitgeber jede Bewerbung von Anfang bis Ende aufmerksam lesen, um sicher zu wissen, ob es sich um einen schwerbehinderten Bewerber handelt oder nicht. Arbeitgeber können sich nicht darauf berufen, sie hätten einen Hinweis im 10-seitigen Lebenslauf, wonach der Bewerber vor 10 Jahren 3 Monate wegen seiner Schwerbehinderung in einer Rehabilitationseinrichtung gewesen sei, nicht gelesen.[3]

[3] Vgl. BAG, Urteil v. 23.1.2020, 8 AZR 484/18: Zwar hatte der Bewerber hier deutlich auf die Schwerbehinderung hingewiesen. Danach kann sich der Arbeitgeber nur entlasten, wenn er beweisen kann, dass er die Bewerbung gar nicht zur Kenntnis nehmen konnte, nicht aber damit, sie nicht vollständig zur Kenntnis genommen und damit die Information zur Schwerbehinderung überlesen zu haben.

4.2 Identifizierung von professionellen Scheinbewerbern im Bewerbungsverfahren

Es gibt gewisse Verhaltensmuster bei Menschen, die sich rechtsmissbräuchlich bewerben. Ob es am Ende hilft, ein Entschädigungsverlangen erfolgreich zu bekämpfen, ist eine Frage des Einzelfalls. Allerdings kann ein Verdachtsfall im weiteren Verfahren berücksichtigt werden und eine Haftung möglichst vermieden oder die Entschädigungszahlung zumindest reduziert werden.

4.2.1 Verhaltensmuster

Die Verhaltensmuster eines professionellen Scheinbewerbers können – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – sein:

Mögliche Verhaltensmuster in den Bewerbungsunterlagen

Vieles ergibt sich schon aus dem Anschreiben und dem Lebenslauf selbst. Geht es um eine Diskriminierung wegen der Behinderung, sei folgendes Beispiel genannt:

Der schwerbehinderte professionelle Scheinbewerber muss notwendigerweise – wie bereits geschildert – auf seine Schwerbehinderung hinweisen. Gleichzeitig will er ja gerade nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, weil dann ja kein Indiz für eine Diskriminierung vorläge. Insofern hat er möglicherweise ein Interesse, die notwendige Information über seine Schwerbehinderung an einer eher versteckten Stelle im Anschreiben, Lebenslauf oder den Anlagen zu platzieren.[1]

Geht es um Diskriminierung wegen anderer Merkmale, wird der professionelle Scheinbewerber in seiner Bewerbung eher bemüht sein, herauszustellen, dass er die diskriminierende Anforderung nicht erfüllt:

  • Diejenige, die in einer Stellenanzeige ein altersdiskriminierendes Merkmal entdeckt hat (Beispiel 2), wird in jedem Fall ihr Alter mitteilen oder ihre Bewerbung mit dem Hinweis garnieren, sie übe ihren Beruf seit vielen Jahren aus.[2] Denn wenn der potenzielle Arbeitgeber über die Nichterfüllung der diskriminierenden Anforderung keine Kenntnis hat, kann er auch nicht diskriminieren.
  • Jemand bewirbt sich um eine Stelle bei einer evangelischen Kirche, für die die Mitgliedschaft in einer Kirche als Voraussetzung genannt wird. In seinem Bewerbungsschreiben erwähnt er, aus der evangelischen Kirche ausgetreten zu sein.[3]

Entfernung vom Wohnort und Attraktivität der Stelle

Bewirbt sich jemand mit Wohnsitz in Rostock auf eine mit dem Mindestlohn vergütete Teilzeitstelle in Freiburg im Breisgau, kann dies auf eine nicht ernstgemeinte Bewerbung hindeuten. Allerdings zeigt sich gerade hier auch die Schwäche solcher "Indizien". Es besteht auch für Menschen, die tatsächlich an der Stelle interessiert sind, nicht unbedingt eine Veranlassung, über möglicherweise sehr private Motive für die Bewerbung gle...

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