Entscheidungsstichwort (Thema)

Postdienstzeit - Grundwehrdienst bei Grenztruppen der DDR

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Regelung in Nr 1 Buchst b der Übergangsvorschriften zu § 9 des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost Postdienst (TV Arb-O), nach der Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR von der Berücksichtigung als Postdienstzeit ausgeschlossen sind, ist mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes vereinbar. Dies gilt auch, soweit sie in Verbindung mit § 9 Abs 2 UAbs 1 TV Arb-O bewirkt, daß Arbeiter, die den Grundwehrdienst bei den Grenztruppen geleistet haben, ungünstiger behandelt werden als die Grundwehrdienstleistenden, die zur Nationalen Volksarmee der DDR einberufen waren.

 

Orientierungssatz

Auslegung des § 20 der Anordnung des nationalen Verteidigungsrates der Deutschen Demokratischen Republik über die Musterung und Einberufung zum Wehrdienst - Einberufungsordnung - vom 25. März 1982 (GBl I S 230).

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 20.10.1993; Aktenzeichen 15 Sa 93/93)

ArbG Berlin (Entscheidung vom 29.06.1993; Aktenzeichen 59 Ca 8928/93)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Berechnung der Postdienstzeit des Klägers.

Der Kläger machte in der Zeit vom 1. September 1982 bis zum 15. Februar 1985 bei der Deutschen Post eine Lehre. Im Anschluß daran wurde er als Bahnpostbegleiter beschäftigt. Vom 3. Mai 1989 bis zum 30. April 1990 leistete der damals wehrpflichtige Kläger seinen Grundwehrdienst bei den Grenztruppen der ehemaligen DDR (künftig Grenztruppen). Vom 7. Mai 1990 an beschäftigte die Deutsche Post den Kläger wieder als Bahnpostbegleiter. Mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 trat die jetzige Beklagte in das Arbeitsverhältnis ein, auf das kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundespost POSTDIENST - TV Arb-O in der jeweiligen Fassung Anwendung findet. § 9 TV Arb-O lautet:

"§ 9

Postdienstzeit

(1) Postdienstzeit ist die bei der Deutschen Bun-

despost/Deutschen Post und der Landespostdirekti-

on Berlin in einem Ausbildungs-, Arbeits- oder

Beamtenverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn

sie unterbrochen ist; dies gilt auch für eine als

Postjungbote zugebrachte Zeit. Zeiten einer Be-

schäftigung mit weniger als der Hälfte der je-

weils geltenden regelmäßigen Arbeitszeit eines

vollbeschäftigten Arbeiters werden nicht berück-

sichtigt.

Als Postdienstzeit gilt auch diejenige Zeit, die

mit einer Wochenarbeitszeit von mindestens der

Hälfte der jeweils geltenden Arbeitszeit eines

vollbeschäftigten Arbeiters zurückgelegt worden

ist

a) bei Unternehmen, Dienststellen oder Einrich-

tungen, die im ganzen oder in geschlossenen

Teilen von der DBP oder ihren Rechtsvorgängern

übernommen wurden,

b) bei Post- oder Fernmeldeverwaltungen im Aus-

land, soweit sie dort öffentlicher Dienst

sind.

Als Postdienstzeit gilt ferner diejenige Zeit,

die mit einer Wochenarbeitszeit von mindestens 24

Stunden zurückgelegt worden ist

a) 1. bis zum 8. Mai 1945 bei der Deutschen

Reichspost,

2. bis zum 30. September 1943 als Hilfskraft

eines Posthalters,

b) nach dem 8. Mai 1945

1. bei deutschen Postverwaltungen im Bereich

der Bundesrepublik Deutschland,

2. ...

3. bei der Post- und Telegrafenverwaltung des

Saarlandes,

4. bei der Abteilung Post- und Fernmeldewesen

des Magistrats von Groß-Berlin und bei der

Senatsverwaltung für Post- und Fernmeldewe-

sen in Berlin.

Ist ein von den vorstehenden Regelungen erfaßtes

Ausbildungs-, Arbeits- oder Beamtenverhältnis aus

arbeitnehmerseitigem Verschulden beendet worden,

so gelten die vor dem Ausscheiden liegenden Zei-

ten nicht als Postdienstzeit.

Bei den Unternehmen Postdienst und Telekom kann

die zuständige Direktion, bei dem Unternehmen

Postbank kann die Generaldirektion Postbank je-

doch solche Zeiten im Einzelfall nach billigem

Ermessen ganz oder zu einem Teil als Postdienst-

zeit anrechnen.

(2) Ist ein früheres Lehr-, Arbeits- oder Beam-

tenverhältnis im Sinne des Absatzes 1 Unterabs. 1

und Unterabs. 3 durch Einberufung zum Reichsar-

beitsdienst, aktiven Wehrdienst (einschließlich

Übungen), Kriegsdienst oder langfristigen Not-

dienst unterbrochen worden, so werden auch die

vorgenannten Zeiten des Reichsarbeitsdienstes

usw. als Postdienstzeit angerechnet, wenn sich

der Arbeiter nach Fortfall des Grundes der Unter-

brechung unverzüglich bei einer Postdienststelle

zur Wiederaufnahme der Arbeit gemeldet hat.

Als Kriegsdienst im Sinne des Unterabs. 1 gilt

der im Militärverhältnis bei deutschen Wehrmacht-

teilen oder beim Reichsarbeitsdienst geleistete

Dienst in der Kampflinie, im Hinterland oder in

der Heimat. Hierzu gehört auch die Zeit bis zur

Entlassung aus einer Krankenanstalt, wenn der Ar-

beiter wegen einer im Kriegsdienst erlittenen

Verwundung oder Erkrankung im Anschluß an den

Kriegsdienst Aufnahme in der Krankenanstalt ge-

funden hatte.

Der Kriegsdienstzeit wird die Zeit einer Kriegs-

gefangenschaft sowie einer auf dem Kriegszustand

beruhenden Gefangenschaft und der Zivilinternie-

rung gleichgestellt. Die Zeit eines freiwillig

übernommenen zivilen Arbeitsverhältnisses im Ge-

wahrsamsland nach Entlassung aus der Kriegsgefan-

genschaft kann bei der Anrechnung der Kriegs-

dienstzeit berücksichtigt werden.

(3) Auf die Postdienstzeit sind außerdem Zeiten

anzurechnen, soweit sie im Rahmen von gesetzli-

chen Regelungen der Bundesrepublik Deutschland

(Arbeitsplatzschutzgesetz, Zivildienstgesetz,

Mutterschutzgesetz, Soldatenversorgungsgesetz

usw.) als solche berücksichtigt werden müssen und

nicht bereits aufgrund der Absätze 1 bis 2 anzu-

rechnen sind.

(4) Die Zeit eines Sonderurlaubs ist bis zur

Dauer eines Monats auf die Postdienstzeit anzu-

rechnen. Länger dauernder Sonderurlaub ist dann

anzurechnen, wenn für die Gewährung ein vom Ar-

beitgeber oder vom Dienstherrn anerkanntes

dienstliches oder öffentliches Interesse bestan-

den hat; dies gilt auch für eine im dienstlichen

Interesse liegende Fortbildung.

(5) Die Anrechnung anderer als der in den Absät-

zen 1 bis 4 genannten Zeiten als Postdienstzeit

unterliegt der Entscheidung der jeweiligen Gene-

raldirektion bzw. des Direktoriums."

In den Übergangsvorschriften zu § 9 TV Arb-O (künftig: Übergangsvorschriften) heißt es:

"Übergangsvorschriften

1. für Zeiten vor dem 1. Januar 1991:

Von der Berücksichtigung als Postdienstzeit sind

ausgeschlossen

a) Zeiten jeglicher Tätigkeit für das Ministerium

für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicher-

heit (einschließlich der Verpflichtung zu in-

formeller/inoffizieller Mitarbeit),

b) Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der

Grenztruppen der DDR,

c) Zeiten einer Tätigkeit, die aufgrund einer be-

sonderen persönlichen Systemnähe übertragen

worden war.

Die Übertragung der Tätigkeit aufgrund einer be-

sonderen persönlichen Systemnähe wird insbesonde-

re vermutet, wenn der Arbeiter

aa) vor oder bei Übertragung der Tätigkeit eine

hauptamtliche oder hervorgehobene

ehrenamtliche Funktion in der SED, dem

FDGB, der FDJ oder einer vergleichbar

systemunterstützenden Partei oder

Organisation innehatte

bb) als mittlere oder obere Führungskraft in

zentralen Staatsorganen, als obere

Führungskraft beim Rat eines Bezirkes, als

Vorsitzender des Rates eines Kreises oder

einer kreisfreien Stadt (Oberbürgermeister)

oder in einer vergleichbaren Funktion tätig

war (z.B. Minister, Staatssekretär,

Hauptabteilungsleiter, Abteilungs- und

Sektorenleiter im MPF, Ge-

schäftsbereichsleiter und

Fachbereichsleiter bei den

Generaldirektionen der Deutschen Post,

Leiter einer Bezirksdirektion und deren

Stellvertreter, sowie die Leiter der

Zentralen Ämter, der Institute und

Bildungseinrichtungen der Deutschen Post,

die dem MPF direkt unterstellt waren),

cc) hauptamtlich Lehrender an den Bildungsein-

richtungen der staatstragenden Parteien

oder einer Massen- oder gesellschaftlichen

Organisation war oder

dd) Absolvent der Akademie für Staat und Recht

oder der Akademie/Institut für

Gesellschaftswissenschaften war.

Der Arbeiter kann die Vermutung widerlegen.

Von einer Berücksichtigung als Postdienstzeit

ausgeschlossen sind auch die Zeiten, die vor

einer Tätigkeit im Sinne der Buchstaben a), b)

und c) zurückgelegt worden sind.

..."

Im August 1992 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß sie für die vorläufige Berechnung seiner Postdienstzeit nur die Beschäftigung seit dem 7. Mai 1990 berücksichtige, weil Nr. 1 Buchst. b der Übergangsvorschriften die Berücksichtigung von Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen und von vorher zurückgelegten Zeiten als Postdienstzeiten ausschließe. Die für den Kläger geltende Lohntabelle ist nach Dienstzeitstufen gegliedert. Da die Postdienstzeit Bestandteil der Dienstzeit ist (§ 9 a Abs. 1 Buchst. a TV Arb-O), bedeutet dies, daß der Kläger - unstreitig - bei Nichtanrechnung der genannten Zeiten monatlich etwa 200,-- DM (brutto) weniger verdient.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Übergangsvorschriften seien wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz unwirksam, soweit sie Arbeiter benachteiligten, die ihren Grundwehrdienst bei den Grenztruppen abgeleistet haben. Den Wehrpflichtigen, die zu den Einheiten der Nationalen Volksarmee (NVA) eingezogen worden seien, würden demgegenüber der Wehrdienst und alle vorher zurückgelegten Zeiten nach § 9 TV Arb-O als Postdienstzeit anerkannt. Ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Behandlung bestehe nicht.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihm auch die Zeit

vom 1. September 1982 bis 6. Mai 1990 als Post-

dienstzeit anzuerkennen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Nichtberücksichtigung der genannten Zeiten sei sachlich gerechtfertigt. Der Grenztruppendienst habe u.a. darin bestanden, Repressionen gegen Reisende auszuüben und DDR-Bürger unter Verletzung der Menschenrechte am Verlassen des Landes zu hindern. Er habe rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprochen. Durch die Zugehörigkeit zu den Grenztruppen habe der Arbeitnehmer dazu beigetragen, deren rechtsstaatswidrigen Auftrag zu erfüllen. Eine nachträgliche Prüfung der Umstände, unter denen der einzelne Wehrpflichtige zu den Grenztruppen gelangt sei und wie er dort seinen Dienst im einzelnen verrichtet habe, sei nicht möglich.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Ihre auf Klageabweisung gerichtete Revision hat die Beklagte, soweit es um die Anrechnung der Zeiten vom 1. September 1982 bis zum 2. Mai 1989 geht, vor dem Beginn der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten hat in dem noch anhängigen Umfang Erfolg. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger kann nicht verlangen, daß die Zeit vom 3. Mai 1989 bis zum 20. April 1990, in der er seinen Wehrdienst bei den Grenztruppen abgeleistet hat, als Postdienstzeit berücksichtigt wird.

I. Nach § 9 Abs. 2 Unterabs. 1 TV Arb-O werden Zeiten, in denen ein früheres Arbeitsverhältnis durch Einberufung zum aktiven Wehrdienst unterbrochen war, auf die Postdienstzeit angerechnet, wenn sich der Arbeiter nach Fortfall der Unterbrechung unverzüglich bei einer Poststelle zur Wiederaufnahme der Arbeit gemeldet hat.

1. Der Kläger war in der genannten Zeit zum aktiven Wehrdienst einberufen. Nach § 18 Abs. 1 Buchst. a des Gesetzes über den Wehrdienst in der Deutschen Demokratischen Republik - Wehrdienstgesetz - vom 25. März 1982 (GBl. I S. 221) gehörte der Grundwehrdienst zum aktiven Wehrdienst.

2. Der Kläger meldete sich unstreitig am 3. Mai 1990 und damit unverzüglich zur Wiederaufnahme der Arbeit.

3. Dennoch ist die Zeit des Grundwehrdienstes nicht als Postdienstzeit zu berücksichtigen.

Nach Nr. 1 Buchst. b der Übergangsvorschriften sind Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR von der Berücksichtigung als Postdienstzeit ausgeschlossen. Der Kläger war während seines Grundwehrdienstes Angehöriger der Grenztruppen der DDR. Unter den Begriff der "Angehörigen" der Grenztruppen fielen Wehrdienstleistende auch dann, wenn sie zur Ableistung der allgemeinen Wehrpflicht zu den Grenztruppen einberufen waren.

Nach § 20 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 der Einberufungsordnung vom 25. März 1982 (GBl. I S. 230) war ein zum Wehrdienst einberufener Wehrpflichtiger grundsätzlich ab Null Uhr des im Einberufungsbefehl festgelegten Tages der Einberufung "Angehöriger" der Grenztruppen der DDR. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Tarifparteien den Begriff des "Angehörigen der Grenztruppen" anders verstanden haben als in diesem DDR-amtlichen Sinne. Außerdem zeigt die differenzierende Regelung in Nr. 1 Buchst. c der Übergangsvorschriften, nach der unter bestimmten Voraussetzungen vermutet wird, daß die dort genannten Tätigkeiten aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen wurden, diese Vermutung aber widerleglich ausgestaltet ist, daß in den Buchst. a und b bewußt von einer Differenzierung abgesehen wurde. Eine einschränkende Auslegung des Begriffs des "Angehörigen der Grenztruppen", wie sie das Arbeitsgericht zugunsten des Klägers für möglich gehalten hat, die nur den Wehrdienst erfassen würde, der als "Dienst auf Zeit" oder als "Dienst in militärischen Berufen" (§ 18 Abs. 1 Buchst. b und c Wehrdienstgesetz) geleistet wurde, scheidet somit aus.

II. Nr. 1 Buchst. b der Übergangsvorschriften ist wirksam.

1. Entgegen der Auffassung des Klägers verstößt die Bestimmung nicht gegen den Einigungsvertrag.

Der Kläger meint, die Zugehörigkeit zu den Grenztruppen habe den Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung nach Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 5 der Anlage I zum Einigungsvertrag berechtigt. Tarifliche Regelungen, die Nachteile für Arbeitnehmer vorsähen, denen gegenüber der Arbeitgeber dieses Kündigungsrecht nicht ausgeübt habe, seien daher unzulässig und somit nichtig. Dies trifft nicht zu. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Tarifparteien gesetzlich gehindert sind, bei der kollektiven Gestaltung der Arbeitsbedingungen die frühere Tätigkeit eines weiterbeschäftigten Arbeitnehmers des öffentlichen Dienstes zu berücksichtigen. Eine Sperre für tarifautonome Regelungen enthält der Einigungsvertrag insoweit nicht.

2. Nr. 1 Buchst. b der Übergangsvorschriften verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

a) Die Zugehörigkeit zu den Grenztruppen ist als Ausschlußmerkmal nicht, wie der Kläger meint, bereits deshalb gleichheitswidrig, weil sie als Kriterium für die Bemessung von Arbeitslohn ihrer Natur nach sachwidrig wäre.

Die Tarifparteien entscheiden in Ausübung ihrer Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG), welche Regelungen sie treffen. Machen sie Leistungen davon abhängig, daß der Arbeitnehmer bestimmte Zeiten zurückgelegt hat, so verstößt eine Bestimmung dann gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn im Rahmen des gewählten Regelungssystems für sie ein sachlicher Grund nicht erkennbar ist.

Die Tarifregelung stellt für den Umfang von Leistungen auf die zurückgelegte Postdienstzeit ab. Nach § 9 Abs. 1 TV Arb-O ist Postdienstzeit die bei der Deutschen Post oder vergleichbaren Einrichtungen zurückgelegte Zeit. Postdienstzeit ist somit Beschäftigungszeit oder Zeit der Betriebszugehörigkeit im weiteren Sinne. Nach § 9 Abs. 2 Unterabs. 1 TV Arb-O wird auch die Zeit der Einberufung zum aktiven Wehrdienst, durch die ein Arbeitsverhältnis bei der Deutschen Post unterbrochen wurde, als Postdienstzeit angerechnet. Der Arbeiter soll durch die Ableistung dieses Dienstes bei Berechnung seiner Postdienstzeit keinen Nachteil erleiden. Damit haben die Tarifparteien sich für ein System entschieden, bei dem neben der Betriebszugehörigkeit auch andere für den Staat geleistete Dienste als Voraussetzungen für tarifliche Leistungen maßgebend sein sollen. In einem solchen System ist es nicht von vornherein sachwidrig, die Anrechnung solcher Dienste von dem Inhalt der Tätigkeit abhängig zu machen, falls die Differenzierung sachgerecht erfolgt. Eine auf einer solchen Regelung beruhende Lohnbemessung ist nicht von vornherein unsachlich.

b) Die Tarifregelung ist nicht gleichheitswidrig, weil die Tarifparteien die Angehörigen der Grenztruppen ungünstiger behandelt haben als die Angehörigen der NVA.

Den Tarifparteien steht bei Ausübung der Tarifautonomie grundsätzlich ein weiter Regelungsspielraum zur Verfügung. Gleichwohl bestehen verfassungsrechtliche Grenzen. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, in einem Tarifvertrag gleiche Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln (vgl. BAGE 1, 258, 262 ff. = AP Nr. 4 zu Art. 3 GG; BAGE 29, 122 = AP Nr. 111 zu Art. 3 GG; BAGE 50, 137, 141 ff. = AP Nr. 136 zu Art. 3 GG). Eine verbotene Ungleichbehandlung liegt vor, wenn sich für die gewählte Differenzierung ein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder sonstwie einleuchtender Grund nicht finden läßt, wenn also für eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Betrachtungsweise die Regelung als willkürlich anzusehen ist (vgl. BVerfGE 1, 14, 52; 33, 367, 384; 71, 39, 58). Dabei genügt es im Hinblick auf die Gestaltungsfreiheit der Tarifparteien, wenn sich für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund ergibt (BVerfGE 3, 58, 135; 33, 44, 51; 54, 11, 25 f. = AP Nr. 116 zu Art. 3 GG, zu B I 1 der Gründe; BVerfGE 71, 39, 58; 75, 108, 157).

Nach § 9 Abs. 1 TV Arb-O ist Postdienstzeit Beschäftigungszeit im öffentlichen Dienst. Das belegt besonders § 9 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. b TV Arb-O, wo als Postdienstzeit bei Post- und Fernmeldeverwaltungen im Ausland zurückgelegte Zeiten fingiert werden, "soweit sie dort öffentlicher Dienst sind". Stellt aber die Postdienstzeit grundsätzlich Beschäftigungsdauer im öffentlichen Dienst dar, so ist es nicht sachwidrig, als Zeiten der Unterbrechung i.S. des § 9 Abs. 2 Unterabs. 1 TV Arb-O solche Zeiten unberücksichtigt zu lassen, die den Anforderungen des öffentlichen Dienstes, wie er in einer demokratischen und rechtsstaatlichen Verwaltung verstanden wird, nicht gerecht wurden. Dies trifft für die Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR grundsätzlich zu.

Die Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen der DDR zielte u.a. darauf ab, elementare Menschen- und Grundrechte zu verletzen, wie z.B. das Recht der Selbstbestimmung, das Recht der Freizügigkeit und das Recht auf Leben. Die Entscheidung der Tarifparteien, diese Tätigkeit nicht Zeiten gleichzustellen, die im öffentlichen Dienst verbracht wurden, ist frei von Willkür. Daß sich der Grenztruppendienst durch die genannte Zielsetzung von der Tätigkeit in den anderen militärischen Verbänden der DDR unterschied, denen, ebenso wie den Armeen anderer Staaten, die herkömmliche Landesverteidigung oblag, ist ein sachlich vertretbarer Grund für die unterschiedliche Behandlung. In einem Anrechnungssystem, das für den Anspruch auf tarifliche Leistungen grundsätzlich auf Dienstzeiten abstellt, die im öffentlichen Dienst und damit in einer demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichteten Verwaltung (Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG) abgeleistet wurden, ist es konsequent, diese Anforderungen auch an Tätigkeiten zu stellen, durch die Arbeitsverhältnisse unterbrochen wurden, sofern die Zeiten der Unterbrechung angerechnet werden sollen. Dies stellt im Grundsatz auch der Kläger nicht in Abrede, der seine Angriffe gegen die Wirksamkeit von Nr. 1 Buchst. b der Übergangsvorschriften auf die Nichtberücksichtigung der Zeiten der allgemeinen Wehrpflicht beschränkt.

Der Kläger hat gemeint, und auch das Landesarbeitsgericht hat diesen Gesichtspunkt unterstützend herangezogen, die Tätigkeit bei den Grenztruppen könne deshalb nicht anders behandelt werden, als die Tätigkeit bei der NVA, weil sie für die Aufgabenerledigung bei der Post ebensowenig von Nutzen gewesen sei wie diese. Daran ist zwar richtig, daß es sachlich vertretbar wäre, eine das Arbeitsverhältnis zur Post unterbrechende Tätigkeit nur dann als Postdienstzeit zu berücksichtigen, wenn sie für die Arbeit bei der Post nützlich war. Die Tarifparteien des Postdienstes sind jedoch in ihren sachlichen Erwägungen auf diesen Gesichtspunkt nicht beschränkt. Auch bei Regelungen über die Berücksichtigung von Zeiten, durch die ein Arbeitsverhältnis unterbrochen wird, dürfen sie die Besonderheiten des Postdienstes als öffentlicher Dienst berücksichtigen, die darin bestehen, daß es sich bei ihm um den Dienst in einer demokratischen und rechtsstaatlichen Verwaltung handelt.

c) Nr. 1 Buchst. b der Übergangsvorschriften hält auch insoweit dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG stand, als er die Arbeiter, die ihre allgemeine Wehrpflicht bei den Grenztruppen erfüllt haben, ungünstiger behandelt als die, die ihren Wehrdienst bei der NVA abgeleistet haben.

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Normgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Letztere gilt insbesondere bei der Ungleichbehandlung von Personengruppen. Dies folgt daraus, daß der Grundsatz, daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind (Art. 3 Abs. 1 GG), in erster Linie eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Personen verhindern soll. Anders als beim Willkürverbot reicht hier nicht aus, daß die Unsachlichkeit der Differenzierung evident ist. Für die Unterscheidung müssen vielmehr Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können. Eine Personengruppe wird auch dann ungleich behandelt, wenn die Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar die Ungleichbehandlung dieser Personengruppe bewirkt (BVerfGE 88, 87, 96).

Die Gruppe der Arbeiter, die ihren Grundwehrdienst bei den Grenztruppen abgeleistet haben, wird gegenüber ehemaligen Wehrpflichtigen der NVA dadurch ungleich behandelt, daß die Tarifregelung alle Zeiten einer Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen einschließlich des Grundwehrdienstes von der Berücksichtigung als Postdienstzeit ausschließt. Den Tarifparteien kam es ersichtlich darauf an, die Tätigkeit bei den Grenztruppen als Voraussetzung tariflicher Leistungen einheitlich negativ zu bewerten. Dies kann den einzelnen ehemaligen Wehrpflichtigen besonders hart treffen, weil die Regelung ohne Rücksicht darauf gilt, ob er selbst in Menschenrechtsverletzungen verwickelt war oder nicht. Die Gründe für diese Tarifregelung müssen bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise erklären, warum Wehrpflichtige, obwohl sie nicht wählen konnten, ob sie ihren Wehrdienst bei der NVA oder den Grenztruppen ableisteten, unter die Ausnahmeregelung fallen.

Die Übergangsvorschriften, die neben der Tätigkeit als Angehöriger der Grenztruppen auch die Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit und Tätigkeiten, die aufgrund einer besonderen persönlichen Systemnähe übertragen worden waren, erfassen, bezwecken erkennbar die Rücksichtnahme auf die Opfer der Menschenrechtsverletzungen, zu denen es unter der SED-Herrschaft gekommen ist. Als die Hauptrepressionsorgane der ehemaligen DDR, von denen diese Aktivitäten ausgingen, sind in Nr. 1 Buchst. a und b der Übergangsvorschriften das Ministerium für Staatssicherheit und die Grenztruppen genannt. Wer diesen Organen angehörte, unter deren Amtsführung andere zu leiden hatten, soll davon nicht dadurch profitieren, daß ihm die dort zurückgelegten Zeiten als Postdienstzeit anerkannt werden. Die darin liegende Rücksichtnahme auf die Opfer, die die Anrechnung nur schwer verstehen könnten, stellt einen gewichtigen Grund dar, der es sachlich vertretbar erscheinen läßt, bei den Grenztruppen zurückgelegte Zeiten auch insoweit nicht als Postdienstzeit anzuerkennen, als der Dienst nicht freiwillig, sondern zum Zwecke der Erfüllung der allgemeinen Wehrpflicht geleistet wurde. Die Organisation der Grenztruppen stand als Ganzes für den ihr übertragenen Auftrag, und als mögliche Teilnehmer an Menschenrechtsverletzungen kamen aus der Sicht der Opfer alle Grenztruppenangehörigen in Betracht, ohne Rücksicht darauf, ob sie freiwillig oder zur Erfüllung ihrer allgemeinen Wehrpflicht dorthin gelangt waren. Ob ein ehemaliger Angehöriger der Grenztruppen selbst in Unrechtshandlungen verwickelt war, ist nachträglich wegen Zeitablaufs oder im Hinblick auf Beweisschwierigkeiten schwer festzustellen. Die Rücksichtnahme auf die Interessen der Opfer ließ es daher vertretbar erscheinen, in der Tarifregelung nicht nach der Art des Zugangs zu den Grenztruppen zu unterscheiden und von schwer durchführbaren Ausnahmeregelungen abzusehen, die zu möglicherweise streitig bleibenden Einzelentscheidungen führen könnten. Im Hinblick auf diesen Zweck ist die Bestimmung gegenüber den betroffenen ehemaligen Wehrpflichtigen jedenfalls insoweit zumutbar, als sie nur die vergleichsweise kurze Zeit des grundsätzlich achtzehnmonatigen Grundwehrdienstes betrifft.

Ob auch die Nichtberücksichtigung der dem Grundwehrdienst vorangegangenen Zeit der Tätigkeit bei der Post der DDR zulässig war (vgl. Nr. 1 letzter Satz der Übergangsvorschriften), braucht nicht entschieden zu werden. Die Beklagte hat die Revision insoweit zurückgenommen.

d) Der Senat hatte nicht darüber zu befinden, ob deshalb, weil viele Grenztruppenangehörige nicht persönlich in Menschenrechtsverletzungen verwickelt waren, auch eine Regelung wirksam gewesen wäre, die die Wehrpflichtigen der Grenztruppen denen der NVA gleichstellt oder sie ähnlich der in Nr. 1 Buchst. c der Übergangsvorschriften geregelten Personengruppe nur unter bestimmten Voraussetzungen benachteiligt. Das Gericht hat nicht nachzuprüfen, ob eine von mehreren denkbaren Lösungen, die die Tarifparteien gewählt haben, die gerechteste und zweckmäßigste ist (vgl. BAG Urteil vom 1. Juni 1983 - 4 AZR 566/80 - AP Nr. 5 zu § 611 BGB Deputat m.w.N.).

Dr. Peifer Dr. Jobs Richter Dr. Armbrüster

Schwarck Hinsch befindet sich in Erho-

lungsurlaub und kann des-

halb nicht unterzeichnen.

Dr. Peifer

 

Fundstellen

Haufe-Index 440954

BAGE 00, 00

BAGE, 137

BB 1994, 2212

DB 1995, 278-279 (LT1)

D-spezial 1995, Nr 13, 8 (K)

NZA 1995, 851-853 (LT1)

ZAP-Ost, EN-Nr 74/95 (L)

ZTR 1995, 33-35 (LT1)

AP § 1 TVG Tarifverträge DDR (LT1), Nr 13

AR-Blattei, ES 1800 Nr 23 (LT1)

AuA 1995, 108-109 (LT1)

EzBAT § 72 BAT, Nr 1 (LT1)

NJ 1995, 51-52 (LT)

RAnB 1995, 96 (L)

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