Entscheidungsstichwort (Thema)

Lohnfortzahlung bei nicht genehmigter Nebentätigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Ansprüche eines Angestellten auf Vergütung für den Krankheitsfall (§ 616 Abs 1 S 1 BGB) können nicht durch Tarifvertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden (Bestätigung von BAG 28.11.1963 2 AZR 117/63 = BAGE 15, 121 = AP Nr 25 zu § 133c GewO).

2. § 37 Abs 1 Berufsgenossenschafts - Angestelltentarifvertrag ist nichtig, soweit er solche Ansprüche für den Fall ausschließt, daß sich der Angestellte einen Unfall bei einer nicht genehmigten Nebentätigkeit zugezogen hat.

3. Mit der Geltendmachung von Ansprüchen, die auf einem Unfall bei einer nicht genehmigten Nebentätigkeit beruhen, verstößt der Angestellte nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn der Arbeitgeber die Nebentätigkeit hätte genehmigen müssen.

 

Normenkette

TVG § 1; BBG § 65; BGB § 242; BNV § 5 Abs. 1; BGB § 611 Abs. 1, § 616 Abs. 1 Sätze 2, 1, § 812 Abs. 1 S. 1, § 616 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 20.03.1981; Aktenzeichen 16 Sa 651/80)

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 15.10.1980; Aktenzeichen 4 Ca 1377/80)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, Gehalt für Zeiten fortzuzahlen, in denen der Kläger wegen eines Unfalls, den er sich bei einer nicht genehmigten Nebentätigkeit zugezogen hatte, arbeitsunfähig krank war.

Der Kläger war vom 1. Juli 1978 bis zum 30. Juni 1980 als Unfallsachbearbeiter Angestellter der beklagten Berufsgenossenschaft. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die Bestimmungen des Berufsgenossenschafts-Angestelltentarifvertrags vom 25. November 1961 (BG-AT) in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung.

Als Nebentätigkeit betrieb der Kläger seit März 1979 einen Handel mit Hundefutter als selbständiges Gewerbe. Im Rahmen dieser Tätigkeit lieferte er Waren mit seinem Pkw aus. Zum Verteilen von Werbeprospekten benutzte er ein Mofa. Nach der Behauptung des Klägers wendete er drei bis fünf Stunden je Woche für diese Nebentätigkeit auf, nach der Behauptung der Beklagten waren es durchschnittlich 1 1/2 Stunden pro Tag.

Bei dieser Nebentätigkeit erlitt der Kläger zwei Unfälle. Am 8. Dezember 1979 verletzte er sich den Finger, als er bei einer Auslieferungsfahrt die Tür seines Pkw's zuschlug. Quetschung und Bruch des Fingers führten zur Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 8. Dezember 1979 bis zum 14. Januar 1980. Aus Anlaß dieser krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erfuhr die Beklagte von der Nebentätigkeit, die der Kläger der Beklagten zunächst nicht angezeigt hatte. Am 22. Januar 1980 erklärte ein Dienstvorgesetzter dem Kläger, die Nebentätigkeit dürfe er nur mit Genehmigung des Arbeitgebers ausüben. Bei Arbeitsunfähigkeit aufgrund eines Unfalls, der bei einer nicht genehmigten Nebentätigkeit entstanden sei, bestehe kein Anspruch auf Krankenbezüge. Noch am gleichen Tage beantragte der Kläger nunmehr, diese Nebentätigkeit zu genehmigen. Bevor über diesen Antrag entschieden wurde, erlitt der Kläger am 23. März 1980 erneut einen Unfall. Er stieß beim Ausfahren von Prospekten mit seinem Mofa in einer schmalen Straße gegen die unvermittelt geöffnete Beifahrertür eines in verkehrter Fahrtrichtung stehenden Pkw's. Dieser Unfall hatte zur Folge, daß der Kläger vom 23. März bis 23. April 1980 und vom 6. bis 15. Juni 1980 arbeitsunfähig krank war. Mit Schreiben vom 25. März 1980 verweigerte die Beklagte nunmehr die Genehmigung des vom Kläger betriebenen Hundefutterhandels als Nebentätigkeit. Sie begründete dies damit, daß die Nebentätigkeit die dienstlichen Leistungen und dienstlichen Interessen beeinträchtige. Dies ergäbe sich aus den häufigen Unfällen, die der Kläger bei seiner Nebentätigkeit erlitten habe. Außerdem kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30. April 1980 zum 30. Juni 1980 mit der Begründung, der Kläger übe weiterhin den nicht genehmigten Handel mit Hundefutter aus.

Im vorliegenden Rechtsstreit fordert der Kläger seine restliche Vergütung für die Monate Februar und März 1980. Hier hatte die Beklagte 1.537,74 DM einbehalten mit der Begründung, in dieser Höhe habe der Kläger zu Unrecht Krankenlohn in der Zeit vom 8. Dezember 1979 bis zum 14. Januar 1980 erhalten. Für die Zeit vom 23. März bis 23. April 1980 und vom 6. bis 15. Juni 1980 macht der Kläger noch einmal 1.765,08 DM geltend. Dies ergibt zusammen die Klageforderung von 3.302,82 DM.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.302,82 DM netto nebst 4 % Zinsen seit dem 21. Juli 1980 (Zustellung der Klage) zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, Krankenbezüge seien nach § 37 Abs. 1 BG-AT ausgeschlossen, da sich der Kläger "den Unfall ... bei einer nicht genehmigten Nebentätigkeit zugezogen habe". Im übrigen habe sie die Genehmigung später zu Recht versagt. Dienstliche Interessen seien durch häufiges unfallbedingtes Fehlen beeinträchtigt worden. Wegen der intensiveren Inanspruchnahme eines Kraftfahrzeugs bei der Nebentätigkeit habe sich der Kläger in ein höheres Unfallrisiko begeben. Vorsorglich hat die Beklagte auch die Aufrechnung erklärt mit dem von ihr in ihrer Eigenschaft als Berufsgenossenschaft gezahlten Übergangsgeld. Dazu ist unstreitig, daß der Kläger bei der Beklagten als gewerblicher Unternehmer eine Unfallversicherung abgeschlossen hatte, um die Einkünfte aus seiner Nebentätigkeit für den Fall eines Berufsunfalls zu sichern. Dieses Übergangsgeld von kalendertäglich 133,33 DM könne der Kläger nicht neben seinen Krankenbezügen fordern.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der beklagten Berufsgenossenschaft ist nicht begründet. Der Kläger hat für die fraglichen Zeiträume Anspruch auf Gehaltsfortzahlung nach § 37 Abs. 1 BG-AT. Darauf, daß Krankenlohn ausgeschlossen wird, wenn sich der Angestellte den Unfall bei einer nicht genehmigten Nebentätigkeit zugezogen hat, kann sich die Beklagte nicht berufen; insoweit ist die Tarifnorm nichtig (§ 616 Abs. 2 Satz 1 BGB). Weiter handelt der Kläger im vorliegenden Fall auch nicht rechtsmißbräuchlich, wenn er die Ansprüche geltend macht.

1. Gegenstand der Klage sind zum einen Lohnansprüche des Klägers für die Monate Februar und März 1980. Insoweit fordert der Kläger den verdienten Arbeitslohn nach § 611 BGB. Gegenüber diesen Forderungen will die Beklagte mit einem Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB) aufrechnen. Sie will für die Zeit vom 8. Dezember 1979 bis zum 14. Januar 1980 Krankenbezüge ohne Rechtsgrund an den Kläger gezahlt haben. Deshalb ist darüber zu entscheiden, ob dem Kläger für diesen Zeitraum Krankenbezüge zustanden. Zum anderen fordert der Kläger Krankenlohn für die Zeit vom 23. März bis zum 23. April 1980 und für die Zeit vom 6. bis 15. Juni 1980. Insoweit hatte die Beklagte diese Lohnforderung noch nicht erfüllt.

Der Höhe nach sind die Forderungen des Klägers unstreitig.

2. Anspruchsgrundlage ist § 37 Abs. 1 BG-AT. Diese Bestimmung lautet:

"Dem Angestellten werden im Falle einer durch Unfall, durch Krankheit, durch nicht rechtswidrige Sterilisation oder durch nicht rechtswidrigen Abbruch der Schwangerschaft verursachten Arbeitsunfähigkeit Krankenbezüge gezahlt, es sei denn, daß er sich den Unfall oder die Krankheit vorsätzlich, grob fahrlässig oder bei einer nicht genehmigten Nebentätigkeit zugezogen hat."

Nach § 37 Abs. 2 BG-AT werden die Krankenbezüge bis zur Dauer von sechs Wochen gezahlt. Nach einer Dienstzeit von mindestens zwei Jahren kann sich der Bezugszeitraum verlängern.

a) Diese tarifliche Regelung soll an die Stelle der gesetzlichen Regelung treten. Die Parteien des Tarifvertrags haben Voraussetzungen und Höhe des Anspruchs eines Angestellten auf Gehalt für Zeiten einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit abschließend geregelt. Dabei haben sie Regelungen getroffen, die nicht mit der gesetzlichen Regelung übereinstimmen. Nach § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB behält der Angestellte einen Vergütungsanspruch, wenn er durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert ist. Als Verhinderungsgründe kommen insbesondere nach § 616 Abs. 2 Satz 1 BGB der Krankheitsfall - aber auch die Fälle der Sterilisation und des Abbruchs der Schwangerschaft durch einen Arzt - in Betracht (zum Anwendungsbereich des § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB einerseits für Fälle der Krankheit und andererseits für andere Fälle der Verhinderung vgl. BAG 32, 34 = AP Nr. 49 zu § 616 BGB, zu 2 der Gründe).

b) Soweit es sich um Ansprüche auf Vergütung für den Krankheitsfall handelt, können Ansprüche nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden (§ 616 Abs. 2 Satz 1 BGB). Das gilt auch für Tarifverträge. Auch sie gehen im Rang der gesetzlichen Regelung nach und können nur dann eingreifen, wenn der Tarifvertrag eine günstigere Regelung enthält, also gesetzliche Ansprüche nicht ausschließt oder beschränkt sondern erweitert, oder wenn das Gesetz ausdrücklich einem Tarifvertrag den Vorrang einräumt. Das ist in § 616 Abs. 2 Satz 2 BGB nur bezogen auf die Dauer des Anspruchs geschehen. An sich hat der Angestellte im Krankheitsfall Anspruch auf Gehaltsfortzahlung für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit (§ 616 Abs. 1 Satz 1 BGB). Im Krankheitsfall gilt - kraft Gesetzes - als verhältnismäßig nicht erheblich eine Zeit von sechs Wochen. Das Gesetz läßt aber durch eine Tariföffnungsklausel zu, daß im Tarifvertrag selbst eine andere Dauer bestimmt wird. Im übrigen bleibt es beim Vorrang des Gesetzes; für den Angestellten ungünstigere tarifvertragliche oder arbeitsvertragliche Regelungen sind unwirksam. Insoweit gilt für § 616 BGB dasselbe wie für § 133c GewO und für § 63 HGB sowie für Lohnfortzahlungsansprüche der Arbeiter nach § 9 LohnFG (zum Abdingungsverbot auch in bezug auf tarifliche Regelungen vgl. BAG 15, 121, 126 = AP Nr. 25 zu § 133c GewO, zu 6 der Gründe, mit zust. Anm. von Alfred Hueck; zust. auch MünchKomm Schaub, § 616 Rz 37).

c) Gegenüber der gesetzlichen Regelung (§ 616 Abs. 1 Satz 1 BGB in Verb. mit § 616 Abs. 2 Satz 1 BGB) enthält die tarifliche Regelung eine Einschränkung. Sie schließt Ansprüche aus, soweit ein Angestellter wegen eines Unfalls arbeitsunfähig krank geworden ist, den er sich "bei einer nicht genehmigten Nebentätigkeit zugezogen hat". Dabei handelt es sich immer dann um eine nicht genehmigte Nebentätigkeit, wenn die Nebentätigkeit genehmigungspflichtig ist, ein entsprechender Antrag des Arbeitnehmers auf Genehmigung jedoch zu Recht vom Arbeitgeber abgelehnt wurde. Doch will § 37 Abs. 1 BG-AT ersichtlich nicht nur diese Fälle der materiellrechtlichen Unvereinbarkeit der Nebentätigkeit mit der vertraglich geschuldeten Dienstleistung erfassen. "Nicht genehmigt" im Sinne dieser Tarifbestimmung ist schon die Nebentätigkeit, für die zwar eine Genehmigung vorgeschrieben ist, für die der Angestellte aber das Genehmigungsverfahren noch nicht eingeleitet, die Nebentätigkeit mithin dem Arbeitgeber noch nicht angezeigt hatte. Insoweit hat § 37 Abs. 1 BG-AT denselben Inhalt wie § 37 BAT (zur Auslegung dieser Bestimmung vgl. Böhm/Spiertz, BAT, 2. Aufl., Stand: April 1983, § 37 Anm. 10 d; Breier/Uttlinger/Kiefer, BAT, 5. Aufl., Stand: 1. April 1983, § 37 Erl. 11; Clemens/Scheuring/ Steingen/Wiese, BAT, Stand: April 1983, Bl. 10b zu § 37 Krankenbezüge unter Hinweis auf das rechtskräftige Urteil des LAG Nürnberg vom 21. Juli 1982 - 3 Sa 123/81 -; zum Tarifvertrag für die Angestellten der Deutschen Bundespost vgl. Distel, Kommentar TV Ang, § 10 Rz 9, 10). Denn die tarifliche Regelung will auch sicherstellen, daß der Arbeitgeber von genehmigungspflichtigen Nebentätigkeiten erfährt. Er muß prüfen können, ob eine Besorgnis besteht, daß dienstliche Interessen beeinträchtigt werden. Der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes will sich von seinen Angestellten nicht vor vollendete Tatsachen stellen lassen.

d) Mit dieser Einschränkung ist § 37 Abs. 1 BG-AT mit § 616 Abs. 1 Satz 1 und § 616 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht vereinbar. Kraft Gesetzes sind Ansprüche auf Lohn- oder Gehaltsfortzahlung nur ausgeschlossen, wenn den Arbeitnehmer an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ein Verschulden trifft. Dies ist ein anderer Ausschlußtatbestand, den § 37 Abs. 1 BG-AT auch zusätzlich zur Einschränkung des Anspruchs nach einem Unfall bei einer nicht genehmigten Nebentätigkeit kennt. Insoweit hat der Tarifvertrag die gesetzliche Regelung in ihrer Auslegung durch das Bundesarbeitsgericht übernommen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zuletzt Urteile des Senats BAG 36, 371, 373 = AP Nr. 45 zu § 1 LohnFG und vom 1. Juni 1983 - 5 AZR 536/80 - AP Nr. 52 zu § 1 LohnFG, zu I 3a der Gründe, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt, jeweils mit weiteren Nachweisen). Andere Einschränkungen als den Ausschluß der Ansprüche bei Verschulden kennt das Gesetz nicht. Vor allem kommt es nach der gesetzlichen Regelung grundsätzlich nicht darauf an, wann und bei welcher Gelegenheit sich ein Arbeitnehmer eine Krankheit zuzieht oder einen Unfall erleidet (Urteil des Senats vom 7. November 1975 - 5 AZR 459/74 - AP Nr. 38 zu § 1 LohnFG). Wohl aber kann im Einzelfall die Geltendmachung von Lohnfortzahlungsansprüchen gegen Treu und Glauben verstoßen, etwa bei verbotener oder vertragswidrig ausgeübter Nebentätigkeit (vgl. das soeben erwähnte Urteil des Senats, zu 5c der Gründe). Das aber läßt sich nicht generell in einer Tarifnorm regeln; Rechtsmißbrauch (§ 242 BGB) kann ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer nur im Einzelfall entgegenhalten. Mit der gesetzlichen Risikoverteilung vollends unvereinbar ist die tarifliche Regelung, soweit sie Ansprüche auf Lohn- oder Gehaltsfortzahlung bei Verletzung der Anzeigepflichten vorsieht. Die Verletzung dieser Pflichten steht in keinem sachlichen Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Sicherung im Krankheitsfall.

Danach ist § 37 Abs. 1 BG-AT nur insoweit anzuwenden, wie er mit der gesetzlichen Regelung des § 616 Abs. 1 BGB vereinbar ist: Ansprüche des Angestellten auf Krankenbezüge dürfen nicht generell und von vornherein für den Fall ausgeschlossen werden, daß sich der Angestellte einen Unfall oder eine Erkrankung bei einer nicht genehmigten Nebentätigkeit zugezogen hat. Das hat das Berufungsgericht übersehen; es hat versucht, durch einschränkende Auslegung der Tarifnorm einen Widerspruch zwischen der tariflichen und der gesetzlichen Regelung zu vermeiden.

3. Danach kann nur Verschulden den Anspruch des Klägers auf Krankenbezüge für die fraglichen Zeiträume ausschließen. Die übrigen Anspruchsvoraussetzungen liegen vor.

Das Berufungsgericht hat ein den Anspruch des Klägers auf Krankenbezüge ausschließendes Verschulden mit Recht verneint. Schuldhaft im Sinne von § 616 Abs. 1 Satz 1 BGB - Entsprechendes gilt auch für § 63 Abs. 1 Satz 1 HGB, § 133c Satz 1 GewO und § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG - handelt der Arbeitnehmer, der gröblich gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. zuletzt Urteile des Senats BAG 36, 371, 373 = AP Nr. 45 zu § 1 LohnFG und vom 1. Juni 1983 - 5 AZR 536/80 - AP Nr. 52 zu § 1 LohnFG, zu I 3a der Gründe, jeweils mit weiteren Nachweisen). Davon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein. Der Kläger handelte nicht schon deshalb schuldhaft, weil er sich eine selbständige Nebentätigkeit im Handel mit Hundefutter aufgebaut hatte und ausübte. Dadurch wurde das Risiko, im Straßenverkehr einen Unfall zu erleiden, nicht über das allgemein übliche Maß hinaus erhöht. Unfälle im Straßenverkehr kann auch ein Arbeitnehmer erleiden, der sich sportlich oder gesellschaftlich betätigt und dazu ein Kraftfahrzeug benutzt. Spezifische Gefahren brachte der Handel mit Hundefutter nicht mit sich. Auch betätigte sich der Kläger nicht in einer seine Kräfte übersteigenden Weise, und zwar auch dann nicht, wenn man die Behauptungen der Beklagten zum zeitlichen Umfang der Nebentätigkeit als richtig ansieht. Auch bei den Unfällen selbst handelte der Kläger nicht schuldhaft. Die Verletzung des Fingers beruht auf einer Unachtsamkeit, wie sie erfahrungsgemäß jedem einmal unterlaufen kann. An dem zweiten Unfall traf den Kläger kein Verschulden.

4. Mit der Geltendmachung dieser Ansprüche auf Krankenbezüge für die fraglichen Zeiträume verstößt der Kläger nicht gegen § 242 BGB.

a) Für den Lohn- oder Gehaltsanspruch im Krankheitsfall kann es grundsätzlich nicht darauf ankommen, wann und bei welcher Gelegenheit sich ein Arbeitnehmer eine Krankheit zuzieht oder einen Unfall erleidet. Es ist unerheblich, ob sich der Arbeitnehmer im Beruf, in der Freizeit oder bei einer Nebentätigkeit, gleich ob in einem zweiten Arbeitsverhältnis oder als selbständiger Unternehmer, verletzt. Es ist deshalb auch nicht vertretbar, generell und ohne Bezug auf den Einzelfall die Geltendmachung von Ansprüchen auf Lohnfortzahlung als rechtsmißbräuchlich anzusehen, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit einen Unfall erleidet (vgl. BAG Urteil vom 7. November 1975 - 5 AZR 459/74 -, zu 5 der Gründe; dem ist die Literatur gefolgt, vgl. Hessel/Marienhagen, Krankheit im Arbeitsrecht, 4. Aufl. 1980, S. 35; Trieschmann, Anm. zu AP Nr. 38 zu § 1 LohnFG; Sabel in Die Ortskrankenkasse 1976, 772; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 98 II 6 S. 587; Schmatz/ Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, § 1 LohnFG Anm. X mit weiteren Nachweisen).

b) Auch mit der Erwägung, daß der Kläger eine verbotene oder vertragswidrige Nebentätigkeit ausgeübt habe, läßt sich ein Verstoß gegen Treu und Glauben bei der Geltendmachung dieses Anspruchs nicht begründen. Der Einwand des Rechtsmißbrauchs scheitert schon daran, daß die Beklagte die Nebentätigkeit hätte genehmigen müssen. Die Nebentätigkeit als solche war nicht vertragswidrig.

Für die Nebentätigkeit des Angestellten verweist § 11 BG-AT auf die für die DO-Angestellten des Arbeitgebers jeweils geltenden Bestimmungen. Die Dienstordnung der Beklagten wiederum verweist auf die für Bundesbeamte geltende Regelung. Nach § 65 BBG bedarf der Beamte - an die Stelle des Beamten tritt sinngemäß der Angestellte - der vorherigen Genehmigung

"zur Übernahme einer Nebenbeschäftigung gegen Vergütung, zu einer gewerblichen Tätigkeit, zur Mitarbeit in einem Gewerbebetrieb oder zur Ausübung eines freien Berufes."

Hier hat der Kläger eine gewerbliche Tätigkeit ausgeübt. Dafür hätte er zuvor eine Genehmigung einholen müssen.

Die Genehmigung war noch nicht erteilt. Auf § 5 Abs. 1 der Verordnung über die Nebentätigkeit der Bundesbeamten, Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit (Bundesnebentätigkeitsverordnung - BNVO - vom 22. April 1964 - BGBl. I S. 299) konnte sich der Kläger nicht berufen. Nach dieser Bestimmung gilt die zur Übernahme einer oder mehrerer Nebenbeschäftigungen gegen Vergütung erforderliche Genehmigung als erteilt, wenn die Nebenbeschäftigungen insgesamt geringen Umfang haben, außerhalb der Dienstzeit ausgeübt werden und kein gesetzlicher Versagungsgrund vorliegt. Diese Regelung bezieht sich jedoch nur auf die erste in § 65 Abs. 1 Nr. 2 BBG erwähnte Fallgestaltung, nicht auf die zweite Fallgestaltung, die gewerbliche Tätigkeit eines Angestellten. Der Vergleich dieser Fallgestaltungen ergibt, daß unter "Nebenbeschäftigung gegen Vergütung" nur die Tätigkeit in abhängiger Beschäftigung gemeint ist, nicht die selbständige "gewerbliche Tätigkeit", die als weitere Fallgruppe in § 65 Abs. 1 Nr. 2 BBG aufgeführt wird.

Andererseits hätte die Beklagte die Genehmigung nicht versagen dürfen (§ 65 Abs. 2 Satz 1 BBG):

"Die Genehmigung darf nur versagt werden, wenn zu besorgen ist, daß die Nebentätigkeit die dienstlichen Leistungen, die Unparteilichkeit oder die Unbefangenheit des Beamten oder andere dienstliche Interessen beeinträchtigen würde."

Im vorliegenden Fall hat sich die Beklagte nur darauf berufen, die Nebentätigkeit beeinträchtige die dienstlichen Leistungen des Klägers und andere dienstliche Interessen. Zur Begründung hat sie angeführt, wegen der häufigen Benutzung eines Kraftfahrzeugs bestehe bei dieser Nebentätigkeit ein gesteigertes Unfallrisiko.

Diese Begründung überzeugt nicht. Im Vergleich zu privaten und allgemein üblichen Betätigungen eines Arbeitnehmers in der Freizeit begründet das Ausfahren von Hundefutter kein gesteigertes Unfallrisiko. Das gleiche Risiko, im Straßenverkehr einen Unfall zu erleiden, bestünde auch, wenn der Kläger täglich in seiner Freizeit mit dem Pkw Sportplätze aufsuchte, gesellschaftliche Veranstaltungen besuchte oder mit dem Kraftfahrzeug spazieren führe.

Auf eine übermäßige dienstliche Beanspruchung des Klägers hat die Beklagte nicht ausdrücklich abgestellt. Bei dem nach ihrem Sachvortrag geringen zeitlichen Umfang der Nebentätigkeit kann diese Begründung eine Versagung der Genehmigung nicht rechtfertigen. Insgesamt hat der Kläger nicht mehr als 48 Stunden in der Woche gearbeitet.

5. Die Krankenbezüge nach § 37 Abs. 1 BG-AT kann der Kläger neben dem Übergangsgeld beziehen, das die Beklagte als Träger der Unfallversicherung zu zahlen hat. Die Krankenbezüge treten an die Stelle des Lohns, den der Kläger als gesunder Arbeitnehmer in den fraglichen Zeiträumen verdient hätte. Das Übergangsgeld soll den Einkommensverlust aus unternehmerischer Tätigkeit ausgleichen. Die Einschränkung für den Bezug des Verletztengeldes in § 560 Abs. 1 Satz 1 RVO soll nur den Doppelbezug von Übergangsgeld und Vergütung für ein und dieselbe Tätigkeit als versicherter Arbeitnehmer verhindern (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 26. Juli 1973 - 8/7 Ru 79/70 - BSG 36, 98, 100 ff.; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, Unfallversicherung-Leistungen, Abschn. B I 4, S. 562 mit weiteren Nachweisen; für die gegenteilige Auffassung kann sich die Revision nicht auf Eye/Göbelsmann/Müller/Schieckel/Schroeter, RVO, § 560 Anm. 8 berufen, der Kommentar befaßt sich nicht mit der Besonderheit, daß Ansprüche aus zwei Rechtsverhältnissen nebeneinander bestehen). Der relativ hohe Tagessatz beruht auf der vom Kläger angegebenen Versicherungssumme und den danach entrichteten Beiträgen.

6. Danach hat das Berufungsgericht der Klage mit Recht stattgegeben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 439851

BAGE 43, 348-357 (LT1-3)

BAGE, 348

DB 1984, 411-412 (LT1-3)

NJW 1984, 1706-1708 (LT1-3)

ARST 1984, 53-53 (LT3)

ARST 1984, 62-62 (LT1)

BlStSozArbR 1984, 152-152 (T)

RdA 1984, 121-123 (LT1-3)

USK, 83122 (ST1-4)

AP § 616 BGB (LT1-3), Nr 62

AR-Blattei, ES 1000 Nr 165

AR-Blattei, Krankheit des Arbeitnehmers Entsch 165 (LT1-3)

Arbeitgeber 1985, 480-480 (LT1)

EzA § 616 BGB, Nr 25 (LT1-3)

EzBAT § 37 BAT Nebentätigkeit, Nr 3 (LT1-3)

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