Entscheidungsstichwort (Thema)

Starkes Rauchen und eigenverschuldete Arbeitsunfähigkeit

 

Orientierungssatz

Bei der Frage, inwieweit er durch Rauchen ungewöhnliche gesundheitliche Risiken eingeht, kann sich der Arbeitnehmer grundsätzlich auf die Beurteilung des ihn behandelnden Arztes verlassen, dessen Aufgabe es ist, den Patienten auf die Gefahren hinzuweisen, die aus dem Rauchen drohen. Selbst wenn Umstände dafür sprechen, daß der Arbeitnehmer durch das Rauchen außergewöhnliche Risikofaktoren für den Eintritt seiner Erkrankung oder für die Verschlimmerung vorhandener Leiden schafft, muß es dem ärztlichen Urteil überlassen bleiben, die subjektiven Auswirkungen eines Verbots dagegen abzuwägen. Der Arzt hat auch die psychische Lage des Patienten zu berücksichtigen. Nur wenn der Arzt dem Patienten das Rauchen untersagt und dieser sich über ein eindeutiges Verbot hinwegsetzt, handelt er in hohem Maße unvernünftig und damit schuldhaft im Sinne des Lohnfortzahlungsgesetzes.

 

Normenkette

LFZG § 1 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

Hessisches LAG (Entscheidung vom 15.08.1983; Aktenzeichen 1 Sa 432/83)

ArbG Wetzlar (Entscheidung vom 08.03.1983; Aktenzeichen 1 Ca 662/82)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin aus übergegangenem Recht (§ 182 Abs. 10 RVO) Lohnfortzahlung schuldet.

Der bei der Klägerin gegen Krankheit versicherte Arbeiter A W (im folgenden: der Versicherte) war bei der Beklagten seit dem 18. Juli 1977 beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete im Jahre 1983. Der Versicherte leidet an Coronarsklerose und Myocardinsuffizienz nach einem im Jahre 1969 erlittenen Myocardinfarkt. Infolge dieses Leidens war er seit dem 3. August 1982 für längere Dauer arbeitsunfähig. Die Beklagte weigerte sich, ihm für die Zeit vom 3. August bis zum 14. September 1982 den Lohn weiterzuzahlen mit der Begründung, er habe die Arbeitsunfähigkeit durch übermäßig starkes Rauchen selbst schuldhaft herbeigeführt. Daraufhin gewährte die Klägerin dem Versicherten Krankengeld in Höhe von insgesamt 2.122,26 DM. Wegen dieses Betrages nimmt die Klägerin die Beklagte in Anspruch.

Die Klägerin hat vorgetragen, es fehle an jedem Anhaltspunkt dafür, daß die Arbeitsunfähigkeit des Versicherten darauf zurückzuführen sei, daß er nach dem Infarkt im Jahre 1969 weiter geraucht habe. Jedenfalls aber fehle es an einem lohnfortzahlungsrechtlich erheblichen Verschulden des Versicherten schon deshalb, weil der Arzt ihm das Rauchen nicht verboten habe.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.122,26 DM

zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Versicherte habe die Arbeitsunfähigkeit dadurch, daß er trotz seines Herzleidens weiter stark geraucht habe, selbst verursacht, zumindest aber den Heilungsprozeß erheblich verzögert. Es sei allgemein bekannt, daß Rauchen gesundheitsschädigend sei und einen Risikofaktor erster Ordnung für den Herzinfarkt bedeute. Wenn der Versicherte trotz der Vorschädigung seines Herzens durch den Infarkt sein gewohntes starkes Rauchen nicht aufgegeben habe, habe er seine Gesundheit besonders leichtfertig aufs Spiel gesetzt und damit die Arbeitsunfähigkeit seit dem 3. August 1982 schuldhaft im Sinne des Lohnfortzahlungsgesetzes verursacht.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Versicherte hatte für die Zeit vom 3. August bis zum 14. September 1982 gegen die Beklagte einen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle, der auf die Klägerin in Höhe des mit der Klage verlangten Betrages übergegangen ist.

1. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG behält der Arbeiter, der nach Beginn der Beschäftigung durch Arbeitsunfähigkeit infolge unverschuldeter Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, den Anspruch auf Arbeitsentgelt für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Arbeitsunfähig infolge Krankheit ist der Arbeiter, wenn ein Krankheitsgeschehen ihn außer Stand setzt, die ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeit zu verrichten, oder wenn er die Arbeit nur unter der Gefahr fortsetzen könnte, in absehbarer Zeit seinen Zustand zu verschlimmern (vgl. statt vieler BAG 45, 165, 167 = AP Nr. 64 zu § 616 BGB, zu 1 a der Gründe; sowie das zur Veröffentlichung vorgesehene Senatsurteil vom 9. Januar 1985 - 5 AZR 415/82 - zu I 1 der Gründe, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Das Berufungsgericht hat als unstreitig festgestellt, der Versicherte sei aufgrund seiner Herzkrankheit seit dem 3. August 1982 arbeitsunfähig gewesen. An diese Feststellung ist der Senat nach § 561 Abs. 2 ZPO gebunden. Soweit die Revision bezweifelt, daß der Versicherte überhaupt arbeitsunfähig krank gewesen sei, ist dieser Vortrag unzulässig nach § 561 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hätte den Weg der Tatbestandsberichtigung beschreiten müssen, mit einer Verfahrensrüge kann diese Feststellung des Landesarbeitsgerichts nicht bekämpft werden (vgl. BAG Urteil vom 13. März 1964 - 1 AZR 100/63 - AP Nr. 32 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers, zu II 1 der Gründe).

2. Der Lohnfortzahlungsanspruch entfällt nicht deshalb, weil den Versicherten an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ein Verschulden träfe.

a) Schuldhaft im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG handelt der Arbeiter, der gröblich gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstößt. Das Gesetz schließt den Anspruch bei eigenem Verschulden des Arbeitnehmers aus, weil es unbillig wäre, den Arbeitgeber mit der Lohnfortzahlungsverpflichtung zu belasten, wenn der Arbeitnehmer zumutbare Sorgfalt sich selbst gegenüber außer acht gelassen und dadurch seine Arbeitsunfähigkeit verursacht hat (vgl. BAG 31, 331, 332 = AP Nr. 44 zu § 1 LohnFG, zu I 1 der Gründe; BAG 43, 54, 58 = AP Nr. 52 zu § 1 LohnFG, zu I 3 a der Gründe; Kaiser/-Dunkl, Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle, 2. Aufl., § 1 Rz 121 ff.).

b) Das Berufungsgericht hat die Frage, ob den Versicherten ein Verschulden am Eintritt der Arbeitsunfähigkeit oder auch nur an ihrem weiteren Andauern nach dem 3. August 1982 trifft, verneint. Es hat - im Kern seiner Ausführungen - darauf abgestellt, ein Verschulden im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG könne schon deshalb nicht angenommen werden, weil der Hausarzt das Rauchen weder verboten noch auch nur eine Empfehlung gegeben habe, den Zigarettenkonsum einzuschränken. Unter diesen Umständen könne dem Versicherten sein Verhalten nicht zum Vorwurf gemacht werden. Abgesehen davon habe die Beklagte nicht den ihr obliegenden Beweis erbracht, daß das weitere Rauchen ursächlich für die eingetretene Arbeitsunfähigkeit gewesen sei. Neben dem Zigarettenkonsum seien bei dem Versicherten als durchaus gleichwertige Risikofaktoren und mögliche Ursachen des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit Streß und Übergewicht infrage gekommen.

c) Aus dieser Begründung ist ersichtlich, daß das Berufungsgericht den Rechtsbegriff des Verschuldens im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG richtig erkannt und angewandt hat.

Bei der Frage, inwieweit er durch Rauchen außergewöhnliche gesundheitliche Risiken eingeht, kann sich der Arbeitnehmer grundsätzlich auf die Beurteilung des ihn behandelnden Arztes verlassen. Es ist dessen Aufgabe, den Patienten auf Gefahren hinzuweisen, die aus dem Rauchen drohen. Selbst wenn Umstände dafür sprechen, daß der Arbeitnehmer durch das Rauchen außergewöhnliche Risikofaktoren für den Eintritt einer Erkrankung oder für die Verschlimmerung vorhandener Leiden schafft, muß es dem ärztlichen Urteil überlassen bleiben, die subjektiven Auswirkungen eines Verbots dagegen abzuwägen. Der Arzt hat auch die psychische Lage seines Patienten zu berücksichtigen. Nur wenn der Arzt dem Patienten das Rauchen untersagt und dieser sich über ein eindeutiges Verbot hinwegsetzt, handelt er in hohem Maße unvernünftig und damit schuldhaft im Sinne des Lohnfortzahlungsgesetzes. Es hilft ihm dann auch nicht, daß das Rauchen an sich erlaubt und gesellschaftlich anerkannt ist.

Vorliegend hat der Hausarzt dem Versicherten das Rauchen nicht verboten, obwohl er dessen Zigarettenkonsum kannte. Er hat das mit der für den Fall der Befolgung eines solchen Verbots eintretenden Streßsituation und der hieraus erwachsenden Gefahr des Rückfalls mit um so stärkerem Nikotinkonsum begründet. Dies zeigt, daß seine Entscheidung nicht, wie die Revision meint, aus medizinischer Sicht völlig unverständlich war, sondern vielmehr auf einer ausgewogenen Beurteilung der gesundheitlichen Risiken seines Patienten beruhte. Dem Versicherten kann für seine laienhafte Beurteilung keine grobe Fehleinschätzung der gesundheitlichen Gefahren vorgehalten werden, wenn nicht einmal der behandelnde Arzt zu einem solchen Urteil gelangt. Es ist der Beklagten allerdings einzuräumen, dem Versicherten habe bewußt sein müssen, daß Rauchen gesundheitsschädlich sei. Zu Recht verweist die Beklagte auch darauf, daß es leichtsinnig war, wenn der Versicherte trotz seiner Herzkrankheit nicht vom Rauchen abließ. Aber dies führt, wie das Berufungsgericht insgesamt richtig gewürdigt hat, nicht zu der Annahme eines im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG maßgeblichen Verschuldens.

3. Demgegenüber kann die Beklagte sich nicht auf die Entscheidung des Senats vom 7. Oktober 1981 (BAG 36, 376 = AP Nr. 46 zu § 1 LohnFG) berufen. In dieser Entscheidung hat der Senat zwar ausgeführt, daß der Arbeitnehmer, der als Kraftfahrer die vorgeschriebenen Sicherheitsgurte nicht anlegt, schuldhaft im Sinne des Lohnfortzahlungsrechts handelt und seinen Anspruch auf Lohnfortzahlung verliert, soweit die bei einem Unfall erlittenen Verletzungen auf das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes zurückzuführen sind. Diese Ausführungen des Senats beruhten auf der Überlegung, daß der Arbeitnehmer, der sich trotz entsprechender Vorschrift nicht angurtet, Leben und Gesundheit besonders leichtfertig aufs Spiel setzt. Diese Überlegungen sind auf den vorliegenden Fall jedoch nicht zu übertragen, weil dem Versicherten aus den eben dargestellten Gründen gerade nicht vorgeworfen werden kann, in besonders leichtfertiger Weise gehandelt zu haben.

4. Ebensowenig kann es der Revision zum Erfolg verhelfen, wenn die Beklagte auf eine vermeintliche Nikotinsucht des Versicherten abstellt.

Das Berufungsgericht ist ersichtlich von der Einsichts- und Verantwortungsfähigkeit des Versicherten ausgegangen. Nikotinabhängigkeit im Sinne einer Suchterkrankung hätte dagegen bewirkt, daß der Versicherte seit Eintritt der Abhängigkeit bei weiterem Zigarettenkonsum im Sinne des Lohnfortzahlungsrechts nicht mehr schuldhaft gehandelt hätte. Davon ist der Senat für den Fall der Alkoholabhängigkeit stets ausgegangen, sofern es um eine alkoholbedingte Erkrankung bzw. Kur aufgrund weiteren Alkoholkonsums ging (vgl. zuletzt BAG 43, 54, 58 f. = AP Nr. 52 zu § 1 LohnFG, zu I 3 b der Gründe, mit weiteren Nachweisen). Für andere Suchterkrankungen, insbesondere Drogen- und Nikotinsucht, kann grundsätzlich nichts anderes gelten (vgl. Kaiser/Dunkl, aaO, § 1 Rz 141 m.w.N.).

Im Streitfall erblickt die Beklagte selbst im allgemeinen Zigarettenkonsum des Versicherten noch nicht das Vorliegen eines Verschuldens. Die Schwelle zum rechtserheblichen "Verschulden gegen sich selbst" sieht sie zutreffend frühestens in dem Zeitpunkt überschritten, von dem an der Versicherte nach seinem Herzinfarkt im Jahre 1969 weiterrauchte. Sollte der Eintritt einer Nikotinsucht vor diesem Zeitpunkt liegen, würde ein Schuldvorwurf im Sinne des Lohnfortzahlungsgesetzes schon deshalb ausgeschlossen sein, weil dem Versicherten das risikobehaftete weitere Rauchen nicht mehr zugerechnet werden könnte (vgl. die vorgenannte Entscheidung des Senats, aaO). Wäre die Nikotinsucht dagegen erst nach dem Infarkt eingetreten, würde ein Schuldvorwurf wiederum am fehlenden ärztlichen Verbot scheitern. In beiden Fällen ist es im Ergebnis mithin unerheblich, ob der Versicherte tatsächlich suchtkrank war oder nicht. Zu Recht hat das Berufungsgericht auf den Umstand einer möglichen Nikotinsucht des Versicherten daher nicht gesondert abgestellt.

5. Soweit die Revision Verfahrensmängel gerügt hat, hat der Senat ihren Vortrag geprüft, jedoch nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird daher abgesehen (§ 72 Abs. 5 ArbGG, § 565 a ZPO).

Dr. Thomas Dr. Gehring Michels-Holl

Schleinkofer Krebs

 

Fundstellen

Haufe-Index 440214

USK, 8569 (LT1-3)

BKK 1986, 76-77 (LT1-3)

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