Entscheidungsstichwort (Thema)

Apotheken- und Einzelhandeltarifverträge; Fachlicher Geltungsbereich der Tarifverträge des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen

 

Leitsatz (redaktionell)

Apotheken unterfallen nicht dem fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen (hier: Manteltarifvertrag für den Einzelhandel im Nordrhein-Westfalen vom 6. Juli 1989 § 1, Gehaltstarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 22. Mai 1992 § 1 und Tarifvertrag über Sonderzahlungen für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen vom 6. Juli 1989).

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 02.09.1993; Aktenzeichen 13 Sa 808/93)

ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 21.04.1993; Aktenzeichen 10 Ca 521/93)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob die Klägerin Anspruch auf den Unterschiedsbetrag zwischen dem arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitsentgelt und der entsprechend der Arbeitszeit der Klägerin von 35 Stunden nach Gehaltsgruppe I Staffel A des Gehaltstarifvertrages für den Einzelhandel NW vom 22. Mai 1992 errechneten Vergütung für die Zeit von Juni 1992 bis einschließlich Dezember 1992 i. H. von 708,18 DM brutto sowie auf die entsprechend der Arbeitszeit der Klägerin von 35 Stunden errechnete Sonderzuwendung 1992 von 1.164,87 DM brutto und auf das entsprechend errechnete Urlaubsgeld 1992 von 1.064,87 DM brutto nach dem Tarifvertrag über Sonderzahlungen (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung) vom 6. Juli 1989 hat.

Der Beklagte ist Apotheker und betreibt auf dem K platz in D die "D -Apotheke", in der neben rezept- und apothekenpflichtigen Arzneimitteln die apothekenübliche freiverkäufliche Ware vertrieben wird. Neben dem halbtags anwesenden Beklagten sind ganztags ein Apotheker-Assistent, eine pharmazeutisch-technische Assistentin (PTA) sowie als Halbtagskraft eine weitere PTA tätig. Die Klägerin war bei einer 35-Stunden-Woche in der Zeit vom 1. Juli 1991 bis zum 31. Dezember 1992 gemäß Arbeitsvertrag vom 16. April 1991 als gelernte Apothekenhelferin bei dem Beklagten beschäftigt. Ein Tarifvertrag ist im Arbeitsvertrag nicht in Bezug genommen.

Die Klägerin ist nicht Mitglied im Bundesverband der Angestellten in Apotheken. Sie ist Mitglied der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) im DGB. Der Beklagte gehört nicht der Tarifgemeinschaft der Apothekenleiter im Bundesgebiet einschließlich Berlin-West e. V. bzw. dem Arbeitgeberverband Deutscher Apotheker e. V. an.

Mit Schreiben vom 4. Dezember 1992/10. Dezember 1992 hat die Klägerin erfolglos vom Beklagten die Differenz zum Tarifgehalt nach dem für allgemeinverbindlich erklärten Gehaltstarifvertrag Einzelhandel NW für die Zeit von Juni 1992 bis Dezember 1992, die Jahreszuwendung 1992 und das Urlaubsgeld 1992 nach dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag über Sonderzahlungen Einzelhandel NW verlangt. Sie hat darauf verwiesen, sie sei ausschließlich im kaufmännischen Bereich im Einsatz gewesen. Auch die Tätigkeit der übrigen Mitarbeiter habe überwiegend im Verkauf bestanden.

Mit ihrer Klage vom 21. Januar 1993 verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 2.937,05 DM

brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 5. Februar 1993

zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat geltend gemacht, in seiner Apotheke würden wie üblich schwerpunktmäßig rezeptpflichtige und apothekenpflichtige Arzneimittel abgegeben, auch hergestellt und daneben nur noch das sog. Rand- oder Ergänzungssortiment (Waren, die der Schönheitspflege, der Gesundheitsvorsorge u. ä. Zwecken dienten) verkauft. Die Klägerin sei u. a. im sog. Freiwahlverkauf tätig gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet.

A. Das Berufungsurteil ist nicht schon deshalb aufzuheben, weil es nach Auffassung der Revision als fraglich erscheint, "ob eine so verkürzte Darstellung von Tatbestand und Entscheidungsgründen, wie sie durch das angefochtene Urteil erfolgt ist, auch im Hinblick auf ... § 543 ZPO zulässig ist".

1. Ist die Revision statthaft, hat das Berufungsurteil einen Tatbestand zu enthalten, für den allerdings die Erleichterungen des § 543 Abs. 2 ZPO gelten (BAG Urteil vom 30. Oktober 1987 - 7 AZR 92/87 - AP Nr. 7 zu § 543 ZPO 1977, zu I 1 der Gründe).

Das Landesarbeitsgericht hat in seinem Urteil die Revision ausdrücklich zugelassen. Das Urteil muß daher einen Tatbestand im oben beschriebenen Sinne enthalten. Das ist der Fall. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts in dem mit Tatbestand überschriebenen Teil des Urteils enthalten einen Tatbestand i. S. von Sachverhaltsfeststellungen. Das Landesarbeitsgericht führt aus, die Klägerin sei bei dem Beklagten als Apothekenhelferin beschäftigt gewesen, es stellt die Streitgegenstände fest und teilt, wenn auch verkürzt, die entscheidungserhebliche Rechtsfrage mit, nämlich ob der für allgemeinverbindlich erklärte Manteltarifvertrag Einzelhandel NW auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet. Das reicht aus, zumal im übrigen der wesentliche Vortrag der Parteien geschildert ist, der unstreitige Sachverhaltselemente enthält, die aufgrund der Inbezugnahme der gesamten Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts als festgestellt anzusehen sind.

2. Ohne Erfolg rügt die Revision der Sache nach die Verletzung des § 551 Nr. 7 ZPO, da im angefochtenen Urteil lediglich auf die Entscheidungsgründe erster Instanz verwiesen worden sei.

Das angefochtene Urteil verstößt nicht gegen § 551 Nr. 7 ZPO. Nach dieser Vorschrift ist eine Gesetzesverletzung stets anzunehmen, "wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist". Im vorliegenden Fall hat das Landesarbeitsgericht auf die Entscheidungsgründe erster Instanz verwiesen und ausdrücklich hervorgehoben, daß die Kammer auf diese uneingeschränkt zutreffenden Ausführungen gem. § 543 ZPO i. V. mit § 64 Abs. 6 ArbGG Bezug nimmt. Ist eine derartige Bezugnahme nach § 543 Abs. 1 ZPO zulässig, liegt der absolute Revisionsgrund des § 551 Nr. 7 ZPO nicht vor. § 543 Abs. 1 ZPO geht der Vorschrift des § 551 Nr. 7 ZPO vor (BAGE 33, 229, 233 = AP Nr. 2 zu § 543 ZPO 1977, zu I 2 der Gründe). Die Bezugnahme im angefochtenen Urteil auf das Urteil erster Instanz war nach § 543 Abs. 1 ZPO zulässig. Das Landesarbeitsgericht konnte von der Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, weil es der Entscheidung erster Instanz gefolgt ist und dies in seinem Urteil ausdrücklich - wie oben ausgeführt - festgestellt hat.

3. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs - Art. 103 Abs. 1 GG - ist nicht gerügt worden. Abgesehen davon liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs auch nur vor, wenn sich aus den besonderen Umständen im Einzelfall deutlich ergeben würde, daß tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BAGE, aaO; BVerfGE 87, 363, 392; 79, 51, 61; 70, 215, 218).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Die Parteien haben den Sachverhalt in der Berufungsinstanz nicht ergänzt.

B. In der Sache ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts zu bestätigen. Es hat sich zu Recht den Entscheidungsgründen erster Instanz angeschlossen. Die Klage ist bereits in erster Instanz zu Recht als unbegründet abgewiesen worden.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die geltend gemachten tarifvertraglichen Leistungen aus dem für allgemeinverbindlich erklärten Gehaltstarifvertrag Einzelhandel NW und aus dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag über Sonderzuwendungen Einzelhandel NW.

1. Die Klage ist hinsichtlich der Sonderzahlungen (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung) nicht schon im Hinblick auf die Beschränkungsklausel der Allgemeinverbindlicherklärung vom 23. Oktober 1989 (Bundesanzeiger Nr. 215 S. 5324 vom 15. November 1989) unbegründet.

Diese Klausel lautet wie folgt:

"Nicht erfaßt von der Allgemeinverbindlicherklä-

rung werden Betriebe und Betriebsabteilungen, in

denen eine andere tarifvertragliche Regelung gilt

oder nach § 4 Abs. 5 Tarifvertragsgesetz nach-

wirkt."

Denn für die Apotheke des Beklagten gilt keine andere tarifvertragliche Regelung.

Der Bundesrahmentarifvertrag für Apothekenmitarbeiter i. d. Fassung vom 17. Juli 1991 zwischen der Tarifgemeinschaft der Apothekenleiter im Bundesgebiet einschließlich Berlin-West e. V. und dem Bundesverband der Angestellten in Apotheken, erstmalig kündbar zum 31. Dezember 1994 (i. f. BRTV Apothekenmitarbeiter), der in § 13 a eine Sonderzahlung i. H. eines tariflichen Monatsverdienstes vorsieht, gilt für die Apotheke des Beklagten deshalb nicht, weil der Beklagte nicht Mitglied der Tarifgemeinschaft der Apothekenleiter im Bundesgebiet einschließlich Berlin-West e. V. oder des Arbeitgeberverbandes Deutscher Apotheken e. V. ist.

Die Allgemeinverbindlicherklärung vom 17. September 1992 (Bundesanzeiger Nr. 200 S. 8396 vom 23. Oktober 1992) für den Gehaltstarifvertrag Einzelhandel NW vom 22. Mai 1992, gültig ab 1. April 1992, erstmals kündbar zum 31. März 1993, enthält keine Beschränkungsklausel.

2. Die Klage ist auch nicht im Hinblick auf das bei Tarifkonkurrenz anzuwendende Spezialitätsprinzip oder das bei Tarifpluralität anzuwendende Einheitsprinzip unbegründet.

Denn darauf kommt es schon deswegen nicht an, weil keine der Arbeitsvertragsparteien doppelt tarifgebunden ist. Denn die Klägerin ist nicht Mitglied im Bundesverband der Angestellten in Apotheken, Sitz Hamburg und der Beklagte ist kein Mitglied des Arbeitgeberverbandes Deutscher Apotheken e. V., Sitz Münster (früher: Tarifgemeinschaft der Apothekenleiter im Bundesgebiet einschließlich Berlin-West - TGLiB).

3. Ob die Klägerin Anspruch auf die begehrten tarifvertraglichen Leistungen nach den für allgemeinverbindlich erklärten genannten Tarifverträgen für den Einzelhandel NW hat, hängt sonach davon ab, ob auch das Arbeitsverhältnis der Klägerin dem Geltungsbereich der genannten Tarifverträge unterfällt, mit anderen Worten, ob die Apotheke ein "Unternehmen des Einzelhandels" oder ein Betrieb ist, dessen "Schwerpunkt im Einzelhandel liegt" (§ 1 Abs. 2 und Abs. 3 c MTV Einzelhandel NW i. V. mit § 1 GTV Einzelhandel NW i. V. mit dem Einleitungssatz TV Sonderzahlungen Einzelhandel NW).

Das ist zu verneinen.

a) Der MTV Einzelhandel NW gilt nach seinem § 1 Abs. 2 für alle Unternehmen des Einzelhandels in NRW einschließlich ihrer Hilfs- und Nebenbetriebe sowie für die von diesen Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer. Der Tarifvertrag gilt auch in Betrieben, deren Schwerpunkt im Einzelhandel liegt (§ 1 Abs. 3 c MTV Einzelhandel NW). In gleicher Weise ist auch der Geltungsbereich des GTV Einzelhandel NW und des TV Sonderzahlungen Einzelhandel NW umschrieben. Sowohl im MTV Einzelhandel NW als auch im GTV Einzelhandel NW wie auch im TV Sonderzahlungen Einzelhandel NW gehen die Tarifvertragsparteien bei der Bestimmung des fachlichen Geltungsbereichs vom Rechtsbegriff des "Unternehmens" des Einzelhandels aus. Da sie diesen Begriff selbst nicht definieren, ist nach der Rechtsprechung des Senats davon auszugehen, daß sie darunter den (dem handels- und wirtschaftsrechtlichen weitgehend entsprechenden) arbeitsrechtlichen Begriff des Unternehmens verstehen, d. h., eine organisatorische Einheit, mit der ein Unternehmer unter Zuhilfenahme materieller und immaterieller Mittel seine wirtschaftlichen Zwecke und Zielsetzungen verfolgt (Urteil des Senats vom 25. November 1987 - 4 AZR 361/87 - BAGE 56, 357 = AP Nr. 18 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel, m. w. N.). Verwenden die Tarifvertragsparteien einen Begriff, der in der Rechtsterminologie eine vorgegebene Bedeutung hat, so ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats davon auszugehen, daß sie ihn auch in ihrem Regelungsbereich in seiner allgemeinen rechtlichen Bedeutung verwenden und angewendet wissen wollen, sofern sie selbst nicht etwas anderes bestimmen (BAG, aaO, m.w.N.).

Der wirtschaftliche Betätigungsbereich des Beklagten ist als "Unternehmen" i. S. des entsprechenden allgemeinen arbeitsrechtlichen und damit auch des entsprechenden tariflichen Begriffs anzusehen, wobei Verkaufsgeschäft (Offizin) und Laboratorium, wie sie neben dem Vorhandensein von Vorratsräumen für eine öffentliche Vollapotheke charakteristisch sind, als ein Unternehmen anzusehen sind. Zu dem Apothekenunternehmen gehört alles, was seiner überwiegenden Zweckbestimmung nach der Arzneimittelversorgung dient (vgl. Hoffmann, Gesetz über das Apothekenwesen, § 1 Rz 6).

b) Das Arbeitsgericht und ihm sich anschließend das Landesarbeitsgericht haben jedoch mit Recht verneint, daß es sich hier um ein Unternehmen des Einzelhandels handelt.

Nach der Rechtsprechung des Senats handelt es sich beim "Einzelhandel" um einen bekannten und geläufigen Fachbegriff des Wirtschaftslebens, den die sachkundigen Tarifvertragsparteien als vorgegeben betrachten. Daher ist anzunehmen, daß sie diesen Begriff in ihren Tarifwerken so verwenden, wie er allgemein im Wirtschaftsleben gebräuchlich ist (vgl. Urteil des Senats vom 30. Januar 1985 - 4 AZR 117/83 - AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel, m. w. N.). Im Wirtschaftsleben versteht man unter dem Einzelhandel den Wirtschaftszweig, der in Ladengeschäften dem Verbraucher Waren anbietet und sich damit als letztes Glied des Verteilungsweges der Güter zwischen Produzent und Konsument darstellt (BAG, AP, aaO).

Demgegenüber obliegt den öffentlichen Apotheken in erster Linie die Arzneimittelabgabe an die Bevölkerung und an die Ärzte sowie an die Krankenanstalten ohne Vollapotheke, ferner die Rezeptur, also die Endfertigung nach Herstellungsvorschriften des Deutschen Arzneibuches (DAB) und aus Stoffen des DAB, ferner die unentgeltliche Beratung der Bevölkerung auf dem Gebiet der kleinen Therapie des Alltags (medikamentöse Therapie) und die unentgeltliche pharmakologische Beratung der Ärzte (vgl. BGHZ 22, 167 ff.; BGHZ 23, 184 ff.; BGHSt 11, 304 ff.; BVerfGE 7, 377 ff.; 9, 73 ff.; 17, 232 ff.). Ihre Nebengeschäfte in anderen Sortimenten und ihre etwaigen physiologisch-chemischen Untersuchungen (z. B. Blut- und/oder Harnuntersuchungen) gehören dagegen nicht zu ihren Obliegenheiten im öffentlichen Interesse.

c) Der selbständige Apotheker betreibt zwar ein Gewerbe und ist Kaufmann. Nach dem von der geltenden Rechtsordnung übernommenen überlieferten Leitbild des deutschen selbständigen Apothekers vereinigt dieser in seiner Person die Verantwortung für die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe aufgrund besonderer beruflicher Befähigung mit der privatwirtschaftlichen Funktion des Inhabers eines kaufmännischen Gewerbebetriebes (vgl. BVerfGE 17, 232, 238). Vornehmlichste Aufgabe des Apothekerberufs ist die unmittelbar dem öffentlichen Wohl dienende geordnete Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Da Arzneimittel - anders als etwa Lebensmittel oder Genußmittel - keine gewöhnlichen Waren sind, namentlich nicht nur heilsam oder gesundheitsfördernd wirken, sondern - da sie bei nicht sachkundiger Aufbewahrung, Auswahl oder Anwendung, sei es durch Überdosen oder durch Nebenwirkungen - auch schaden können, tritt zwischen Hersteller und Verbraucher neben dem Arzt der selbständige wissenschaftlich ausgebildete Apotheker. Nur er vermag die steigende Vielzahl der auf dem Markt befindlichen Arzneimittel noch einigermaßen zu übersehen und auch den Arzt erforderlichenfalls sachkundig zu beraten. Da der Käufer mangels Fachkunde die Richtigkeit und einwandfreie Beschaffenheit der abgegebenen Arzneimittel in der Regel nicht selbst prüfen kann, trifft den selbständigen Apotheker insoweit eine erheblich gesteigerte Verantwortung. Er hat sicherzustellen, daß die abgegebenen Medikamente ohne Zweifel einwandfrei beschaffen sind, der ärztlichen Verordnung entsprechen und ohne Bedenken verabfolgt werden können. Ihm obliegt überdies eine wesentliche Mitwirkung bei der Kontrolle des Verbrauchs von Betäubungsmitteln. Außerdem hat er dem Arzneimittelmißbrauch nach Möglichkeit durch geeignete Beratung seiner Kunden entgegenzuwirken (Landesberufsgericht für Heilberufe Münster vom 24. Januar 1980 - ZA 1/76 -; vgl. auch BVerfGE 17, 232, 239 f.). Gerade mit Rücksicht auf diese dem selbständigen Apotheker aufgetragenen, für die Volksgesundheit wichtigen öffentlichen Aufgabe bleibt ihm die Abgabe von Arzneimitteln an den einzelnen Patienten im wesentlichen vorbehalten (§ 43 Abs. 1 AMG). Vor dem Wettbewerb anderer Berufe ist er durch das sog. Apothekenmonopol geschützt. Gegenüber den dem selbständigen Apotheker obliegenden berufseigentümlichen Diensten höherer Art muß das sonst in der gewerblichen Wirtschaft legitime und übliche Streben nach Gewinn zurücktreten (vgl. BVerfGE 17, 232, 239). Der selbständige Apotheker, dem die Vorteile des Apothekenmonopols zugute kommen, muß auf der anderen Seite Beschränkungen seiner beruflichen und wirtschaftlichen Entfaltungsfreiheit hinnehmen, die durch die Eigenart der Arzneimittel bestimmt sind (vgl. BVerfGE 17, 232, 245). Kennzeichnend dafür sind die ihm auferlegten besonderen öffentlich-rechtlichen Standespflichten und seine Unterstellung unter die Berufsgerichtsbarkeit (BVerfGE, aaO).

d) Zwar wird unter Hinweis auf die Legaldefinition des § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Berufsausübung im Einzelhandel - EHG - (BGBl I 1957 S. 1121), das durch Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Änderung des Titels III der Gewerbeordnung und anderer gewerberechtlicher Vorschriften vom 25. Juli 1984 (BGBl I S. 1008, 1009) aufgehoben wurde, die Auffassung vertreten, unter Einzelhandel falle auch die Abgabe von Arzneimitteln in der Apotheke (Borgmann, Die apothekenrechtliche und arbeitsrechtliche Stellung des Apothekenpersonals, S. 118 f.; Hoffmann, aaO, § 1 Rz 42).

Diese Bestimmung lautete:

"Einzelhandel betreibt, wer gewerbsmäßig Waren

anschafft und sie unverändert oder nach im Ein-

zelhandel üblicher Be- oder Verarbeitung in einer

oder mehreren offenen Verkaufsstellen zum Verkauf

an jedermann feilhält."

Diese Auffassung geht nicht schon deshalb fehl, weil diese Legaldefinition nicht mehr gilt. Vielmehr definierte das EHG in § 1 Abs. 1 nicht, was "Einzelhandel" ist, sondern wer "Einzelhandel" betreibt. Wenn es den Begriff des Einzelhandels hätte bestimmen wollen, hätte es nicht den Ausdruck "Einzelhandel" in der Definition selbst wieder verwenden dürfen. Es hat nur den Begriff des Einzelhandelsbetriebs bestimmt. Der Begriff Einzelhandel als solcher ist unabhängig vom EHG zu definieren (vgl. Sigl, Gesetz über die Berufsausübung im Einzelhandel, S. 94 f.). Außerdem diente das EHG anderen Zwecken als der MTV Einzelhandel NW und die diesen ergänzenden Tarifverträge Einzelhandel NW.

e) Auch auf dem Hintergrund der vom Senat zugrunde gelegten Definition des Einzelhandels ist die Apotheke nicht dem "Einzelhandel" zuzuordnen. Der Patient hat an Arzneimitteln als Konsument ein individuelles Interesse. Der Apotheker hat zugleich die Aufgabe, der Gesamterwartung und Gesamtsituation des Patienten gerecht zu werden durch Beratung, Hinweise hinsichtlich der Einnahme des jeweiligen Präparats und hinsichtlich der Verträglichkeit etwa bei zugleich aus anderen Gründen verschriebenen und einzunehmenden Arzneimitteln. Das macht über den Verkauf von Ware hinaus die Pflicht des Apothekers aus. Sie entspricht der der übrigen freien Berufe und steht daher im Gegensatz zum typisch kaufmännischen Gewerbe. Im typischen Einzelhandel geht es um die Veräußerung von Waren an den Endverbraucher. Die Verbrauchererwartung setzt bei diesen Waren generelle Eigenschaften und Qualitäten voraus, mag auch ein ganz konkretes individuelles Bedürfnis befriedigt werden müssen. Es fehlt aber der individuelle therapeutische Zuschnitt, dem der Apotheker Rechnung zu tragen hat, sei es aufgrund der ärztlichen Verordnung, sei es aufgrund des rat- und hilfesuchenden Patienten bei der Selbstmedikation (vgl. zum Ganzen Breyer, Gesetz über das Apothekenwesen, S. 160 f.).

Geht man weiter davon aus, daß unter Handel jede eigennützige, auf den Güterumsatz gerichtete Tätigkeit verstanden wird (vgl. die Verordnung über Handelsbeschränkungen im Verkehr mit Gegenständen des täglichen Bedarfs vom 13. Juli 1923, RGBl I S. 699, 706), so wird deutlich, daß der Apotheker seine Tätigkeit zumindest weit überwiegend nicht als "eigennützige, auf den Güterumsatz gerichtete Tätigkeit" versteht. Auch der Verbraucher und damit der wesentliche Teil der Öffentlichkeit versteht die Tätigkeit des Apothekers nicht in diesem Sinne. Der Apotheker übt seinen Beruf vielmehr regelmäßig ohne Absatzmotiv aus (BGHZ 22, 167 ff.; BGHZ 23, 184 ff.; BGHSt 11, 304 ff.; BVerfGE 7, 377 ff.; 9, 73 ff.; 17, 232 ff.). Auch gehört es zu den zeitlosen Wesenszügen der Apotheke, daß ihr Arzneimittelverkehr nicht als Arzneimittelhandel bezeichnet wurde, sondern nur der außerhalb der Apotheken. Bei Apotheken wird dagegen in der Regel nur von der Arzneimittelabgabe gesprochen. Daß sie dafür ein Entgelt nach Taxe bekommen und daß es in Gestalt von Aufschlägen zum Großhandelspreis berechnet wird, führt zu keinem anderen Ergebnis. Arzneimittelhandel betreiben die anderen Wirtschaftsgruppen und Gewerbe mit Absatzmotiv außerhalb des Gesundheitswesens (vgl. Breyer, aaO, S. 162).

f) Auch der sich zuweilen findende Hinweis auf § 43 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) vom 24. August 1976 (BGBl I S. 2445, 2462), zuletzt geändert durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des AMG vom 9. August 1994 (BGBl I S. 2071) zur Stützung der These, die Apotheke sei ein Einzelhandelsgeschäft (vgl. Hoffmann, aaO, § 1 Rz 42 und Borgmann, aaO, S. 118 f., Text mit Fußnote 2 jeweils zu § 28 Abs. 1 AMG a. F.), trägt nicht.

§ 43 Abs. 1 AMG lautet:

"Arzneimittel i. S. des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2

Nr. 1, die nicht durch die Vorschriften des § 44

oder der nach § 45 Abs. 1 erlassenen Rechtsver-

ordnung für den Verkehr außerhalb der Apotheken

freigegeben sind, dürfen im Einzelhandel nur in

Apotheken in den Verkehr gebracht werden."

§ 43 Abs. 1 AMG 1976 entspricht weitgehend dem § 28 AMG 1961. Die Apotheke ist, wie die amtliche Begründung zum AMG ausführt, die älteste Abgabestelle von Arzneimitteln an den Verbraucher. Das Bundesverfassungsgericht spricht im sog. Apotheken-Urteil von einem "natürlichen Monopol" der Apotheken für die Abgabe von Arzneimitteln (BVerfGE 7, 377, 431). Im Laufe der Zeit sind aber für eine Reihe von Arzneimitteln andere Abgabestellen neben die Apotheken getreten, so daß die Abgrenzung zwischen sog. apothekenpflichtigen und apothekenfreien Arzneimitteln eine immer größere Bedeutung gewinnt und nicht nur volksgesundheitliche, sondern auch wirtschaftliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Maßgeblicher Gesichtspunkt für die gesetzliche Regelung ist jedoch der Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier. Nicht zuletzt im Hinblick auf das sog. Apotheken-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Apotheke auch für die Zukunft die gesetzliche Aufgabe, die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sicherzustellen (§ 1 des Gesetzes über das Apothekenwesen, in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Oktober 1980, BGBl I S. 1993, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 23. August 1994, BGBl I S. 2189).

Die Regelung der Apothekenpflicht ist unter Hinweis auf das Apothekenurteil des Bundesverfassungsgerichts wie folgt begründet worden: Die Apotheke müsse aus gesundheitspolitischen - nicht aus wirtschaftlichen - Gründen als Institution erhalten bleiben. Es müsse möglich sein, durch die Apothekenbetriebsordnung den Apotheker zu zwingen, auch solche Arzneimittel vorrätig zu halten, die für ihn wirtschaftlich völlig uninteressant seien, um einen möglichen Bedarf umgehend zu decken. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung vom 7. Januar 1959 (BVerfGE 9, 73 ff.) die Beschränkung der Abgabe von Arzneimitteln (Spalt-Tabletten) auf Apotheken als verfassungsrechtlich zulässig und auch als notwendig erklärt, um eine sachverständige Beratung durch den Apotheker hinsichtlich der Auswahl des Arzneimittels und seiner Anwendung zu gewährleisten, einer Tablettensucht vorzubeugen, eine sachgemäße Prüfung der abzugebenden Arzneimittel zu ermöglichen und sicherzustellen und der Apotheke ihre Existenzgrundlage zu erhalten (weitere Ausführungen in dieser Richtung BVerfGE 17, 232 ff.).

Zwar wird in § 43 Abs. 1 AMG der Grundsatz aufgestellt, daß alle Arzneimittel i. S. des § 2 Abs. 1 und § 2 Abs. 2 Nr. 1 AMG im Einzelhandel apothekenpflichtig sind. Damit ist aber das Apothekenmonopol angesprochen. Zweck des Apothekenmonopols in § 43 AMG ist ein doppelter: Zum einen dient die Vorschrift dem Gesundheitsschutz, zum anderen der Sicherung der Apotheke als Institution. Ein Apotheker kann auf der Grundlage seiner besonderen Ausbildung in umfassender Weise die Sicherheit der Arzneimittel gewährleisten. Deswegen ist auch die in § 43 Abs. 4 Satz 1 AMG genannte unentgeltliche Weitergabe von Arzneimitteln durch andere unzulässig und gilt als Einzelhandel i. S. des § 43 Abs. 1 AMG. Der Schutz der Apotheken als Institution würde durch die generelle Zulässigkeit einer unentgeltlichen Weitergabe von Arzneimitteln ausgehöhlt. Die Worte "im Einzelhandel" sollten lediglich klarstellen, daß die Überlassung von Arzneimitteln z. B. im Wege der ersten Hilfe oder aus Gefälligkeit (etwa unter Bekannten in plötzlichen Bedarfsfällen) zulässig sein sollte (vgl. BT-Drucks. 3/2421 S. 5; OLG Karlsruhe Beschluß vom 17. März 1975 - 1 Ss 364/74 - NJW 1975, 1713).

§ 43 Abs. 1 AMG liegt daher ein anderer, weiterer Begriff des Einzelhandels zugrunde (vgl. Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, 3. Aufl., Stand 1. August 1993, § 43 Anm. 3). Das Gesetz über das Apothekenwesen vom 20. August 1960, Neufassung vom 15. Oktober 1980 und das AMG - 8. Abschnitt - enthalten vielmehr besondere Bestimmungen über die "Abgabe von Arzneimitteln".

g) Hinzu kommt folgendes:

Arzneimittel lassen sich danach unterscheiden, ob jedes Unternehmen sie an den Verbraucher abgeben darf (Freiverkäuflichkeit) oder ob sie Apotheken vorbehalten sind (Apothekenpflicht). Der Anteil apothekenpflichtiger Medikamente soll etwa 75 - 85 % des Gesamtumsatzes der Apotheken betragen.

Die Apothekenpflicht ist wirtschaftlich gesehen eine staatliche Vertriebsbindung für Arzneimittel. Sie gibt Apotheken ein weitreichendes Waren"monopol" und schützt sie bei etwa 80 % ihres Umsatzes vor Wettbewerbern aus anderen Wirtschaftszweigen.

Die Preisregelung für Arzneimittel des § 78 AMG soll den Verbraucher vor willkürlicher Preisgestaltung schützen und stellt aus wirtschaftlicher Sicht das Gegengewicht zum Apothekenmonopol des § 43 Abs. 1 AMG dar. Wegen der Bedeutung der Arzneimittel für den kranken Menschen soll die Preisbildung nicht der freien Kalkulation der abgebenden Apotheke überlassen sein. Die Festsetzung der Preise und Preisspannen durch den Staat muß daher den rechtlichen Interessen aller Beteiligten Rechnung tragen. Auch die Interessen der Krankenkassen sind zu berücksichtigen. Ihre Interessen sind mit denen der Verbraucher weitgehend identisch. In § 78 Abs. 2 Satz 2 AMG ist der einheitliche Apothekenabgabepreis gesetzlich verankert worden. Der einheitliche Apothekenabgabepreis schützt den Verbraucher, der nicht in die Situation gebracht werden soll, nach der preiswertesten Einkaufsmöglichkeit für Arzneimittel zu suchen. Zum anderen spiegelt er das Selbstverständnis des freien Berufes des Apothekers wider, der bestimmte Einschränkungen der freien Berufsausübung hinnehmen muß und dem eine werbliche Verwendung eines niedrigeren Abgabepreises verwehrt ist. Ein Preiswettbewerb wäre dem Charakter des Arzneimittels als Ware besonderer Art inkongruent. Der einheitliche Apothekenabgabepreis gilt ausschließlich für apothekenpflichtige Arzneimittel. Diese machen aber etwa 80 % des Gesamtumsatzes der Apotheken aus.

Außerdem darf ein Apotheker nicht mehrere Apotheken besitzen und diese betreiben oder verpachten. Er darf sie auch nicht durch angestellte Apotheker leiten lassen. Dem Apotheker ist es also verwehrt, durch Eröffnung weiterer Apotheken in andere regionale Teilmärkte einzudringen. Er ist auf das Einzugsgebiet einer einzigen Apotheke beschränkt. Der Zugang zu anderen Märkten ist ihm verschlossen. Eine Ausnahme besteht nur bei Zweigapotheken. Ihre Gründung ist allerdings nur dann möglich, wenn "ein Notstand in der Arzneimittelversorgung" infolge Fehlens einer Apotheke eintritt. Es muß eine allgemeine Gefahrenlage vorliegen. Das ist so restriktiv, daß keine wettbewerbspolitischen Wirkungen von Zweigapotheken ausgehen. Außerdem gilt das Verbot des Fremdbesitzes (§ 9 des Gesetzes über das Apothekenwesen). Dieser staatliche Eingriff verhindert, daß berufsfremde Personen Eigentümer einer Apotheke werden und diese durch angestellte Apotheker leiten lassen.

Der Eigentümer einer zu gründenden Apotheke muß die Approbation besitzen, er muß sein Unternehmen persönlich leiten und er darf, wie ausgeführt, nicht mehrere Geschäfte gleichzeitig betreiben.

Das Angebot, das eine Apotheke haben darf, ist auf "apothekenübliche" Waren beschränkt (vgl. § 16 Apothekenbetriebsordnung). Dazu gehören außer den Arzneimitteln Verbandsmittel, Mittel zur Kranken- und Säuglingspflege, ärztliche Instrumente, Mittel zur Körperpflege, diätistische Lebensmittel, auch Nahrungsmittel für Kleinkinder, Lebensmittel zur Vorbeugung und Heilung, Gewürze, Laboratoriumsbedarf, Gifte, Mittel zur Aufzucht von Tieren und Fruchtsäfte. Auf dieses Randsortiment entfallen etwa 10 bis 30 % des gesamten Umsatzes der Apotheken.

Neben den staatlichen Vertriebsbindungen für Medikamente, den einheitlichen Apothekenabgabepreisen sowie den Beschränkungen des Marktzugangs und des Sortiments bestehen weitere zahlreiche Vorschriften für die Geschäftsführung von Apotheken. Es gibt Mindestanforderungen an die Lagerhaltung von Arznei- und Verbandsmitteln. Es ist vorgeschrieben, daß die Apotheken die von ihnen angebotenen Medikamente auf ihre einwandfreie Beschaffenheit prüfen müssen. Außerdem darf ein Apotheker sich nicht verpflichten, bestimmte Arzneimittel ausschließlich oder bevorzugt anzubieten oder sein Sortiment auf einzelne Händler zu beschränken. Außerdem dürfen nur Apotheker, pharmazeutisch-technische Assistenten oder Personen, die in der Ausbildung zu diesen Berufen stehen, pharmazeutische Tätigkeiten ausüben, also Medikamente entwickeln, herstellen, prüfen und abgeben. Dabei hat in jedem Fall ein Apotheker die Arbeiten zu beaufsichtigen. Auch die Dienstbereitschaft an Sonn- und Feiertagen sowie während der Nacht ist vorgeschrieben. Die Apotheke muß Medikamente beschaffen, die sie nicht vorrätig hält. Es besteht sonach der Sache nach ein Kontrahierungszwang. Insgesamt ist damit ein deutlicher Unterschied zum normalen Einzelhändler festzustellen.

Das Bewußtsein, durch jahrhunderte lange Tradition, durch gemeinsame Ausbildung, durch gemeinsame Schwierigkeiten - so etwa bei Fragen der Apothekenpflicht, der Preisbindung, der Lagerhaltung und dergleichen - und durch gemeinsamen "Dienst an der Gesundheit" verbunden zu sein, läßt wettbewerbspolitisches Denken bei selbständigen Apothekern in den Hintergrund treten (vgl. Berger, Die Arzneimittelversorgung durch Apotheken, S. 47).

Unterstützt wird das Standesbewußtsein durch die gesetzliche Berufsaufsicht der Apothekerkammern. Durch die Berufsvertretungsgesetze der Länder übertrug der Staat den Apothekerkammern u. a. die Aufgabe, "die Erfüllung der Berufspflichten ... zu überwachen" und "für ein gedeihliches Verhältnis der Kammerangehörigen untereinander zu sorgen". Die Kammern beschließen Standesrichtlinien, die für jeden Apotheker rechtlich bindend sind. Diese Vorschriften erschweren den Wettbewerb im pharmazeutischen Bereich. Die Apotheken sind durch Besonderheiten gekennzeichnet, die nur wenig Parallelen zum Handel haben. Eine preisunelastische Nachfrage, eine mangelnde Markttransparenz, das "Apothekenmonopol", einheitliche Apothekenabgabepreise, Beschränkungen des Marktzugangs, Vorschriften über das Sortiment und über das Erbringen der Apothekerleistungen stehen für das Fehlen eines wirksamen Wettbewerbes unter Apotheken und damit dafür, daß es sich um einen Wirtschaftszweig besonderer Art handelt, der deswegen eben nicht Einzelhandel ist. Das macht auch deutlich, daß ein Selbstbedienungsverbot für sämtliche Arzneimittel i. S. des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG in Apotheken für sich genommen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (BVerfGE 75, 166 ff.). Das Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, für das Selbstbedienungsverbot der Apothekenbetriebsordnung, das auf einer wirksamen gesetzlichen Ermächtigung beruhe, reichten gesundheitspolitische Erwägungen aus, die darauf abzielten, i. S. des Leitbildes vom Apotheker in seiner Apotheke "für die Kunden sicherzustellen, daß sie in Apotheken von pharmazeutischem Fachpersonal bedient würden" (vgl. insoweit BVerfGE 17, 232, 238 ff.; ähnlich BVerfGE 53, 96). Es hat lediglich mit Art. 3 Abs. 1 GG für unvereinbar gehalten, daß die Selbstbedienung in Apotheken für apothekenfreie Arzneimittel verboten, für den übrigen Einzelhandel hingegen erlaubt ist.

Ebenso hat das Bundesverwaltungsgericht angenommen, das berufsordnungsrechtliche (Außen)werbeverbot der Apothekerschaft auch hinsichtlich des Randsortiments (apothekenübliche Waren) begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerwGE 89, 30 ff.). Die Berufsordnung - so das Bundesverwaltungsgericht - verfolge den Zweck, das vom Gesetzgeber in § 1 Satz 1 Bundes-Apothekerordnung ausgestaltete Berufsbild des Apothekers - ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung - vor einer Verfälschung zu bewahren. Die Wahrung dieses Berufsbildes diene der Volksgesundheit. Das gelte in geringerer Intensität auch für Werberestriktionen bezüglich des Randsortiments. Der gesetzliche Auftrag des Apothekers im Gesundheitswesen setze voraus, daß er sich primär der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung und nicht einträglicheren Geschäften zuwende. Er dürfe nicht einmal einen entsprechenden Eindruck vermitteln, da er sonst das Vertrauen der Bevölkerung, sie werde unter Zurückstellung jeden Gewinnstrebens fachkundig beraten, gefährde (a.A. Ring, EWiR, Art. 12 GG 1/92, 275, 276).

h) Ohne Erfolg verweist die Revision darauf, daß für die Abgabe rezeptpflichtiger Waren zwar bestimmte Sicherheitsvorschriften beständen, dies jedoch auch in anderen Branchen, etwa bei Waffengeschäften der Fall sei. Entsprechende am Volkswohl ausgerichtete Vorschriften, die den Arzneimittelverkehr beträfen, seien auch auf anderen Rechtsgebieten anzutreffen, auch was den Handel mit sonstigen gefährlichen Stoffen angehe, so daß insofern keine Besonderheit bestehe.

Das greift zu kurz.

aa) Nach dem Waffengesetz (WaffG) i. d. Fassung der Bekanntmachung vom 8. März 1976 (BGBl I S. 432) mit späteren Änderungen sind Fachkunde und Zuverlässigkeit erforderlich.

bb) Durch § 17 des Chemikaliengesetzes (ChemG) vom 16. September 1980 (BGBl I S. 1718) wurde die Bundesregierung ermächtigt, Anforderungen an die Zuverlässigkeit, Gesundheit und Sachkunde solcher Personen vorzuschreiben, die Gifte herstellen, in den Verkehr bringen oder verwenden sowie eine Anzeige- und Erlaubnispflicht einzuführen. Damit wurde § 34 Abs. 5 GewO, soweit er dem Landesgesetzgeber überließ, zum Handel mit Giften eine besondere Genehmigung vorzuschreiben, gegenstandslos. Das Chemikaliengesetz wurde am 14. März 1990 in der ab 1. August 1990 geltenden Fassung bekanntgemacht (BGBl I S. 521). Die genannte Ermächtigung in § 17 blieb in veränderter Form erhalten.

cc) Für den Betrieb einer Apotheke ist dagegen die Bestallung und eine Apothekenbetriebsberechtigung erforderlich. Der Befähigungsnachweis geht nicht nur weit über das bei sonderrechtlichen Zugangsregelungen des Einzelhandels geforderte Maß an Sach- und Fachkunde hinaus, sondern die Tätigkeit des Apothekers zeichnet sich, wie schon ausgeführt, durch seine mit der Abgabe von verschreibungspflichtigen und apothekenpflichtigen Arzneimitteln einhergehenden Pflichten aus, die nicht für das kaufmännische Gewerbe typisch sind, sondern seine unmittelbare Nähe zum freien Beruf kennzeichnen, auch wenn der Apotheker, der eine Apotheke betreibt, Vollkaufmann i. S. von § 1 Abs. 1 HGB ist (Schiedermair/Pieck, Apothekengesetz, 3. Aufl., § 1 Rz 141; Baumbach/Duden, HGB, 28. Aufl., § 1 Anm. 1 C und 8 A).

4. Die Apotheke ist auch kein Mischbetrieb i. S. der Rechtsprechung des Senats.

Es handelt sich nicht etwa wegen der Verbindung von Rezeptur, Arzneimittelabgabe an die Bevölkerung einschließlich Beratung und Überprüfung der Rezepte und abzugebenden Arzneien, Nebengeschäfte in anderen Sortimenten und physiologisch-chemischen Untersuchungen um einen sog. Mischbetrieb, sondern um einen Betrieb mit zusammenhängenden Aufgaben, die die Erscheinungsform der Apotheke als Ganzes und das Berufsbild des Apothekers ausmachen. Die Rezeptur und die Abgabe des hergestellten Arzneimittels, die Abgabe von Arzneimitteln nach Rezept oder ohne Rezept und schließlich die Nebengeschäfte sind zwar vom Umsatz her voneinander trennbar, kaum aber dahin, ob die überwiegende Arbeitszeit der Arbeitnehmer des Beklagten mit Verkaufsaufgaben, wie sie für den Einzelhandel typisch und kennzeichnend sind, ausgefüllt ist, worauf die Rechtsprechung des Senats für die Frage abstellt, ob ein Unternehmen des Einzelhandels vorliegt (BAG Urteil vom 25. November 1987 - 4 AZR 361/87 - BAGE 56, 357 = AP Nr. 18 zu § 1 Tarifverträge: Einzelhandel). Denn die Abgabe von Arzneimitteln ist keine Verkaufsaufgabe, wie sie für den Einzelhandel typisch ist. Sie ist vielmehr Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung (§ 1 des Gesetzes über das Apothekenwesen; vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 ApBetrO i.d.F. der 1. ApBetrO-ÄndV vom 9. August 1994, BGBl I S. 2108). Denn mit ihr und damit mit der Abgabe von Arzneimitteln geht die Beratung der Patienten und die Kontrolle des abzugebenden Präparats einher, die nur der approbierte Apotheker leisten darf, während bei den normalen Verkaufsaufgaben zwar eine Beratung des Kunden einhergehen mag, auch eine Kontrolle des zu verkaufenden Gegenstandes auf Qualität und Mängel mit ihr verbunden sein mag, was aber nicht mehr typisch ist und wozu jedenfalls im Gegensatz zum Apotheker keine gesetzliche Verpflichtung besteht.

Das zeigt die von der Revision in Bezug genommene Entscheidung des Senats vom 25. November 1987 - 4 AZR 361/87 -, aaO. In dieser Entscheidung ist der Senat davon ausgegangen, daß es sich bei dem Betrieb infolge der Verbindung von Verkaufsgeschäft (Produkte der Unterhaltungselektronik) und Kundenwerkstatt (Reparatur defekter Geräte, auch solcher, die nicht im Verkaufsgeschäft erworben worden waren) um einen sog. Mischbetrieb handelt. Auch bei den übrigen Entscheidungen des Senats wird deutlich, daß die überwiegend ausgeübte Tätigkeit maßgebend ist, was voraussetzt, daß die Tätigkeiten ohne weiteres getrennt werden können (vgl. die Urteile des Senats vom 25. Februar 1987 - 4 AZR 230/86 - und - 4 AZR 240/86 - AP Nr. 79, 81 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; BAGE 25, 188 = AP Nr. 13 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; Urteil des Senats vom 10. September 1975 - 4 AZR 456/74 - AP Nr. 24 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau; Urteil des Senats vom 17. Februar 1971 - 4 AZR 71/70 - AP Nr. 9 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

5.a) Selbst wenn man jedoch mit der Revision von einem Mischbetrieb ausgehen wollte, führt das zu keinem anderen Ergebnis. Bei einem Mischbetrieb kommt es nach der Rechtsprechung des Senats für die Tarifgeltung entscheidend darauf an, mit welchen Tätigkeiten die Arbeitnehmer des betreffenden Betriebes überwiegend beschäftigt werden (zuletzt Urteil des Senats vom 25. November 1987 - 4 AZR 361/87 -, aaO). Demnach ist auch vorliegend entscheidend darauf abzustellen, ob die überwiegende Arbeitszeit der Arbeitnehmer des Beklagten mit Verkaufsaufgaben, wie sie für den Einzelhandel typisch und kennzeichnend sind, belegt ist oder mit Aufgaben der geordneten Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, wie sie dem selbständigen Apotheker aufgetragen sind und die für die Apotheke typisch sind.

b) Insoweit fehlt es an einer hinreichenden Darstellung der Klägerin. Sie hat nicht dargelegt, ob die überwiegende Arbeitszeit der Mitarbeiter sich auf die Erstellung und Abgabe von Rezepturen und auf die Abgabe von vom Großhandel beschafften verschreibungspflichtigen und apothekenpflichtigen Arzneimitteln bezieht oder auf das Randsortiment (apothekenübliche Waren). Sie hat lediglich vorgetragen, welche Mitarbeiter wann anwesend sind, hat aber nicht ausgeführt, welche Arbeitszeit der Mitarbeiter sich auf die Abgabe von verschreibungspflichtigen oder apothekenpflichtigen Arzneimitteln und welche Arbeitszeit sich auf den Verkauf des Randsortiments bezieht.

Die Klägerin hat zwar darauf verwiesen, daß in der D -Apotheke nicht nur rezeptpflichtige und apothekenpflichtige Arzneimittel vertrieben würden, sondern in erheblichem Umfang darüber hinaus apothekenübliche und freiverkäufliche Ware. Damit ist aber nicht gesagt, daß sich die Apotheke des Beklagten zum "drugstore" entwickelt hat, mit anderen Worten, die überwiegende Arbeitszeit der Mitarbeiter des Beklagten nicht mehr mit der unmittelbar dem öffentlichen Wohl dienenden Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln belegt ist, also mit der Herstellung und Abgabe von Arzneimitteln oder mit der Abgabe vom Großhandel bezogener Arzneimittel und mit der mit ihr einhergehenden Beratung des Patienten usw., sondern mit dem Verkauf von Waren, die auch Drogisten und sonstige Einzelhändler vertreiben, soweit sie das gleiche Sortiment führen, also das, was beim Apotheker normalerweise das Randsortiment ausmacht und ausmachen muß. Dem entspricht es, daß auf das Randsortiment etwa 10 bis 13 % des gesamten Umsatzes der Apotheken entfallen (vgl. Berger, aaO, S. 45). Eine Entwicklung zum "drugstore" liegt nicht im gesundheitspolitischen Interesse (BR-Drucks. 498/86 zu § 25 Apothekenbetriebsordnung). Sie zeichnet sich auch nicht ab, wie der Trend zur Selbstmedikation zeigt.

Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß sie als Apothekenhelferin "im Verkauf für die sog. Freiware und ansonsten mit Schriftverkehr und buchhalterischen Aufgaben befaßt war", Buchungsaufgaben wahrgenommen, den Wareneingang kontrolliert, Waren im sog. Freiverkauf aufgefüllt habe u. ä. Tätigkeiten erbracht habe, die allenfalls als verkaufsunterstützende Tätigkeiten einzuschätzen seien, jedenfalls keine apothekentypischen Aufgaben gewesen seien. Denn als Apothekenhelferin war und ist die Klägerin nur zu unterstützenden Tätigkeiten für das pharmazeutische Personal im Rahmen der Apothekenbetriebsordnung berufen (§ 3 Nr. 1 der Verordnung über die Berufsausbildung zum Apothekenhelfer vom 28. November 1972, BGBl I S. 2217). Das ändert aber nichts daran, daß nicht dargelegt ist, die überwiegende Arbeitszeit der Mitarbeiter des Beklagten sei nicht mit der Abgabe von Arzneimitteln belegt gewesen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Schneider Bott Friedrich

Dr. Kiefer Winterholler

 

Fundstellen

Haufe-Index 439620

BAGE 00, 00

BAGE, 1

NZA 1995, 537

NZA 1995, 537-542 (LT1)

ZAP-Ost, EN-Nr 184/95 (S)

AP § 1 TVG Tarifverträge Apotheken (LT1), Nr 2

AR-Blattei, ES 1550.4 Nr 19 (LT1)

MDR 1995, 1243 (L)

MedR 1995, 153 (S)

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