Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifänderung nach Ende der Tarifgebundenheit

 

Leitsatz (amtlich)

Es bleibt unentschieden, ob die rückwirkende Kürzung eines Anspruchs aus dem Tarifvertrag über die soziale Absicherung der Arbeitnehmer der Unternehmen der Kali-, Steinsalz- und Spatindustrie (Sozialplan-Kali) vom 29. September 1990 durch den Tarifvertrag zu dessen Änderung vom 28. Oktober 1991 – Änderungs-TV – wirksam ist. Dessen Rechtsnormen gelten unmittelbar und zwingend nur zwischen den beiderseits Tarifgebundenen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Sie beeinträchtigen nicht den kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit entstandenen Anspruch eines Arbeitnehmers, der vor Abschluß des Änderungstarifvertrages aus der tarifvertragschließenden Gewerkschaft ausgeschieden war.

 

Leitsatz (redaktionell)

Zur Rückwirkung von Tarifverträgen – Fall einer rückwirkenden Tariflohnsenkung – vgl. Urteil des Senats vom 23. November 1994 – 4 AZR 879/93 – AP Nr. 12 zu § 1 TVG Rückwirkung, auch zur Veröffentlichung für die amtliche Sammlung vorgesehen; zustimmend dazu jüngst Urteil des Zweiten Senats vom 15. November 1995 – 2 AZR 521/95 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen.

 

Normenkette

TVG § 4 Abs. 1 S. 1, § 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

Thüringer LAG (Urteil vom 10.03.1994; Aktenzeichen 2 Sa 354/92)

KreisG Eisenach (Urteil vom 02.09.1992; Aktenzeichen 7 Ca 596/92)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 10. März 1994 – 4/3/2 Sa 354/92 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Höhe und Fälligkeit eines tarifvertraglichen Abfindungsanspruchs.

Der 45jährige Kläger stand mehr als 20 Jahre in den Diensten der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der K.-S. AG, einer Tochtergesellschaft der M. K. AG, die ihrerseits Rechtsnachfolgerin des ehemaligen VEB Kombinats K. war. Der Kläger wurde im Werk V. als Elektriker beschäftigt.

Im Sommer 1990 kam es angesichts der in der Kali-Industrie zum Abbau von Überkapazitäten geplanten Umstrukturierungen, insbesondere wegen des anstehenden Personalabbaus, von dem allein bei der M. K. AG rund 13.500 Arbeitnehmer betroffen waren, zu öffentlichen Protestkundgebungen der Mitarbeiter.

Daraufhin fand am 24. September 1990 ein Gespräch zwischen Vertretern der DDR-Regierung, einem Vertreter des Bundeswirtschaftsministeriums, dem stellvertretenden Vorsitzenden der IG Bergbau, Energie und Wasserwirtschaft sowie dem Sprecherrat der Bergleute statt. Im Anschluß an das Gespräch wurde ein sog. Festlegungsprotokoll erstellt, nach dem Sozialpläne vorrangig aus den Fonds der Unternehmen finanziert und, soweit das nicht möglich war, dafür Haushaltsmittel eingesetzt werden sollten.

Aufgrund der Beratungsergebnisse vom 24. September 1990 schlossen die Unternehmen der Kali-, Steinsalz- und Spatindustrie am 29. September 1990 mit der IG Bergbau, Energie und Wasserwirtschaft den Tarifvertrag über die soziale Absicherung der Arbeitnehmer der Unternehmen der Kali-, Steinsalz- und Spatindustrie (Sozialplan-Kali). In dem Tarifvertrag, der kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung fand, sind in § 7 „Ansprüche der Arbeitnehmer bei betriebsbedingten Kündigungen” geregelt. Dort ist unter b) im letzten Absatz folgendes bestimmt:

„Die Auszahlung der einmaligen Abfindung erfolgt bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Vorlage der Arbeitslosenbescheinigung durch das bisherige Unternehmen.”

Nach seinem § 19 trat der Tarifvertrag am 3. Oktober 1990 in Kraft und konnte mit einer Kündigungsfrist von 4 Wochen jeweils zum 30. Juni und 31. Dezember eines Jahres (erstmalig 1991) schriftlich gekündigt werden.

Die tarifvertragschließenden Unternehmen waren nur deshalb bereit, die vereinbarten Abfindungen zu zahlen, weil sie angesichts des Festlegungsprotokolls davon ausgingen, staatliche Zuwendungen zu erhalten.

Im Dezember 1990 erhielt die M. K. AG von der Bundesrepublik Deutschland eine Zahlung in Höhe von 31 Mill. DM zur Finanzierung von Abfindungen. Im März 1991 stellte das Land Thüringen ihr ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung weitere 26,8 Mill. DM zur Verfügung. Aufgrund dessen wurden die Abfindungen der ausgeschiedenen Arbeitnehmer zunächst in der tarifvertraglich festgelegten Höhe erfüllt. Darüber hinausgehende Zuwendungen verweigerten die Bundesrepublik Deutschland und das Land Thüringen. Insgesamt 12 Unternehmen der Kali- und Steinsalzindustrie – darunter die K. S. AG – haben deshalb Ende 1991 die Bundesrepublik Deutschland auf Leistung der Restfinanzierung der Sozialplanleistungen in Anspruch genommen. Die auf Zahlung von 31.866.915,45 DM gerichtete Klage der K.-S. AG ist durch Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 22. April 1993 – 1 K 4785/91 – abgewiesen worden.

Auf Weisung der Treuhandanstalt, die auch die Anteile der M. K. AG gehalten hat, wurde der Sozialplan-Kali seitens der Arbeitgeber zum 30. Juni 1991 gekündigt.

Am 14. März 1991 kam für das Werk V. eine Einigung über einen Interessenausgleich und Sozialplan zustande, der am 1. April 1991 in Kraft trat und bis zum 30. September 1992 galt.

Von dessen Inhalt haben die Parteien in diesem Rechtsstreit lediglich jeweils teilweise die Regelung seines persönlichen Geltungsbereichs sowie der Schlußbestimmungen vorgetragen.

Am 19. September 1991 schloß die Treuhandanstalt mit der IG Bergbau und Energie eine Rahmenvereinbarung, in der sie zusagte, den im Festlegungsprotokoll vom 24. September 1990 aufgeführten Unternehmen – u.a. auch der K.-S. AG – Mittel bereitzustellen, um diese in die Lage zu versetzen, 70 % der Abfindungsansprüche aus dem Sozialplan-Kali vom 29. September 1990 erfüllen zu können. Des weiteren ist in der Rahmenvereinbarung bestimmt, welche Einzelheiten in den Änderungstarifverträgen zu regeln seien.

Aufgrund betriebsbedingter Kündigung der K.-S. AG vom 18. März 1991 schied der Kläger zum 30. September 1991 aus deren Diensten aus. In dem Kündigungsschreiben erklärte sich die K. S. AG „bereit, die Kündigungsfrist zu verlängern, wenn vorhersehbar ist, daß die Abfindung nicht zum tarifvertraglich festgelegten Zeitpunkt gezahlt werden kann”. Ebenfalls zum 30. September 1991 endete die Mitgliedschaft des Klägers bei der IG Bergbau und Energie.

Mit Schreiben vom 2. Oktober 1991 teilte die K.-S. AG dem Kläger, der ihr einen Bescheid über die Bewilligung von Arbeitslosengeld vom 18. September 1991 vorgelegt hatte, folgendes mit:

„Sehr geehrter Herr H.,

wie Ihnen bekannt ist, waren wir nicht in der Lage, die individuellen Zahlungsansprüche aus dem Tarifvertrag/Sozialplan vollständig zu erfüllen.

Insofern waren wir bemüht, Wege zu finden, die Ansprüche der Arbeitnehmer nicht untergehen zu lassen, wie dies z.B. bei einer gerichtlich festgestellten Zahlungsverpflichtung und der damit ggf. einhergehenden Gesamtvollstreckung der Fall sein könnte.

Aus diesem Grunde freuen wir uns, Ihnen mitteilen zu können, daß zwischen der Treuhandanstalt einerseits und der IG Bergbau und Energie andererseits Vereinbarungen getroffen werden konnten, die es ermöglichen, daß unter folgenden Bedingungen eine Zahlung erfolgen kann:

  1. Ihr Gesamtanspruch gemäß Tarifvertrag vom 29.09.90 bleibt unter Beachtung der im folgenden genannten Voraussetzungen bestehen.
  2. Durch Bereitstellung von Mitteln der Treuhandanstalt sind wir in der Lage, 70 % Ihrer individuellen Ansprüche gemäß Ziffer 1 zu erfüllen.
  3. Der nicht aus den Mitteln der Treuhandanstalt erfüllbare Anteil von 30 % wird gestundet.
  4. Wir werden Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland zur vollen Befriedigung der tariflichen Ansprüche gemäß Festlegungsprotokoll vom 24.09.90 geltend machen.
  5. Der gestundete Anteil des Anspruches wird durch uns bei einem Erfolg unserer Klage erfüllt. Er erlischt jedoch, wenn auch im Klageweg Mittel Dritter nicht zu erlangen sind.
  6. Eine weitergehende Haftung unsererseits wird ausgeschlossen.

Die Auszahlung des Teilbetrages von 70 % erfolgt nach Vorlage Ihrer Einverständniserklärung zu den o.a. Bedingungen.

Wir bitten diese Einverständniserklärung auf beigefügter Durchschrift zu erteilen und diese in der für Sie zuständigen Personalabteilung bis zum

11.10.1991

abzugeben.”

Der Kläger, dessen Abfindung sich nach dem Sozialpan-Kali streitlos auf 17.026,– DM beläuft, fand sich – neben einem weiteren Arbeitnehmer als einziger von allen Betroffenen – nicht bereit, diese Einverständniserklärung abzugeben. Darauf erhielt er nicht den 70%igen Abfindungsteilbetrag.

Am 28. Oktober 1991 schloß die IG Bergbau und Energie mit dem Kali Verein e.V. einen „Tarifvertrag zur Änderung des Tarifvertrages über die soziale Absicherung der Arbeitnehmer der Unternehmen der Kali-, Steinsalz- und Spatindustrie (Sozialplan-Kali) vom 29. September 1990” (nachfolgend: ÄnderungsTV). Danach sind die Abfindungen aus dem Sozialplan-Kali auch für bereits ausgeschiedene Arbeitnehmer nur noch anteilig zu zahlen. Weitere Zahlungen sind erst dann zu leisten, wenn rechtskräftig feststeht, daß dem Arbeitgeber zur Erfüllung von Abfindungsansprüchen Forderungen gegen den Staatshaushalt zustehen.

Mit seiner Klage nimmt der Kläger, der erst Mitte 1992 eine neue Anstellung gefunden hat, die Beklagte auf Zahlung der gesamten Abfindung in Höhe von 17.026,– DM nebst Verzugszinsen in Anspruch. Er hat die Auffassung vertreten, der Abfindungsanspruch aus dem Sozialplan-Kali stehe ihm in voller Höhe zu. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei ihm die Vereinbarung zwischen der Treuhandanstalt und der IG Bergbau und Energie vom 19. September 1991 nicht bekannt gewesen, so daß er darauf vertraut habe, den gesamten Betrag zu erhalten. Die rückwirkende Änderung dieses Tarifvertrages sei unwirksam.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 17.026,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Oktober 1991 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Vorinstanzen haben der Klage zu Recht stattgegeben.

I. Die Revision der Beklagten ist zulässig. Zwar ergibt sich aus ihrer Revisionsschrift vom 14. Juli 1994 nicht, wer Revisionskläger ist. Die Bezeichnung des Rechtsmittelklägers ist Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels (Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl., § 518 Rz 18, m.w.N.; Zöller/Gummer, ZPO, 19. Aufl., § 518 Rz 30 a, m.w.N.). Das Fehlen einer ausdrücklichen Bezeichnung des Revisionsklägers ist jedoch unschädlich, wenn die Person des Rechtsmittelführers aus sonstigen während der Notfrist bei Gericht eingereichten Unterlagen zu entnehmen ist (BVerfG NJW 1991, 3140). Dies ist hier der Fall. Der Revisionsschrift war eine auf den Bevollmächtigten der Beklagten lautende, von den Vorstandsmitgliedern Ha. und K. unterzeichnete Vollmacht der Beklagten beigefügt. Diese weist die kraft dieser Vollmacht eingelegte Revision als Rechtsmittel der Beklagten aus. Darüber hinaus lag dem Bundesarbeitsgericht bereits am 19. Juli 1994 und damit innerhalb der am 20. Juli 1994 endenden Revisionsfrist eine Abschrift des Berufungsurteils vor. Da sich aus diesem ergibt, daß die Beklagte im Berufungsrechtszug im vollen Umfange unterlegen ist, kam nur sie als Revisionsklägerin in Betracht.

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß die Unterzeichnung des die Zustellung des Berufungsurteils an die Beklagte betreffenden Empfangsbekenntnisses mit „i. A. R.” Zweifel daran weckt, ob es sich dabei um die Unterschrift eines Anwalts handelt. Dies ist Voraussetzung für die Wirksamkeit der Zustellung nach § 212 a ZPO. In der Revisionsschrift ist aber ausgeführt, das Berufungsurteil sei „zugegangen am 20. Juni 1994”. Ein etwaiger Zustellungsmangel bei der vereinfachten Zustellung nach § 212 a ZPO wäre daher durch diesen von der Beklagten selbst dargelegten Zugang gemäß § 187 ZPO geheilt.

II. Die danach zulässige Revision der Beklagten ist jedoch nicht begründet.

1. Der Kläger kann von der Beklagten Zahlung der Abfindung in Höhe von 17.026,00 DM verlangen, denn er erfüllt die Voraussetzungen des § 7 Sozialplan-Kali für diesen Anspruch.

1.1 Der Sozialplan-Kali fand kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit auf das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der K. S. AG Anwendung. Diese Feststellungen des Landesarbeitsgerichts haben die Parteien nicht gerügt. Das Revisionsgericht ist somit gemäß § 561 ZPO daran gebunden.

1.2 Das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin der Beklagten endete aufgrund deren betriebsbedingter Kündigung vom 18. März 1991 am 30. September 1991. Danach war der Kläger bis zum Beginn des zweiten Halbjahres 1992 arbeitslos, wie er im Berufungsrechtszug unwidersprochen von der Beklagten vorgetragen hat. Die nach § 7 Buchst. b Abs. 4 Sozialplan-Kali geforderte „Arbeitslosenbescheinigung” hat der Kläger ebenfalls vorgelegt. Der Sozialplan-Kali setzt für den Anspruch auf die Abfindung den Eintritt des betriebsbedingt gekündigten Arbeitnehmers in eine zumindest kurzzeitige Arbeitslosigkeit voraus (§ 7 Buchst. a Sozialplan-Kali). Diesen Umstand hat der Arbeitnehmer nach § 7 Buchst. b Abs. 4 Sozialplan-Kali durch Vorlage einer „Arbeitslosenbescheinigung” nachzuweisen. Eine Arbeitslosenbescheinigung mit „konstitutiver Wirkung”, wie die Beklagte sie nunmehr fordert, ist im AFG nicht vorgesehen. Gemeint ist in § 7 Buchst. b Abs. 4 Sozialplan-Kali eine Bescheinigung des Arbeitsamtes, aus der sich ergibt, daß der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitslos geworden ist. Einschlägig ist insofern die Bewilligung von Arbeitslosengeld durch das Arbeitsamt. Einen solchen Bewilligungsbescheid hat der Kläger der K.-S. AG vorgelegt. Unerheblich ist, daß der Bescheid vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgestellt worden ist. Der Bescheid wurde mangels gegenteiliger Anhaltspunkte im Vortrag der Parteien nicht aufgehoben. Im übrigen ist auch die Beklagte in den Tatsacheninstanzen davon ausgegangen, der Kläger habe den nach dem Tarifvertrag geforderten Bescheid vorgelegt.

1.3 Die Höhe der sich aus dem Sozialplan-Kali für den Kläger ergebenden Abfindung beträgt 17.026,00 DM. Darüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.

1.4 Die Kündigung des Sozialplan-Kali zum 30. Juni 1991, also zu einem noch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegenden Zeitpunkt, schließt den Anspruch des Klägers nicht aus. Zwar verlieren damit die Rechtsnormen des Tarifvertrages ihre zwingende Wirkung; sie gelten jedoch auch nach Ablauf des Tarifvertrages weiter, bis sie durch eine andere Abmachung ersetzt werden (§ 4 Abs. 5 TVG). Eine solche andere Abmachung ist bis zum Ausscheiden des Klägers bei der K.-S. AG weder individuell noch kollektivrechtlich getroffen worden. Insbesondere hat der Kläger nicht die von der K.-S. AG vorbereitete Erklärung unterschrieben, nach der der Anspruch auf 30 % der Abfindung zunächst gestundet wird und dann erlischt, wenn auch im Klageweg keine Mittel Dritter zu erlangen sind.

1.5 Der tarifvertragliche Abfindungsanspruch des Klägers ist auch nachträglich weder ganz noch teilweise erloschen.

1.5.1 Die Vorschriften des ÄnderungsTV fanden auf das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der K.-S. AG keine Anwendung. Da die Mitgliedschaft des Klägers in der Gewerkschaft, die Partei des ÄnderungsTV ist, am 30. September 1991 beendet war, fehlt es bei dessen Abschluß am 28. Oktober 1991 an seiner Tarifgebundenheit. Die Rechtsnormen des Tarifvertrages, die den Inhalt, den Abschluß oder die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen, gelten unmittelbar und zwingend nur zwischen den beiderseits Tarifgebundenen (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Tarifgebunden sind nach § 3 Abs. 1 TVG die Mitglieder der Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des Tarifvertrages ist. Da der Kläger bereits vor Abschluß des ÄnderungsTV aus der IG Bergbau und Energie ausgeschieden war, wird er von diesem nicht mehr erfaßt. Somit kann es dahinstehen, ob die rückwirkende Kürzung bereits entstandener und fälliger Abfindungsansprüche aus dem Sozialplan-Kali durch den ÄnderungsTV im Falle beiderseitiger Tarifgebundenheit an diesen wirksam wäre.

1.5.2 Der tarifvertragliche Abfindungsanspruch des Klägers ist auch nicht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 242 BGB) ganz oder teilweise erloschen. Zu diesem Rechtsinstitut fehlt bereits jegliches tatsächliche Vorbringen der Beklagten.

1.5.3 Der Abfindungsanspruch des Klägers wird auf der Grundlage des Vortrags der Parteien durch den in der Zeit vom 1. April 1991 bis 30. September 1992 für das Werk V. geltenden Sozialplan vom 14. März 1991 nicht berührt. Dessen Text haben die Parteien nicht vorgelegt. Zu seinem Inhalt fehlt jeglicher Vortrag der Parteien in den Tatsacheninstanzen. In der Revisionsinstanz legt die Beklagte lediglich jeweils teilweise den Inhalt der Regelung des persönlichen Geltungsbereichs sowie der Schlußbestimmung dar, nicht jedoch derjenigen Vorschriften, die Voraussetzungen und Höhe von Abfindungen regeln, wobei das Vorhandensein solcher Regelungen hier unterstellt wird. Insbesondere behauptet die Beklagte selbst nicht, durch diesen Sozialplan sei der tarifvertragliche Anspruch des Klägers der Höhe nach modifiziert oder ganz beseitigt worden. Im Kündigungsschreiben der Beklagten wird im übrigen wegen seiner „Ansprüche, die sich aus der Kündigung und der daraus erfolgenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses ergeben”, nicht auf den Sozialplan vom 14. März 1991, sondern auf den Sozialplan-Kali Bezug genommen.

1.6 Auch der Nichteintritt der Fälligkeit des Abfindungsanspruchs des Klägers nach Ziff. 11.2 des Sozialplans vom 14. März 1991 ist von der Beklagten nicht ausreichend begründet worden. Nach dieser Vorschrift werden Ansprüche aus dem Sozialplan bis zur rechtskräftigen Entscheidung nicht fällig, sofern Betroffene gegen die Kündigung oder eine Entscheidung aus dem Sozialplan Einspruch bei der Schiedsstelle einlegen. Seine Kündigung zum 30. September 1991 hat der Kläger hingenommen, dagegen also keinen Einspruch bei der Schiedsstelle eingelegt. Es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern der Streit der Parteien um die Stundung bzw. den Erlaß eines Teilbetrages von 30 % der tarifvertraglichen Abfindung ein Streit über „eine Entscheidung aus dem Sozialplan” ist. Dazu wäre die Darlegung der Beklagten erforderlich gewesen, ob und gegebenenfalls welche Regelung der Sozialplan zu Voraussetzungen und Höhe der Abfindung enthält.

2. Die Hauptforderung ist seit dem 1. Oktober 1991 von der Beklagten mit 4 % zu verzinsen (§ 284 Abs. 2, § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB), denn sie befindet sich seit diesem Zeitpunkt in Verzug. Einer Mahnung bedurfte es zur Verzugsbegründung nicht, da für die Leistung der Abfindung eine Zeit nach dem Kalender – der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses – bestimmt war. Ihre Zahlungsschwierigkeiten entlasten die Beklagte nicht nach § 285 BGB. Danach kommt ein Schuldner nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Für seine Leistungsfähigkeit hat der Schuldner jedoch einzustehen (vgl. z.B. BGHZ 83, 293, 300).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Schaub, Friedrich, Bott, Hecker, Grätz

 

Fundstellen

Haufe-Index 439529

BB 1996, 1439

BB 1996, 58

NZA 1996, 767

AuA 1996, 67

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