Entscheidungsstichwort (Thema)

Mutterschutz - Beschäftigungsverbot - Arbeitsunfähigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Mutterschutzlohn nach § 11 Abs 1 Satz 1 MuSchG wird nur geschuldet, wenn allein das ärztliche Beschäftigungsverbot für die Nichtleistung der Arbeit ursächlich ist (ständige Rechtsprechung, zuletzt BAG Urteil vom 22. März 1995 - 5 AZR 874/93 = BB 1995, 1356).

2. Stellt der Arzt Beschwerden fest, die auf der Schwangerschaft beruhen, so hat er zu prüfen und aus ärztlicher Sicht zu entscheiden, ob die schwangere Frau wegen eingetretener Komplikationen arbeitsunfähig krank ist oder ob, ohne daß eine Krankheit vorliegt, zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Mutter und Kind ein Beschäftigungsverbot geboten ist (§ 3 Abs 1 MuSchG). Dabei steht dem Arzt ein Beurteilungsspielraum zu.

3. Der auf Mutterschutzlohn in Anspruch genommene Arbeitgeber kann geltend machen, daß die Voraussetzungen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots nicht vorlagen, sondern eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Krankheit bestand.

4. Allein aufgrund der Mitteilung einzelner Befunde kann im gerichtlichen Verfahren regelmäßig nicht beurteilt werden, ob eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt oder das Aussetzen mit der Arbeit aus Gründen des Schwangerschaftsschutzes angeordnet ist.

 

Orientierungssatz

Der Senat sieht keinen Anlaß, seine bisherige Rechtsprechung zur notwendigen Alleinursächlichkeit des ärztlichen Beschäftigungsverbotes zu ändern.

 

Normenkette

HGB § 63; LFZG § 1; EFZG § 3; GG Art. 6 Abs. 4; GewO § 133c; MuSchG § 3 Abs. 1, § 11 Abs. 1 S. 1; BGB § 616 Fassung 1989-12-18

 

Verfahrensgang

LAG Bremen (Entscheidung vom 10.11.1993; Aktenzeichen 2 Sa 168/93)

ArbG Bremen (Entscheidung vom 21.01.1993; Aktenzeichen 1 Ca 1313/92)

 

Nachgehend

LAG Bremen (Entscheidung vom 28.08.1996; Aktenzeichen 2 Sa 341/95 u 4 Sa 71/95)

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Mutterschutzlohn aufgrund eines ärztlichen Beschäftigungsverbots (§ 11 Abs. 1, § 3 Abs. 1 MuSchG).

Die Klägerin wurde von der Beklagten ab 15. Mai 1992 als Assistentin der Geschäftsleitung angestellt. Sie erhielt ein monatliches Bruttogehalt von 6.200,-- DM. Am 18. oder 19. Mai 1992 teilte sie der Beklagten mit, sie sei schwanger. Für die Zeit ab 22. Mai 1992 legte die Klägerin mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ihrer sie damals behandelnden Ärztin vor. Als Diagnose wurde "Hyperemesis gravidarum" angegeben. Die letzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 27. Juni bis zum 11. Juli 1992 enthielt zusätzlich die Angabe "Grippaler Infekt in graviditate".

Die Klägerin bezog von der Beklagten Gehaltsfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 22. Mai bis zum 3. Juli 1992. Für die Zeit vom 4. bis zum 12. Juli 1992 erhielt sie Krankengeld.

Die Klägerin suchte auf Anraten ihrer Ärztin einen Gynäkologen auf. Dieser stellte ihr am 13. Juli 1992 folgende Bescheinigung aus:

"Frau H wird aufgrund des bisherigen Schwan-

gerschaftsverlaufs und der heutigen Untersuchun-

gen ein Beschäftigungsverbot erteilt, weil durch

die Fortführung der Beschäftigung die Gesundheit

von Mutter und Kind gefährdet sind.

Diagnose: unstillbares Erbrechen,

drohende Fehlgeburt bei rezidivierenden

Blutungen."

Daraufhin zahlte die Beklagte der Klägerin das Gehalt bis Ende August 1992 weiter. Für die Folgezeit lehnte sie die Zahlung ab. Die Klägerin verlangt von der Beklagten das Gehalt für den Monat September 1992.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.200,00 DM

brutto nebst 14,5 % Zinsen auf den Nettobetrag

seit dem 1. Oktober 1992 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Zahlung abgelehnt, weil die Klägerin arbeitsunfähig krank gewesen sei. Der Zeitraum der Lohnfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit sei erschöpft. Eine Pflicht zur weiteren Gehaltsfortzahlung wegen des ärztlichen Beschäftigungsverbots in der Schwangerschaft komme nicht in Betracht. Die zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung der Klägerin folge aus der Diagnose des Gynäkologen in der Bescheinigung vom 13. Juli 1992.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision will die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts erreichen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Nach den bisher getroffenen Feststellungen läßt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob die Klägerin Lohnfortzahlung für den Monat September 1992 verlangen kann oder ob sie auf den Bezug von Krankengeld verwiesen ist.

I. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG hat der Arbeitgeber einer schwangeren Frau das Arbeitsentgelt weiterzuzahlen, wenn die Frau wegen eines ärztlichen Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs. 1 MuSchG ganz oder teilweise mit der Arbeit aussetzt. Gemäß § 3 Abs. 1 MuSchG dürfen werdende Mütter nicht beschäftigt werden, soweit nach ärztlichem Zeugnis Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet ist.

II. Der Anspruch auf den Mutterschaftslohn nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG setzt voraus, daß die schwangere Frau "wegen eines Beschäftigungsverbots" mit der Arbeit aussetzt. Das Berufungsgericht hat dieses Merkmal bejaht. Ob dies zutrifft, kann noch nicht abschließend entschieden werden.

1. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung angenommen, daß das Beschäftigungsverbot die alleinige und nicht wegzudenkende Ursache für das Nichtleisten der Arbeit sein muß; nur dann wird ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts ausgelöst (BAGE 22, 418 = AP Nr. 4 zu § 11 MuSchG 1968; Urteil vom 22. März 1995 - 5 AZR 874/93 - zur Veröffentlichung bestimmt; vgl. auch BSG Urteil vom 17. April 1991 - 1/3 RK 21/88 - BB 1991, 1642 = NZA 1991, 909). Diese Auffassung wird in der Literatur ganz überwiegend geteilt (Meisel/Sowka, Mutterschutz und Erziehungsurlaub, 4. Aufl., § 11 MuSchG Rz 11; Gröninger/Thomas, MuSchG, Stand November 1994, § 11 Rz 49; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, MuSchG, 7. Aufl., § 11 Rz 13; Bulla/Buchner, MuSchG, 5. Aufl., § 11 Rz 23-25; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., § 171 MuSchG I 4, S. 1271; a.A. Heilmann, MuSchG, 2. Aufl., § 11 Rz 26). Der Senat hält an dieser Auffassung fest.

Hiernach steht der schwangeren Frau kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu, wenn andere als die in § 3 Abs. 1 MuSchG beschriebenen Gründe allein oder zusätzlich zu dem ärztlichen Beschäftigungsverbot dazu führen, daß die schwangere Arbeitnehmerin keine Arbeit leistet und sie deshalb keinen oder einen geringeren Arbeitslohn erhält. Der Ursachenzusammenhang ist dann unterbrochen. Der Verdienstausfall hat dann seine ausschließliche Ursache nicht in dem aus Gründen des Mutterschutzes erteilten Beschäftigungsverbot.

Wird die Frau während der Schwangerschaft arbeitsunfähig krank, so gilt nichts anderes. Auch dann hat die Schwangere keinen Verdienstausfall aus mutterschutzrechtlichen Gründen. Der Ursachenzusammenhang wird auch nicht wieder hergestellt, wenn nach Ablauf von sechs Wochen der Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit erschöpft ist. Das mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbot lebt nicht allein deshalb als Ursache für das Nichtleisten der Arbeit wieder auf. Ist die schwangere Frau weiterhin arbeitsunfähig krank, so ist sie auf die Leistungen der Krankenversicherung verwiesen. Auch dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats und der herrschenden Meinung in der Literatur (zuletzt das Urteil des Senats vom 22. März 1995 - 5 AZR 874/93 - m.w.N., zur Veröffentlichung bestimmt).

2. Das Landesarbeitsgericht hat gegen diese Auffassung Bedenken erhoben. Es geht davon aus, daß es für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ausreichen müsse, wenn eine auf der Schwangerschaft beruhende, zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung und das Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG für das Aussetzen mit der Arbeit mit ursächlich seien. Dem kann sich der Senat nicht anschließen.

a) Es trifft allerdings zu, daß der Zweck des § 11 MuSchG dahin geht, der Schwangeren den bisherigen Lebensstandard zu erhalten und den Anreiz zu beseitigen, entgegen einer ärztlichen Anordnung aus wirtschaftlichen Gründen die Arbeit fortzusetzen und dadurch sich oder ihr ungeborenes Kind zu gefährden. Gleichwohl hat der Gesetzgeber § 11 MuSchG nicht als eine alle möglichen Fälle erfassende Schutznorm ausgestaltet. Die Vorschrift soll nur das Risiko des Verdienstausfalls wegen des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots sichern, nicht aber ein Verdienstausfallrisiko in der Zeit der Schwangerschaft aus anderen Gründen. Dies kommt auch in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck. Im Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit heißt es, Voraussetzung für die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Fortzahlung des bisherigen Durchschnittsverdienstes sei, daß die Frau nicht krank im Sinne der Reichsversicherungsordnung sei; in diesem Fall stehe ihr nur der Anspruch auf Lohnfortzahlung nach den Vorschriften über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu (Bericht zu BT-Drucks. IV/3652 S. 6 zu Nr. 12).

b) Die Unterscheidung des Gesetzgebers ist ohne weiteres einsichtig, soweit es darum geht, äußere Ursachen einer Arbeitsverhinderung durch Krankheit, etwa eine Fraktur, von Schwangerschaftsbeschwerden abzugrenzen. Die Gesetzesbegründung zeigt aber, daß auch ein Schwangerschaftsverlauf, der eine Arbeitsunfähigkeit wegen Erkrankung auslöst, nur zur Lohnfortzahlung wegen Erkrankung führt, nicht aber die Grundlage für ein ärztliches Beschäftigungsverbot im Sinne des § 3 Abs. 1 MuSchG abgibt.

(1) Ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit setzte nach den bis zum 31. Mai 1994 geltenden Recht (§ 616 Abs. 2 BGB, § 63 HGB, § 133c Abs. 2 GewO und § 1 LFZG) voraus, daß die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit die einzige Ursache dafür war, daß der Arbeitnehmer seine Arbeit nicht leistete. Auch nach § 3 des ab 1. Juni 1994 geltenden Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG - Art. 53 des Pflegeversicherungsgesetzes - BGBl. I S. 1014 ff.) gilt insoweit nichts anderes. Daraus folgt entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts jedoch nicht, daß die werdende Mutter weder einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hat noch einen Anspruch nach § 11 Abs. 1 MuSchG, wenn ihr ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG erteilt worden ist und sie allein schwangerschaftsbedingt arbeitsunfähig krank ist. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts schließen sich das ärztliche Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG und eine auf Schwangerschaft beruhende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit gegenseitig aus. Beruhen die Beschwerden allein auf der Schwangerschaft, so kommt es darauf an, ob es sich um einen krankhaften Zustand handelt, der zur Arbeitsunfähigkeit der Schwangeren führt; haben die Schwangerschaftsbeschwerden keinen Krankheitswert, so kommt das Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG in Betracht. Je nach dem hat die Schwangere dann entweder einen - auf sechs Wochen beschränkten (§ 3 EFZG) - Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gegen den Arbeitgeber und anschließend auf Krankengeld gegen die Krankenkasse (§ 44 SGB V) oder sie hat gegen den Arbeitgeber einen - nicht auf sechs Wochen beschränkten - Anspruch nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG.

(2) Der Senat verkennt nicht, daß diese begriffliche Abgrenzung in der Praxis schwierig sein kann, insbesondere in Fällen der sogenannten Risikoschwangerschaft. Es obliegt dem behandelnden Arzt, in solchen Fällen abzuwägen und verantwortlich zu entscheiden, ob die nicht normal verlaufende Schwangerschaft Krankheitswert hat oder ob - z.B. im Vorfeld krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit - die schwangere Frau mit der Arbeit aussetzen muß, um Mutter und Kind vor anderenfalls zu befürchtenden Schäden zu schützen. Hierbei muß dem Arzt ein Beurteilungsspielraum zustehen. Er muß eine Prognose abgeben, kann also seine Entscheidung nie mit letzter Sicherheit treffen. Andererseits darf der Arzt nicht leichtfertig handeln. Verneint er einen Krankheitswert der Beschwerden der schwangeren Frau und entschließt er sich dazu, das vom Gesetzgeber in seine Entscheidung gestellte Beschäftigungsverbot auszusprechen, dann bedarf es für ihn deutlicher und greifbarer Hinweise aus medizinischer Sicht. Dabei hat der Arzt auch zu entscheiden, ob er das Beschäftigungsverbot bis zur Entbindung oder nur vorübergehend erteilt.

Geht der Arzt so vor, so kommt seinem Attest ein hoher Beweiswert zu. Die Grundsätze, die der Senat zum Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entwickelt hat, können herangezogen werden (BAGE 28, 144 = AP Nr. 2 zu § 3 LohnFG). Es bleibt dem in Anspruch genommenen Arbeitgeber aber unbenommen, Umstände vorzutragen, die den Schluß zulassen, daß ein Arzt ein Beschäftigungsverbot nach § 3 MuSchG zu Unrecht erteilt hat, etwa indem er leichtfertig gehandelt oder für die Beurteilung wesentliche Umstände nicht oder fehlerhaft bewertet hat. In Zweifelsfällen wird das Tatsachengericht sich die näheren Gründe für ein Beschäftigungsverbot vom Arzt erläutern lassen. Dabei wird dem Arzt Gelegenheit zu geben sein, nicht nur, wie bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, seinen Befund darzulegen, sondern auch seine für das - anspruchsbegründende - Beschäftigungsverbot maßgeblichen Gründe vorzutragen. Das Gericht wird das nachvollziehbare fachliche Urteil des Arztes weitgehend zu respektieren haben, es kann nicht seine eigenen - wirklichen oder vermeintlichen - Fachkenntnisse zum Anlaß nehmen, über die ärztliche Prognose hinwegzugehen. Dazu reicht jedenfalls die Angabe einzelner Befunde nicht aus (insoweit möglicherweise mißverständlich Urteil des Senats vom 14. November 1984, BAGE 47, 195 = AP Nr. 61 zu § 1 LohnFG).

(3) Das Landesarbeitsgericht hat für seine Ansicht, die Mitursächlichkeit reiche aus, weiter angeführt, § 11 MuSchG sei die speziellere Norm zu den allgemeinen Bestimmungen über die Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall. Zu Unrecht stützt es sich insoweit auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 26. August 1960 (BAGE 10, 7, 13 = AP Nr. 20 zu § 63 HGB). Diese Entscheidung befaßt sich mit der Frage des Verhältnisses von § 11 MuSchG zu den (damaligen) gesetzlichen Bestimmungen über die Entgeltfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht. Vielmehr hat das Bundesarbeitsgericht dort angenommen, für das während der Schutzfristen von der Krankenkasse nach § 13 MuSchG zu zahlende Wochengeld (seit 1968 Mutterschaftsgeld) ergebe die Systematik des Gesetzes einen gewissen Anhaltspunkt dafür, daß die Schwangere keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gegen den Arbeitgeber haben solle, solange sie einen Anspruch auf Wochengeld gegen die Krankenkasse habe. Dies werde den Interessen der Beteiligten am besten gerecht. Durch § 13 MuSchG würden die "sehr weitgehenden" Verpflichtungen des Arbeitgebers aus den §§ 10 bis 12 MuSchG, die "über die Belastungen aus den allgemeinen Bestimmungen weit hinausgehen, in einem gewissen Umfang ausgeglichen".

(4) Schließlich trägt auch der vom Landesarbeitsgericht aufgeführte "Geist der Gesamtregelung" seine Schlußfolgerung nicht, bei Arbeitsunfähigkeit infolge schwangerschaftsbedingten Erkrankungen genüge die Mitursächlichkeit des Beschäftigungsverbots zur Begründung eines Anspruchs nach § 11 Abs. 1 MuSchG. Dem Verfassungsgebot des Art. 6 Abs. 4 GG dient zwar auch der gesetzliche Mutterschutz (BVerfGE 37, 121 = AP Nr. 1 zu § 14 MuSchG 1968 = NJW 1974, 1461). Hieraus läßt sich aber nicht folgern, bei einem Widerstreit zwischen Mutterschaftslohn und Krankengeld (§ 44 SGB V) sei stets dem Mutterschaftslohn Vorrang zu geben, weil die Schwangere sonst Einbußen erleide. Das Krankengeld beträgt 80 % des zuvor erzielten regelmäßigen (Brutto-)Arbeitsentgelts, darf jedoch das Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen (§ 47 Abs. 1 SGB V). Vielfach entsteht beim Bezug von Krankengeld für die Schwangere netto keine spürbare Einbuße ihrer Einkünfte. Art. 6 Abs. 4 GG gebietet zudem nicht, daß Arbeitseinkünfte der werdenden Mutter nicht einmal geringfügig hinter ihrem Arbeitseinkommen zurückbleiben dürfen. Ebensowenig läßt sich aus Art. 6 Abs. 4 GG ableiten, die wirtschaftliche Last müsse auch dann vom Arbeitgeber und nicht von der Solidargemeinschaft oder vom Staat zu tragen sein, wenn die werdende Mutter nicht gerade und nur wegen des ärztlichen Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs. 1 MuSchG mit der Arbeit aussetzt.

3. Insgesamt sieht der Senat keinen hinreichenden Anlaß, seine bisherige Rechtsprechung zur notwendigen Alleinursächlichkeit des ärztlichen Beschäftigungsverbots zu ändern.

III. Das Berufungsurteil beruht auf der rechtsfehlerhaften Auslegung des § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG. Da sich das Landesarbeitsgericht nicht mit dem Inhalt und der Tragweite des ärztlichen Beschäftigungsverbots vom 13. Juli 1972 auseinandergesetzt hat, ist der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Die Parteien müssen Gelegenheit erhalten, sich zu der Frage zu äußern, ob sich die ärztliche Bescheinigung in der Verhängung eines schwangerschaftsbedingten Beschäftigungsverbots erschöpft oder ob die Klägerin arbeitsunfähig krank war.

Die Vorinstanzen haben allein aus den vom behandelnden Arzt mitgeteilten Befunden "unstillbares Erbrechen" und "drohende Fehlgeburt bei rezidivierenden Blutungen" geschlossen, die Klägerin sei schwangerschaftsbedingt arbeitsunfähig gewesen, es habe eine Risikoschwangerschaft vorgelegen. Mit dieser Annahme wird die entscheidende Frage nicht geklärt, nämlich, ob entweder eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorlag oder ob, ohne daß eine Arbeitsunfähigkeit vorlag, das Aussetzen mit der Arbeit aus Gründen der Schwangerschaft angezeigt war. Diese Frage läßt sich aus dem Attest allein nicht beantworten. Der behandelnde Arzt hat in seinem Attest eine aktuelle Arbeitsunfähigkeit weder ausdrücklich bestätigt noch ausgeschlossen. Seine Befragung hätte nahgelegen. Sie wird gegebenenfalls nachzuholen sein. Dabei wird es darauf ankommen, ob die festgestellten Beschwerden der Klägerin den Rahmen normaler Schwangerschaftsbeschwerden derartig überstiegen, daß ein insgesamt gestörter Ablauf der Schwangerschaft zu befürchten oder schon eingetreten war. Trifft dies zu, dann war die Klägerin arbeitsunfähig krank (Gröninger/Thomas, MuSchG, Stand November 1994, § 3 Rz 29). Wurde das Beschäftigungsverbot hingegen "prophylaktisch" verhängt, um ein bei Fortsetzung der Arbeit gefährdetes gutes Ende der Schwangerschaft sicherzustellen, so ist nicht eine Arbeitsunfähigkeit, sondern das Beschäftigungsverbot wegen der Schwangerschaft Ursache für das Aussetzen mit der Arbeit. Die vom Arzt zu verantwortende Beurteilung aus medizinischer Sicht muß maßgebend bleiben.

Griebeling Schliemann Reinecke

Glaubitz Buschmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 439774

BAGE 80, 248-256 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

BAGE, 248

BB 1995, 2531

BB 1995, 2531-2533 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

DB 1995, 2480-2481 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

NJW 1996, 1617-1619 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

EBE/BAG 1995, 189-191 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

FamRZ 1996, 284 (Leitsatz)

ARST 1996, 39-41 (Leitsatz 1 und Gründe)

EEK, III/142 (red. Leitsatz 1-4 und Gründe)

NZA 1996, 137

NZA 1996, 137-139 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

SAE 1997, 24-27 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

USK, 9539 (red. Leitsatz und Gründe)

WzS 1997, 61 (red. Leitsatz)

ZTR 1996, 74-75 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

AP § 11 MuSchG 1968 (Leitsatz 1-4), Nr 14

AP § 3 EntgeltFG (Leitsatz 1-4), Nr 5

AP § 3 MuSchG 1968, Nr 7

AP, (Leitsatz 1-3)

AR-Blattei, ES 1220 Nr 108 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

ArbuR 1996, 30 (Leitsatz 2 und Gründe)

AuA 1997, 138 (Leitsatz 1-4)

EzA-SD 1995, Nr 25, 7-10 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

EzA § 11 nF MuSchG, Nr 15 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

EzBAT § 37 BAT, Nr 25 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

MDR 1996, 289-290 (Leitsatz 1-4 und Gründe)

SGb 1996, 602 (Kurzwiedergabe)

VersorgVerw 1997, 62 (Kurzwiedergabe)

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