Rz. 148

Nach den Entscheidungen des BAG[1] kann es bei einem Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Mitwirkungsobliegenheiten zu einem uneingeschränkten Kumulieren von Urlaubsansprüchen über mehrere Jahre kommen. Eine Grenze für das Kumulieren der Urlaubsansprüche gibt es nicht. Die 15-Monats-Grenze, die gilt, wenn ein Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen seinen Jahresurlaub nicht in Anspruch nehmen konnte, scheidet aus. Es ist ein Unterschied, ob bei Lauf der Befristung das Befristungsende nach hinten geschoben wird, oder wie hier bei Verstoß gegen die Mitwirkungsobliegenheiten die Befristung des Urlaubsanspruchs bereits nicht zu laufen beginnt. Die 15-Monatsfrist bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit bezieht sich auch auf die Fälle, in denen der Arbeitgeber seinerseits alles getan hat, damit der Arbeitnehmer seinen Urlaub in Anspruch nehmen kann. Im Gegensatz dazu hat ja der Arbeitgeber gegen seine Pflichten verstoßen. Die Folge des Untergangs würde den Arbeitnehmer treffen, nicht jedoch den Arbeitgeber, der seiner Pflicht nicht nachgekommen ist. Nach der Bewertung des EuGH darf ein Fehlverhalten des Arbeitgebers nicht zu einer unrechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers führen. Dies würde dem Zweck der Richtlinie, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen zuwiderlaufen.[2]

Ob dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub der Verjährung nach den §§ 194 ff. BGB das Unionsrecht entgegensteht, hat nunmehr auf Vorlage des BAG[3] der EuGH entschieden[4].

In der Vorlage hat das BAG dargelegt, dass nach nationalem Recht auch bei unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers für den Beginn der Verjährungsfrist auf das Urlaubsjahr abzustellen ist, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist. Nach der regelmäßigen Verjährungsfrist von 3 Jahren nach § 195 BGB, die nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres beginnt, verjährt beispielsweise ein Urlaubsanspruch für das Jahr 2019 mit dem 31.12.2022.

Das BAG sah sich zurecht gezwungen, beim EuGH anzufragen, ob und unter welchen Voraussetzungen Art. 7 der Richtlinie 2003/88 EG und Art. 31 Abs. 2 der Grundrechtscharta es zulassen, durch Verjährungsfristen die Möglichkeit, das Recht den bezahlten Jahresurlaub gegen den Willen des Arbeitgebers durchzusetzen, auch dann zu begrenzen, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen ist. In der ausführlichen Begründung weist es unter anderem darauf hin, dass das nationale Verjährungsrecht nicht allein der Sicherung der Interessen von Schuldner und Gläubiger dient, sondern maßgeblich dem öffentlichen Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens.

Nach Auffassung des EuGH setzt die Anwendung der Verjährungsfrist voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in die Lage versetzt hat, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen, damit er nach nationalem Recht seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist. Eine Anwendung der Verjährungsregeln würde zu einer unzurechtmäßigen Bereicherung des Arbeitgebers führen und dem Zweck, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen, zuwiderlaufen.[5] Zu kurz kommt in der Entscheidung des EuGH der grundsätzlich anerkannte Gedanke des Rechtsfriedens. Im Vorlageverfahren war unstreitig, dass der Arbeitgeber den Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen ist. Ist streitig, ob der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist, kommen nach der Begründung des EuGH die Verjährungsfristen erst dann zur Anwendung, wenn der Arbeitgeber entweder nachgewiesen hat, dass der Arbeitnehmer die Urlaubsansprüche erfüllt hat oder seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist. Es genügt nicht, wie der EuGH meint, dass der Arbeitgeber Vorkehrungen treffen muss, dass er seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen ist. Er muss diese auch nachweisen. In Umsetzung der Vorgaben des EuGH hat das BAG sehr schnell entschieden, dass bei richtlinienkonformer Auslegung von § 199 Abs. 1 BGB die Verjährungsfrist erst mit Schluss des Jahres beginnt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.[6] Da bei Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten die Urlaubsansprüche dem Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG unterliegen, ist im laufenden Arbeitsverhältnis die Verjährungsfrist von 3 Jahren ohne Relevanz und nur für die Verjährung des Urlaubsabgeltungsanspruch von Bedeutung.[7]

Das Verschieben des Fristbeginns durch richtlinienkonforme Auslegung hat zur Folge, dass ohne besondere Regelung nicht nur der gesetzliche und unionsrechtlich geschützte Mindesturlaub betroffen ist. Die neue Rechtsprechung betrifft auch den Sonderurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 208 SGB IX und den Urlaubsanspruch für Jugendliche nach § 19 JArbSChG. Außerdem folgt bei einer richtlinienkonformen Auslegung ein tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Mehrurlaub dem gesetzlichen Urlaubsanspruch, wenn nicht deutliche Anhaltspunkte für einen abweichenden Regelungswillen...

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