Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Arbeitsleistung seines Arbeitnehmers anzunehmen, sofern der Arbeitnehmer ihm die Leistung zur rechten Zeit, in rechter Weise und am rechten Ort anbietet. Nimmt er die Arbeitsleistung nicht an, gerät er in Annahmeverzug. Dies setzt jedoch voraus, dass der Arbeitnehmer arbeitsfähig ist. Ist er dies nicht, gerät der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug.

Wie verhält es sich, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit noch vor dem in der AU-Bescheinigung genannten Zeitpunkt aufnehmen will, der Arbeitgeber jedoch Zweifel an der Arbeitsfähigkeit hat?

Diese Konstellation ist insbesondere dann von Relevanz, wenn ein Arbeitnehmer die Arbeit kurz vor dem drohenden Ablauf des 6-wöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums trotz (fort-)bestehender AU-Bescheinigung wieder aufnehmen möchte und vorträgt "er sei wieder top fit":

Hier ist zu differenzieren:

Ist der Arbeitnehmer objektiv außer Stande, seine Arbeit wieder aufzunehmen, so kann das fehlende Leistungsvermögen nicht durch die subjektive Einschätzung des Arbeitnehmers, er sei wieder gesund, ersetzt werden. Auf das subjektive Empfinden des Arbeitnehmers ist nicht abzustellen. Der Arbeitgeber kann die Leistung ablehnen, ohne in Annahmeverzug zu geraten.[1] In diesem Fall würde der Arbeitnehmer nach Ablauf des 6-Wochenzeitraums aus der Entgeltfortzahlung herausfallen und Krankengeld beziehen (müssen).

Ist objektiv erkennbar, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung noch nicht erbringen kann (z. B. offensichtliche Krankheitssymptome wie Husten und Schnupfen, Benommenheit, fortwährende körperliche Einschränkungen aufgrund von Verletzungen), wird der Arbeitgeber die Arbeitsleistung bereits aufgrund der arbeitsvertraglichen (gegenseitigen) Fürsorgepflicht nicht annehmen dürfen. Die Fürsorgepflicht ist als arbeitsvertragliche Nebenpflicht ein wesentlicher Bestandteil jeden Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, auf Rechtsgüter, Rechte und Interessen seiner Arbeitnehmer Rücksicht zu nehmen. Dies umfasst nicht nur die Interessen des erkrankten Arbeitnehmers, sondern auch die der Kollegen. Auch diese sind vor potenziellen Ansteckungsgefahren durch den erkrankten Arbeitnehmer zu schützen. In solchen Fällen ist es dem Arbeitgeber zum Schutze der Belegschaft untersagt, den arbeitsunfähigen Arbeitnehmer zu beschäftigten, solange die Gefahr einer Ansteckung besteht. Die Fürsorgepflicht wandelt sich in eine Rechtspflicht.

Zudem hat der Arbeitgeber als Fürsorgepflicht zu verhindern, dass sich der erkrankte Arbeitnehmer durch die (vorzeitige) Arbeitsaufnahme selbst in Gefahr begibt, z. B. durch eine Verzögerung oder Behinderung des Genesungsprozesses sowie des Risikos eines Arbeitsunfalls.

Beruft sich der Arbeitnehmer darauf, auch objektiv wieder arbeitsfähig zu sein, trägt grundsätzlich der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für die Arbeitsunfähigkeit. Häufig ist es für den Arbeitgeber jedoch nicht erkennbar, ob der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig ist oder nicht. Zwar kann sich der Arbeitgeber zunächst auf die prognostizierte Arbeitsunfähigkeitsdauer des ärztlichen Attests berufen. Der Beweiswert gilt in diesem Fall auch zugunsten des Arbeitgebers. Ob dies alleine, ohne dass weitere Indizien, die für eine fortwährende Arbeitsunfähigkeit sprechen, ausreichend dafür sein dürften, dass der Arbeitnehmer seinen Arzt zur Erschütterung des Beweiswerts der AU-Bescheinigung von der Schweigepflicht entbinden muss, dürfte fraglich sein. Dies würde bei vorzeitiger Arbeitsaufnahme faktisch auf das Erfordernis einer "Gesundschreibung" hinauslaufen. Gesetzlich ist dies gerade nicht vorgesehen. Der Arbeitgeber hat keinen Anspruch auf Vorlage einer Arbeitsfähigkeitsbescheinigung.

 
Praxis-Tipp

Bedeutung für die Praxis

Für den Arbeitgeber besteht bei Nichtannahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers stets ein Annahmeverzugsrisiko und damit faktisch das Lohnrisiko. Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich einen Beschäftigungsanspruch. Dieser Anspruch tritt jedoch zurück, wenn überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Ist erkennbar, dass der Arbeitnehmer objektiv nicht in der Lage ist, die ihm arbeitsvertraglich übertragenen Pflichten zu erfüllen, ohne sich oder andere Arbeitnehmer zu gefährden, kann der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer angebotene Arbeitsleistung zurückweisen.[2] Die Erkennbarkeit dürfte für Arbeitgeber jedoch in seltenen Fällen ganz ohne Zweifel gegeben sein. Verletzt der Arbeitgeber indes die ihm – auch gegenüber der weiteren Belegschaft – zukommende Fürsorgepflicht, kann er sich, wie bei einer Verletzung jeder anderen Nebenpflicht, schadensersatzpflichtig machen. Es bedarf daher stets einer Einzelfallabwägung. Kommt es nachträglich zur Feststellung der objektiven Arbeitsfähigkeit und hat der Arbeitgeber die Arbeitsleistung abgelehnt, ist er in Annahmeverzug (§ 615 BGB i.V.m § 293 BGB) geraten, selbst dann, wenn zum Ablehnungszeitpunkt Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers bestanden.

[1] LAG Hamm, Urteil v. 10.11...

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