Was Arbeitgeber beim Zugang von Kündigungen beachten müssen
Zahlreiche arbeitsrechtliche Streitigkeiten in der Praxis belegen, dass Arbeitgeber dem wirksamen Zugang einer Kündigung allergrößte Aufmerksamkeit widmen sollten.
Kündigung per Einwurf in den Hausbriefkasten
Eine Kündigung geht zu, wenn sie dergestalt in den Machtbereich des Empfängers gelangt, sodass unter gewöhnlichen Umständen mit einer Kenntnisnahme zu rechnen ist. Maßgeblich ist die objektive Möglichkeit der Kenntnisnahme, nicht deren tatsächliche Wahrnehmung (BAG, Urteil vom 20. Juni 2024, Az. 2 AZR 213/23). Ein Kündigungsschreiben, das in den Hausbriefkasten eingeworfen wird, geht dem Empfänger zu, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Maßgeblich sind die üblichen Gepflogenheiten zur Leerung von Briefkästen am Zustellungsort, insbesondere die örtlichen Postzustellzeiten. Ein Zugang am Tag des Einwurfs setzt regelmäßig voraus, dass dieser während der üblichen Postlaufzeiten erfolgt.
Die Kenntnis des Arbeitgebers vom Urlaub des Arbeitnehmers steht dem Zugang regelmäßig nicht entgegen. Ausnahmsweise kann der Zugang verzögert sein, wenn der Arbeitgeber nachweislich von der konkreten Urlaubsadresse Kenntnis hat und eine Zustellung dorthin möglich gewesen wäre (BAG, Urteil vom 22. März 2012, Az. 2 AZR 224/11).
In Mehrparteienhäusern kann die Zuordnung eines Briefkastens zweifelhaft sein. Bei zehn Klingelschildern und nur neun beschrifteten Briefkästen ist beispielsweise nicht sicher feststellbar, wem der unbeschriftete Briefkasten gehört. Eine Vermutung, dieser gehöre dem Empfänger, genügt nicht.
Wird ein Schreiben in den früheren Briefkasten des Arbeitnehmers nach einem Umzug eingeworfen, kann dies dennoch einen wirksamen Zugang bewirken, wenn sein Name noch am Briefkasten steht und der Arbeitgeber keine Kenntnis vom Umzug hat (LAG Hessen, Urteil vom 15. September 2000. Az. 2 Sa 1637/99).
Muss der Arbeitnehmer mit dem Zugang einer Kündigung rechnen, verletzt er seine Sorgfaltspflichten erheblich, wenn er dem Arbeitgeber eine Anschrift für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mitteilt, unter der er tatsächlich nicht erreichbar ist. In diesem Fall ist die Kündigung so zu behandeln, als wäre sie ihm zugegangen (BAG, Urteil vom 22. September 2005, Az. 2 AZR 366/04).
Beweislast bei Einwurf-Einschreiben
Die Rechtsprechung verneint in aktuellen Entscheidungen einen Anscheinsbeweis bei Übersendung einer Kündigung per Einwurf-Einschreiben. Der Beweis des ersten Anscheins greift nur bei typischen Geschehensabläufen, wenn ein feststehender Sachverhalt nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf einen bestimmten Kausalverlauf schließen lässt. Ein solcher typischer Ablauf liege nach einer Entscheidung des LAG Hamburg bei der Zustellung per Einwurf-Einschreiben nicht vor. Auch wenn die Reproduktion des Zustellbelegs Angaben zur Sendungsart, Sendungsnummer, Postleitzahl und zum Zustellbezirk enthält und den Text "Ich habe die oben genannte Sendung dem Empfangsberechtigten übergeben beziehungsweise das Einschreiben durch Einwurf in die Empfangsvorrichtung des Empfängers eingelegt" aufweist, begründe die Vorlage von Einlieferungs- und Auslieferungsbeleg keinen Anscheinsbeweis für den tatsächlichen Zugang.
Der Zustellvorgang sei nicht derart typisch, dass individuelle Besonderheiten außer Betracht bleiben könnten. Der Zugang könnte etwa durch Zustellfehler, unzutreffende Adressierung oder die Beschaffenheit der Empfangsvorrichtung beeinflusst werden. Ein sicherer Rückschluss vom Zustellvermerk auf den tatsächlichen Zugang sei daher ausgeschlossen (LAG Hamburg, Urteil vom 14. Juli 2025, Az. 4 SLa 26/24). Das Bundesarbeitsgericht hätte es wohl für einen Anscheinsbeweis ausreichen lassen, wenn der Versender den Auslieferungsbeleg, der Einwurf mit Datum, Uhrzeit und Unterschrift dokumentiert, vorlegt (BAG, Urteil vom 20. Juni 2024, Az. 2 AZR 213/23). Den gibt es aber nicht mehr. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich das BAG zur Entscheidung des LAG Hamburg positioniert. Das LAG hat die Revision zugelassen.
Einschreiben-Rückschein bei Kündigungsschreiben
Wird eine Kündigung per Einschreiben-Rückschein versandt, gilt sie in dem Zeitpunkt als zugegangen, in dem die Post sie dem Empfänger übergibt oder der Empfänger sie später bei der Post abholt. Der Benachrichtigungsschein über die Hinterlegung bei der Post stellt keinen Zugang der Kündigung dar. Nur ausnahmsweise kann sich der Empfänger nach Treu und Glauben nicht auf den ausgebliebenen Zugang berufen, wenn er die Kündigung nicht bei der Post abholt. Dazu müssen drei Voraussetzungen kumulativ vorliegen (LAG Hamburg, Urteil vom 8. April 2015, Az. 5 Sa 61/14):
- Der Benachrichtigungsschein muss ordnungsgemäß zugegangen sein.
- Der Empfänger musste mit der Kündigung rechnen.
- Nach einem misslungenen Zustellversuch muss unverzüglich ein neuer Zustellversuch unternommen werden.
Verweigert der Arbeitnehmer die Annahme des Schreibens schlichtweg, ist ein weiterer zeitnaher Zustellungsversuch nicht erforderlich, selbst wenn ein solcher dem Arbeitgeber ohne weiteres möglich wäre.
Kurierzustellung
Die Zustellung einer Kündigung durch einen Kurier (nachfolgend auch untechnisch "Bote") ist in der arbeitsrechtlichen Praxis weit verbreitet und bei sorgfältiger Durchführung ein probates und zuverlässiges Mittel, den Zugang sicherzustellen. Der Bote kann ein Mitarbeitender oder ein kommerzieller Kurierdienst sein. Der Kündigende selbst, beziehungsweise sein gesetzlicher Vertreter, sollte die Kündigung nicht überbringen. Er kann als Partei nicht Zeuge sein. Wird dem Boten ein verschlossener Umschlag übergeben, kann er nur Zeuge für den Zugang dieses Umschlags sein. Es empfiehlt sich daher, dass dem Boten der Inhalt vor dem Kuvertieren gezeigt wird. Wichtig ist dabei, den Datenschutz im Auge zu behalten. Der Bote sollte die Zustellung genau dokumentieren. Der Nachteil eines Kuriers ist, dass dieser, anders als die Post, nicht ohne Weiteres an die Briefkästen gelangt, die sich hinter der Hauseingangstür befinden. Öffnet niemand (auch kein Nachbar), scheitert der Zugang.
Zustellung per Gerichtsvollzieher
Ein weiterer Weg wäre die Zustellung der Kündigung durch den Gerichtsvollzieher, § 132 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 193 ZPO. Dieser stellt die Kündigung entweder persönlich (Übergabe oder Einwurf in den Briefkasten) zu oder er beauftragt hierzu die Post. Klar empfehlenswerter ist die erste Variante. Der Gerichtsvollzieher erstellt eine Zustellurkunde, aus der sich der Zugang ergibt, aber auch, welches Schreiben zugestellt wurde.
Persönliche Übergabe der Kündigung
Wird die schriftliche Kündigung persönlich übergeben, geht sie grundsätzlich sofort zu. Maßgeblich ist aber auch hier die objektive Möglichkeit der Kenntnisnahme, nicht deren tatsächliche Wahrnehmung. Entscheidend ist, dass sie dem Kündigungsempfänger zum dauerhaften Verbleib übergeben wurde (BAG, Urteil vom 20. Juni 2024, Az. 2 AZR 213/23). Der Zugang erfolgt auch, wenn der Arbeitgeber die Kündigung dem Arbeitnehmer so überreicht, dass er erkennen kann, dass sie für ihn bestimmt ist und bei Annahmeverweigerung in unmittelbarer Nähe abgelegt wird, sodass der Empfänger sie ohne Weiteres an sich nehmen und den Inhalt zur Kenntnis nehmen kann (BAG, Versäumnisurteil vom 26. März 2015, Az. 2 AZR 483/14). Nicht ausreichend ist hingegen ein Vorzeigen des Schreibens mit sofortiger Rücknahme bei Annahmeverweigerung.
Fazit: Kurier oder Gerichtsvollzieher bieten Sicherheit
Insgesamt bliebe das Einwurf-Einschreiben nach wie vor der praktikabelste Weg, der aber durch die aktuelle Rechtsprechung (zu) unsicher geworden ist. Die Kurierzustellung oder die Zustellung durch den Gerichtsvollzieher stellen damit den derzeit sichersten Weg dar, den Zugang der Kündigung zu bewerkstelligen.
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