Videoüberwachung: Arbeitgeber müssen vorsichtiger sein

Das Bundesarbeitsgericht hat einer Arbeitnehmerin wegen heimlicher Videoaufnahmen während ihrer Krankschreibung  Schmerzensgeld zugesprochen. Bedeutung und Auswirkungen des Urteils erklärt Rechtsanwältin Katrin Scheicht.

Haufe Online-Redaktion: Es war auch bisher bekannt, dass heimliche Videoaufnahmen durch den Arbeitgeber nur in den seltensten Fällen erlaubt sind. Was macht dieses Urteil nun so interessant? 

Katrin Scheicht: Das Bundesarbeitsgericht hat sich im jetzt vorliegenden Urteil erstmals deutlich zu den Voraussetzungen geäußert, unter denen ein Video aufgenommen werden darf. Es darf nicht nur eine Vermutung vorliegen, dass der Mitarbeiter die Krankheit nur vortäuscht, sondern es muss ein Verdacht gegeben sein, der auf konkreten Tatsachen beruht.

Haufe Online-Redaktion:  Können sie Beispiele für solche Tatsachen nennen?

Scheicht: Die Gerichte gehen zunächst immer davon aus, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch einen Beweiswert hat. Zweifelt der Arbeitgeber diese an, werden an seinen Verdacht hohe Anforderungen gestellt. Indizien, die einen konkreten Verdacht begründen, könnten beispielsweise ein sogenanntes Ärzte-Hopping sein, also Krankschreibungen, die der Mitarbeiter jede Woche von einem anderen Arzt ausstellen lässt. Auch ein vorangegangene Streit, bei dem der Mitarbeiter möglicherweise schon ankündigte, krank zu werden, kann ein solches Indiz sein, ebenso die Tatsache, dass Urlaub beantragt, aber abgelehnt wurde und der Mitarbeiter später genau in diesem Zeitraum krank ist.

Haufe Online-Redaktion:  Wenn eines oder mehrerer solcher Indizien vorliegen, könnte der Arbeitgeber also einen Detektiv losschicken mit dem Auftrag, den Mitarbeiter zu überwachen und im Bedarfsfall zu filmen?

Scheicht: Ja und Nein - es kommt dann immer noch auf die Umstände des Einzelfalls an. Vor allem muss überlegt werden, ob es mildere Mittel gibt, die zur Verfügung stehen und wie stark die Tatsachen waren, die den Verdacht gerechtfertigt haben.  Arbeitgeber sollten deshalb in Zukunft noch vorsichtiger als bisher sein, was Videoaufnahmen ihrer Mitarbeiter angeht. Ein Detektiv, der eine Observierung mit  bloßem Auge unternimmt, wäre beispielsweise ein milderes Mittel, dieses Vorgehen würde auch nicht so strengen Anforderungen unterliegen.

Haufe Online-Redaktion: Nun ist ein Video aber wesentlich aussagekräftiger und kann mit Sicherheit den besseren Beweis erbringen als eine Aussage des Detektivs...

Scheicht: Ja, das ist richtig. Aber wenn das Video unrechtmäßig gemacht wurde, weil es ein milderes Mittel gegeben hätte, kann es bezüglich des Videos ein Beweisverwertungsverbot im Prozess geben. Arbeitgeber sollten deshalb die Tatsachen, die den Verdacht einer vorgetäuschten Erkrankung begründen, immer dokumentieren, beispielsweise über Gesprächsvermerke. Außerdem sollten sie den Detektiv beauftragen, möglichst detaillierte Aufzeichnungen zu machen. Auf diese könnte man zurückgreifen, wenn das Video nicht verwertet werden darf.

Haufe Online-Redaktion:  Was wären denn weitere mildere Mittel, auf die der Arbeitgeber vor der Videoüberwachung zurückgreifen könnte?

Scheicht: Bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit  kommt immer – außer bei privat versicherten Mitarbeitern – auch eine Vorstellung beim medizinischen Dienst der Krankenkassen in Betracht. Auch wenn der Arbeitnehmer dieser Aufforderung nicht nachkommt, kann der Arbeitgeber damit zeigen, dass alles versucht wurde, um den Fall aufzuklären. Wenn all diese Mittel ausgeschöpft sind, kann ein Videobeweis gerechtfertigt sein.  

Haufe Online-Redaktion:  Was ist, wenn der Arbeitgeber beispielsweise von Kollegen erfährt, dass sein Mitarbeiter trotz Krankschreibung immer wieder abends in derselben Disco anzutreffen ist – würde das eine Videoüberwachung rechtfertigen?

Scheicht:  Ob das für eine Videoüberwachung ausreicht, bezweifle ich nach dem neuen Urteil.  Auch hier muss gefragt werden, ob ein Videobeweis notwendig ist, oder ob nicht mildere Mittel, wie beispielsweise die Befragung der Kollegen, als Beweis ausreichen würden.

Haufe Online-Redaktion: Und was ist mit Fotos?

Scheicht: Davon würde ich auf jeden Fall abraten. Zum einen kann auch ein Foto einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellen. Zum anderen ist der Beweiswert gering – es sind ja nur Momentaufnahmen, die leicht widerlegt werden können. Um belastbare Vorwürfe zu erzielen, bräuchte man im Prozess schon eine Fotostrecke  -  aber hier dürften dann fast dieselben engen Anforderungen gelten wie die, die das BAG nun für Videoaufnahmen aufgestellt hat.


Katrin Scheicht, Fachanwältin für Arbeitsrecht, ist Partnerin bei Norton Rose Fulbright LLP in München. 


Das Interview führte Katharina Schmitt, Redaktion Personalmagazin. 

Schlagworte zum Thema:  Videoüberwachung, Arbeitsunfähigkeit