Sachgrundlose Befristung: Bewerber nach Vorbeschäftigung fragen

Das Bundesverfassungsgericht hat die BAG-Rechtsprechung zum Verbot der Vorbeschäftigung bei der sachgrundlosen Befristung gekippt. Welche Auswirkungen das Urteil für die Praxis hat und was Arbeitgeber bei der sachgrundlosen Befristung künftig beachten müssen, erläutert Rechtsanwältin Barbara Reinhard. 

Haufe Online-Redaktion: Wie wirkt sich das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf Arbeitgeber aus?

Barbara Reinhard: Die Entscheidung des BVerfG dreht die Uhr zurück und lässt die Rechtsprechung des BAG vor dem Ur­teil vom 6. April 2011, Az. 7 AZR 716/097, wieder aufleben: Bis auf wenige vom BVerfG beispielhaft genannte Ausnahmen sperrt jegliche Zuvorbeschäftigung eines Arbeitnehmers eine erneute sachgrundlos befristete Anstellung. Arbeitgeber müssen daher nicht nur Vertragsdaten der vergangenen drei Jahre aufbewahren, sondern müssen wieder die gesamte Vertragshistorie in den Blick nehmen. Dies bedeutet auch, dass Arbeitgeber im Bewerbungsverfahren mit berechtigtem Interesse unbeschränkt nach einer solchen Vorbeschäftigung fragen können und der Arbeitnehmer wahrheitskonform Auskunft zu geben hat.

In der Sache wird sich die Entscheidung für den Bund in seiner Funktion als Arbeitgeber nachteilig auswirken: Denn als einheitlicher Vertragsarbeitgeber für eine Vielzahl von Beschäftigungsstellen und Institutionen wird ihm dadurch flächendeckend sachgrundlose Befristungen gesperrt, sobald es irgendwann irgendwo bereits ein Zuvorbeschäftigungsverhältnis gab.


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Haufe Online-Redaktion: Das BVerfG nennt – wenn auch recht vage – Ausnahmen zum Vorbeschäftigungsverbot. Sind mehrere sachgrundlose Befristungen künftig noch rechtssicher möglich? 

Reinhard: Sämtliche vom BVerfG genannten Ausnahmen sind unter dem Gesichtspunkt des eigentlichen Zwecks des Verbots einer Zuvorbeschäftigung sehr gut nachvollziehbar. Sie bieten aber allesamt keine Rechtssicherheit, wie es bei einer gesetzlichen Regelung möglich wäre. Es kann daher nur gefordert werden, dass der Gesetzgeber selbst hier endlich die notwendige Rechtssicherheit schafft und Ausnahmetatbestände regelt. Diese können sich auf die vom BVerfG benannten Ausnahmen einer geringfügigen Nebenbeschäftigung im Ausbildungszeitraum beziehen. Sie könnten aber auch noch einmal die Rechtsprechung des BAG aufgreifen und festlegen, ab welchem Unterbrechungszeitraum das Risiko der Kettenbefristung fernliegt.


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Haufe Online-Redaktion: Und wenn der Gesetzgeber nichts regelt?

Reinhard: Solange es an einer Klärung fehlt, sollten Arbeitgeber nach Ablauf von zwei Jahren und in den Fällen einer Zuvorbeschäftigung nur noch mit klarem Sachgrund befristen. Auf die vom BVerfG genannten Ausnahmen sollte nur dann zurückgegriffen werden, wenn die Zuvorbeschäftigung einen geringfügigen Umfang hatte und ein Ausbildungs- oder Nebentätigkeitszweck nach der Vertragsgestaltung, dem Vertragsinhalt, dem Stand der Qualifikation sowie dem entsprechenden Einsatz klar im Vordergrund stand. Um diese Argumentation zu stärken, sollten zwischen der Nebentätigkeit und der sachgrundlos befristeten Einstellung sowohl ein zeitlicher Abstand liegen als auch Tätigkeitsinhalt und Funktion klar voneinander abweichen.

Haufe Online-Redaktion: Wie sieht es mit aktuell bestehenden Befristungen aus, die im Vertrauen auf die BAG-Rechtsprechung vereinbart sind. Gibt es hier eine Art Vertrauensschutz?

Reinhard: Ein Vertrauensschutz ist hier wohl nicht zu gewähren, obwohl dies aus Sicht der Arbeitgeber mit Blick auf die Bedeutung einer höchstrichterlichen Rechtsprechung durchaus angebracht wäre. Aber letztlich hat das BAG im Jahr 2011 eine Abweichung von einer formal eindeutigen Gesetzesformulierung eröffnet, die von Beginn an in der Literatur hoch umstritten war. Arbeitgeber, die sich auf den Ansatz eingelassen haben, sind insofern „sehenden Auges“ ein Gestaltungsrisiko eingegangen. Letztlich wird sich die Entscheidung des BVerfG aber auf zahlreiche risikoreiche Vertragsgestaltungen nicht auswirken, da Arbeitnehmer die 3-Wochenfrist einer Entfristung versäumt haben dürften.

Rechtsanwältin Dr. Barbara Reinhard ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und Partnerin bei Kliemt Arbeitsrecht in Frankfurt am Main. Zudem zählt sie zu den 40 führenden HR-Köpfen des Personalmagazins


Das Interview führte Michael Miller, Redaktion Personal.

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Schlagworte zum Thema:  Befristung, Urteil, Vorstellungsgespräch