Nicht nur Arbeitnehmer sollten wissen, woran sie sind

Wer Vertrauensschutz fordert, sollte mit klaren Regeln für Rechtssicherheit sorgen. Das genaue Gegenteil wird vom Gesetzgeber zelebriert, behauptet Thomas Muschiol in seiner Kolumne "Arbeitsrecht.

Liebe Personalexperten, auf ein Versprechen seines Chefs muss sich ein Mitarbeiter verlassen können. Übersetzt in die juristische Sprache bedeutet dies: Arbeitnehmer genießen arbeitsrechtlichen Vertrauensschutz. Dass dieser sogar greifen kann, wenn gar nichts geregelt ist, weiß jeder, der sich schon einmal mit dem Problem „betriebliche Übung“ beschäftigen musste. Unklarheiten gehen hier stets zulasten des Arbeitgebers, denn Arbeitnehmer sollen, so auch der Gedanke der AGB-Rechtsprechung, wissen, woran sie sind.

Aber sollte nicht auch ein Arbeitgeber wissen, woran er ist? Richtig, und dafür muss der Gesetzgeber sorgen, denn schließlich gilt der sogenannte „Vorrang des Gesetzes“. Das heißt, dass die wesentlichen Rechte und Pflichten aus einem (geschriebenen) Rechtsbuch klar ablesbar sein müssen. Genau an dieser Stelle hapert es aber nach wie vor gewaltig. Da gibt es zunächst jede Menge Sachverhalte, die überhaupt nicht gesetzlich geregelt sind und bei deren mühevollen Klärung man vom Richterrecht spricht. Dieses kann sich bekanntlich ständig ändern, was kaum dazu beiträgt, dass Arbeitgeber wissen können, woran sie sind. Hat man dennoch einmal eine Vorschrift gefunden, die im weitesten Sinne als Rechtsgrundlage dienen könnte, so wird es keinen Deut einfacher. Begriffe wie Zumutbarkeit, Erforderlichkeit oder dringende betriebliche Gründe sind Leerformeln, die unausweichlich wieder zum erwähnten Richterrecht führen. Aber, so mag man einwenden, es bleiben zumindest noch die Vorschriften, die ausnahmsweise einmal eindeutige Vorgaben enthalten und an denen es nichts zu deuteln gibt. Wenn zum Beispiel in § 622 BGB eine Kündigungsfrist aufgeführt wird, dann ist diese doch eindeutig und nicht gegen den Wortlaut auslegungsfähig, oder?

Weit gefehlt, denn das Anwendungsverbot klarer gesetzlicher Regeln ist eine weitere Spezialität des arbeitsrechtlichen Richterrechts. Und einen Teil des besagten § 622 BGB hat der Europäische Gerichtshof schon vor Jahren für unwirksam erklärt. Bewusst fahrlässig handelt hier der Gesetzgeber, wenn er solche vermeintlich exakten Definitionen im Gesetzbuch stehen lässt und sich einen Teufel darum schert, dass Arbeitgeber deshalb nicht wissen, woran sie sind. Obendrein müssen sie dafür noch mit verlorenen Gerichtsverfahren bezahlen.

Die Regierungsverantwortlichen selbst bleiben dabei ungeschoren, denn eine Handhabe, den Staat für sein Nichtstun wegen Irreführung des Rechtsanwenders in Regress zu nehmen, gibt es leider nicht. Geht es dagegen um die Einnahmeinteressen des Staates selbst, ist dieser aus anderem Holz geschnitzt. Soweit es um Änderungen im Abgabenrecht von Lohnsteuer und Sozialversicherung geht, werden unwirksame Vorschriften umgehend und notfalls auch mal rückwirkend ersetzt. Darauf können Sie sich mit Sicherheit verlassen.

Rechtsanwalt Thomas Muschiol (Leiter Ressort Recht "Personalmagazin")
Schlagworte zum Thema:  Arbeitsrecht