Kolumne Arbeitrecht: Wenn Corona überstanden ist

Ostern ist gerade vorbei und da kann man schon mal berichten, was der Osterhase gebracht hat: Corona. Nun ja, das ist nicht gerade das, was man sich wünscht. Aber als Arbeitsrechtspraktiker denkt unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller noch ein wenig weiter, gar bis Weihnachten, und überlegt sich, was er dann im Rückblick zwischen Ostern und Weihnachten erlebt haben wird.

Ich beame mich heute bis zum diesjährigen Weihnachtsfest und heiße Sie willkommen zu einem fiktiven arbeitsrechtlichen Jahresrückblick 2020. Was jetzt kommt, mag ein wenig wie Science-Fiction klingen, aber mit etwas Hoffnung vielleicht doch Realität werden.

Also: Die Corona-Krise ist überstanden. Nach einem tiefen Loch in der Wirtschaft erholt sich diese langsam aber sicher wieder. Glücklicherweise ist durch das beherzte Einschreiten der Regierungen um Ostern herum – Kontaktsperre etc. – das Allerschlimmste nicht eingetreten.

Virtuelle Betriebsratssitzungen als legalisierter Standard

Erneut bewährt hat sich das Instrument der Kurzarbeit – rasch an neue Anforderungen angepasst. Fachkräfte konnten gehalten werden und in harten Zeiten, in denen insbesondere die Lieferketten unterbrochen waren, auch weniger qualifizierte Mitarbeiter sozial abgesichert werden. Die USA haben angesichts dieser Erfolge ein vergleichbares Modell eingeführt.

Die Betriebsräte und Arbeitgeber haben schnell und unkompliziert gehandelt – und sind auf elektronische Sitzungen und Beschlussfassungen umgeschwenkt, um die Risiken persönlicher Kontakte zu minimieren. Nachdem der Bundesverband der Arbeitsrechtler (BVAU) – und in seinem Geleit andere Verbände und eine Vielzahl von Professoren und Arbeitsrechtskanzleien – den Gesetzgeber aufgefordert hatten, elektronische Sitzungen und Beschlussfassungen gesetzlich abzusichern, ist dies endlich - zunächst befristet - als Gesetz umgesetzt worden. Im Herbst 2020 hat sich diese Gesetzesänderung als so erfolgreich und bedarfsgerecht erwiesen, dass eine unbefristete Umsetzung im Betriebsverfassungsgesetz erfolgte. Außerdem wurden die Wahlen zum Betriebsrat und die Aufsichtsratswahlen erheblich vereinfacht und digitalisiert. Betriebsversammlungen am Bildschirm sind (legalisierter) Standard geworden.

Stolpern im Homeoffice als Arbeitsunfall

Letzteres wurde auch erforderlich, da immer mehr Beschäftigte Flexoffice – zumeist zuhause in Eigenisolation – wählten. Aber auch im Ausland "Gestrandete" konnten so weiter erwerbstätig bleiben. Die Unternehmen haben bei dieser Gelegenheit gelernt, dass Flex- oder Homeoffice kein wirkliches Problem darstellt und angesichts der sprunghaften Verbreitung in der betrieblichen Praxis hat die Bundesregierung ihr einstiges Vorhaben, einen Rechtsanspruch auf Homeoffice zu kodifizieren, als unnötig verworfen.

Allerdings haben die nun zunehmenden (Bagatell-)Unfälle in Homeoffices dazu geführt, dass der Schutz der Berufsgenossenschaft uneingeschränkt für Tätigkeiten außerhalb der Büroräume – also in Flexoffices – erweitert wurde. Stolpern auf dem Weg zur Kaffeemaschine im Homeoffice ist nun also – endlich – versichert!

Summenruhezeit als Bestandteil des Arbeitszeitgesetzes

Die Beschäftigten schätzen im Home- oder Flexoffice vor allem, dass sie ihre Arbeitszeit flexibel einrichten können. Längere Pausen, Home-Fitness zwischen den Arbeitsgängen: das machte es natürlich erforderlich, die elfstündige Ruhezeit an die Gegebenheiten anzupassen.

Auf massiven Druck der Betriebsräte, die dieses Erfordernis als erste gesehen hatten, hat die Bundesregierung reagiert und eine "Summenruhezeit" pro Woche normiert. Um die praktischen Erfordernisse mit denen des "Arbeitszeiterfassungs-Urteils" des EuGH zu verbinden, sieht das Arbeitszeitgesetz nun zugleich vor, dass im Flexoffice grundsätzlich Vertrauensarbeitszeit gilt, die Beschäftigten die Arbeitszeiten händisch erfassen können und diese Aufzeichnungen nur dann als verbindlich gelten, wenn sie bis Mitte des Folgemonats durch ihre Führungskraft als "richtig" abgezeichnet wurden. Bei Nichteinreichen gilt die gesetzliche Höchstarbeitszeit und Mindestruhezeit als erfüllt, im Konfliktfall gibt es ein einfaches Beschwerdeverfahren unter Beteiligung der Betriebsparteien.

Software-Einführung als mitbestimmungsfreie Maßnahme

Auch die Beschäftigten in der Produktion sind betroffen: Die Kurzarbeit wurde genutzt, um jene Kollegen mit Tablets auszustatten und sie zu schulen. In beschleunigten Verfahren konnten hier Schulungen für Fernunterricht zertifiziert und damit bezuschussungsfähig gemacht werden. Maschinenführer, Servicemitarbeiter und Kollegen steuern die Produktion seither von zu Hause aus per Tablet. Das verringert den Bedarf, am Produktionsstandort anwesend zu sein, und damit die – weiterhin bestehende – Ansteckungsgefahr dramatisch.

Nachdem dies alles mit Soft- und Hardware erfolgt ist, die schnell beschafft und in Einsatz gebracht werden musste, und Verhaltens- und Leistungskontrolle keine Rolle spielten, hat die Bundesregierung zu § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG klargestellt: "Dazu bestimmt, Leistung oder Verhalten zu kontrollieren, sind technische Einrichtungen nur, wenn der Arbeitgeber die entsprechenden Daten auch tatsächlich zu diesem Zweck erhebt oder auswertet; ohne diese Absicht ist die Einführung mitbestimmungsfrei."


Alles Science-Fiction? Vielleicht. Aber wenn man sich wünschen darf, was der Osterhase (oder eben später das Christkind respektive der Weihnachtsmann) bringen soll, dann lässt diese fiktive Retrospektive das Herz eines Arbeitsrechtlers, der vor allem für seine Stakeholder rechtssichere Lösungen gemäß ihren Anforderungen umsetzen möchte, das Herz höherschlagen.

Es muss ja nicht alles Fiktion bleiben!


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller, Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.