Zeit für mehr Mut im Bundesarbeitsministerium


Koalitionsvertrag: Stagnation im Arbeitsrecht

Bärbel Bas hat Hubertus Heil an der Spitze des Bundesarbeitsministeriums abgelöst. Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller wirft einen Blick auf die Aufgaben, die vor ihr liegen, und wünscht sich, dass die neue Bundesarbeitsministerin mehr Mut zu Reformen mitbringt als ihr Vorgänger.

Sie ist, wenn ich richtig gezählt habe, die achtzehnte Bundesarbeitsministerin. Wobei das Zählen nicht einfach ist – gab es früher doch tatsächlich einen "Bundesminister für Arbeit", dann auch mal einen "Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit", eine "Bundesministerin für Gesundheit und Soziales" und seit nunmehr 20 Jahren das Bundesministerium für "Arbeit und Soziales". Elf von der SPD, sechs von der CDU besetzt – nun ist also erneut die SPD an der Reihe. Die anderen Parteien haben sich offenbar aus dem Metier verabschiedet.

Mutig

Die Rente hatten, wenn ich es richtig übersehe, schon vier ihrer Vorgänger auf der Agenda der Dringlichkeiten, und das letzte Mal ist auch schon über 20 Jahre her. Seitdem – nein, eigentlich schon seit Beginn der Republik – liegt das Thema Rente und die Notwendigkeit einer echten Reform eben dieser in einem tiefen Dornröschenschlaf. Und sie, Bärbel die Achtzehnte, möchte Dornröschen wachküssen. Wirklich?

Vielleicht muss es so sein. Denn arbeitsrechtlich gibt es laut Koalitionsvertrag nicht wirklich viel für Frau Bas zu tun – jedenfalls nicht genug für vier Jahre. Von 146 Seiten Koalitionsvertrag sind netto gerade mal anderthalb Seiten dem Arbeitsrecht gewidmet: Mindestlohn, Tariftreue, Arbeitszeit und Arbeitszeiterfassung, mehr Regulierung in der Betriebsverfassung. Da muss sich die Bundesministerin schon zusätzliche Betätigungsfelder suchen. Also: die Rente. Zum einen ohne Zweifel ein wichtiges Thema, zum anderen bei ihr, die sie laut Wikipedia in ihrem Leben vor der Politik der Sozialversicherung stark verbunden war, auch gut nachvollziehbar. Allerdings hörten wir dann auch sofort die Koalitionspartnerin laut rufen: "Nein, das steht nicht im Koalitionsvertrag!". Chapeau, ungeachtet des sicher streitbaren Inhalts ihres Vorstoßes: Sie wagt Mut!

Ich will nicht über die Idee von Frau Bas sprechen, Beamte und Selbstständige in die Rentenversicherung zu holen. Ein Buch wäre dazu nicht ausreichend, schon gleich gar nicht diese Kolumne. Aber ich will darüber sprechen, dass, wenn sich die Koalition nur an die mageren eineinhalb Seiten im Koalitionsvertrag halten möchte, nicht wirklich etwas passieren wird. Außer Stagnation. Und die wäre verheerend.

Mutiger

Der Koalitionsvertrag ist einer des Nicht-Arbeitsrechts. Nochmal: Von 146 Seiten Koalitionsvertrag sind netto gerade einmal anderthalb Seiten Arbeitsrecht. Da fehlt einiges, was wir brauchen, sogar dringend brauchen!

Vor allem eine massive Entbürokratisierung gerade im Arbeitsrecht. Fangen wir mit dem Entfall aller Schriftform-Erfordernisse und aller "Aushang"-Pflichten (in Papierform) an. Im Ausland, auch dem europäischen, ist das längst Standard.

Gehen wir weiter zur Modernisierung des Tarifvertragsgesetzes und blicken dort auf das Einreichen mehrerer "Abschriften" an eine Vielzahl von Landestarifregistern. Eine Pflicht, die dringend abgeschafft werden sollte. Tatsächlich ist im Jahr 2025 immer noch von einzureichenden "Abschriften" die Rede. In Gesprächen mit einigen Vertretern der Tarifregister wurde mir gesagt: Eine Abschrift wird eingescannt, die anderen gleich geschreddert und der Hinweis "Sie tun uns einen großen Gefallen wenn wir das gleich als PDF-Datei bekommen" (in dreifacher Ausfertigung?) fehlte nicht.

Dringend erforderlich wären auch Erleichterungen in der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung (vergleichbar etwa der "Personalgestellung" im staatlichen Bereich).

Am Mutigsten

Dringend nötig wäre eine Deregulierung in fast allen Bereichen des Arbeitsrechts und eine klare Aufgabenzuweisung an die Betriebs- und Tarifpartner. Denen wird zu wenig zugetraut und sie könnten miteinander vieles besser und passgenauer regeln als der Gesetzgeber.

Den ganzen Ballast an starren Befristungsregelungen, Ansprüchen auf Teilzeit in verschiedenen Gesetzen, eine Betriebsverfassung aus dem letzten Jahrtausend brauchen wir in dieser Form nicht, doch es fehlt der Mut, diese Themen durch die Tarif- oder Betriebspartner regeln zu lassen. Wohin das führt? Zu Tarifverdrossenheit. Dabei könnte das beste Programm zur Erhöhung der Tarifbindung sein, den Tarifparteien endlich die Freiheit zu geben, branchenspezifische Regelungen zu schaffen. Zumindest im Rahmen weitgehender Öffnungsklauseln für die Betriebs- oder Tarifparteien. Das kann bei einer branchengerechten Lösung für Arbeitgebende schlichtweg der ausschlaggebende letzte Kick sein, in den Arbeitgeberverband einzutreten. Für Beschäftigte ebenso. Endlich weg von überflüssigen Kleinbetriebsklauseln, stattdessen Öffnungsklauseln schaffen! Gerade die kleinen und mittleren Unternehmen, die vom Gesetzgeber gerne von gesetzlichen Regelungen ausgenommen werden (was immer wieder zu einer Wettbewerbsverzerrung im Vergleich zu größeren Unternehmen führt) sind weder tarifgebunden noch werden dort Betriebsräte gewählt.

Mehr Mut wagen

Wenn die Koalition sich nur an das hält, was im Koalitionsvertrag festgelegt ist, wird es ein ruhiges Leben für Arbeitsrechtler – zumindest an der Front der Veränderungen. Deswegen der klare Aufruf, mehr zu fordern, als im Koalitionsvertrag geschrieben steht. Nicht um die Arbeitsrechtler zu beschäftigen, sondern um der Stagnation ein Ende zu gebieten und Fortschritt in diesem wichtigen Bereich zu ermöglichen. Und dieser tut dringend not.

Dieser Aufruf geht nicht nur an die neue Bundesarbeitsministerin, sondern auch an den Koalitionspartner. Oder hat sich dieser tatsächlich seit mehr als 25 Jahren (mit einer kurzen Unterbrechung) aus der Arbeitspolitik verabschiedet? Das wäre traurig!


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU) sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.

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Schlagworte zum Thema:  Arbeitsrecht, Gesetzgebung, Koalitionsvertrag