BAG-Urteil: Tarifliche Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag

Eine tarifvertragliche Regelung, nach der Ansprüche aus einem Tarifvertrag trotz beiderseitiger Tarifgebundenheit nur dann bestehen, wenn eine Bezugnahme im Arbeitsvertrag erfolgt ist, ist unwirksam. Sie überschreitet die Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien, entschied das BAG.

Aufgrund der Tarifautonomie können Tarifparteien grundsätzlich die rechtlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen der Arbeitsverhältnisse in Tarifverträgen selbst aushandeln. Der Regelungsmacht von Tarifparteien sind allerdings auch Grenzen gesetzt, insbesondere durch Art.9 Abs.3 GG sowie durch das Tarifvertragsgesetz (TVG). Im konkreten Fall ging es um die Frage, ob Tarifvertragsparteien die Geltung tariflicher Ansprüche trotz beiderseitiger Tarifgebundenheit von einer Bezugnahme im Arbeitsvertrag abhängig machen dürfen. Das BAG entschied, dass die Tarifvertragsparteien mit einer solchen Regelung ihre Befugnis überschreiten. 

Fehlende Bezugnahmeklausel: Klage auf Zahlung von Differenzentgelt

Die Mitarbeiterin, Mitglied der IG Metall, verlangte von ihrem Arbeitgeber auf der Grundlage vorteilhafterer, tarifvertraglicher Bestimmungen die Zahlung der Differenz zu ihrem Gehalt. Sie ist seit dem Jahr 2002 auf Grundlage eines Arbeitsvertrags beschäftigt, der keine Bezugnahme auf einen Tarifvertrag hat. Der Arbeitgeber war zu diesem Zeitpunkt nicht tarifgebunden. Erst 2015 schloss er mit der IG Metall und dem Unternehmerverband "Industrieservice und Dienstleistungen" einen Manteltarifvertrag und einen Entgeltrahmentarifvertrag.

Der Arbeitgeber verweigerte die Zahlung mit der Begründung, dass die Beschäftigte keine Ansprüche aus einem Tarifvertrag herleiten könne. Dazu führte er an, dass diese das Angebot auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages mit Bezugnahmeklausel auf den Tarifvertrag nicht angenommen habe.

Bezugnahme im Arbeitsvertrag als Bedingung für tarifliche Ansprüche?

Der Hintergrund: Sowohl der Mantel- als auch der Entgeltrahmentarifvertrag enthalten eine Regelung, nach der Ansprüche aus dem Tarifvertrag voraussetzen, dass die Einführung des Tarifwerks auch arbeitsvertraglich nachvollzogen wurde. Dafür sollte eine dynamische Bezugnahmeklausel vereinbart werden, nach der sich das Arbeitsverhältnis "nach dem jeweils für den Betrieb aufgrund der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers […] geltenden Tarifwerk" richtet. Nach dem Willen der Tarifvertragsparteien sollten die Arbeitnehmer neben neuen tariflichen Rechten nicht auch noch alte arbeitsvertragliche Rechte beanspruchen können.

Neuer Arbeitsvertrag mit Bezugnahmeklausel und Änderungen

2016 unterschrieb die Arbeitnehmerin zwar einen neuen Arbeitsvertrag, den ihr der Arbeitgeber zugesandt hatte. In diesem waren neben der tarifvertraglich vorgesehenen Bezugnahmeklausel auch neue Arbeitsbedingungen enthalten, die vom ursprünglichen Arbeitsvertrag abwichen und für sie ungünstiger ausfielen. Daher strich die Arbeitnehmerin einige Klauseln. Das Angebot zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags nahm sie folglich nicht an.

Tarifvertragliche Bestimmungen gelten ohne Bezug im Arbeitsvertrag

Mit ihrer Klage auf Zahlung von Differenzentgelt auf der Grundlage der Bestimmungen des Mantel- und Entgeltrahmentarifvertrags hatte die Arbeitnehmerin Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht entschied zugunsten der Arbeitnehmerin, dass ihr die Ansprüche aus den Tarifverträgen zustehen. Dies folgte für das BAG bereits aufgrund der beiderseitigen Tarifgebundenheit.

BAG: Regelung im Tarifvertrag war unwirksam

Das BAG qualifizierte die tarifvertraglichen Bestimmungen, die eine "arbeitsvertragliche Nachvollziehung" verlangen, als unwirksam. Die Rechte aus dem Tarifvertrag dürften wegen § 4 Abs.1 TVG nicht von den vorgesehenen individualrechtlichen Umsetzungsmaßnahmen der Arbeitsvertragsparteien abhängig gemacht werden. Zudem stehe auch das durch § 4 Abs. 3 TVG geschützte Günstigkeitsprinzip aus Sicht des Gerichts einer solchen Regelung entgegen. 

Bestimmung liegt außerhalb der tariflichen Regelungsmacht

Eine Regelung, nach der - wie vorliegend - Ansprüche aus dem Tarifvertrag trotz beiderseitiger Tarifgebundenheit nur dann bestehen sollen, wenn die Arbeitsvertragsparteien die Einführung des Tarifwerks durch eine Bezugnahmeklausel auch individualvertraglich nachvollziehen, durften die Parteien nicht wirksam vereinbaren. Eine solche Bestimmung liege außerhalb der tariflichen Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien, urteilte der Senat.  


Hinweis: BAG, Urteil vom 13. Mai 2020; Az: 4 AZR 489/19; Vorinstanz: Hessisches LAG, Urteil vom 17. Januar 2019, Az: 5 Sa 404/18
In zwei weiteren Verfahren, die dieselbe Rechtsfrage betrafen, obsiegten die klagenden Parteien ebenfalls. (Az: 4 AZR 490/19, Az: 4 AZR 643/19)


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