Altersfreizeit auch für Teilzeitbeschäftigte
Vorliegend hatte sich das BAG mit einer tarifvertraglichen Regelung zur Altersfreizeit für gewerbliche Beschäftigte der feinkeramischen Industrie auseinanderzusetzen. Nach dem Tarifvertrag erhalten ältere Beschäftigte (über 58 Jahre) eine Arbeitszeitverkürzung von 2 Stunden wöchentlich bei vollem Lohnausgleich, eine sogenannte Altersfreizeit. Damit soll dem erhöhten Erholungsbedürfnis im Alter Rechnung getragen werden. Wer allerdings weniger als 38 Stunden die Woche tätig ist, hat danach keinen Anspruch auf Altersfreizeit: Teilzeitbeschäftigte mit geringerer Stundenzahl schließt die tarifliche Regelung aus.
Der Fall: Arbeitnehmerin in Teilzeit verlangt anteilige Altersfreizeit
Die Arbeitnehmerin war als Produktionshelferin in Teilzeit mit 20 Stunden wöchentlich einem Industrieunternehmen tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet ein Tarifvertrag Anwendung, der eine Altersfreizeit vorsieht: Ab Vollendung des 58. Lebensjahres erhalten Mitarbeitende danach eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit von zwei Stunden wöchentlich bei voller Entgeltfortzahlung. Diese Altersfreizeit wird jedoch ausweislich des Tarifvertrags nur Beschäftigten in Vollzeit gewährt. Die Arbeitnehmerin erfüllte 2016 hinsichtlich des Alters die Voraussetzungen. Sie verlangte vom Arbeitgeber, ihr die Altersfreizeit anteilig in Höhe von einer Stunde wöchentlich zu gewähren. Die tarifvertragliche Regelung verstoße ihrer Überzeugung nach gegen das Benachteiligungsverbot.
Dies lehnte der Arbeitgeber im Januar 2017 ab. Er hielt die Differenzierung zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigung für sachlich gerechtfertigt. Teilzeitbeschäftigte würden durch ihre bereits reduzierte Arbeitszeit nicht der gleichen Belastung ausgesetzt wie Beschäftigte in Vollzeit. Zudem pochte er auf die Tarifautonomie.
BAG: Tarifliche Altersfreizeitregelung diskriminiert Teilzeitbeschäftigte
Nach Auffassung des BAG verstößt der vollständige Ausschluss Teilzeitbeschäftigter von der Gewährung bezahlter Altersfreizeit gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten. Das Gericht erklärte die Tarifregelung für nichtig. Die Diskriminierung könne allein durch eine "Anpassung nach oben" beseitigt werden.
In der Begründung führte das Gericht aus, dass die tarifliche Regelung Teilzeitbeschäftigte wegen ihrer Teilzeittätigkeit gegenüber Vollzeitbeschäftigten benachteiligt, indem sie eine vergütete Altersfreizeit erst ab einer Arbeitszeit von 38 Stunden die Woche gewährt - unabhängig davon, wie viele Stunden der oder die Teilzeitbeschäftigte arbeitet. Dies habe zur Folge, dass Teilzeitbeschäftigte bei gleicher Arbeitsleistung schlechter verdienten als Vollzeitbeschäftigte. Schließlich führe die Fortzahlung des Entgelts bei gleichzeitiger Reduzierung der Arbeitszeit bei Vollzeitbeschäftigten zu einer Erhöhung ihres Gehaltes.
Kein Entlastungsbedarf für Teilzeitbeschäftigte?
Diese Ungleichbehandlung ist auch nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt, stellte das BAG in seiner Entscheidung fest: Sinn und Zweck der vorliegenden tariflichen Regelung sei eine kontinuierliche Entlastung älterer Arbeitnehmender. Eine Differenzierung, bei der sich die Gewährung vergüteter Altersfreizeit allein am Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit von älteren Beschäftigten orientiert, werde jedoch nicht durch Unterschiede im Tatsächlichen sachlich gerechtfertigt. Das BAG wies darauf hin, dass es keinen allgemeinen Erfahrungssatz gebe, wonach ältere Arbeitnehmende erst ab 38 Stunden wöchentlicher Arbeitszeit eine qualitative Belastung hätten, die eine Erholung in Form einer Altersfreizeit erfordere. Dies lasse auch die häufige außerberufliche Belastung von teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmenden außer Acht. Es gebe mithin keinen Grund, warum die Altersfreizeit Teilzeitbeschäftigte völlig ausschließe, anstatt ihnen diese ebenfalls proportional zur Arbeitszeit zu gewähren. Der Arbeitgeber war in diesem Fall folglich zur Nachgewährung der geforderten Altersfreizeit für die Zeit von 2016 bis 2022 mit einer Stunde je Woche verpflichtet.
Hinweis: BAG, Urteil vom 9. Juli 2024, Az. 9 AZR 296/20; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil vom 7. November 2019, Az. 5 Sa 174/19
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