1 Vorbemerkungen

 

Rz. 1

Für ein Unternehmen ist die fachliche Qualifikation seiner Mitarbeiter nicht zuletzt vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung ein entscheidendes Kriterium der eigenen Wettbewerbsfähigkeit. Für den Arbeitnehmer ist sie Voraussetzung für den Erhalt des Arbeitsplatzes und den beruflichen Aufstieg.[1] Dementsprechend erlangt das Thema Berufsbildung zunehmend an Bedeutung. Das Betriebsverfassungsgesetz widmet nicht zuletzt deshalb diesem Thema in den §§ 9698 BetrVG einen eigenen Unterabschnitt. § 96 Abs. 1 BetrVG verpflichtet die Betriebspartner, die Berufsbildung der Arbeitnehmer zu fördern. Gemäß § 96 Abs. 1 Satz 2 BetrVG hat der Arbeitgeber sämtliche die Berufsbildung betreffenden Fragen mit dem Betriebsrat zu erörtern. Damit korrespondiert das Vorschlagsrecht des Betriebsrats nach S. 3. Die Förderungspflicht wird in Abs. 2 näher konkretisiert. Mit dem sog. Betriebsrätemodernisierungsgesetz ist durch den neu eingefügten Absatz 1a das allgemeine Initiativrecht des Betriebsrats bei der Berufsbildung ergänzt worden. Bei Uneinigkeit zwischen den Betriebsparteien über Maßnahmen der Berufsbildung soll die Einschaltung einer Einigungsstelle die Vermittlung zwischen den Betriebspartnern ermöglichen.[2]

 

Rz. 2

§ 96 Abs. 1 Satz 2 BetrVG war bereits durch das Betriebsverfassungs-Reformgesetz geringfügig geändert worden. Die Wörter "mit diesem" wurden durch die Wörter "den Berufsbildungsbedarf zu ermitteln und mit ihm" ersetzt. Der Gesetzgeber hält die Feststellung von zentraler Bedeutung, welche Arbeitnehmer in welchen Bereichen Qualifizierungsbedarf haben. Die neue Regelung verpflichtet daher den Arbeitgeber, auf Verlangen des Betriebsrats den Berufsbildungsbedarf zu ermitteln. Dieser ergibt sich aus der Durchführung einer Ist-Analyse, der Erstellung eines Soll-Konzepts und der Ermittlung des betrieblichen Bildungsinteresses der Arbeitnehmer. Dies ist nicht nur eine konkret-praktische Voraussetzung für eine wirksame betriebliche Berufsbildung, sondern auch erforderlich, damit der Betriebsrat die für die Qualifizierung der Arbeitnehmer bedeutsamen Beteiligungsrechte bei der betrieblichen Berufsbildung nach den §§ 96 ff. BetrVG wirksam ausüben kann.[3]

[1] BT-Drucks. 14/5741 S. 49.
[2] Art. 1 Ziffer 21 des Gesetzes zur Förderung der Betriebsratswahlen und der Betriebsratsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt (BGBl. I, S. 1762 vom 17.6.2021).
[3] BT-Drucks. 14/5741 S. 49.

2 Berufsbildung

 

Rz. 3

Die betriebliche (Fort-)Bildung ist von der Berufsausbildung i. S. d. § 1 BBiG zu unterscheiden, welche sich in der Regel unmittelbar an die Vollschulzeitpflicht anschließt. Gleichwohl gehört die Berufsausbildung nach dem BBiG auch zur Berufsbildung gemäß §§ 96 – 98 BetrVG. Der weit auszulegende Begriff der Berufsbildung[1] umfasst neben den beruflichen Maßnahmen zur Erstausbildung (§ 1 Abs. 2 BBiG), der Fortbildung (§ 1 Abs. 3 BBiG) und der Umschulung (§ 1 Abs. 4 BBiG) auch kurzfristige Bildungsmaßnahmen, sofern durch die Maßnahmen Kenntnisse und Fertigkeiten einer beruflichen Tätigkeit vermittelt werden. Voraussetzung ist ferner, dass die Maßnahmen unter didaktischen Gesichtspunkten gestaltet und auf die Erreichung eines bestimmten Lernziels gerichtet sind. Hierzu zählen z. B. auch Veranstaltungen, die dem Arbeitnehmer die Fähigkeiten vermitteln sollen, welche ihm erst die Erfüllung der ihm abverlangten beruflichen Tätigkeiten ermöglicht (z. B. Teilnahme an einem PC-Grundlagenkurs).

 
Praxis-Beispiel

Beispiele für Maßnahmen der beruflichen Bildung sind kurzfristige Bildungsmaßnahmen für Anlernlinge, Praktikanten, betriebliche Lehrgänge und Seminare, Bildungsprogramme, Anleitung zur Bedienung neuer Maschinen, Veranstaltungen zum Zweck des Erfahrungsaustauschs, Besuch von Ausstellungen, Messen und Kongressen oder Vorbereitungsseminare für eine Auslandstätigkeit.[2]

Nicht von dem Begriff der Bildungsmaßnahme erfasst und daher dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats entzogen sind einerseits die Einweisung des – über die zur Ausübung der beruflichen Tätigkeit erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten bereits verfügenden – Arbeitnehmers auf seinem Arbeitsplatz (z. B. Unterrichtung des Arbeitnehmers nach § 81 Abs. 1 Satz. 1 BetrVG; Einweisung in die Bedienung einer CAD-Einrichtung). Andererseits stellen auch sonstige Veranstaltungen keine Bildungsmaßnahmen dar, wenn sie keine Lernprozesse durch theoretische Einsichten vermitteln und vollziehen (z. B. Besuch von Ausstellungen und Messen sowie sonstige Freizeitbeschäftigungs- und Unterhaltungsmaßnahmen). Erforderlich ist folglich ein unmittelbarer Bezug zwischen der Veranstaltung und der beruflichen Tätigkeit. Als Maßnahme der Berufsbildung gilt auch nicht die Durchführung einer Testkaufserie durch den Arbeitgeber, um die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft von Verkäufern gegenüber dem Kunden zu testen. Die Maßnahme ist nicht auf die Vermittlung von Fähigkeiten gerichtet; dem Betriebsrat steht deshalb auch kein Recht zu, über die Ergebnisse der Maßnahme in Kenntnis gesetzt zu werden (BAG, Besc...

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