1 Einführung

Im Arbeitsrecht ist eine Fülle unterschiedlichster Vorschriften zu beachten, die von verschiedenen Institutionen geschaffen wurden (z. B. Bundestag, Landtag, EU, Tarifpartnern, Betriebspartnern, Vertragspartnern) und inhaltlich häufig gar nicht aufeinander abgestimmt sind. Damit man aber überhaupt erkennen kann, welche der sich u. U. widersprechenden Regelungen im Einzelfall gelten, muss eine Reihenfolge der unterschiedlichen Regelungen gebildet werden. Das ist die Aufgabe der Lehre von den Rechtsquellen des Arbeitsrechts.

 
Praxis-Tipp

Ein systematisches Vorgehen ist zwingend erforderlich, um feststellen zu können, welche Regelungen im aktuellen Fall gelten, wenn es sich widersprechende Vorschriften gibt. Ein systematisches Vorgehen ist auch erforderlich, um einen Schritt zuvor überhaupt erkennen zu können, dass es unterschiedliche und sich widersprechende Regelungen gibt.

2 Grundsätzliches

In der Literatur wurden viele Versuche gemacht, die unterschiedlichen Rechtsquellen des Arbeitsrechts zu ordnen.[1] In einer Grobeinteilung kann unterschieden werden zwischen staatlichem Recht (Gesetze, Rechtsverordnungen), internationalem Recht (Völkerrecht, EU-Recht), kollektivem Recht (Tarifverträge, Betriebs-, Dienstvereinbarungen), Richterrecht (meist Entscheidungen des BAG, die oft von Instanzgerichten übernommen werden, aber nicht übernommen werden müssen und der LAG; Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gehören hier auch dazu, gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG haben sogar Entscheidungsformel und die die Entscheidung tragenden Gründe Gesetzescharakter, d. h. sie müssen eingehalten werden)[2] und Individualvertrag (Arbeitsvertrag und dem daraus resultierenden Direktions-Weisungsrecht des Arbeitgebers).

Für die praktische Handhabung empfiehlt sich folgender Aufbau:

[1] Vgl. z. B. Schaub, AH § 3, S. 9ff.; Löwisch, Arbeitsrecht, S. 18ff.; Däubler, Das Arbeitsrecht 1, Nr. 1.2., S. 35ff.
[2] Vgl. Wischermann, Rechtskraft und Bindungswirkung verfassungsgerichtlicher Entscheidungen, Jur. Diss. Münster, Berlin, 1979, 121ff.; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Ulsamer, BVerfGG, § 31 Rdnr. 16.

3 Arten der Rechtsquellen und ihre Rangordnung

Als Grundsatz gilt bei mehreren rechtlichen Regelungen das Ordnungsprinzip, was bedeutet, dass die höherrangige Vorschrift die niederrangige verdrängt.

3.1 EG (EU)-Verordnungen/allgemeine Regeln des Völkerrechts

Art. 117 EG-Vertrag verpflichtet die Mitgliedstaaten zu einer gemeinsamen Sozialpolitik. Gehandelt wird in der EU gem. Art. 189 durch Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen. Dabei gelten die EG-VO als internationales Gesetzesrecht unmittelbar ohne förmliche Umwandlung in innerstaatliches Recht (Transformation) in jedem Mitgliedstaat (§ 189 Abs. 2 EG-Vertrag).[1] Diese EG-Verordnungen gehen dem innerstaatlichen Recht vor, da nur so die Gemeinschaft verwirklicht werden kann.[2]

Vgl. z. B. EG-VO Nr. 1408/71 Soziale Sicherheit.

Allgemeine Regeln des Völkerrechts sind ebenfalls unmittelbar Bestandteil des Bundesrechts und gehen den Gesetzen vor (Art. 25 GG).

Z. B.: Art. 6 Abs. 2 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK): Unschuldsvermutung bis zum Nachweis der Schuld.

Entstehen in einem Rechtsstreit Zweifel, ob eine solche Regel besteht, hat das Gericht gem. Art. 100 Abs. 2 GG die Entscheidung des BVerfG einzuholen.

[2] Schaub, AH § 3 II.2.c).

3.2 Das Grundgesetz im Arbeitsrecht

Das Grundgesetz ist die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und enthält die für das bestehende Rechtssystem wichtigsten Vorschriften. Im Arbeitsrecht spielen die im Grundgesetz zum Zeichen ihrer ganz herausragenden Bedeutung vorangestellten Grundrechte eine bedeutende Rolle.[1]

[1] Vgl. hierzu Gamillscheg, Die Grundrechte im Arbeitsrecht, 1989, Berlin. Dieser bezeichnet die Arbeitsgerichtsbarkeit als die "grundrechtsfreudigste aller Zivilgerichtsbarkeiten" (S. 16).

3.2.1 Mittelbare Drittwirkung der Grundrechte

Zwar binden die Grundrechte gem. Art. 1 Abs. 3 GG nur Gesetzgebung (Legislative), vollziehende Gewalt (Exekutive) und Rechtsprechung (Judikative) als unmittelbar geltendes Recht. Nur Art. 9 Abs. 3 GG (Koalitionsfreiheit) und Art. 33 GG (Zugang zu öffentlichen Ämtern) weichen von diesem System ab und gelten für das Arbeitsrecht unmittelbar. Nach der Lehre der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte[1] gilt aber der Rechtsgehalt der Grundrechte im bürgerlichen Recht mittelbar durch die privatrechtlichen Vorschriften, besonders in den sog. Generalklauseln (z. B. § 138 BGB: Sittenwidrigkeit, Wucher; § 226 BGB: Schikaneverbot; § 242 BGB: Treu und Glauben; § 315 BGB: einseitiges Leistungsbestimmungsrecht; § 106 GewO: Ausübung des Direktionsrechts). Diese Grundrechte sind zudem zu berücksichtigen bei der Anwendung der kündigungsrechtlichen Generalklauseln, d. h. des wichtigen Grundes in § 626 BGB und der Verhaltens- oder Personenbedingtheit einer Kündigung i. S. d. § 1 Abs. 2 KSchG[2], aber auch bei einer betriebsbedingten Kündigung im Rahmen der Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG.

[1] Grundlegend: BVerfG, Urteil v. 15.1.1958, 1 BvR 400/51 (Lüth-Urteil); BVerfG, Urteil v. 23.4.1986, 2 BvR 487/80; BAG, Großer Senat, Urteil v. 27.2.1985, GS 1/84; BAG, Urteil v. 20.12.1984, 2 AZR 436...

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