2.4.1 Bedeutung und Systematik

Die spezielle Bedeutung von Art. 3 Abs. 2 GG neben Art. 3 Abs. 3 GG war lange Zeit unklar. Das Bundesverfassungsgericht betrachtete beide Gleichheitsgebote bis 1991 als gleichbedeutend. Beide seien Differenzierungsverbote, die lediglich eine besondere Rechtfertigung verlangten. Erstmals in der Entscheidung zum Nachtarbeitsverbot betonte es den Unterschied: Art. 3 Abs. 2 GG weise einen "über das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG hinausreichende[n] Regelungsgehalt" auf, der darin bestehe, dass er ein Gleichberechtigungsgebot aufstelle und dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstrecke. "Der Satz Männer und Frauen sind gleichberechtigt‘ will nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft die Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen. Er zielt auf Angleichung der Lebensverhältnisse … Überkommene Rollenverteilungen … dürfen durch staatliche Maßnahmen nicht verfestigt werden. Faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, dürfen … durch begünstigende Regelungen ausgeglichen werden".[1] Dieser Regelungsgehalt wird durch die Verfassungsänderung und die Anfügung des Satzes 2 noch unterstrichen.[2]

Diese Entwicklung von Art. 3 Abs. 2 GG zeigt, dass Gleichbehandlung allein als Begriff nicht ausreicht, um den verschiedenen Dimensionen der Gleichberechtigungsproblematik gerecht zu werden: Nach dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist zunächst Gleiches gleich zu behandeln, soweit es gleich ist. Dieser allgemeine Gleichheitssatz beinhaltet ein Gleichbehandlungsgebot. Art. 3 Abs. 3 GG ergänzt dieses Gebot. Die dort genannten Merkmale dürfen nicht als Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung dienen. Diese speziellen Gleichheitssätze werden auch Diskriminierungsverbote genannt. Wie der allgemeine Gleichheitssatz gewährleisten Diskriminierungsverbote lediglich die Anwendung einer bereits gesetzten Norm oder Leistung auf eine von ihr ausgeschlossene Gruppe. Dennoch sind Diskriminierungsverbote keine "Gleichstellungsverpflichtungen". Denn dieser Begriff wird im deutschen Rechtssystem für Maßnahmen verwendet, die sich nicht darauf beschränken, lediglich den Anwendungsbereich einer gegebenen Norm auszudehnen, sondern die neue Rechte schaffen, die dem Zweck der Gleichberechtigung oder Gleichstellung dienen.

Ein weiteres Koordinationsproblem ergibt sich aus dem Recht der EU. Art. 141 EG (früher 119 EGV) verpflichtet die Mitgliedstaaten auf den Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit (dazu näher unter Gleiches Entgelt für Männer und Frauen). Darüber hinaus enthalten zahlreiche Richtlinien Verbote der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung von Männern und Frauen im Erwerbsleben. Für deren Auslegung ist der Europäische Gerichtshof zuständig, der bereits eine umfangreiche Rechtsprechung entwickelt hat. Sie bindet die Gerichte der Mitgliedstaaten. Damit ist auch Art. 3 Abs. 2 GG "gemeinschaftsfreundlich" auszulegen. Im europäischen Kontext hat sich der Begriff Antidiskriminierung eingebürgert.

 
Praxis-Tipp

Man sollte In Bezug auf die Gleichberechtigungsfrage besonderen Wert auf die präzise Begriffsbildung legen. Gleichbehandlungsgebote oder Diskriminierungsverbote haben die Anwendung einer bereits gesetzten Norm auf die sachwidrig (oder willkürlich) ausgeschlossene Gruppe zum Ziel. Gleichstellungsgebote und Frauenfördergesetze sollen neue Rechte schaffen, die der Gleichberechtigung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit dienen.

[2] Wohl str. siehe ErfKo/Dieterich, a.a.O. (Fn. 2), Rn. 85.

2.4.2 Diskriminierung von Frauen

Dem Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts nach Art. 3 Abs. 2 und 3 GG entsprechen im Arbeitsrecht die Diskriminierungsverbote der §§ 611a, 611 b und 612 Abs. 3 BGB (siehe Geschlechterdifferenzierung und der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz). Es dauerte lange, bis einige unmittelbar diskriminierende Normen, insbesondere aus dem Bereich des Frauenarbeitsschutzes, als rechtswidrig erkannt wurden. Dennoch kann die Frage der unmittelbaren Diskriminierung von Frauen im Normengefüge der BRD mittlerweile als gelöst gelten.

Problematisch und vieldiskutiert sind heutzutage Fragen der mittelbaren Diskriminierung von Frauen. Der europäische Gesetzgeber hat eine Definition der mittelbaren Diskriminierung formuliert: Nach der RL 97/80/EG v. 15.12.1997 liegt sie vor, "wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren einen wesentlich höheren Anteil der Angehörigen eines Geschlechts benachteiligen, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind angemessen und notwendig und durch nicht auf das Geschlecht bezogene sachliche Gründe gerechtfertigt". Verstöße gegen das Verbot der mittelbaren Diskriminierung zu erkennen, ist schwierig, setzt es doch voraus, dass die tatsächlichen Auswirkungen von Regelungen untersucht werden. Wegen dieser "materiellen" Betrachtung gesellschaftlicher Wirkungen ist das Verbot der mittel...

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